Norm
ABGB §1042Kopf
SZ 22/188
Spruch
§ 898 RVO. gilt unverändert weiter.
Zieheltern können Ansprüche nach § 898 RVO. nicht geltend machen.
Anspruch auf Ersatz des Erziehungsaufwandes ist kein Verwendungsanspruch nach § 1042 ABGB.
Mittelbarer Schaden kann nur in den vom Gesetz zugelassenen Fällen gefordert werden.
Wann genügt bei Geltendmachung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 4 ZPO. ein Aufhebungsantrag?
Entscheidung vom 30. November 1949, 1 Ob 559/49.
I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der beim Beklagten als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter beschäftigte Alfred B. verunglückte am 22. August 1948 tödlich, als er den Milchtransport von der dem Beklagten gehörigen J.alpe in das Tal besorgte, nach dem Vorbringen der Klage dadurch, daß die Pferde scheuten, ihn zu Boden rissen und zu Boden schleiften. Kläger behauptet, daß dieser Unfall auf eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten zurückzuführen sei, weil der Beklagte den B. trotz seiner Jugend - er war im Zeitpunkte des Unfalles noch nicht 16 Jahre alt - beauftragt habe, über die genannte steile und gefährliche Wegstrecke zu fahren, obwohl für Fuhren über diesen gefährlichen Weg nur ein erfahrener Knecht hätte herangezogen werden dürfen.
Der Kläger, der Ziehvater des verstorbenen B., begehrt auf Grund dieses Sachverhaltes den Ersatz von 20.000 S, die er für den Knaben an Erziehungs- und Pflegekosten aufgewendet habe; überdies verlangt er eine monatliche Rente von 70 S ab 1. September 1948, da sein verstorbener Ziehsohn ihm diesen Betrag stets von seinem Lohne gegeben hat und auch in Hinkunft gegeben hätte.
Die beiden unteren Instanzen haben das Klagebegehren abgewiesen, das Berufungsgericht mit der Begründung, daß a) vom Beklagten, dem Dienstgeber des Verunglückten, gemäß § 898 RVO. nur im Falle eines gerichtlich nachgewiesenen vorsätzlichen Verschuldens Schadenersatz begehrt werden könnte; daß b) der Kläger nicht zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches im Sinne des § 1327 ABGB. aktiv legitimiert sei, weil er als Ziehvater nicht zu den Hinterbliebenen gehöre; daß c) der Anspruch auf Ersatz des Erziehungsaufwandes nicht als Verwendungsanspruch im Sinne des § 1042 ABGB. begrundet werden könne, weil die Erziehung des Verunglückten nach dem Gesetz nicht dem Beklagten oblegen sei und weil auch die Geschäftsführungsabsicht gefehlt habe; daß d) die Berufung auf § 1324 ABGB., wonach auffallende Sorglosigkeit dem bösen Vorsatz gleichzustellen sei, verfehlt sei, weil § 898 RVO., der dem ABGB. zeitlich nachfolge, diese Gleichstellung nicht kenne.
Der Kläger hat diese Entscheidung mit den Revisionsgrunden des § 503 Z. 2 und 4 ZPO. angefochten und Aufhebung dieser und der erstrichterlichen Entscheidung und Rückverweisung an die erste Instanz begehrt. Die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revisionsbeantwortung meint, daß die Revision eines entsprechenden Revisionsantrages, soweit der Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. geltend gemacht werde, entbehre. Dem kann der Oberste Gerichtshof nicht folgen. Die Revision bekämpft die untergerichtlichen Entscheidungen, weil die Klage ohne Aufnahme von Beweisen aus Rechtsgrunden abgewiesen wurde, indem sie die Auffassung vertritt, daß die Unterinstanzen die beantragten Beweise über das angebliche grobe Verschulden des Beklagten hätten aufnehmen müssen, weil grobes Verschulden zur Anspruchsbegründung hinreiche; von der Rechtsauffassung ausgehend, daß hier ein Feststellungsmangel vorliege, hat die Revision "Aufhebung" der unterinstanzlichen Entscheidungen begehrt.
Wird unrichtige rechtliche Beurteilung als Revisionsgrund geltend gemacht, so muß ein Abänderungsantrag nur dann gestellt werden, wenn die untergerichtlichen Feststellungen hinreichen, um von der abweichenden Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes aus sofort ein Urteil in der Hauptsache fällen zu können; anders, wenn die erforderlichen Feststellungen fehlen und daher vom Standpunkt der vom Berufungsgericht abweichenden Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes aus das Verfahren als mangelhaft angesehen werden muß. Hier genügt es, wenn der Revisionswerber einen Aufhebungsantrag stellt (Judikat 230, GlUNF. 7470).
Da im vorliegenden Falle der Oberste Gerichtshof, weil die unteren Instanzen keine Feststellungen gemacht und die Klage aus Rechtsgrunden abgewiesen haben, nicht in der Lage wäre, sofort in der Sache zu entscheiden, wenn er die Rechtsauffassung der Unterinstanzen nicht teilt, so hat sich der Revisionswerber im Sinne des vorbezogenen Judikates im Rahmen der zivilprozeßualen Vorschriften gehalten, wenn er sich darauf beschränkt hat, nur Aufhebung und nicht Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu begehren.
Dagegen ist die Revision in der Sache selbst nicht begrundet. Nach § 898 RVO. ist der Unternehmer (§ 633) den Versicherten und deren Hinterbliebenen (§§ 588 bis 593), auch wenn sie keinen Anspruch auf Rente haben, nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Schadens, den ein Unfall der in den §§ 544, 546 RVO. bezeichneten Art verursacht hat, nur dann verpflichtet, wenn strafgerichtlich festgestellt worden ist, daß er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.
