Norm
ABGB §183Kopf
SZ 23/128
Spruch
Zu den Verwandten nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. gehört auch der Adoptivsohn.
Entscheidung vom 3. Mai 1950, 1 Ob 618/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Mödling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die beiden Kläger haben dem Beklagten die Wohnung im Hause M., H.gasse 13, das zur Hälfte dem Erstkläger gehört, aus dem Gründe des dringenden Eigenbedarfes nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. aufgekundigt. Sie machen geltend, daß der Erstkläger seine bisherige Wohnung in Wien, XV., L.straße, durch Anforderung (richtig nach Ziffer 8, III. Abschnitt, XIV. Hauptstück des NSG.) verloren hat und nun mit seiner Frau in der Provinz in Gasthöfen wohnen muß, ohne eine eigene Wirtschaft führen zu können. Sein Adoptivsohn Albert F., der bis zu seiner Einrückung bei ihm in der L.straße gewohnt habe, sei erst im September 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen und müsse nun mit seiner Gattin in einer kleinen, nur aus Zimmer und Küche bestehenden Wohnung bei seiner Schwiegermutter in St. A. als Untermieter Unterkunft suchen.
Der Beklagte hat eingewendet, daß der Erstkläger den Eigenbedarf durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP. selbst verschuldet habe und daß der Adoptivsohn nicht zu jenen Verwandten gehöre, für die nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. Eigenbedarf geltend gemacht werden kann.
Das Erstgericht hat mit dem Urteile vom 19. Jänner 1949 die Aufkündigung aufgehoben, indem es sich der Ansicht anschloß, daß der Erstkläger seinen Eigenbedarf durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP. selbst verschuldet hat. Der dagegen gerichteten Berufung der Kläger wurde aber vom Berufungsgericht Folge gegeben. Es wurde das erstrichterliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht zurückverwiesen. Dies mit der Begründung, daß von einem selbstverschuldeten Eigenbedarf nicht die Rede sein könne, weil der Erstkläger im Augenblicke seines Beitrittes zur NSDAP. nicht habe erkennen müssen, daß er dadurch sich und seine Familie der Obdachlosigkeit aussetze. Gebunden an diese Rechtsansicht hat das Prozeßgericht daraufhin mit dem Urteil vom 25. August 1949 die Aufkündigung für wirksam erklärt. Es stellte fest, daß nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 in die Wiener Wohnung des Erstklägers eine Partei eingewiesen wurde, daß sich der Erstkläger und seine Gattin fast 13 Monate in Haft befanden, das Verfahren aber eingestellt und ihnen sogar eine Haftentschädigung zugesprochen wurde. Der Erstkläger sei um zwei Monate früher als seine Gattin aus der Haft entlassen worden, weil er einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und außerdem fast erblindet war. Er sei mittels Rettungsautos nach L. gebracht worden, wohin ihm auch seine Gattin nach ihrer Enthaftung folgte. Die beiden mußten aber L. nach einiger Zeit verlassen und fanden bei entfernten Verwandten in E., die eine Gastwirtschaft betreiben, Unterkunft. Die ihnen überlassenen Räume sind als Ausgedingwohnung für die bereits 80jährigen Besitzer der Gastwirtschaft gedacht und auch als Fremdenzimmer vermietet gewesen. Der Erstkläger wurde dort nur deshalb aufgenommen, weil sich seine Gattin verpflichtete, im Haushalt Dienstbotenarbeiten zu verrichten. Sie bekommt dafür freie Verpflegung und Quartier, während der Erstkläger für das Essen täglich 7 S und für Miete 60 S monatlich zu bezahlen hat. Da die Gattin des Erstklägers an schwerer Gicht und Kreislaufstörungen leidet, die vereinbarten Arbeiten nicht mehr verrichten kann, anderseits der Gastwirt die Räume dringend benötigt und täglich auf deren Räumung drängt, der Erstkläger 70 Jahre alt, schwer herzleidend und arbeitsunfähig, sein Adoptivsohn gleichfalls schwer lungenleidend ist, muß die Interessenabwägung nach Ansicht des Gerichtes zugunsten der Kläger ausfallen und ist deshalb der geltend gemachte Kündigungsgrund gegeben.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben und sich im wesentlichen der Begründung des Prozeßgerichtes angeschlossen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision ist nach § 502 Abs. 5 ZPO. zulässig, weil sie sich gegen die dem Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 13. Mai 1949 zugrunde liegende Rechtsansicht richtet, daß die ehemalige Zugehörigkeit des Erstklägers zur NSDAP. den nun geltend gemachten Eigenbedarf nicht als selbstverschuldet erscheinen lasse. Nach dem Wortlaut des Gesetzes, das in dem eben erwähnten Falle die Revision ohne einen einschränkenden Zusatz für zulässig erklärt, ist der Revisionswerber hiebei nicht auf die Bekämpfung der dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegenden und in das Urteil erster Instanz aufgenommenen Rechtsansicht beschränkt, sondern auch zur Geltendmachung anderer Revisionsgrunde berechtigt. Es genügt, wenn er unter anderem auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die für das Prozeßgericht bei seiner Entscheidung bindend war, bekämpft.
