TE OGH 1950/5/6 1Ob405/49

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Veröffentlicht am 06.05.1950
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Norm

ABGB §91
ABGB §92
ABGB §93
JN §54
JN §58
ZPO §500 Abs3
ZPO §502 Abs2
ZPO §502 Abs3
ZPO §510

Kopf

SZ 23/137

Spruch

Bei einverständlicher faktischer Trennung steht der Frau ein Unterhaltsanspruch in Geld zu. Kehrt die Frau bei Widerruf des Einverständnisses durch den Mann nicht in den gemeinsamen Haushalt zurück, so kann sie keinen Unterhalt beanspruchen.

Handelt es sich darum, ob der Unterhalt in Geld oder in Natur zu leisten ist, ist die Revision nach § 502 Abs. 2 ZPO. zulässig.

Entscheidung vom 6. Mai 1950, 1 Ob 405/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Streitteile sind seit 1942 miteinander verheiratet; sie leben jedoch faktisch getrennt und führen keinen gemeinsamen Haushalt. Lediglich im Jahre 1947 versuchte die Klägerin, die häusliche Gemeinschaft in der Wohnung der Mutter des Beklagten aufzunehmen. Sie löste die häusliche Gemeinschaft aber schon nach sechs bis acht Wochen auf und kehrte mit dem aus der Ehe entsprossenen Kind wiederum zu ihren Eltern zurück. Beide Teile fanden sich damit ab und nahmen keinen Anstand, die Ehe fortzusetzen. Eine Unterbrechung der Geschlechtsgemeinschaft fand nicht statt. Die Ehegatten besuchten gemeinsam gesellschaftliche Veranstaltungen und unternahmen noch im Frühjahr 1948 einen gemeinsamen Skiausflug. Nach dem Scheitern des Versuches, die häusliche Gemeinschaft zu führen, gab der Beklagte der Klägerin ein Taschengeld von monatlich 100 S, das er nach dem Skiurlaub 1948 einseitig wieder einstellte. Als die Klägerin anfangs Juli 1948 einen Unterhaltsbetrag für das Kind begehrte, forderte der Beklagte die Klägerin zur Aufnahme der Ehegemeinschaft im Haushalt seiner Mutter auf (Brief vom 6. Juni 1948) und wiederholte seine Aufforderung mit den Schreiben vom 2. September 1948 und 19. Dezember 1948.

Mit der am 11. Oktober 1948 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den Unterhalt in Form einer Geldrente. Das Prozeßgericht gab der Klage statt und sprach der Klägerin vom 10. Oktober 1948 an einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 300 S und ab 9. November 1948 einen solchen von 330 S zu. Es stellte fest, daß die Klägerin den gemeinsamen Haushalt mit Grund aufgegeben habe, weil ihr vom Beklagten, der das Wirtschaftsgeld seiner Mutter gab, nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, selbständig einen Haushalt für die Familie zu führen. Es sei ihr auch bei dem Verhalten ihrer Schwiegermutter nicht zuzumuten, einen gemeinsamen Haushalt in deren Wohnung wieder aufzunehmen.

