Norm
ZPO §503 Z2Kopf
SZ 22/126
Spruch
Zur Frage der verfahrensrechtlich verfehlten Rügen gegenüber dem Sachverständigengutachten in der Revisionsinstanz.
Entscheidung vom 14. September 1949, 1 Ob 222/49.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Von den Untergerichten wurde übereinstimmend festgestellt, daß die Klägerin, eine landwirtschaftliche Hilfsarbeiterin, am 2. Februar 1945 sich durch Sturz den linken Unterarm gebrochen und daß sie sich nach Anlegen eines Notverbandes sofort in das Spital in W. begeben hat, dem der Beklagte als Primarius vorsteht. Der Beklagte hat die Behandlung übernommen und geführt. Am Tage nach dem Eintreffen im Spital wurde der Klägerin ein Drahtextensionsgipsverband angelegt. Laut Krankengeschichte wurde am 5. Februar der Verband gespalten, hiebei wurde eine Blasenbildung in der Haut festgestellt, nachdem in der Krankengeschichte am 4. Februar ausdrücklich das Fehlen von Zirkulationsstörungen verzeichnet worden war. Am 6. Februar hat die Klägerin das Spital verlassen, obwohl ihr vom Beklagten freigestellt worden war, noch weiter im Spital zu verbleiben. In der Zeit vom 7. Februar bis 11. Februar war sie zweimal zur Kontrolle im Spital und außerdem zweimal in der Privatordination des Beklagten. Sie hatte Schmerzen und der Verband verbreitete einen "starken Gestank". Am 11. Februar wurde der Verband wegen festgestellter Infektion abgenommen und eine Bade- und Salbenbehandlung eingeleitet. Am 17. Mai 1945 begab sich die Klägerin in die Behandlung eines Privatarztes. Das Endergebnis der Heilbehandlung war eine Verkürzung, Verunstaltung und Mindergebrauchsfähigkeit des linken Armes, weshalb sie Schmerzengeld im Betrage von 3000 S, 500 S für Behandlungskosten und schließlich ab 1. Mai 1945 eine Monatsrente in der Höhe von 100 S begehrte. Als Klagsgrund wurde nachlässige, sorglose, oberflächliche und unsachgemäße Behandlung und die Tatsache geltend gemacht, daß sich der Beklagte eines chirurgischen Kunstfehlers schuldig gemacht habe.
Das Erstgericht hat nach eingehendem Beweisverfahren den Schadenersatz dem Gründe nach nicht zu Recht bestehend erkannt und das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, daß weder in der Pflege, äußeren Behandlung und Betreuung der Klägerin eine Nachlässigkeit oder Sorglosigkeit, noch daß in der ärztlichen Behandlung ein unsachgemäßes Vorgehen oder ein Kunstfehler erwiesen sei.
Das Berufungsgericht hat die von der Berufung gerügte Vernehmung von zwei Zeugen im Rechtshilfewege neuerlich veranlaßt und außerdem den Sachverständigen Ordinarius für Chirurgie an der Universität in ..., Prof. Dr. W., selbst vernommen und der Berufung keine Folge gegeben. Es hat die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen und ergänzt und die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung des Untergerichtes gebilligt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Die Revision der Klägerin, die sich auf die Ziffern 2, 3 und 4 des § 503 ZPO. stützt, ist nicht begrundet.
Den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erblickt die Revision darin, "daß das Berufungsgericht seine rechtlichen Schlüsse ausschließlich aus dem Sachverständigengutachten gezogen hat". Die Revision fügt hier überdies noch bei, daß sie schon bei Geltendmachung der Revisionsgrunde der Z. 2 und 3 des § 503 ZPO. auf einige Widersprüche zwischen den Feststellungen des Sachverständigen und denen der abgeführten Beweise hingewiesen habe. Schließlich rügt sie mit dem Revisionsgrund der Z. 4 noch den Umstand, daß der Sachverständige die Klägerin niemals untersucht, sondern sein Gutachten auf Grund der Krankengeschichte, der ärztlichen Befunde, der Aussagen, kurz, auf Grund der Aktenlage abgegeben habe.
