TE OGH 1950/5/24 2Ob433/49

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Veröffentlicht am 24.05.1950
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Norm

ABGB §471
ABGB §1440
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §369

Kopf

SZ 23/167

Spruch

Durch gerichtlichen Erlag einer hinreichenden Sicherheit kann das Zurückbehaltungsrecht abgewendet werden. Der Gläubiger kann das so erloschene Rückbehaltungsrecht nicht durch nachträgliche Erweiterung seiner Forderung wieder zum Aufleben bringen.

Entscheidung vom 24. Mai 1950, 2 Ob 433/49.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei die Herausgabe eines Dieselmotors, den er der beklagten Partei zur Reparatur übergeben hatte. Die beklagte Partei berief sich auf ihr Zurückbehaltungsrecht, da der Kläger ihr für die Reparatur noch 19.000 S schulde. Der Kläger hat schließlich einen Betrag von 20.000 S zur Sicherstellung der beklagten Partei bei Gericht erlegt.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Ausfolgung des Dieselmotors an den Kläger. Es vertrat die Auffassung, daß durch den Erlag des Betrages von 20.000 S das Zurückbehaltungsrecht der beklagten Partei erloschen sei.

Der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es trat der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, daß durch den Gerichtserlag des restlichen Reparaturkostenbetrages (20.000 S), also durch die für diese Reparaturkostenforderung damit von der klagenden Partei bewirkte Sicherstellung das Zurückbehaltungsrecht der beklagten Partei erloschen sei, weil, ob man nun dieses Zurückbehaltungsrecht nach § 471 ABGB. oder nach § 369 HGB. beurteilte, in beiden Fällen der Schuldner die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes durch Sicherheitsleistung abwenden könne. Mit dem Zeitpunkt des Erlöschens des Zurückbehaltungsrechtes habe der in Rede stehende Motor im Besitz der beklagten Partei den Charakter einer mit Recht zurückbehaltenen Sache verloren und sei zu einer eigenmächtig entzogenen Sache geworden, wenn die beklagte Partei in diesem Zeitpunkt dem Kläger den Motor nicht zurückstellte. Letzteres sei tatsächlich nicht geschehen. Wenn nun die beklagte Partei in der Folge das Zurückbehaltungsrecht für weitere im Zeitpunkt der Erhebung der Klage und Widerklage ihr bekannte, aber bis 10. November 1948 (Gerichtserlag) nicht erhobene Forderungen geltend mache, so verletze sie hiedurch die Vorschrift des § 1440 ABGB., die besagt, daß eigenmächtig entzogene Sachen nicht Gegenstand des Zurückbehaltungsrechtes sein können.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Revisionsgericht vermag sich zwar nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes anzuschließen, daß mit dem Erlöschen des Zurückbehaltungsrechtes die nunmehr eigenmächtig zurückbehaltene Sache zu einer eigenmächtig entzogenen im Sinne des § 1440 ABGB. wird. Denn es folgt schon aus dem Wortlaut des § 1440 ABGB. daß eine Sache nur dann eigenmächtig entzogen ist, wenn sie gegen den Willen des Schuldners, also z. B. durch eine strafbare Handlung oder einen Akt der unerlaubten Selbsthilfe, in die Verfügungsgewalt des Gläubigers gekommen ist. Im übrigen ist aber diese Unterscheidung nicht von maßgeblicher Bedeutung. Das Revisionsgericht tritt der rechtlichen Beurteilung beider Unterinstanzen darin bei, daß durch den gerichtlichen Erlag einer Sicherheit von 20.000 S am 10. November 1948 das Zurückbehaltungsrecht der beklagten Partei an dem gegenständlichen Dieselmotor abgewendet worden ist. Die beklagte Partei vertritt in ihrer Klagebeantwortung den Standpunkt, daß ihr Zurückbehaltungsrecht zu Recht bestehe, weil ihr für den offenen Restbetrag von 19.000 S keine ausreichende Sicherheit angeboten wurde. Mit ihrer am 11. Oktober 1948 eingebrachten Widerklage hat sie die ihr gegen den Kläger zustehende Forderung in der Höhe von 19.000 S samt Verzögerungszinsen geltend gemacht. Damit hat die beklagte Partei die Grenzen ihres Zurückbehaltungsrechtes selbst festgelegt. Wenn daher der Kläger am 10. November 1948 einen Betrag von 20.000 S zur Sicherung der von der beklagten Partei geltend gemachten Forderung mit der ausdrücklichen Widmung erlegte, daß dieser Betrag nach Maßgabe des über die Widerklage ergehenden Urteiles nach dessen Rechtskraft zur Befriedigung der Forderung der beklagten Partei verwendet werde, so hat er hiedurch eine ausreichende Sicherheitsleistung für die der beklagten Partei zustehende Forderung erbracht und das Zurückbehaltungsrecht der beklagten Partei an dem gegenständlichen Dieselmotor wirksam abgewendet. Das einmal erloschene Zurückbehaltungsrecht kann der Gläubiger nicht durch nachträgliche Erweiterung seiner Forderung wieder zum Aufleben bringen. Wollte man ihm dieses Recht einräumen, dann hätte es der Gläubiger in der Hand, die Bestimmungen des § 471 Abs. 2 ABGB. und des § 369 Abs. 4 HGB. willkürlich zu vereiteln. Er könnte durch die nachträgliche Erhebung neuer, selbst ganz unbegrundeter Ansprüche den Schuldner unter Druck setzen und von ihm immer wieder von neuem eine Ergänzung der Sicherheitsleistung erzwingen. Für jedes Zurückbehaltungsrecht müssen aber die Schranken von Treu und Glauben gelten.

Anmerkung

Z23167

Schlagworte

Erlag gerichtlicher Erlöschen des Zurückbehaltungsrechtes, Gerichtserlag, Erlöschen des Zurückbehaltungsrechtes, Retentionsrecht, Erlöschen durch Sicherheitsleistung, Sicherheit, Abwendung des Zurückbehaltungsrechtes, Zurückbehaltungsrecht, Erlöschen durch Sicherheitsleistung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00433.49.0524.000

Dokumentnummer

JJT_19500524_OGH0002_0020OB00433_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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