Der Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht nach Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens nur hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsleistung Folge, die es auf monatlich 250 S herabsetzte. Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung im wesentlichen auf das Schreiben des Beklagten vom 18. Mai 1947 an die Klägerin, in welchem er zugibt, daß ein Zusammenleben der Streitteile im Haushalt seiner Mutter nicht möglich sei. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Streitteile vor und nach der kurzen Dauer der häuslichen Gemeinschaft im Jahre 1947 mit ihrer Trennung einverstanden waren, u. zw. einerseits deshalb, weil durch das Nichtverstehen von Schwiegermutter und Schwiegertochter ein harmonisches Eheleben in der Wohnung der Mutter des Beklagten als nicht möglich erkannt wurde und anderseits aus dem Gründe, weil der Beklagte eine häusliche Gemeinschaft außerhalb der von seiner Mutter gemieteten Wohnung deshalb nicht aufnehmen wollte, damit er im Falle des Ablebens seiner Mutter in deren Mietrechte eintreten könne. Eine einverständliche abgesonderte Lebensführung habe auf die dem Ehemann nach § 91 ABGB. obliegende Pflicht zur Unterhaltsleistung dem Gründe nach keinen Einfluß, der Art nach werde allerdings dadurch die Naturalverpflichtung zu einer Geldverpflichtung. Die Sinnesänderung des Beklagten, der im Juni 1948 die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft forderte, habe daran nichts geändert. Der Beklagte behaupte selbst nicht, daß sich in den Verhältnissen, die dem Einverständnis über die abgesonderte Lebensführung zugrunde lagen, etwas geändert habe. Er habe auch diesen Umständen Rechnung getragen und durch sein Einverständnis in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß er selbst der Klägerin die Aufnahme der häuslichen Gemeinschaft in der Wohnung seiner Mutter nicht zumutete; er habe damit nicht nur die getrennte Lebensführung als ehezerstörend nicht empfunden, sondern sogar gebilligt. Wenn der Beklagte bei den unveränderten Verhältnissen nunmehr auf der Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft bestehe, so hafte der darauf gerichteten Aufforderung an die Klägerin ein Mangel an, der sie ihrer beabsichtigten Wirkung beraube, die darauf abziele, daß der Beklagte von seiner Verpflichtung zur Unterhaltsleistung in Geld befreit werde. Er könne sich auch nicht auf § 93 ABGB. berufen. Mag auch die Trennung der Ehegatten eigenmächtig im Sinne dieser Bestimmung sein, so sei es dem Beklagten verwehrt, aus dem von ihm mitgeschaffenen rechtswidrigen Zustand (Befreiung der Klägerin von der Folgepflicht nach § 92 ABGB.) für die auch derzeit noch bestehenden tatsächlichen Verhältnisse den Vorteil einer Befreiung von seiner Unterhaltspflicht abzuleiten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile beider Untergerichte auf und wies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es war zunächst die Frage der Zulässigkeit der Revision zu prüfen. Nach § 502 Abs. 2 ZPO. ist eine Revision gegen die Bemessung des Unterhaltes nicht zugelassen. Unter Bemessung ist die ziffernmäßige Festsetzung des Unterhaltes zu verstehen (E. v. 30. Jänner 1930, ZBl. 1930, Nr. 163). Wird wie im vorliegenden Fall die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung in Geld verneint, so kann die Entscheidung mit Revision angefochten werden (E. v. 25. Februar 1930, ZBl. 1930, Nr. 162). Dies folgt aus der Erwägung, daß die Revisibilität einer Entscheidung nicht von der Begründung abhängen kann, die von den Parteien nicht angefochten werden kann. Entgegen der von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht ist die Revision daher gemäß § 502 Abs. 2 ZPO. zulässig.