Sachlich ist aber die Revision nicht begrundet.
Wenn der Revisionswerber meint, daß der Erstkläger den nun geltend gemachten Eigenbedarf selbst verschuldet hat, übersieht er, daß der seinerzeitige Verlust der Mietrechte durch den Erstkläger, der nach Ziffer 8 Abschnitt III, XIV. Hauptstück des NSG., die Folge seiner Registrierungspflicht war, für sich allein den Eigenbedarf noch nicht herbeigeführt hat. Der Erstkläger hat mit seiner Frau eine bei der herrschenden Wohnungsnot immerhin erträgliche Unterkunft gefunden und konnte zu der Zeit, als er sie bezog, mit einer längeren Dauer dieses Zustandes rechnen. Der dringende Bedarf nach einer anderen Wohnung hat sich erst dadurch ergeben, daß die Verwandten der Frau, bei denen diese mit dem Erstkläger wohnt, die Räume nun für sich selbst beanspruchen, daß die Gattin des Erstklägers wegen ihrer Krankheit die vereinbarten Arbeiten nicht mehr leisten kann, der Erstkläger selbst aber arbeitsunfähig ist, und überdies sein Adoptivsohn an einem schweren Leiden laboriert. Der Eigenbedarf ist also weder unmittelbar noch ausschließlich durch die seinerzeitige Zugehörigkeit des Erstklägers zur NSDAP. und seine daraus sich ergebende Registrierungspflicht verursacht. Es ist daher belanglos, ob der Verlust der Mietrechte nach dem Nationalsozialistengesetz als Sühnefolge im Sinne des Verbotsgesetzes 1947 anzusehen ist oder nicht. Jedenfalls ist die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Eigenbedarf des Erstklägers von diesem nicht selbst verschuldet wurde, bei dem losen Zusammenhange mit der seinerzeitigen Parteimitgliedschaft und der Mehrheit von Zwischenursachen im Ergebnis zutreffend und daher der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung in dieser Hinsicht nicht gegeben.
Rechtsirrig ist auch die Ansicht des Revisionswerbers, daß bei Beurteilung des Eigenbedarfes auf den Adoptivsohn des Erstklägers nicht Rücksicht zu nehmen ist. Nach § 183 ABGB. genießen Wahlkinder dieselben Rechte gegenüber den Eltern wie die ehelichen Kinder. Warum diese rechtliche Gleichstellung bei Anwendung des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. nicht statthaben sollte, ist nicht einzusehen, weil das Gesetz eine Ausnahme in dieser Richtung nicht verfügt. Wenn der Revisionswerber darauf hinweist, daß in der eben erwähnten Bestimmung die Wahlkinder nicht angeführt sind, ist ihm zu entgegnen, daß eine solche Anführung im Hinblick auf § 183 ABGB. auch nicht nötig war, vielmehr das Gegenteil ausdrücklich verfügt werden müßte, wenn die Gleichstellung hier nicht stattfinden sollte. Auch in der Berücksichtigung des Adoptivsohnes ist also ein Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes nicht zu erkennen.
Da somit der geltend gemachte Revisionsgrund nicht vorliegt, war der Revision nicht Folge zu geben.
Anmerkung
Z23128Schlagworte
Adoptivkind, Eigenbedarf, Eigenbedarf des Adoptivsohnes, Kündigung Eigenbedarf des Adoptivsohnes, Wahlkind, EigenbedarfEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00618.49.0503.000Dokumentnummer
JJT_19500503_OGH0002_0010OB00618_4900000_000