Norm
Ehegesetz §35Kopf
SZ 22/144
Spruch
Eine Änderung des Klagebegehrens nach Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ist auch in Ehesachen nicht zulässig.
Das Gericht darf ohne Änderung des Klagebegehrens weder auf Grund einer Scheidungsklage die Aufhebung der Ehe noch auf Grund einer Aufhebungsklage die Scheidung der Ehe aussprechen.
Entscheidung vom 5. Oktober 1949, 1 Ob 353/49.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrte Scheidung der zwischen ihm und der Beklagten am 21. Oktober 1946 geschlossenen Ehe. Die Klage stützte er auf § 49 EheG. Er behauptete u. a., daß die Beklagte gegen ihn gleichgültig und lieblos sei und ihm den ehelichen Verkehr vollkommen verweigere. Die Beklagte hat die Abweisung des Klagebegehrens beantragt. Sie bringt vor, sie habe sich im Juni 1946 (vor Abschluß der Ehe) einer schweren gynäkologischen Operation unterzogen, sei dann noch ein zweites Mal operiert worden und sei seither schwer leidend. Aus diesem Gründe könne sie mit dem Kläger nicht den ehelichen Verkehr pflegen. In der mündlichen Verhandlung in erster Instanz behauptete der Kläger, daß der Krankheitszustand der Beklagten ein dauernder und unbehebbarer sei, so daß ihr die Erfüllung der ehelichen Pflichten in geschlechtlicher Beziehung unmöglich sei, weshalb die Voraussetzungen für eine Ehe nicht gegeben seien. Ihre Krankheit sei gleichbedeutend mit einer unheilbaren Krankheit. Demgegenüber verwies die Beklagte darauf, daß dem Kläger ihr Krankheitszustand schon vor der Eheschließung bekannt gewesen sei und daß übrigens dadurch der eheliche Verkehr nicht dauernd ausgeschlossen sei.
Der Erstrichter hat nach Vernehmung eines ärztlichen Sachverständigen und des Arztes, der die zweite Operation der Beklagten durchgeführt hatte, als Zeugen das Klagebegehren abgewiesen. Er hat als erwiesen angenommen, daß der Kläger schon vor der Eheschließung von der Krankheit der Beklagten gewußt hatte, ohne sich allerdings über deren Schwere im klaren gewesen zu sein. Die Krankheit der Beklagten und die Folgen der zweiten Operation seien derart, daß vom Kläger bei der Ausübung des Geschlechtsverkehres mit der Beklagten "die größte verständnisvolle Rücksichtnahme und Vorsicht bzw. besonders sorgendes Entgegenkommen als selbstverständlich zu erwarten sei". Da der Kläger dieses Entgegenkommen nicht gezeigt habe, sei die Verweigerung des Geschlechtsverkehres durch die Beklagte gerechtfertigt gewesen.
Das Berufungsgericht hat der Berufung des Klägers, in der die Abänderung des erstrichterlichen Urteils im Sinne der Stattgebung der Klage beantragt worden war, nicht Folge gegeben. Es hat sowohl die tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters übernommen als auch dessen rechtliche Beurteilung gebilligt und ausgesprochen, daß der Beklagten keine schwere Eheverfehlung zur Last liege. Auch die Bestimmungen der §§ 50 bis 52 und 54 EheG. kämen hier nicht in Betracht, so daß ein Scheidungsgrund nicht vorliege. Ob möglicherweise ein Aufhebungsgrund (§ 37 EheG.) gegeben sei, könne nicht geprüft werden.
Der Oberste Gerichtshof hat die in der Revisionsschrift vorgenommene Änderung des Klagebegehrens auf Aufhebung der Ehe der Streitteile nicht zugelassen und der Revision des Klägers nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes hat der Kläger Revision eingelegt, die er auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z. 4 ZPO.) stützt und in der er zunächst den Antrag stellt, das Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben oder es aufzuheben und "zur Feststellung der Eheaufhebung" an das Berufungsgericht zurückzuweisen. Schließlich stellt er noch den Eventualantrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils "im Sinne der Stattgebung des nunmehr gestellten Eventualbegehrens" (auf Aufhebung der Ehe).
