Norm
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art94Kopf
SZ 23/176
Spruch
Der Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG. kann auch neben § 1 der Kriegssachenschäden-Einwirkungsverordnung bestehen, wenn aus öffentlichen Rücksichten ein neuer Bau aufgeführt werden soll.
Die Gerichte sind an Verfügungen der Verwaltungsbehörden auch dann gebunden, wenn diese Verfügungen unvollständig, mangelhaft oder fehlerhaft sind.
Zulässigkeit des Ausspruches auf Teilkündigung bei Geltendmachung der Kündigungsgrunde des § 19 Abs. 2 Z. 4 und 4a MietG.
Entscheidung vom 31. Mai 1950, 1 Ob 308/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht hat die Aufkündigung mehrerer von der Beklagten gemieteten Geschäftslokale für wirksam erklärt, weil es die Kündigungsgrunde des § 19 Abs. 2 Z. 4 und 4a MietG. für gegeben erachtete. Es nahm als erwiesen an, daß zirka 86% des Bestandobjektes der Beklagten von den Bescheiden der Verwaltungsbehörde (Interessenbescheid vom 12. Februar 1949 und Demolierungsbescheid vom 12. August 1949) erfaßt sind. Aus letzterem Bescheid gehe hervor, daß der Mietgegenstand bis zur Erdoberfläche abgetragen werden müsse, weshalb die Kündigung im vollen Umfange aufrechtzuhalten war.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge, änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die Aufkündigung nur teilweise für rechtswirksam erklärt werde, dagegen bezüglich der zu ebener Erde eines anderen Haustraktes gelegenen Räumlichkeiten aufgehoben werde, und erklärte die Revision im Umfange der Urteilsbestätigung für zulässig.
Der Oberste Gerichtshof gab den von beiden Parteien erhobenen Revisionen keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Was die Revision der Kläger anlangt, so halten diese eine Teilkündigung nach § 22 MietG. deshalb für unzulässig, weil in dieser Gesetzesstelle die geltend gemachten Kündigungsgrunde (Z. 4 und 4a des § 19 Abs. 2 MietG.) nicht genannt sind. Hiezu ist aber zu sagen, daß der Wortlaut des § 22 Abs. 2 MietG. auch im vorliegenden Falle einer Teilkündigung nicht im Wege steht (Swoboda, 2. Aufl., S. 273/274, SZ. V/275 (Fall des § 19 Abs. 2 Z. 4), SZ. VIII/238 (von Amts wegen im Falle des § 19 Abs. 2 Z. 11), 1 Ob 253/46, JBl. 1947, S. 398/399; schließlich die auf den vorliegenden Fall (Kriegssachschaden) passende Entscheidung 3 Ob 353/48, Hausbesitzer-Zeitung 1949, H. 7, S. 4 ff.). Swoboda hält an der angegebenen Stelle die sinngemäße Anwendung des § 22 auf andere Kündigungsgrunde nicht nur zum Vorteile des Mieters, sondern auch dort für zulässig, wo die tatsächlichen Verhältnisse eine Teilkündigung im gleichen Maße rechtfertigen (übereinstimmend Michlmayr im Österreichischen Recht, V/61, Anm. 2 zu § 22 MietG.); im übrigen war schon deshalb mit Teilkündigung vorzugehen, weil es unbestritten ist, daß ein Teil des Bestandgegenstandes vom Demolierungsbescheid nicht erfaßt ist. Schließlich bedarf es bei einer Teilkündigung keines Antrages, weil nach dem Gesetzeswortlaut auch von Amts wegen eine solche ausgesprochen werden kann; dazu kommt noch, daß die Beklagte die Umstände vorgebracht hat, aus denen sich die Zulässigkeit der Teilkündigung ergibt, was als unerläßlich - Michlmayr, ebdt., Anm. 6 - angesehen wird.
