Norm
ABGB §1332Kopf
SZ 22/180
Spruch
Die neuen Tatsachen und Beweismittel, auf die eine Wiederaufnahmsklage gestützt wird, müssen bereits im Hauptprozeß vorhanden und nur der Benützung durch den Wiederaufnahmskläger entzogen gewesen sein; anderenfalls ist die Klage a limine zurückzuweisen.
Eine objektiv unrichtige Zeugenaussage kann niemals zu einer Wiederaufnahme führen.
Entscheidung vom 19. November 1949, 2 Ob 293/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Kläger sind in dem zu 44 C 129/48 des Bezirksgerichtes Innere Stadt anhängig gewesenen Verfahren auf Grund einer gegen sie von der Beklagten eingebrachten Aufkündigung verpflichtet worden, die Wohnung Nr. 21 im Hause Wien, XX., ..., sofort zu räumen und der Beklagten zu übergeben. Die Aufkündigung war darauf gestützt worden, daß die Benützung der Wohnung den Wiederaufbau des bombenbeschädigten Hauses hindere und daß überdies das Mietverhältnis vereinbarungsgemäß bis zum Wiederaufbau zeitlich begrenzt gewesen sei. Der in diesem Verfahren als Zeuge vernommene Werkmeister der Magistratsabteilung 36 K. hatte bestätigt, daß die Wiederaufbauarbeiten mit einer Einsturzgefahr verbunden seien, von der auch die Wohnung Nr. 21 betroffen werde. Das Prozeßgericht hatte in dem Urteile vom 22. Juli 1948 einerseits u. a. auf Grund dieser Zeugenaussage festgestellt, daß die Benützung der Wohnung, die vom früheren Mieter nach dem Bombenschaden geräumt und von den Klägern erst im Jahre 1947 bezogen worden war, ohne baubehördliche Genehmigung erfolgt sei und daß die bereits begonnenen Bauarbeiten wegen der Möglichkeit eines Einsturzes erst fortgesetzt werden könnten, bis die Wohnung Nr. 21 geräumt sei, und anderseits auch als erwiesen angenommen, daß im Sinne einer zwischen den Parteien anläßlich des Beziehens der Wohnung durch die Kläger getroffenen Vereinbarung das Bestandverhältnis mit dem Beginn der Wiederaufbauarbeiten sein Ende finden sollte. Das Berufungsgericht hatte am 13. Dezember 1948 das Urteil des Prozeßgerichtes bestätigt und in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, daß die im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Feststellungen über die der Beklagten für den Wiederaufbau vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen, zu denen auch die Räumung der gefährdeten Wohnung gehöre, die Aufkündigung gerechtfertigt haben, weshalb ein Eingehen auf die vom Prozeßgericht angenommene und von der Berufung bekämpfte Vereinbarung der Streitteile über die zeitliche Begrenzung des Mietverhältnisses entbehrlich sei.
Nachdem das Prozeßgericht mit dem Beschluß vom 18. Jänner 1949 die von der Beklagten beantragte zwangsweise Räumung der Wohnung bewilligt hatte, brachten die Kläger eine Wiederaufnahmsklage ein, in der sie behaupteten, daß die Wiederaufbauarbeiten bereits beendet seien, ohne daß die Räumung ihrer Wohnung erforderlich gewesen sei, und der sie zur Widerlegung der Aussage des Zeugen K., die objektiv unrichtig gewesen sei, ein Schreiben der Magistratsabteilung 36 an die Bezirksvorstehung des 20. Bezirkes vom 21. Jänner 1949 anschlossen, in dem bestätigt wurde, daß die Aufbauarbeiten ohne gänzliche Räumung der betroffenen Wohnung durchgeführt werden konnten. Mit der Wiederaufnahmsklage wurde auch der Antrag verbunden, die bereits für den 12. März 1949 angeordnete zwangsweise Räumung gemäß § 42 Z. 2 EO. aufzuschieben.
Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage zurück (Punkt 1) und den Antrag auf Aufschiebung der Exekution ab (Punkt 2) und verfügte im Punkt 3, daß die Delogierung am 12. März 1949 zu vollziehen sei.