Der zuletzt angeführte Eventualantrag setzt sich zusammen 1. aus einer Änderung des ursprünglich gestellten Klagebegehrens auf Scheidung der Ehe in das Begehren auf deren Aufhebung und 2. dem Antrag auf Stattgebung des geänderten Klagebegehrens. Es erhebt sich zunächst die Frage, ob im Eheverfahren, anders als im allgemeinen zivilgerichtlichen Verfahren (§§ 483 Abs. 3, 513 ZPO.) in höherer Instanz eine Änderung des Klagebegehrens noch möglich ist. Der Revisionswerber stützt seine Ansicht von der Zulässigkeit dieses Vorganges offenbar auf den § 76 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Ehegesetzes vom 27. Juli 1938, DRGBl. I S. 923 (1. DVzEheG.), der bestimmt, daß "bis zum Schlusse der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, andere als die in der Klage vorgebrachten Klagegrunde geltend gemacht werden können". Diese Vorschrift wird von dem überwiegenden Teil der Rechtslehre (Volkmar - Antoni, S. 447 ff., Wolff, Grundriß des Zivilprozeßrechts, S. 341 ff.; Köstler, Eherecht, 1948, S. 25 ff., 32, 38 - letzerer übrigens im Gegensatz zu seiner in der Auflage 1946 vertretenen Ansicht -) ohne nähere Begründung dahin ausgelegt, daß im Eheverfahren eine Klagsänderung auch noch im Rechtsmittelverfahren, insbesondere in dritter Instanz zulässig ist. Novak (Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen, S. 84 ff.) tritt dieser Ansicht mit eingehender Begründung entgegen und nimmt den Standpunkt ein, daß eine Änderung des Klagebegehrens nach Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz auch in Ehesachen weiterhin gemäß §§ 483 Abs. 3, 513 ZPO. verboten bleibe. Der Oberste Gerichtshof hält letztere Ansicht für richtig. Der § 76 Abs. 1 der
1. DVzEheG. darf nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als eine Ausnahmebestimmung nicht ausdehnend ausgelegt werden. Diese Vorschrift spricht aber nur von der Zulassung "anderer als in der Klage vorgebrachten Klagegrunde"; jedoch nicht von der Zulassung eines anderen als des in der Klage gestellten Klagebegehrens. Da § 235 ZPO. ausdrücklich zwischen der Änderung des Klagegrundes und der Änderung des Klagebegehrens unterscheidet und diese beiden verschiedene Begriffe unter dem weiteren Begriff der Klagsänderung zusammenfaßt, kann die nur die Änderung der Klagegrunde regelnde Vorschrift des § 76 Abs. 1 der 1. DVzEheG. nicht auch auf die Änderung des Klagebegehrens angewendet werden. Für diese bleiben vielmehr die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (§ 483 Abs. 3, 513 ZPO.) maßgebend, wonach im Rechtsmittelverfahren eine Änderung der dem erstrichterlichen Urteil zugrunde liegenden Klage (des Klagebegehrens) selbst mit Einwilligung des Gegners nicht zulässig ist. Der Oberste Gerichtshof hat daher die erst in der Revisionsschrift vorgenommene Änderung des Klagebegehrens nicht zugelassen.
Die in der Revision ebenfalls erörterte Frage, ob ein Gericht (erster oder höherer Instanz) auch ohne Änderung des Klagebegehrens statt der in der Klage beantragten Scheidung der Ehe deren Aufhebung (oder umgekehrt) aussprechen kann, ist ein von der Zulässigkeit der Klagsänderung im Eheverfahren ganz verschiedenes Problem. Auch diese Frage ist zu verneinen. Klagen auf Scheidung und solche auf Aufhebung einer Ehe führen zwar im Falle ihrer Stattgebung rechtlich zu demselben Ergebnis (§§ 34, 42, 46 EheG.), sie gehen aber von ganz verschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen aus. Denn die Aufhebungsgrunde der §§ 35 ff. EheG. betreffen Tatbestände, die bereits beim Abschluß der Ehe vorhanden waren und bewirkten, daß die Ehe schon damals den Keim der Auflösung in sich getragen hat. Mit den Scheidungsgrunden (§§ 47 ff. EheG.) werden jedoch Tatbestände geltend gemacht, die erst nach dem Abschluß der Ehe eingetreten sind und es nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, die bei ihrem Abschluß rechtlich einwandfreie Ehe weiterhin aufrechtzuerhalten. Das Gericht darf daher, wenn es im Verfahren über eine Ehescheidungsklage zur Überzeugung kommt, daß auf Grund des gegebenen Sachverhaltes zwar nicht die Scheidung, wohl aber die Aufhebung der Ehe gerechtfertigt wäre, ohne Änderung des Klagebegehrens nicht statt der Scheidung die Aufhebung der Ehe aussprechen (oder umgekehrt). Demgemäß würde auch ein anhängiges Scheidungsverfahren gegenüber einer Klage auf Aufhebung derselben Ehe nicht die Einrede der Streitanhängigkeit begrunden, obwohl mit beiden Klagen im Ergebnis derselbe Erfolg angestrebt wird. Es durfte das Berufungsgericht im gegebenen Falle auf die Frage, ob statt der Scheidung die Aufhebung der Ehe gerechtfertigt wäre, nicht eingehen.
In materiellrechtlicher Beziehung ist das angefochtene Urteil frei von Rechtsirrtum. Die Revision gibt selbst zu, daß die Krankheit der Beklagten, die weder eine Geisteskrankheit noch eine schwere ansteckende oder ekelerregende Krankheit ist, an sich kein vom Gesetze anerkannter Scheidungsgrund ist. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß sich die Beklagte durch die Verweigerung des ehelichen Geschlechtsverkehres keiner schweren Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG. schuldig gemacht hat, wird in der Revision nicht mehr bekämpft. Die Revision konzentriert sich vielmehr auf das Bestreben, die Aufhebung der Ehe gemäß § 37 EheG. durchzusetzen, ein Beginnen, das, wie oben dargelegt wurde, schon aus verfahrensrechtlichen Erwägungen erfolglos bleiben muß. Infolgedessen hatte der Oberste Gerichtshof keinen Anlaß, auf die in der Begründung des angefochtenen Urteils gestreifte Möglichkeit der Aufhebung der Ehe der beiden Streitteile einzugehen.
Der unbegrundeten Revision war aus diesen Gründen der Erfolg zu versagen.
Anmerkung
Z22144Schlagworte
Aufhebung der Ehe nicht auf Grund einer Scheidungsklage, Ehescheidung nicht auf Grund einer Aufhebungsklage, Eheverfahren Klagsänderung im Rechtsmittelverfahren unzulässig, Klagebegehren Bindung der Gerichte auch im Eheverfahren, Klagsänderung im Eheverfahren, im Rechtsmittelverfahren unzulässig, Scheidung nicht auf Grund einer AufhebungsklageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00353.49.1005.000Dokumentnummer
JJT_19491005_OGH0002_0010OB00353_4900000_000