TE OGH 1950/1/4 1Ob129/48

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Veröffentlicht am 04.01.1950
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Norm

Bundesverfassungsgesetz 1920 Art102a
Verfassung der Stadt Wien §11
ZPO §193
ZPO §266
ZPO §277
ZPO §292
ZPO §303
ZPO §320
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 23/1

Spruch

Die zulässigen Beweismittel sind in der ZPO. taxativ aufgezählt. Eine Anfrage an Behörden und dergleichen ist daher nicht zulässig. Die Benützung einer auf Anfrage erteilten Auskunft an Stelle beantragter zulässiger Beweismittel ist ein Verstoß im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO.

Über die Erteilung einer schriftlichen Ermächtigung kann auch an Stelle des Urkundenbeweises Zeugenbeweis geführt werden. Der Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO. ist nur bei unrichtiger rechtlicher Beurteilung in materiellrechtlicher Beziehung gegeben; zur Bekämpfung einer unrichtigen Anwendung der Prozeßgesetze dienen lediglich die Revisionsgrunde des § 503 Z. 1 und 2 ZPO.

Entscheidung vom 4. Jänner 1950, 1 Ob 129/48.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin begehrt die Bezahlung des Betrages von S 32.371.98 als am 28. August 1946 fällige Jahresprämie einer am 20. bzw. 21. Dezember 1945 auf Grund eines Antrages des Stadtschulrates für W. namens des Bundes und der Stadt Wien mit der Klägerin abgeschlossenen Haftpflicht-Versicherungsvertrages, betreffend alle Wagnisse des Schulbetriebes und der Lehrtätigkeit für alle dem Stadtschulrat unterstehenden Schulen, beruft sich aber auch auf eine angeblich vorausgegangene Deckungszusage und behauptet, daß der Stadtschulrat sowohl generell als auch zum Abschlusse dieses Versicherungsvertrages vom Bund und der Stadt Wien speziell ermächtigt worden sei. Während die klagende Partei sich für die Ermächtigung vor allem auf den Zeugen Dr. Z. berufen hat, haben die beklagten Parteien Anfrage an das Bundesministerium für Unterricht und die Magistratsdirektion Wien darüber beantragt, daß eine solche Ermächtigung dem Stadtschulrat nicht erteilt worden sei.

Das Erstgericht hat nun lediglich den Anträgen der beklagten Partei stattgegeben, ohne formelle Ablehnung der Beweisanträge der klagenden Partei die Verhandlung in analoger Anwendung des § 193 ZPO. geschlossen und nach Einlangen der Auskünfte des Bundesministeriums für Unterricht und der Magistratsdirektion das Klagebegehren abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei mit dem angefochtenen Urteil nicht Folge gegeben und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Beweismittel in der Zivilprozeßordnung nicht taxativ aufgezählt seien und daher auch amtliche Auskünfte von Behörden zu Beweismitteln verwendet werden könnten, daß daher die Aufnahme weiterer Beweise im vorliegenden Falle nicht notwendig gewesen sei, zumal zu einer Bevollmächtigung des Stadtschulrates, da es sich um einen Verkehr zwischen Amtsstellen handle, eine bloß mündliche Erklärung eines Organs nicht genügend wäre, sondern es eines schriftlichen Bescheides bedürfte, die Klägerin aber weder behauptet noch unter Beweis gestellt habe, daß ein solcher schriftlicher Bescheid ergangen sei, daß eine generelle Ermächtigung des Stadtschulrates mit den Bestimmungen der Art. 102 a ff. BVG. bzw. § 11 der Verfassung der Stadt Wien nicht im Einklang stunde und daher ungültig wäre, daß ein für ein Bevollmächtigungsverhältnis sprechender äußerer Tatbestand schon mit Rücksicht auf den behördlichen Charakter des Stadtschulrates und mangels einer klägerischen Behauptung über ein gleichartiges Vorgehen desselben in anderen Fällen nicht in Betracht komme.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zu den Ausführungen ist vor allem zu bemerken, daß die Revisionsgrunde im § 503 ZPO. taxativ aufgezählt sind, die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung in dieser Bestimmung nicht angeführt ist und daher die untergerichtliche Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht bekämpft werden kann. Der Oberste Gerichtshof ist daher, sofern nicht die Revisionsgrunde nach § 503 Z. 2 und 3 ZPO. vorliegen, an die Feststellungen des Berufungsgerichtes gebunden. Ferner ist der Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO., wie der Oberste Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat, nur bei unrichtiger Beurteilung in materiellrechtlicher Beziehung gegeben; zur Bekämpfung einer unrichtigen Anwendung der Prozeßgesetze dienen lediglich die Revisionsgrunde des § 503 Z. 1 und 2 ZPO. (vgl. die bei Hermann, ZPO., große Ausgabe, 9. Aufl., S. 978, zu § 503 Z. 4 unter Nr. 27 angeführten Entscheidungen). Die Ausführungen der Revision, die sich gegen die Zulässigkeit der Anfrage und gegen die Benützung der Auskünfte als Beweismittel wenden, bringen nicht den Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO. zur Darstellung, sondern es kann darin nur die Rüge von Verfahrensmängeln im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO. erblickt werden.