Das Rekursgericht hob den Beschluß im Punkt 1 auf und trug dem Erstgerichte die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens (nach Rechtskraft) auf; die Punkte 2 und 3 wurden dahin abgeändert, daß die Exekution bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreites über die Wiederaufnahmsklage, längstens jedoch bis zum 1. Jänner 1950,aufgeschoben werde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der Beklagten Folge und änderte den Beschluß des Rekursgerichtes dahin ab, daß der erstgerichtliche Beschluß in den Punkten 1 und 2 wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Gemäß § 538 Abs. 1 ZPO. hat das Erstgericht vor der Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung über eine Wiederaufnahmsklage zu prüfen, ob die Klage auf einen der in den §§ 530, 531 ZPO. bezeichneten Wiederaufnahmsgrunde gestützt und die für die Erhebung der Klage in § 534 ZPO. vorgeschriebene Frist eingehalten worden sei. Wenn auch die Klage einen gesetzlichen Wiederaufnahmsgrund nicht ziffernmäßig anführt, kann nach ihrem Inhalte lediglich der des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. in Frage kommen; eine bloß objektiv unrichtige Zeugenaussage kann niemals zu einer Wiederaufnahme führen, da § 530 Abs. 1 Z. 2 ZPO. eine strafbare Handlung, also eine auch subjektiv unrichtige Zeugenaussage, zur Voraussetzung hat. Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob in den Ausführungen der Wiederaufnahmsklage ein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs. 1 Z. 7 EO. zu erblicken ist. Nach dieser Gesetzesstelle kann ein durch Urteil geschlossenes Verfahren nur dann wiederaufgenommen werden, wenn die Partei ohne ihr Verschulden erst nach Fällung des Urteiles, bzw. nach Schluß der dem Urteile vorausgegangenen Verhandlung in Kenntnis von Tatsachen oder Urkunden gelangt oder die Urkunden früher zu benützen nicht in der Lage war und wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel allein oder in Verbindung mit dem im früheren Verfahren Vorgebrachten eine der Partei günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen geeignet sind. Daraus folgt, daß es sich um Tatsachen und Beweise handeln muß, die schon vor Schluß der Verhandlung des Hauptprozesses vorhanden waren. Tatsachen, die erst nach Schluß der Verhandlung im Hauptprozeß eingetreten sind, bilden nach Sinn und Wortlaut den Wiederaufnahmsgrund der Ziffer 7 nicht. Die Bestätigung der Magistratsabteilung 36 konnte im Vorprozeß nicht verwendet werden, da sie erst nach seiner rechtskräftigen Beendigung ausgestellt worden war; es kann daher auf sie und die darin erwähnten Tatsachen ein Wiederaufnahmsbegehren überhaupt nicht gestützt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sich aus ihr die Unrichtigkeit einer dem Urteile zugrunde gelegten Zeugenaussage (oder auch eines Sachverständigengutachtens, siehe Entsch. vom 13. Mai 1908, GlUNF. 4235) ergeben sollte. Bereits aus diesen Gründen kann die vom Rekursgerichte vertretene Auffassung, daß ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht worden sei, nicht geteilt werden und ist die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage durch das Erstgericht gerechtfertigt gewesen, weshalb sich ein Eingehen darauf erübrigt, ob die in dem Schreiben bestätigten Umstände den Klägern, die ja während der Aufbauarbeiten in der Wohnung, zumindestens in der Küche, geblieben sind, längst bekannt gewesen sein mußten.
Anmerkung
Z22180Schlagworte
Beweismittel, neue, als Wiederaufnahmsgrund, Tatsachen, neue, als Wiederaufnahmsgrund, Wiederaufnahmsklage, Begriff der neuen Tatsachen und Beweismittel, Wiederaufnahmsklage nicht wegen objektiv falscher Zeugenaussage, Wiederaufnahmsklage Zurückweisung, Zeugenaussage, objektiv falsche, kein Wiederaufnahmsgrund, Zurückweisung der WiederaufnahmsklageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0020OB00293.49.1119.000Dokumentnummer
JJT_19491119_OGH0002_0020OB00293_4900000_000