Norm
Mietengesetz §19 Abs2 Z5 Mietengesetz §19 Abs2 Z6 Mietengesetz §19 Abs2 Z12 Mietengesetz §19 Abs6 ZPO §502 ZPO §503 Z4Kopf
SZ 22/116
Spruch
Abwägung der beiderseitigen Interessen, wenn ein Untermietvertrag ohne räumliche Gemeinschaft wegen Eigenbedarfes gekundigt wird.
Entscheidung vom 31. August 1949, 3 Ob 180/49.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die Klägerin kundigte dem Beklagten das diesem untervermietete, aus drei Räumen und Keller bestehende Geschäftslokal in G., H.straße 10, Parterre, wegen Eigenbedarfes nach dem § 19 Abs. 2 Z. 5 und 12 und § 19 Abs. 6 MietG. auf. Das Prozeßgericht hob die Kündigung als rechtsunwirksam auf. Es stellte fest, daß zwar ein Untermietverhältnis vorliege, daher die Bestimmungen des § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. auf dieses Anwendung zu finden hätten, daß aber das Geschäftslokal im Jahre 1943 von der Stadtgemeinde G. angefordert worden war, ohne daß die Klägerin gegen den Anforderungsbescheid ein Rechtsmittel ergriffen hatte, woraus sich ergebe, daß sie das Lokal im damaligen Zeitpunkte nicht benötigte, und daß auf Auftrag des Magistrates zwischen der Klägerin und dem Beklagten hinsichtlich der erwähnten Räume ein Untermietvertrag abgeschlossen wurde, worin auch festgelegt wurde, daß die der Klägerin gehörige Einrichtung von zwei Räumen in den dritten bis zur Beistellung eines Ersatzlokales durch die Stadtgemeinde eingelagert werde. In diesem Untermietvertrag verpflichtete sich die Klägerin, bei Beistellung eines Ersatzlokales auf die Hauptmietrechte zugunsten des Beklagten zu verzichten, während der Beklagte sich verpflichtete, das Bestandobjekt wieder in den früheren Zustand zu versetzen und der Klägerin geräumt zu übergeben, falls sich die Führung des Fischgeschäftes aus irgendeinem Gründe auf die Dauer als unzweckmäßig erweisen oder behördlicherseits untersagt werden sollte, bevor noch die Klägerin ein Ersatzlokal von der Stadtgemeinde G. erhalten habe. Der Beklagte, der einen offenen Marktstand mit Fischen und Wildbret betrieben hatte, mußte über behördlichen Auftrag in den nunmehr aufgekundigten Räumen Investitionen im Betrage von 40.000 RM durchführen und hat sich wiederholt bemüht, bei der Stadtgemeinde ein Ersatzlokal für die Klägerin zu erhalten, welches Bemühen allerdings ohne Erfolg geblieben ist. Das Prozeßgericht kam zur Überzeugung, daß nach den getroffenen Vereinbarungen der Untermietvertrag nur dann gekundigt werden könne, wenn der Beklagte das Gewerbe des Fisch- und Lebensmittelhandels nicht mehr betreiben könne oder wolle, daß eine Vereinbarung im Sinne des § 19 Abs. 6 MietG. nicht getroffen wurde, daß jedenfalls, da im vorliegenden Falle im Hinblick auf die Art des Vertrages eine Interessenabwägung Platz zu greifen habe, diese zugunsten des Beklagten ausfalle, der große Investitionen vorgenommen habe und daher im Falle der Kündigung einen besonders großen Schaden befürchten müsse und der überdies der einzige Fischhändler im Bezirk G. sei, weshalb auch öffentliche Interessen gegen die Kündigung sprächen, während das Interesse der Klägerin gerade an dem aufgekundigten Lokal, das nur als Auslieferungslager benötigt werde, ein bedeutend geringeres sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die tatsächlichen Feststellungen des Prozeßgerichtes und sprach aus, daß es dem Beklagten unter den derzeitigen Verhältnissen kaum gelingen werde, ein anderes geeignetes Geschäft zu finden und so auszustatten wie das aufgekundigte, daß im vorliegenden Fall eine Interessenabwägung zulässig sei und daß das Interesse des Beklagten an der Aufrechterhaltung des Vertrages überwiege, da die Klägerin eine Zeit lang keinen Bedarf an den gekundigten Räumen gehabt habe, derzeit zwar einen Bedarf nach einem Verteilungsraum habe, aber nicht gerade an dem aufgekundigten, ihr vielmehr mit jedem beliebigen Raum gedient sei, während für den Beklagten ein verwendbarer Ersatz kaum beschafft werden könnte und auch öffentliche Interessen an der Aufrechterhaltung des Betriebes durch den Beklagten im aufgekundigten Lokal bestunden, denn es handle sich um den einzigen Fischhändler im Bezirke. Das Berufungsgericht stellte schließlich fest, daß nach dem Inhalt des Untermietvertrages und des Schriftwechsels die Sicherung der rechtlichen Stellung des Beklagten im Vordergrund gestanden sei. Hingegen teilte das Berufungsgericht die Rechtsmeinung des Prozeßgerichtes nicht, daß der Untermietvertrag unkundbar abgeschlossen worden sei. Das Berufungsgericht erklärte gemäß § 502 Abs. 4 ZPO. die Revision für zulässig.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin unter Geltendmachung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 4 ZPO. mit dem Antrage, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß die Kündigung für rechtswirksam erklärt werde.