Der Revision ist darin beizupflichten, daß Anfragen an Behörden und dergleichen als Beweismittel an Stelle der gesetzlich vorgeschriebenen Beweismittel unzulässig sind, da die zulässigen Beweismittel in der Zivilprozeßordnung taxativ aufgezählt sind (vgl. Wahle, Die Anfrage als Beweismittel, ÖJZ. 1946, S. 381 ff.). Wenn das Prozeßgericht die beantragten zulässigen Beweismittel aufgenommen und darüber hinaus noch das Ergebnis einer solchen Anfrage verwertet hat, so bildet dieser Verstoß gegen die Prozeßvorschriften jedenfalls keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO., wohl aber liegt ein solcher vor, wenn an Stelle von beantragten, gesetzlich zulässigen Beweisen bloß eine solche Anfrage durchgeführt und auf Grund des Ergebnisses derselben allein die erforderlichen Feststellungen gemacht werden. Da die klagende Partei in der Berufung ausdrücklich den Antrag gestellt hat, nach Durchführung der von ihr angebotenen Beweise zu entscheiden, also die von ihr im erstinstanzlichen Verfahren beantragten Beweise aufzunehmen, und das Berufungsgericht diesem Antrag nicht stattgegeben hat, sondern sich wie das Erstgericht mit dem von diesen eingeholten Auskünften begnügt hat, leidet das Berufungsverfahren an einem Mangel im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO., zumal durch den von den Untergerichten gewählten Vorgang den Parteien die Möglichkeit einer Beteiligung an der Beweisaufnahme entzogen wurde. Die Auskünfte könnten ja nur als Urkunden angesehen werden; selbst bei öffentlichen Urkunden ist aber gemäß § 292 Abs. 2 ZPO. der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsachen oder der unrichtigen Beurkundung zulässig. Das Erstgericht hätte daher schon im Hinblick auf die ablehnende Stellungnahme der Klägerin zu dem Antrag der Gegenseite auf Durchführung dieser Anfrage nicht die Verhandlung in analoger Anwendung des § 193 Abs. 3 ZPO. schließen und so der klagenden Partei die Möglichkeit entziehen dürfen, zu den eingelangten Auskünften Stellung zu nehmen. Daß die klagende Partei das Vorliegen einer schriftlichen Ermächtigung behauptet hat, ergibt sich schon daraus, daß sie vorgebracht hat, diese befände sich in Händen der beklagten Parteien. Der Umstand, daß nach der Behauptung der klagenden Partei eine schriftliche Ermächtigung vorliegt, hindert diese nicht, darüber einen Zeugenbeweis zu führen, statt den in den §§ 303 ff. ZPO. bezeichneten Weg einzuschlagen, da das Gesetz in dieser Richtung keinerlei Schranken enthält.

Daß die klagende Partei Datum und allfälliges Aktenzeichen der Ermächtigung nicht angeben kann, vermag, wie übrigens auch aus § 303 Abs. 2 ZPO. zu entnehmen ist, die Zulässigkeit ihres Beweisantrages nicht auszuschließen.

Da somit das Verfahren des Berufungsgerichtes an einem Mangel im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO., aber auch das erstinstanzliche Verfahren an dem gleichen Mangel leidet, war der Revision der klagenden Partei, ohne daß auf die weiteren Ausführungen der Revision eingegangen werden müßte, Folge zu geben und die Rechtssache nach Aufhebung der Urteile der beiden Untergerichte an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Anmerkung

Z23001

Schlagworte

Anfrage an Behörden kein Beweismittel, Beurteilung, unrichtige rechtliche, als Revisionsgrund, Beweislast für Erteilung einer schriftlichen Ermächtigung, Beweismittel, Anfrage an Behörden, Beweismittel taxative Aufzählung in ZPO., Prozeßrecht unrichtige Anwendung nicht nach § 503 Z. 4 ZPO. zu, beurteilen, Rechtliche Beurteilung, unrichtige, als Revisionsgrund, Revisionsgrunde unrichtige rechtliche Beurteilung, Unrichtige rechtliche Beurteilung als Revisionsgrund, Urkundenbeweis, Anfrage an Behörde, Urkundenbeweis Erteilung einer schriftlichen Ermächtigung, Verfahrensrecht, unrichtige Anwendung nicht nach § 503 Z. 4 ZPO. zu, beurteilen, Zeugenbeweis für Erteilung einer schriftlichen Ermächtigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00129.48.0104.000

Dokumentnummer

JJT_19500104_OGH0002_0010OB00129_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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