Wenn die Revision der Kläger behauptet, daß sowohl der Demolierungsbescheid wie der Interessenbescheid zufolge Art. 94 B-VG. vom Gerichte nicht überprüfbar sei, so ist diese Behauptung zwar richtig, doch kann ein Bestandgegenstand oder ein Teil desselben, der durch diese Administrativbescheide nicht erfaßt wird, nicht aus den Gründen dieser Bescheide gekundigt werden. In diesem Zusammenhang sei auf die vom Erstgerichte über den Umfang des Demolierungsbescheides eingeholte Auskunft der Magistratsabteilung 36, die zur Aktengrundlage gemacht wurde, hiemit ausdrücklich verwiesen. Demolierungs- und Interessenbescheid können hinsichtlich des Umfanges der darin enthaltenen Verfügung nur als einheitliches Ganzes angesehen werden. Im vorliegenden Falle kann aber auch nicht gesagt werden, daß ein Bescheid dem anderen widerspreche. Ein Bescheid der Verwaltungsbehörde kann zwar nicht auf die materiellrechtliche Richtigkeit seines Inhaltes überprüft werden, wohl aber darin, wie weit sein Umfang reicht. Es war daher die Berufung auf Art. 94 B-VG. verfehlt.
Da sich alle von der Revision der Kläger erhobenen Rügen als unbegrundet erwiesen haben, war ihrer Revision nicht Folge zu geben.
Aber auch die Revision der beklagten Partei ist nicht begrundet.
Diese macht zunächst geltend, daß der Demolierungsbescheid, der dem Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG. zugrunde liegt, nicht rechtskräftig sei, weil dieser Bescheid der Beklagten, die nach einem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes Parteienstellung genieße, nicht zugestellt worden sei. Hiezu ist zu sagen, daß dieser Bescheid, wenn auch das gleiche Gebäude betreffend, nur inter partes bindet und, da er zwischen anderen Parteien erflossen ist, von der beklagten Partei nicht herangezogen werden kann. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschlusse keine Verfügung ausgesprochen, sondern nur erklärt, daß zu dem außerordentlichen Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde für die einschreitenden Parteien derzeit kein Anlaß bestehe, weil der Instanzenzug noch nicht erschöpft sei. Dennoch aber bleiben die Gerichte an die Verfügungen der Verwaltungsbehörde auch dann gebunden, wenn diese Verfügungen unvollständig, mangelhaft oder fehlerhaft sind (1 Ob 679/47, EvBl. 1947, Nr. 793, und 3 Ob 101/48 und 3 Ob 130/48, EvBl. 1948, Nr. 728 u. a.).
Die Revision hält ferner den Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG. deshalb nicht für gegeben, weil die gassenseitig gelegenen Hauptmauern laut Interessenbescheid bestehen bleiben müssen. Schon das Berufungsurteil hat mit aller Klarheit ausgeführt, daß nach den Bestimmungen des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes die Wiederherstellung der Aufenthalts- und Geschäftsräume nach dem ursprünglichen Bauplan nicht mehr in Frage komme, so daß vom Gebäude nichts anderes erhalten bleiben soll als die Hauptmauer. Es geht daher - im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision - gar nicht mehr um die Frage, wie die Mieträume nach der Durchführung des Wiederaufbaues untergeteilt sein werden. Eine tatsächliche Überprüfung des Inhaltes des Demolierungsbescheides aber ist im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltentrennung nicht möglich (so auch 3 Ob 96/50).
Den Ausführungen des Berufungsgerichtes, wonach die Abbruchreife auf den baufälligen Zustand des Gebäudes zurückzuführen und der Abbruch des Gebäudes im öffentlichen Interesse aus sicherheitspolizeilichen Gründengelegen ist, ist nichts hinzuzufügen.
Die Ansicht der Revision, daß der der Kündigung nachfolgende Demolierungsauftrag unbeachtlich sei, ist unrichtig, weil der Demolierungsauftrag nur die Bestätigung des angeführten Kündigungsgrundes der Abbruchreife ist; auch wurde, was nicht übersehen werden darf, nicht nur nach Z. 4a, sondern auch nach Z. 4 des § 19 Abs. 2 MietG. aufgekundigt. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht erklärt, daß die Erteilung des Demolierungsbescheides nach erfolgter Kündigung die vorliegende Kündigung nicht hindert und daß auch die Behebung der Kriegsschäden durch die beklagte Partei an der Baufälligkeit des Gebäudes, wie sie aus den beiden Administrativbescheiden hervorgeht, nichts ändert.
