Norm
ABGB §141Kopf
SZ 23/2
Spruch
Kein Einfluß der Unterbringung eines Kindes in öffentlicher Fürsorge (nicht Fürsorgeerziehung) auf die Unterhaltspflicht.
Entscheidung vom 4. Jänner 1950, 3 Ob 437/49.
I. Instanz: Jugendgerichtshof Wien; II. Instanz: Jugendgerichtshof Wien.
Text
Antonie V., die mit dem rechtskräftigen Beschluß vom 10. August 1949 als mütterliche Großmutter des mj. Helmuth V. zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 40 S verpflichtet wurde, stellte am 27. September 1949 den Antrag auf Befreiung von der Unterhaltspflicht mit der Begründung, daß der außereheliche Vater ohnehin Alimente zahle und ihr geschiedener Gatte, also der mütterliche Großvater des Minderjährigen, vor ihr zur Unterhaltsleistung herangezogen werden müsse.
Mit dem Beschluß vom 2. November 1949 entband das Erstgericht, ohne auf die Ausführungen der Antragstellerin weiter einzugehen, diese von der Unterhaltsleistung mit der Begründung, daß sich der Minderjährige in Verpflegung und Erziehung der Gemeinde Wien befinde, ihm von der Gemeinde Wien der Unterhalt gewährt werde, der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Unterhaltsverpflichteten aber zufolge der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JB. 16 neu (SZ. VI/331) ruhe, solange das Kind den notwendigen Unterhalt genieße. Da sich der Minderjährige in Pflege und Erziehung der Gemeinde Wien befinde, könne als gerichtsbekannt gelten, daß sein notwendiger Unterhalt gewährleistet sei.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgerichte die Überprüfung des Vorbringens der Antragstellerin hinsichtlich der Unterhaltspflicht anderer Personen, insbesondere ihres Gatten, sowie eine neue Entscheidung auf, indem es die Rechtsansicht des Erstgerichtes nur für den Fall der Fürsorgeerziehung als zutreffend anerkannte, für Fälle der öffentlichen Fürsorge aber ablehnte, da der öffentlichen Fürsorge nur subsidiärer Charakter zukomme und für den Unterhalt des Minderjährigen in erster Linie seine Mittel und die der Unterhaltsverpflichteten heranzuziehen seien.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsrekurs der mütterlichen Großmutter nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Der Rechtsansicht des Rekursgerichtes kann nicht vorbehaltlos zugestimmt werden. Wie der Oberste Gerichtshof in der angeführten Entscheidung SZ. VI/331 ausgeführt hat, steht Kindern gegen ihren Vater nur der Anspruch auf den mangelnden Unterhalt zu. Demnach ist das Recht der ehelichen wie unehelichen Kinder auf den Unterhalt nur ein subsidiäres und entsteht erst dann, wenn ihnen der Unterhalt mangelt, d. h., wenn sie sich ihn weder aus dem eigenen Vermögen, noch durch eigenen Erwerb beschaffen können noch auch auf irgendeine andere Weise erhalten.
Diese Entscheidung beschäftigt sich auch eingehend mit der Frage der Übernahme eines Kindes in die Pflege (§ 186 ABGB.). Hiebei soll vor allem berücksichtigt werden, daß das Kind in seinen Rechten nicht verkürzt wird. Wenn aber jemand die Verpflegung des Kindes übernimmt, ohne die Absicht, einen Ersatz für die Aufwendungen von einem Unterhaltsverpflichteten zu begehren, dann ruht dessen Unterhaltsverpflichtung.
Feststeht, daß sich der mj. Helmuth V. in Verpflegung und Erziehung der Gemeinde Wien befindet. Gemäß § 7 Abs. 1 der "Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge" vom 4. Dezember 1924, DRGBl. I S. 765, hat jeder Hilfsbedürftige seine Arbeitskraft zur Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfes einzusetzen. Nach § 8 Abs. 1 zählen zu den eigenen Mitteln, die der Hilfsbedürftige einsetzen muß, ehe ihm die Fürsorge Hilfe gewährt, sein gesamtes verwertbares Vermögen und Einkommen, seine Bezüge in Geld oder Geldeswert aus gegenwärtigen oder früheren Arbeits- oder Dienstverhältnissen und aus Unterhalts- oder Rentenansprüchen öffentlicher oder privater Art. Gemäß § 21 a der Reichsfürsorgepflichtverordnung kann der Fürsorgeverband, der auf Grund dieser Verordnung einen Hilfsbedürftigen unterstützt hat, wenn der Hilfsbedürftige für die Zeit der Unterstützung Rechtsansprüche gegen einen Dritten auf Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfes hat, durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken, daß diese Rechtsansprüche zum Ersatz auf ihn übergehen. Der Fürsorgeverband kann einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen für die Vergangenheit auch in Anspruch nehmen, wenn er dem Unterhaltspflichtigen von der Gewährung der Fürsorge unverzüglich schriftliche Mitteilung gemacht hat.
Die Untergerichte haben sich mit der Frage, ob ein Ersatz seitens der Gemeinde Wien für die Unterhalts- und Erziehungskosten des Minderjährigen Helmuth V. in Anspruch genommen wird, nicht beschäftigt. Eine Anfrage bei den Magistratsabteilungen 11 und 13 würde eine Klärung der Rechtslage ergeben. Diese Frage ist aber zu erörtern und zu prüfen, ehe dazu Stellung genommen wird, wer als Unterhaltsverpflichteter heranzuziehen ist.
Es war sonach dem Revisionsrekurs, der im wesentlichen darzutun versucht, daß nicht ein Fall der bloßen Fürsorge, sondern ein solcher der Fürsorgeerziehung vorliegt, sonach die Gemeinde Wien diese Kosten zu tragen hat, nicht Folge zu geben. Der Aktenlage nach befindet sich der Minderjährige nicht in Fürsorgeerziehung, so daß auf diese Ausführungen des Revisionsrekurses nicht weiter einzugehen war. Die vom Rekursgerichte beschlossene Aufhebung des erstrichterlichen Beschlusses war sonach zu bestätigen, doch wird das Erstgericht, entsprechend den vorstehenden Ausführungen, Erhebungen in weiterem als dem vom Rekursgerichte bezeichneten Umfange vorzunehmen haben.
Anmerkung
Z23002Schlagworte
Alimente bei Kind in öffentlicher Fürsorge, Fürsorge, öffentliche, kein Einfluß auf Unterhaltspflicht, Kind Unterhaltsanspruch bei öffentlicher Fürsorge, öffentliche Fürsorge, kein Einfluß auf Unterhaltspflicht, Unterhalt bei Kind in öffentlicher FürsorgeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00437.49.0104.000Dokumentnummer
JJT_19500104_OGH0002_0030OB00437_4900000_000