TE OGH 1949/6/8 1Ob115/49

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Veröffentlicht am 08.06.1949
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Norm

Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung vom 5. September 1939. DRGBl. I S. 1671 §7
Mietengesetz §19
Mietengesetz §20
Mietengesetz §21
Mietengesetz §22
Mietengesetz §23
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §21
Mietengesetz §22
ZPO §496
ZPO §562

Kopf

SZ 22/87

Spruch

Zur Anwendung des § 19 Abs. 1 MietG. bei der Aufkündigung von Pachtverhältnissen, die gemäß § 7 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, den Kündigungsbeschränkungen der §§ 19 bis 23 MietG. unterworfen sind (Nr. 97).

Entscheidung vom 8. Juni 1949, 1 Ob 115/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Spitz a. d. D.; II. Instanz: Kreisgericht Krems.

Text

Mit Pachtvertrag vom 31. Mai 1939 haben die Kläger den beiden Beklagten ihren Gasthaus- und Fleischhauereibetrieb mit den dazugehörigen Räumen und Einrichtungsgegenständen verpachtet. Dieses zunächst für fünf Jahre vereinbarte Pachtverhältnis ist später in ein solches von unbestimmter Dauer übergegangen. Die Kläger haben nun den Beklagten lediglich die gepachteten Räumlichkeiten halbjährig zum 31. Mai 1948 aufgekundigt, indem sie behaupteten, daß das Pachtverhältnis überhaupt nicht den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliege, vorsichtshalber aber auch noch Eigenbedarf gemäß § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. als Kündigungsgrund geltend gemacht. Die Pachtung der drei Gewerbeberechtigungen (Fleischereigewerbe, Selchereigewerbe, Gast- und Schankgewerbe) haben die Kläger den Beklagten mit einem Briefe vom 18. November 1947 ebenfalls zum 31. Mai 1948 außergerichtlich aufgekundigt, worauf die Beklagten erwiderten, daß sie diese Aufkündigung nicht zur Kenntnis nehmen.

Das Erstgericht hat die Aufkündigung mit der Begründung aufgehoben, daß das ganze durch den Pachtvertrag vom 31. Mai 1939 begrundete Bestandverhältnis gemäß § 7 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, den Vorschriften des Mietengesetzes über die Kündigungsbeschränkungen unterliege und daß der geltend gemachte Kündigungsgrund der Z. 5 des § 19 Abs. 2 MietG. auf die Kündigung von Geschäftsräumen nicht anwendbar sei.

Infolge Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und diesem die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen, wobei es anordnete, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses aufzunehmen sei. Das Berufungsgericht stimmt mit dem Erstgericht dahin überein, daß das zwischen den Streitteilen bestehende Pachtverhältnis den Vorschriften des Mietengesetzes unterliege, es ist aber der Ansicht, daß mit Rücksicht auf die Eigenart dieses Pachtverhältnisses zu prüfen sei, ob nicht der in der Kündigung geltend gemachte Eigenbedarf der Kläger die Kündigung gemäß § 19 Abs. 1 MietG. rechtfertige, auch wenn den Beklagten kein entsprechender Ersatz im Sinne der Z. 6 des § 19 Abs.2 MietG. beschafft werde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Frage, ob im vorliegenden Falle die Aufkündigung des Bestandverhältnisses ohne Beistellung von Ersatzräumen an sich möglich wäre, hat das Berufungsgericht mit Recht bejaht. Durch § 7 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, wurden die Vorschriften des MietG. über Kündigungsbeschränkungen (§§ 19 bis 23) auf Pachtverhältnisse und Unterpachtverhältnisse über Räume ausgedehnt, also auf Rechtsverhältnisse, für die sie ursprünglich nicht bestimmt waren. Aus diesem Gründe können sich bei der Anwendung dieser Vorschriften auf Pachtverhältnisse Schwierigkeiten ergeben, an die der Gesetzgeber bei ihrer Erlassung nicht gedacht haben konnte. Es kann daher im einzelnen Falle - anders als bei Mietverhältnissen - auch ein Tatbestand als wichtiger Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 1 MietG. anerkannt werden, der sich von den in Z. 2 bis 12 des § 19 Abs. 2 MietG. angeführten Tatbeständen nur dadurch unterscheidet, daß das eine oder das andere gesetzliche Tatbestandsmerkmal fehlt. Dies gilt insbesondere für Kündigungen von Pachtverhältnissen wegen Eigenbedarfes, die der angefochtene Beschluß mit zutreffenden Gründen trotz der Vorschrift der Z. 6 des § 19 Abs. 2 MietG. für grundsätzlich nicht ausgeschlossen erklärt hat, auch wenn dem Gekundigten Ersatzräume nicht beigestellt werden.

