TE OGH 1949/10/19 1Ob322/49

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Veröffentlicht am 19.10.1949
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Norm

Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z4
Mietengesetz §19 Abs2 Z4a
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §21
ZPO §502

Kopf

SZ 22/157

Spruch

Gebäude im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG. ist jedes Bauwerk, auch eine Baracke.

Entscheidung vom 19. Oktober 1949, 1 Ob 322/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Stadt W. kundigte am 20. Oktober 1948 der beklagten Partei "die dieser im X-Barackenlager vermieteten (namentlich angeführten) Grundstücke samt Zubehör (Baracke Nr.... an der D.straße und Baracke am Osteingang der L.straße 299)" für den 31. Oktober 1949 auf und machte als Kündigungsgrund § 19 Abs. 1 MietG. geltend, indem sie vorbrachte, daß die vermieteten "Grundflächen" zur Errichtung einer Wohnhausanlage benötigt würden.

Das Erstgericht hat die Aufkündigung für unwirksam erklärt. Es hat festgestellt, daß der Gemeinderat der Stadt W. in seiner Sitzung vom 15. Oktober 1948 die Errichtung einer Wohnhausanlage mit 923 Wohnungen, 12 Geschäftslokalen und anderen der Allgemeinheit dienenden Räumlichkeiten auf dem sogenannten X-Barackenlager beschlossen hat, wobei auch die nötigen finanziellen Erfordernisse für die Errichtung des Baues genehmigt wurden. Das Erstgericht hat ferner als erwiesen angenommen, daß die nach der Bauordnung erforderliche Baugenehmigung erteilt und der Bedarf an bewirtschafteten Baustoffen für diese Wohnbauanlage bereits sichergestellt ist. In rechtlicher Beziehung stimmt das Erstgericht mit der kundigenden Partei darin überein, daß keiner der im § 19 Abs. 2 MietG. beispielsweise aufgezählten Kündigungsgrunde, insbesondere nicht die der Z. 4 a und 6, im vorliegenden Falle gegeben seien, daß aber die Kündigung gemäß § 19 Abs. 1 MietG. gerechtfertigt sei. Denn es liege im öffentlichen Interesse, das Barackengelände für die Errichtung einer Wohnbauanlage frei zu machen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei nicht Folge gegeben, hat aber die Revision gemäß § 502 Abs. 4 ZPO. für zulässig erklärt. Das Berufungsgericht übernimmt die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes, die es noch in der Richtung ergänzt, daß Gegenstand der Aufkündigung nicht unverbaute Grundstücke, sondern Barackenräume sind. Das Berufungsgericht teilt die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß sich die kundigende Partei auf keinen der im Gesetz speziell angeführten Kündigungsgrunde berufen könne, daß aber die Aufkündigung gemäß § 19 Abs. 1 MietG. durch das öffentliche Interesse an der Errichtung einer großen Wohnbauanlage an Stelle eines seit 30 Jahren bestehenden Barackenlagers gerechtfertigt sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof vermag der Ansicht der Streitteile und der Untergerichte, daß der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt unter keinen der Sonderfälle des § 19 Abs. 2 MietG. einzureihen sei, nach der Aktenlage nicht beizustimmen. Die kundigende Partei hat in der Kündigung geltend gemacht, "daß die vermieteten Grundflächen (Baracken) zur Errichtung einer Wohnbauanlage benötigt werden". Mit diesem Vorbringen hat die klagende Partei eindeutig auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 4 (dritter Fall) MietG. hingewiesen.

In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß in der Bestimmung des § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG. drei voneinander ganz unabhängige Kündigungsgrunde geregelt sind, nämlich 1. ein den Mietgegenstand schädigendes Verhalten des Mieters, 2. der gesundheitswidrige oder baufällige Zustand des Gebäudes, in dem sich der Mietgegenstand befindet und 3. die Errichtung einer neuen Wohnbauanlage, die den Abbruch des Gebäudes erfordert, wobei es auf den Zustand dieses Gebäudes nicht ankommt.

Daß die klagende Partei in der Aufkündigung die Vorschrift des § 19 Abs. 1 MietG. angeführt hat, ist rechtlich ohne Bedeutung. Denn gemäß § 21 Abs. 1 MietG. hat die kundigende Partei in der Aufkündigung zwar die Kündigungsgrunde, also den der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt, nicht aber auch die auf diesen Sachverhalt anzuwendende Vorschrift des Mietengesetzes anzuführen. Die rechtliche Beurteilung dieses Tatbestandes ist Sache des Gerichtes. § 21 Abs. 1 MietG. fordert auch nicht, daß schon in der Kündigung alle Einzelheiten, welche die Kündigung rechtfertigen sollen, angeführt werden. Daß diese vorhanden sind, hat die kundigende Partei erst nachzuweisen, wenn vom Gekundigten gegen die Kündigung Einwendungen erhoben wurden. Im vorliegenden Falle hatte also die kundigende Partei infolge der Einwendungen der beklagten Partei nachzuweisen, 1. daß die Errichtung einer neuen Wohnbauanlage auf den Gründen des X-Barackenlagers sichergestellt ist, 2. daß diese Wohnbauanlage mehr Wohnraum umfassen wird, als bisher in den Baracken vorhanden war und 3. daß die für die Errichtung der Wohnbauanlage erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen. Sämtliche drei Voraussetzungen sind nach den Feststellungen der Untergerichte gegeben.

Es ist daher nicht ganz verständlich, warum weder die Parteien noch die Untergerichte den Kündigungsgrund der Z. 4 des § 19 Abs. 2 MietG. auch nur erwähnt haben. Denn diese Vorschrift ist gerade für die Fälle geschaffen, in denen Wohngebäude durch eine neue, größere Wohnbauanlage ersetzt werden sollen. Die Tatsache, daß sich in dem Barackenlager neben Wohnungen auch Geschäfts- und Werkstättenräume befinden, hindert nicht die Anwendung des § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG. auf den ganzen Barackenkomplex, ohne Unterschied, ob in dem einzelnen Objekt Wohnungen oder Geschäfts-(Werkstätten-)räume untergebracht sind. Denn hiezu genügt es, daß in diesem Lager überhaupt Wohnungen vorhanden sind und daß deren Anzahl kleiner ist als die Anzahl der Wohnungen in der neuen Wohnbauanlage sein wird. Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG. wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß es sich hier um Barackenräume handelt. Denn unter den Begriff des "Gebäudes" im Sinne der angeführten Gesetzesstelle fällt jedes Bauwerk, gleichgültig, ob es gemauert oder bloß gezimmert und ob es mehr oder weniger dauerhaft, insbesondere auch, ob es behelfsmäßig oder fest errichtet ist.

Da somit die Aufkündigung nach der Aktenlage schon aus dem Gründe der Z. 4 des § 19 Abs. 2 MietG. gerechtfertigt ist, war es nicht notwendig, auf die Frage einzugehen, ob außerdem ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. vorhanden ist. Der unbegrundeten Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Z22157

Schlagworte

Abbruch des Gebäudes, § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG., Baracke, Baracke als Gebäude nach § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG., Gebäude nach § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG., Baracke, Interesse, öffentliches, Errichtung einer Wohnbauanlage, Öffentliches Interesse, Errichtung einer Wohnbauanlage, Wohnbauanlage, Errichtung einer -, § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00322.49.1019.000

Dokumentnummer

JJT_19491019_OGH0002_0010OB00322_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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