Im gegenständlichen Falle handelt es sich um einen Betriebsunfall im Sinne des § 546 RVO., da der Unfall bei der Ausführung von Diensten erfolgte, zu denen der Versicherte von dem Unternehmer im Sinne der ihm obliegenden Dienstverrichtungen herangezogen worden ist. Der Beklagte haftet daher nach § 898 RVO. nur im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalles. Die Revision meint nun, daß diese Beschränkung der Haftung von österreichischen Gerichten nicht angewendet werden könne, weil sie typisch nationalsozialistisches Gedankengut verkörpere.
Diese Auffassung ist rechtsirrig. Die derzeitige Fassung des § 898 RVO. beruht auf der zweiten Bekanntmachung der Fassung des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung vom 9. Jänner 1926, DRGBl. I S. 9, also auf einem Gesetze, das lange vor der nationalsozialistischen Machtübernahme im Deutschen Reich erlassen worden ist und mit dem Nationalsozialismus überhaupt nichts zu tun hat. Übrigens enthielt auch § 46 Abs. 1 des österreichischen Unfallversicherungsgesetzes vom 28. Dezember 1887, RGBl. Nr. 1/1888, eine analoge Einschränkung auf vorsätzlich herbeigeführte Unfälle nur mit der Abweichung, daß die vorsätzliche Herbeiführung auch durch das Zivilgericht festgestellt werden konnte.
Bei diesem Sachverhalt kann daher die Auffassung nicht vertreten werden, daß § 898 RVO. durch das Rechtsüberleitungsgesetz nicht in Österreich rezipiert worden sei.
Der Schadenersatzanspruch des Klägers entbehrt daher jeder Rechtsgrundlage; überdies ist der Kläger auch nach § 588 RVO. nicht aktiv legitimiert, weil die im § 898 RVO. bezogenen §§ 588 ff. RVO. die Personen ausdrücklich taxativ anführen, die als Hinterbliebene Ansprüche geltend machen können. Zieheltern sind in dieser Aufzählung nicht angeführt.
Damit ist aber der klägerischen Revision, soweit sie sich auf den Titel des Schadenersatzes stützt, jede Rechtsgrundlage entzogen. Es erübrigt sich daher auch, zu der Polemik der Revision zur Auslegung des § 1327 ABGB. Stellung zu nehmen, weil sich der Umkreis der Hinterbliebenen im Sinne der Reichsversicherungsordnung nicht nach § 1327 ABGB., sondern nach §§ 588 ff. RVO. bestimmt.
Verfehlt ist auch die Auffassung, daß der Anspruch des Klägers auf § 1042 ABGB. gestützt werden könnte. Mit Recht hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß § 1042 ABGB. nur gegen diejenige Person geltend gemacht werden kann, die den Aufwand nach dem Gesetze hätten selbst machen müssen; das ist aber bei einem Erziehungsaufwand immer nur das Ziehkind selbst. Von einem Dritten konnte der Erziehungsaufwand nur aus dem Titel begehrt werden, daß durch sein Verschulden die Einbringung dieses Anspruches aus dem Vermögen eines anderen vereitelt worden ist, also aus dem Titel des Schadenersatzes. Ein solcher mittelbarer Schaden kann aber nach österreichischem Rechte nur dann gefordert werden, wenn dies ausdrücklich vom Gesetz zugelassen worden ist (E. v. 26. September 1934, SZ. XVI/202). Der Schaden, der dem Gläubiger dadurch entstanden ist, daß seine Forderung durch das von einem Dritten verursachte Ableben seines Schuldners uneinbringlich geworden ist, kann daher von Dritten nicht verlangt werden, zumal dann, wenn das Gesetz ausdrücklich, wie in den §§ 588 ff. RVO., den Umkreis der Ersatzberechtigten genau umschreibt.
Das Berufungsgericht hat daher die Rechtslage im Ergebnis richtig beurteilt und den Klagsanspruch mit Recht ohne Durchführung von Beweisen abgewiesen.
Anmerkung
Z22188Schlagworte
Aktivlegitimation nicht für Zieheltern nach § 898 RVO. Aufhebungsantrag bei Revision nach § 503 Z. 4 ZPO. Betriebsunfall, Haftungsausschluß nach § 898 RVO. Eltern, kein Ersatz des Erziehungsaufwandes Erziehungsaufwand, keine Versionsklage Haftung aus Betriebsunfall, § 898 RVO. Klagslegitimation aktive, nicht für Zieheltern nach § 898 RVO. Körperverletzung bei Betriebsunfall, Haftung des Dienstgebers nach § 898 RVO. Körperverletzung Haftungsausschluß nach § 898 RVO. Pflegeeltern keine Aktivlegitimation nach § 898 RVO. Revisionsantrag, Aufhebungsantrag bei § 503 Z. 4 ZPO. Schadenersatz bei Betriebsunfall, § 898 RVO. Schadenersatz mittelbarer Schaden, Voraussetzungen Tötung bei Betriebsunfall, Haftung des Dienstnehmers nach § 898 RVO. Unfall des Dienstnehmers, Haftung des Dienstgebers nach § 898 RVO. Unternehmer Haftungsausschluß nach § 898 RVO. Versio in rem, Ersatz des Erziehungsaufwandes Verwendungsanspruch, Ersatz des Erziehungsaufwandes Zieheltern keine Aktivlegitimation nach § 898 RVO.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00559.49.1130.000Dokumentnummer
JJT_19491130_OGH0002_0010OB00559_4900000_000