TE OGH 1949/9/14 1Ob421/49

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Veröffentlicht am 14.09.1949
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Norm

Verschollenheitsgesetz §1
Verschollenheitsgesetz §3
Verschollenheitsgesetz §4
Verschollenheitsgesetz §7

Kopf

SZ 22/129

Spruch

Im Falle der Kriegsverschollenheit darf bei Auslegung des Verschollenheitsbegriffes kein strengerer Maßstab angelegt werden als in dem Falle der Zeitverschollenheit.

Vermißte, von denen nicht feststeht, daß sie in Kriegsgefangenschaft geraten sind, und über die die Suchabteilung des Bundesministeriums für Inneres nichts in Erfahrung bringen konnte, sind als verschollen anzusehen.

Entscheidung vom 14. September 1949, 1 Ob 421/49.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Karl F. hat am zweiten Weltkrieg teilgenommen. Er war im Gebiet von Stalingrad eingesetzt. Laut Mitteilung des Wehrkreiskommandos XVII ist er seit Jänner 1943 vermißt. Er diente beim Troß des Grenadier-Reg. 5/22, der am 17. Jänner 1943 in der Schlucht Jelchi ohne Verluste in die Hände der Russen gefallen sein soll. Daß F. in Gefangenschaft geraten ist, konnte nicht festgestellt werden; nach dem Erhebungsbericht des Bundesministeriums für Inneres, Abteilung 14, vom 27. April 1949, Zl. 260.473-14/49, konnten nach Verwertung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keinerlei Unterlagen oder Auskünfte gewonnen werden, die Aufschluß über den weiteren Verbleib des Karl F. geben konnten. Das Bundesministerium fügt hinzu, daß nach menschlicher Voraussicht kaum jemals Näheres in Erfahrung zu bringen sein wird.

Auf Grund dieses Sachverhaltes hat die erste Instanz die Todeserklärung abgelehnt, weil bei dem Umstand, daß noch eine erhebliche Anzahl deutscher Wehrmachtsangehöriger österreichischer Staatsangehörigkeit in Kriegsgefangenschaft leben und keine Gelegenheit hätten, mit den Angehörigen in der Heimat eine Verbindung aufzunehmen, nicht gesagt werden könne, daß ernstliche Zweifel am Fortleben des Vermißten bestunden.

Das Rekursgericht hat sich dieser Rechtsanschauung nicht angeschlossen und Karl F. für tot erklärt. Der Revisionsrekurs des Abwesenheitskurators des Karl F. begehrt Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die angefochtene Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Verschollenheit als Voraussetzung der Todeserklärung ist für die Zeitverschollenheit und für die Fälle der Gefährdungsverschollenheit (§§ 4 bis 7 VerschollenheitsG.) einheitlich geregelt. In allen Fällen ist Ungewißheit über den Verbleib des Verschollenen, das Ausbleiben von Nachrichten über ihn durch längere Zeit und nach Umständen begrundete ernstliche Zweifel an seinem Fortleben vorausgesetzt. Die Zeitverschollenheit nach § 3 VerschollenheitsG. unterscheidet sich von den Fällen der Gefährdungsverschollenheit nur dadurch, daß es im ersterwähnten Falle genügt, daß die Verschollenheit die in § 3 bestimmte Dauer erreicht, während in den anderen Fällen die Todeserklärung schon nach einer kürzeren Dauer der Verschollenheit erfolgen kann, dafür aber eine besondere Gefährdung der Verschollenen feststehen muß. Es darf daher in den Fällen der Gefährdungsverschollenheit bei der Auslegung des Verschollenheitsbegriffes kein strengerer Maßstab angewendet werden, als in dem der Zeitverschollenheit.

Das Gesetz verlangt nicht mehr als nach den Umständen begrundete ernstliche Zweifel am Fortleben des Vermißten; das ist weniger als die Wahrscheinlichkeit, daß der Vermißte tot ist, wenn man mit Kant das als wahrscheinlich bezeichnet, was einen Grund des Fürwahrhaltens für sich hat, der größer ist als die Hälfte des zureichenden Gründes. Daß das Gesetz die Todeserklärung auch dann zuläßt, wenn die Möglichkeit, daß der Vermißte doch noch lebt, von vornherein nicht ausgeschlossen werden kann, ergibt sich insbesondere aus § 4 Abs. 2 VerschollenheitsG., der Sonderbestimmungen für den Fall der hohen Wahrscheinlichkeit des Todes enthält.

Dies muß aber bei allen vermißten Wehrmachtsangehörigen angenommen werden, von denen nicht festgestellt werden konnte, daß sie in Gefangenschaft geraten sind, und über die auch die Suchabteilung des Bundesministeriums für Inneres nichts in Erfahrung bringen konnte. Bei diesen Personen wird niemand leugnen können, daß zumindest ernstliche Zweifel bestehen, ob sie noch leben. Und das genügt, um die Verschollenheit zu bejahen.

Der Gefahr, daß tatsächlich noch lebende Verschollene für tot erklärt werden, soll die Schlußbestimmung des § 4 Abs. 1 VerschollenheitsG. entgegentreten. Wenn nun der Oberste Gerichtshof diese Bestimmung dahin auslegt, daß die Todeserklärung ein Jahr nach Ablauf des Jahres erfolgen darf, in dem der Waffenstillstand abgeschlossen worden ist, so hat er bewußt im Interesse der Regelung der Rechtsverhältnisse der übergroßen Mehrheit der Kriegsverschollenen es in Kauf genommen, daß vereinzelt doch einige Personen, die noch leben, für tot erklärt werden. Dieses Ergebnis kann nicht dadurch umgangen werden, daß die Verschollenheit von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, die dem Gesetz fremd sind.

Das Rekursgericht hat demnach den Begriff der Verschollenheit nicht, wie der Revisionsrekurswerber annimmt, verkannt, und es muß daher der Beschwerde der Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

Z22129

Schlagworte

Gefahrenverschollenheit, Begriff, Kriegsverschollenheit, Begriff, Todeserklärung Begriff der Verschollenheit, Vermißte, Begriff der Verschollenheit, Verschollenheit, Begriff, Zeitverschollenheit, Verhältnis zu Kriegsverschollenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00421.49.0914.000

Dokumentnummer

JJT_19490914_OGH0002_0010OB00421_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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