Was schließlich das Verhältnis der Kriegssachschäden-Einwirkungsverordnung 1943 auf die Kündigungsgrunde der Z. 4 und 4a des § 19 Abs. 2 MietG. betrifft, ist auch hierin dem Berufungsgerichte beizupflichten, daß es weder Zweck noch Absicht der Einwirkungsverordnung ist, die Demolierung eines Gebäudes wegen Baufälligkeit unmöglich zu machen und die genannten Kündigungsgrunde auszuschließen. Zu Unrecht beruft sich die Revision auf die Ausführungen Michlmayrs im Österreichischen Recht zum Mietengesetz unter Anmerkung 31, bzw. auf die Anmerkungen unter Nr. 3 zur Einwirkungsverordnung (V, 61/9 derselben Sammlung). Michlmayr sagt ausdrücklich, daß auch der Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 4 MietG. trotz der Einwirkungsverordnung geltend gemacht werden kann, wenn die Abbruchreife eines Gebäudes durch einen Kriegssachschaden verursacht wurde, und wenn der Bau aus öffentlichen Rücksichten ersetzt werden soll. Es stehe die Einwirkungsverordnung der Kündigung nach der genannten Gesetzesstelle deshalb nicht entgegen, "da ja nicht das Vorliegen des Sachschadens, sondern die beabsichtigte und sichergestellte Schaffung von Neubauten den Kündigungstatbestand bilden und aus diesen Gründen auch die Räumung eines unbeschädigt gebliebenen Gebäudes verlangt werden könne".
Zum Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz bedarf es keiner Stellungnahme, weil das Gebäude trotz der provisorischen Wiederherstellung einzelner Räume abbruchreif geblieben ist. Es kann daher hier von den Bestimmungen des § 29 WWG. nicht die Rede sein. Auch kommt nach dieser Gesetzesstelle nur eine Wiederherstellung nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes in Frage; daraus ergibt sich der Umkehrschluß, daß diese Gesetzesstelle keine Anwendung findet, wenn die Räume, was im vorliegenden Falle unbestritten ist, vor dem Inkrafttreten des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes wiederhergestellt wurden.
In ihren Schlußausführungen versucht die Revision entgegen den Feststellungen der Untergerichte davon auszugehen, daß die Ausbesserungen, die die beklagte Partei vorgenommen hat, dem Gebäude die Abbruchreife genommen haben. Dieser Vorgang, der an den Feststellungen der Untergerichte rütteln will, ist nicht nur verfahrensrechtlich unstatthaft, er käme auch einer materiell rechtlichen Überprüfung des Demolierungsbescheides gleich, was gleichfalls unzulässig ist. Die Beklagte irrt, wenn sie dieses Ziel mit der Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung erreichen will, denn die Frage des öffentlichen Interesses (Z. 4 a) wird nicht durch das Gericht, sondern durch die Verwaltungsbehörde entschieden; hiebei kommt es auf die Abbruchreife des Gebäudes (Z. 4) gar nicht an. Gekundigt wurde jedoch aus beiden Kündigungsgrunden (Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, 2. Aufl., S. 206).
Davon abgesehen, kann noch folgendes gesagt werden: Daß die Ausbesserungsarbeiten der Beklagten eine provisorische Benützung des Bestandobjektes ermöglichten, soll nicht in Abrede gestellt werden; an der Abbruchreife des in Frage kommenden Teiles des Gebäudes aber, der laut den Bescheiden bis auf die Erdbodengleiche abzubrechen ist, hat dies nichts geändert.
Daß schließlich durch die Gestattung von Ausbesserungsarbeiten ein Verzicht der klagenden Parteien auf die Kündigungsgrunde zum Ausdruck gebracht wurde, hat das Berufungsgericht mit erschöpfender Begründung verneint.
Es erwies sich daher auch die Revision der beklagten Partei als unbegrundet, weshalb ihr der Erfolg zu versagen war.
Anmerkung
Z23176Schlagworte
Abbruch des Gebäudes, Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG., Baufälligkeit Kündigung wegen Abbruchreife, der Verwaltungsbehörde, Bindung der Gerichte, Bindung der Gerichte an Verwaltungsbescheide, Gericht Bindung an Verwaltungsbescheide, Gericht Bindung an Entscheidung der Verwaltungsbehörde, Kriegsschäden kein Einfluß auf § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG., Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG. bei Kriegsschäden„ Teilkündigung, Teilkündigung bei § 19 Abs. 2 Z. 4 und 4a MietG., Umbau Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 4a MietG., Verwaltungsbescheid Bindung der GerichteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00308.5.0531.000Dokumentnummer
JJT_19500531_OGH0002_0010OB00308_5000000_000