Die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision bekämpft zunächst die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. eine Interessenabwägung voraussetze. Es ist ihr zuzubilligen, daß, wie auch zum Teil von der Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht wurde, die bezogene Gesetzesstelle eine derartige Interessenabwägung nicht ausdrücklich vorsieht und daß bei dem Kündigungstatbestand nach Z. 12 nicht jener strenge Maßstab anzuwenden ist, wie bei einer Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 5 oder 6 MietG. Dies gilt aber nur für solche Untermietverhältnisse, bei denen eine räumliche Gemeinschaft zwischen dem Untermieter und Untervermieter gegeben ist, da diese die Gefahr von Interessenkollisionen in sich birgt. In dem Bericht des Justizausschusses zu § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. (JABl. 1922, S. 353) kommt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, den besonderen Beziehungen, die sich aus der räumlichen Gemeinschaft des Untervermieters mit dem Untermieter ergeben, Rechnung zu tragen und ihm die Kündigung zu gestatten, wenn nach den Umständen des Falles die Aufrechterhaltung der räumlichen Gemeinschaft mit dem Untermieter billigerweise nicht zugemutet werden kann. Diese Erwägungen können aber dann nicht Platz greifen, wenn eine derartige räumliche Gemeinschaft nicht besteht, denn es ist nicht einzusehen, warum der Untervermieter, der die untervermietete Wohnung oder das Geschäftslokal nicht selbst benützt, besser gestellt sein sollte, als der Hauseigentümer, der sich in der gleichen Lage befindet. Auch bei Eigenbedarf hat bei einem Untermietvertrag ohne räumliche Gemeinschaft im Falle der Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. eine Abwägung der beiderseitigen Interessen stattzufinden (so auch die Entscheidungen des OGH. ZBl. 1935, Nr. 308, JBl. 1935, S. 348, 1936, S. 83 u. a. m.).
Im vorliegenden Falle wurde nach den Feststellungen der Untergerichte das gesamte Geschäftslokal, bestehend aus drei Räumen, von der Klägerin dem Beklagten untervermietet und ein Raum der Klägerin nur insofern vorbehalten, als die Einrichtung der beiden anderen Räume in diesem Raum zusammengestellt wurde, so daß von einer Benützung dieses einen Raumes durch die Klägerin nicht gesprochen werden kann. Außerdem war die Übertragung der Hauptmietrechte der Klägerin an den Beklagten in Aussicht genommen und es sollte durch die Vereinbarung in Punkt 9 des Untermietvertrages die rechtliche Stellung des Beklagten gesichert werden. Alle diese Umstände sprechen dafür, daß im vorliegenden Falle bei der Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. gegeben sind, auch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen stattzufinden habe. Die Revision wendet sich weiters auch gegen die Annahme der Vorinstanzen, daß diese Interessenabwägung zugunsten des Beklagten ausfalle. Auch hier ist der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes beizupflichten. Dieses hat in Übereinstimmung mit dem Prozeßgericht festgestellt, daß der Beklagte über behördlichen Auftrag sehr große Investitionen machen mußte, die der Klägerin bekannt waren, daß es ihm nicht gelingen werde, in absehbarer Zeit ein gleichwertiges Lokal zu erlangen und dieses in der notwendigen Weise auszustatten und daß die Aufhebung des Untermietvertrages für den Beklagten besonders schwere Nachteile, ja unter Umständen den Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz zur Folge haben könne. Hiezu kommt, daß auch die Ansicht der Untergerichte, die Aufrechterhaltung des Untermietverhältnisses sei im Interesse der Allgemeinheit gelegen, zutrifft. Wenn auch die Bewirtschaftungsvorschriften für Fische und Wildbret aufgehoben sind, so sind doch diese Nahrungsmittel, insbesondere mit Rücksicht auf den noch herrschenden Fleischmangel, für die Versorgung der Bevölkerung von lebenswichtiger Bedeutung. Da das Geschäft des Beklagten das einzige seiner Art im Bezirk G. ist und nach dem Vorbringen der Revision selbst die Bewohner dieses Bezirkes die Straßenbahn benützen müßten, um das nächste Fisch- und Wildbretgeschäft zu erreichen, besteht tatsächlich ein allgemeines öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung des Betriebes auf dem gegenwärtigen Standort. Demgegenüber besteht zwar ein Bedarf der Klägerin nach einem Verteilungslager, doch ist dieser nicht so vordringlich wie der des Beklagten, da sich die Verteilung der Erzeugnisse der Klägerin an die Kleinverteiler, wenn auch mit einem größeren Kostenaufwand, auch auf anderem Wege durchführen läßt. Die Interessenabwägung spricht daher für die Aufrechterhaltung des Untermietvertrages.
Anmerkung
Z22116Schlagworte
Eigenbedarf Interessenabwägung bei Untermietvertrag, Interessenabwägung bei Kündigung eines Untermietvertrages, Untermietvertrag, Interessenabwägung bei KündigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0030OB00180.49.0831.000Dokumentnummer
JJT_19490831_OGH0002_0030OB00180_4900000_000