Der letztgenannte Angriffspunkt erledigt sich mit dem Hinweis auf die Äußerung des Sachverständigen, die die Revision zwar nicht verschweigt, aber für unrichtig findet, "daß für die Erstattung des Gutachtens mit Rücksicht auf die vorliegenden ärztlichen Bestätigungen und Zeugnisse und den Röntgenbefund im Hinblick auf die weit zurückliegende Behandlung im Spital W. eine Untersuchung der Klägerin in der Gegenwart ohne Einfluß sei". Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß es zunächst dem Sachverständigen überlassen ist, ob er die Untersuchung des Verletzten für notwendig und zweckmäßig findet. Ist, wie im vorliegenden Falle, die Meinung des Sachverständigen schlüssig, wird das erkennende Gericht in der Regel einen ernsten Einwand nicht erheben können. Der Tatrichter ist immer befugt - und hiebei geht es um die Kernfrage dieser Revision - , dem ihm überzeugend erscheinenden Gutachten des Sachverständigen zu folgen, wenn er sich selbst nicht die Sachkunde und Erfahrung zutraut, die erforderlich sind, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. In einem solchen Falle muß es genügen, wenn dem Prozeßrichter und, gleich ihm, den Berufungsrichtern die Darlegungen des Sachverständigen schlüssig und überzeugend erscheinen durften, ohne daß dem Richter dabei ein Verstoß gegen Denkgesetze zur Last fiele und ohne daß ihm hätte erkennbar werden müssen, daß der Sachverständige nur unter Außerachtlassung erheblichen Verhandlungsstoffes zu dem Ergebnisse gelangt sein könne, dem der Richter folgen will. Vorbehaltlich dieser Einschränkung liegt die Beurteilung, zu der der Richter auf diesem Wege im Anschluß an das Sachverständigengutachten gelangt, auf dem dem Prozeßrichter vorbehaltenen Gebiete der Würdigung tatsächlicher Umstände und der Beweisergebnisse. Diese tatsächliche Würdigung - und dies vermag die Revision offenkundig nicht einzusehen - kann in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht damit bekämpft werden, daß dem Gutachten vorgeworfen wird, in ihm seien diese oder jene Behauptungen oder sonstige Ausführungen einer Partei nicht genügend beachtet. Damit wird in der Regel lediglich die sachliche Richtigkeit des Gutachtens angegriffen und damit wieder die Beweiswürdigung des Prozeßrichters. In der Revisionsinstanz läuft deshalb die Rüge, der Richter, der sich dem Gutachten eines Sachverständigen anschließt, habe diese oder jene Behauptung der mit dem Ergebnisse des Sachverständigengutachtens nicht zufriedenen Partei nicht beachtet, meist darauf hinaus, daß Ausführungen einer Partei in den Feststellungsinstanzen, die gegen die Richtigkeit eines Gutachtens vorgebracht worden sind oder vermeintlich dieser Richtigkeit entgegenstanden, nunmehr in der Form von Verfahrensrügen oder auch der Rüge von sachlichen Rechtsverstößen des Berufungsgerichtes in die Revisionsinstanz eingeführt werden sollen. All das versucht aber gerade die vorliegende Revision. Damit aber kann sie keinen Erfolg haben. Es sah sich daher der Oberste Gerichtshof veranlaßt, gerade die obigen grundsätzlichen Ausführungen des österreichischen Senates beim Reichsgericht zur Frage der immer wieder vorkommenden verfahrensrechtlich verfehlten Rügen gegenüber einem Sachverständigengutachten in der Revisionsinstanz (RG. v. 21. Juli 1941, VIII 558/39 = EvBl. 1941, Nr. 291), mit dem Beifügen wiederzugeben, daß er sich diesen Ausführungen des österreichischen Senates zu den Bestimmungen der österreichischen Zivilprozeßordnung anschließt.
Anmerkung
Z22126Schlagworte
Beweiswürdigung bei Sachverständigengutachten, keine Bekämpfung mit, Revision, Gutachten des Sachverständigen, Würdigung, keine Bekämpfung mit, Revision, Revisionsgrunde, Bekämpfung eines Sachverständigengutachtens, Sachverständigengutachten, Würdigung, keine Bekämpfung mit RevisionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00222.49.0914.000Dokumentnummer
JJT_19490914_OGH0002_0010OB00222_4900000_000