Dem Berufungsgericht ist jedoch ein Rechtsirrtum unterlaufen, der im Rekurse zwar nicht berührt wurde, der jedoch vom Obersten Gerichtshof nichtsdestoweniger aus den oben angeführten Erwägungen aufgegriffen werden mußte. Das Berufungsgericht hat wohl die Schwierigkeiten nicht außer acht gelassen, die sich daraus ergeben, daß die gerichtliche Aufkündigung nur einen Teil der Pachtobjekte, nämlich die Räumlichkeiten, und nicht das ganze den Beklagten verpachtete Unternehmen - insbesondere die Gewerbeberechtigungen - umfaßt. Es vermeint jedoch, daß sich das Gericht mit diesem "Mangel der Kündigung" nicht zu befassen habe, weil er in den Einwendungen der gekundigten Partei nicht geltend gemacht worden sei. Diese Rechtsansicht ist aus folgenden Gründen unrichtig: Mit dem Pachtvertrag vom 31. Mai 1939 haben die Kläger den Beklagten ihre Gewerbebetriebe samt den Räumlichkeiten, in denen diese ausgeübt werden, und der Geschäftseinrichtung in Bestand gegeben. Auf Grund des § 7 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, wurde dieses Pachtverhältnis in seinem ganzen Umfang und nicht nur hinsichtlich der verpachteten Räume dem Mieterschutz unterworfen. Der Oberste Gerichtshof hat schon in wiederholten Entscheidungen (z. B. 2 Ob 53/48 (SZ. XXI/73)) ausgesprochen, daß auf Grund der zitierten Verordnung die Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes auch dann Anwendung finden, wenn nicht der Benützung der Räume, sondern der Ausübung des in diesen Räumen betriebenen Unternehmens die überwiegende Bedeutung zukommt, und daß das Unternehmen in jedem Falle das Schicksal der vermieteten Räume teilen muß. Infolgedessen gilt die Vorschrift des § 21 Abs. 1 MietG., wonach Mietverträge nur gerichtlich aufgekundigt werden können, nunmehr auch für Pachtverhältnisse im Sinne der zitierten Verordnung. Die außergerichtliche Aufkündigung der Gewerbeberechtigungen durch die Kläger - die von den Beklagten unbestrittenermaßen nicht zur Kenntnis genommen wurde - ist daher rechtsunwirksam. Aus diesem Gründe ist die vorliegende Aufkündigung, die sich nur auf die Räume beschränkt, als Teilkündigung im Sinne des § 22 Abs. 1 MietG. aufzufassen. Diese wäre nach derselben Vorschrift nur zulässig, wenn der restliche Teil des Bestandobjektes, nämlich die Gewerbeberechtigungen und allenfalls noch die Geschäftseinrichtung, für die Beklagten abgesondert benützbar wäre oder ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten benützbar gemacht werden könnte. Da sich diese Bedenken gegen die Zulässigkeit der Teilkündigung aus dem Mietengesetz selbst ergeben, war es gemäß § 21 Abs. 1 MietG. nicht notwendig, daß sie die gekundigte Partei in ihren Einwendungen besonders anführte. Es ist vielmehr, da die gekundigte Partei überhaupt Einwendungen gegen die Kündigung erhoben hat, Sache des Klägers, auch nachzuweisen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen der Teilkündigung vorliegen, um mit seiner Kündigung durchzudringen.

Da somit das Erstgericht die Sache in zweifacher Beziehung, nämlich hinsichtlich des Rechtscharakters der Aufkündigung und auch hinsichtlich der Beachtlichkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs, rechtlich unrichtig beurteilt und infolgedessen nach richtiger Rechtsauffassung erheblich erscheinende Tatsachen nicht erörtert hat, wurde das Urteil vom Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht gemäß § 496 Z. 3 ZPO. aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht zunächst die Zulässigkeit der Teilkündigung als solcher zu untersuchen und zu diesem Zwecke zu prüfen haben, ob die von der Aufkündigung nicht betroffenen Gewerbeberechtigungen und Einrichtungsgegenstände für die Beklagten ohne die gekundigten Räume benützbar sind oder doch abgesondert benützbar gemacht werden können. Sollte sich ergeben, daß dies nicht möglich ist, dann wäre die Aufkündigung aufzuheben. Sollte jedoch hervorkommen - was allerdings unwahrscheinlich ist -, daß die Gewerbeberechtigungen und

Einrichtungsgegenstände ohne die Räume wirtschaftlich nutzbar gemacht werden können, dann hätte das Erstgericht zu prüfen, ob ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. vorliegt, wobei auch auf die Vorschrift der Z. 5 des § 19 Abs. 2 MietG. über die gegenseitige Interessenabwägung entsprechend Bedacht zu nehmen sein wird.

Anmerkung

Z22087

Schlagworte

Eigenbedarf bei Pachtverhältnissen, Einwendungen gegen Kündigung, Eventualmaxime, Eventualmaxime Einwendungen gegen Kündigung, Interessenabwägung bei § 19 Abs. 1 MietG., Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 1 MietG., Kündigungsgrunde für Pachtverhältnisse, Eigenbedarf, § 19 Abs. 1 MietG., Pächterschutz Eigenbedarfskündigung nach § 19 Abs. 1 MietG., Raumpacht Kündigungsschutz, Teilkündigung bei Pachtverhältnissen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00115.49.0608.000

Dokumentnummer

JJT_19490608_OGH0002_0010OB00115_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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