Es war aber auch noch ferner zu prüfen, ob der Erhebung der Revision nicht etwa die Bestimmung des § 502 Abs. 3 ZPO. entgegensteht. Nach dieser Gesetzesvorschrift ist die Revision gegen ein bestätigendes Urteil des Berufungsgerichtes unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert 10.000 S nicht übersteigt. Da die Klage einen Unterhaltsanspruch in Geld geltend macht, bedurfte es eines Ausspruches des Berufungsgerichtes über den Wert des Streitgegenstandes im Sinne des § 500 Abs. 2 ZPO. nicht. Die Bewertung hat nach den Grundsätzen der §§ 54 ff. JN., hier nach § 58 JN., zu erfolgen. Es handelt sich um einen Unterhaltsanspruch auf unbestimmte Dauer, der somit mit der dreifachen Jahresleistung zu bewerten ist. Bei Zugrundelegung des von der Klägerin in der Klage begehrten Betrages von monatlich 300 S beträgt der Streitwert 10.800 S, übersteigt also 10.000 S. Nach Ansicht des Revisionsgerichtes muß aber bei der Berechnung von jenem Monatsbetrag ausgegangen werden, auf den die Klage schließlich im Zuge des Verfahrens ausgedehnt worden ist. Dies deshalb, weil nach § 502 Abs. 3 ZPO. für die Zulässigkeit der Revision jener Streitwert maßgebend ist, über den das Berufungsgericht zu entscheiden hat (vgl. SZ. XII/55, AnwZtg. 1933, S. 134, E. v. 15. Februar 1950, 1 Ob 293/49). Dieser aber betrifft einen fortlaufenden Anspruch, der mit dem überwiegenden Teil seiner einzelnen Raten in die dem Urteil erster Instanz folgende Zeit fällt und seine ziffernmäßige Höhe durch den Betrag von 330 S erhält, auf den die Klage zuletzt ausgedehnt wurde. Überdies bildet den Gegenstand der Berufungsentscheidung auch noch die bis zum Urteil des Prozeßgerichtes fällig gewordene Summe, die daher dem nach § 58 JN. ermittelten Betrag von 330.36 S ist gleich 11.800 S noch zugerechnet werden muß. Danach ist die Revision auch nach § 502 Abs. 3 ZPO. als zulässig anzusehen.

Bei der Entscheidung in der Sache selbst ist von der unbestrittenen Tatsache auszugehen, daß die Ehe der Streitteile bisher gerichtlich nicht geschieden ist und daß die Ehegatten lediglich faktisch getrennt leben. Nach dem Gesetz hat der Mann der Frau den ihm nach § 91 ABGB. obliegenden Unterhalt in der Hausgemeinschaft und daher in Natur zu gewähren (Lenhoff in Klangs Kommentar, I/1, S. 588, Ehrenzweig, II/2, S. 149, E. v. 15. September 1914, GlUNF. 7024, v. 20. September 1947, 1 Ob 467/47, EvBl. Nr. 806/47 u. a.). Nur ausnahmsweise hat die Frau gegen den Mann Anspruch auf Leistung von Geldbeträgen außerhalb der ehelichen Gemeinschaft. Geben beide Ehegatten einverständlich die eheliche Gemeinschaft auf, dann wird durch die Trennung die Alimentationspflicht des Mannes in ihrem Gründe nicht berührt, doch bewirkt die Trennung die Umwandlung des Anspruches auf Naturalleistung in einen solchen auf eine Geldleistung, u. zw. für so lange, als beide Teile über die abgesonderte Haushaltsführung einverstanden sind (vgl. SZ. VI/406, ZBl. 1917, Nr. 54). Es folgt aus dem sittlichen Begriff der Ehe als eines auf persönliche, unzertrennliche Gemeinschaft aufgebauten Rechtsverhältnisses zwischen Mann und Frau, daß eine auf Aufhebung oder Einschränkung der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft abzielende Vereinbarung der Ehegatten nicht rechtsverbindlich ist und daher jederzeit von jedem Ehegatten widerrufen werden kann. Ein solcher Widerruf hat, wenn er von der Ehefrau erklärt wird und beim Mann keine Beachtung findet, auf den Unterhaltsanspruch der Frau keinen Einfluß. Diese kann nach wie vor den Unterhalt in Geld verlangen. Der Mann ist, solange er sich weigert, die Frau in seinen Haushalt aufzunehmen, verpflichtet, ihr den Unterhalt in Form einer Geldrente zu gewähren. Lehnt aber die Ehegattin die Aufforderung des Ehemannes ab, mit ihm die eheliche Gemeinschaft aufzunehmen, dann kann sie von ihm keinen Unterhalt beanspruchen. Der Mann ist nicht verpflichtet, ihr durch Gewährung einer Geldrente die Möglichkeit zu bieten, einen abgesonderten Haushalt zu führen. Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung, wenn die Frau aus triftigen Gründen die Herstellung einer ehelichen Gemeinschaft mit dem Mann ablehnt. In diesem Fall besteht ihr Anspruch auf eine Geldrente (Ehrenzweig, II/2, S. 149).

