Norm
Gesetz über die bedingte Verurteilung §1Kopf
SZ 22/93
Spruch
Das Vormundschaftsgericht kann nur dann Verfügungen nach § 2 JGG. treffen, wenn das Strafgericht mit dem Straffalle überhaupt nicht befaßt war oder wenn sich die Notwendigkeit vormundschaftsbehördlicher Verfügungen erst nach vollständigem Abschluß des Strafverfahrens herausstellt.
Entscheidung vom 15. Juni 1949, 3 Ob 189/49.
I. Instanz: Jugendgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Das Landesgericht für Strafsachen Graz hat als Jugendschöffengericht den mj. O. P. mit Urteil vom 4. Jänner 1949, 2 Vr 2355/48, des Verbrechens des Diebstahles nach §§ 171, 173, 174 IIa StG. schuldig erkannt und gemäß § 178 StG. unter Anwendung von § 54 StG. und § 11 JGG. zu vier Monaten strengen Arrest verurteilt.
Gemäß §§ 1 und 2 des Gesetzes über die bedingte Verurteilung wurde die Vollziehung der Freiheitsstrafe unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.
Das Jugendgericht Graz hat als Pflegschaftsgericht auf Antrag des Jugendamtes mit Beschluß vom 1. März 1949, 1 P 10/49, die Einweisung des Minderjährigen in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige Kaiserebersdorf angeordnet.
Das Rekursgericht hat diesen Beschluß aufgehoben und dem Jugendgerichte die Vornahme weiterer Erhebungen aufgetragen.
Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlaß des Revisionsrekurses des Jugendamtes die Entscheidungen beider Untergerichte aufgehoben und den Antrag des Jugendamtes, gemäß § 2 JGG. die Einweisung des Minderjährigen in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige zu verfügen, dem Landesgerichte für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht überwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
§ 25 JGG. überträgt die Befugnis, vormundschaftsbehördliche Verfügungen zu treffen, von dem nach der Jurisdiktionsnorm örtlich zuständigen Gerichte an das Gericht, bei dem das Strafverfahren geführt wird (s. Kadecka, Kommentar zum JGG., S. 145).
Unter dem Worte "Sache" ist die Strafsache, nicht die Entscheidung über eine Verfügung nach § 2 JGG. zu verstehen. Wenn das Strafgericht mit dem Straffalle befaßt ist, hat es die Verfügungen im Sinne des § 2 JGG. zu treffen, solange das Strafverfahren nicht beendet oder im Falle eines Strafurteiles die Strafe nicht vollzogen oder nachgelassen ist. Damit wird die Zuständigkeit des Vormundschafts- oder Pflegschaftsgerichtes zwingend ausgeschlossen.
In den Erläuterungen Kadeckas zu § 25 JGG. wird erwogen, daß der Gedanke nahe läge, die in Rede stehenden Verfügungen auch bei Straffälligen dem Vormundschaftsrichter zu überlassen; der genannte Autor weist aber darauf hin, daß eine solche Zerlegung der Entscheidung unerwünscht wäre, da das ganze Verfahren dann zweimal durchgeführt werden müßte. Auch der Erlaß vom 21. März 1929, JABl. Nr. 13, spricht aus, daß die Entscheidung dem Pflegschaftsgerichte nur zustehe, wenn das Strafgericht mit der Sache überhaupt nicht befaßt war oder wenn sich die Notwendigkeit vormundschaftsbehördlicher Verfügungen erst nach vollständigem Abschluß des Strafverfahrens herausstellt.
Der Oberste Gerichtshof hatte daher die Unzuständigkeit des Jugendgerichtes von Amts wegen wahrzunehmen und unter Aufhebung der untergerichtlichen Entscheidungen gemäß § 44 JN. mit einer Überweisung des Antrages vorzugehen.
Anmerkung
Z22093Schlagworte
Jugendliche, vormundschaftsbehördliche Verfügungen, Zuständigkeit, Unzuständigkeit vormundschaftsbehördliche Verfügungen, Verfügung vormundschaftsbehördliche, Zuständigkeit, Vormundschaftsbehördliche Verfügungen, Zuständigkeit, Zuständigkeit zu vormundschaftsbehördlichen VerfügungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0030OB00189.49.0615.000Dokumentnummer
JJT_19490615_OGH0002_0030OB00189_4900000_000