Das Berufungsgericht hat das Unterhaltsbegehren der Klägerin deshalb für berechtigt angesehen, weil der Beklagte ihr für bestimmte, auch derzeit noch bestehende tatsächliche Verhältnisse die abgesonderte Haushaltführung zugebilligt habe. Dieser Ansicht vermag sich das Revisionsgericht nicht auszuschließen. Sie würde dazu führen, daß der Beklagte an sein Einverständnis zur abgesonderten Haushaltführung auch dann gebunden wäre, wenn die Gründe, die ihn zu diesem Einverständnis veranlaßten, nicht zutreffen oder von ihm später als unzutreffend erkannt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob aus dem in dem Brief des Beklagten vom 18. Mai 1947 enthaltenen Satz, "daß ein Zusammenleben zwischen Dir und mir im Hause 30 scheinbar nicht möglich ist, habe ich seither einsehen gelernt", der Schluß hergeleitet werden kann, daß der Beklagte sich unter den gegebenen Verhältnissen mit einer abgesonderten Haushaltführung durch die Klägerin einverstanden erklärte. Nach Meinung des Revisionsgerichtes kann die Frage, ob stichhältige Gründe für die abgesonderte Haushaltführung der Klägerin vorliegen, nicht der Entscheidung der Ehegatten überlassen werden. Sie ist vielmehr unter sorgfältiger Prüfung und Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände vom Gericht zu beurteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Ehegatten nur zu solcher Lebensgemeinschaft berechtigt und verpflichtet sind, die dem Wesen der Ehe als eines vorwiegend sittlichen Verhältnisses entspricht und mit der rechten ehelichen Gesinnung vereinbar ist. Entscheidend ist daher, ob im Hinblick auf das Wesen der Ehe und die rechte eheliche Gesinnung einerseits, die persönlichen Verhältnisse des Beklagten anderseits der die eheliche Lebensgemeinschaft verweigernden Klägerin die Herstellung dieser Gemeinschaft zugemutet werden kann. Hienach wird im vorliegenden Fall in erster Reihe zu erörtern und festzustellen sein, ob bei dem Beklagten der ernstliche Wille zur Herstellung der ehelichen Gemeinschaft mit der Klägerin überhaupt vorhanden ist bzw. zur Zeit der Klagseinbringung vorhanden war, ob die Klägerin im Jahre 1947 aus berechtigten Gründen den gemeinsamen Haushalt verlassen hat, und ob auch hernach triftige Gründe vorlagen, die ihre Weigerung, den ehelichen Haushalt mit dem Beklagten wieder aufzunehmen, gerechtfertigt erscheinen lassen. Auch wird, falls die Klägerin in dieser Richtung konkrete Behauptungen aufstellen sollte, festzustellen sein, ob und inwieweit ehewidrige Beziehungen des Beklagten zu Gusti F. vorliegen und ob diese der Klägerin einen berechtigten Grund gaben, sich vom Beklagten fernzuhalten.

Da das Berufungsgericht, von seiner Rechtsanschauung ausgehend, es unterlassen hat, diese für eine grundliche und erschöpfende Beurteilung der Sache unerläßlichen Feststellungen zu treffen, mußte das Urteil des Berufungsgerichtes und mit ihm gemäß § 510 ZPO. auch das Urteil des Prozeßgerichtes aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurückverwiesen werden, ohne daß auf die übrigen geltend gemachten Revisionsgrunde einzugehen war.

Anmerkung

Z23137

Schlagworte

Alimente der getrennt lebenden Gattin, Alimente gesetzliche Zulässigkeit der Revision, Haushalt, getrennter, Unterhaltsanspruch der Frau, Revision Zulässigkeit in Unterhaltssachen, Unterhalt der Ehegattin bei faktischer Trennung, Unterhalt gesetzlicher Zulässigkeit der Revision

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00405.49.0506.000

Dokumentnummer

JJT_19500506_OGH0002_0010OB00405_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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