TE OGH 1950/6/7 1Ob312/50

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.06.1950
beobachten
merken

Norm

Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §19 Abs2 Z7
Mietengesetz §19 Abs2 Z9a
Mietengesetz §19 Abs2 Z9b
Mietengesetz §21
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z3
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 23/193

Spruch

Wird die Wohnung in einem Gemeindehaus für einen beim Bund beschäftigten Lehrer benötigt, so stellt dies für die Gemeinde, in der sich die Schule befindet, einen wichtigen Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 1 MietG. dar.

Entscheidung vom 7. Juni 1950, 1 Ob 312/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Ravelsbach; II. Instanz: Kreisgericht Korneuburg.

Text

Die Gemeinde R. hat der Lehrerswitwe Katharina H. die in dem der Klägerin gehörigen Hause in R. gegen 14tägige Kündigung gemietete Wohnung, bestehend aus Zimmer, Küche, zwei Kabinetten, Boden, Speise, Schuppen und Garten samt Nebenräumlichkeiten, für den 31. Dezember 1949 aufgekundigt.

Geltend gemacht wurden die Kündigungsgrunde des § 19 Abs. 1 MietG. (aufgekundigte Wohnung ist zur Unterbringung von aktiven Lehrpersonen bestimmt - Zweckwohnung -, wurde diesem Zweck entfremdet und soll ihm wieder zugeführt werden) und des § 19 Abs. 2 Z. 6 MietG. (dringender Eigenbedarf, Ersatzwohnung wird angeboten - R., Wohnung links vom Hauseingang gelegen).

Die gekundigte Partei hat rechtzeitig Einwendungen erhoben.

Das Erstgericht hat die Aufkündigung für wirksam erklärt. Hiebei wurde als festgestellt angenommen, daß die gegenständliche Wohnung zur Unterbringung von Lehrpersonen bestimmt ist, daß Eigenbedarf der Gemeinde insofern nicht vorliege, als der Lehrer, für den die Aufkündigung beantragt wird, nicht Angestellter der Gemeinde ist, daß aber bei dem festgestellten Sachverhalt der geltend gemachte Kündigungsgrund als wichtig im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. angesehen werde, wobei das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses, hinsichtlich dessen zwar keine formelle Abwägung stattzufinden habe, demgegenüber zu gering sei, um berücksichtigt werden zu können.

Der gegen dieses Urteil von der Beklagten erhobenen, auf die Berufungsgrunde der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung hat das Kreisgericht Korneuburg als Berufungsgericht nicht Folge gegeben, aber die Revision für zulässig erklärt.

In den Gründen des Urteiles wird ausgeführt, daß der als Kündigungsgrund geltend gemachte Tatbestand weder einem Tatbestand der in Abs. 2 des § 19 MietG. aufgestellten Kündigungsgrunde ungefähr gleichkomme, noch an Wichtigkeit denselben nachstehe, da das Gebäude, in dem sich die gekundigte Wohnung befindet, anläßlich der Errichtung der Hauptschule in R. zur Unterbringung von Lehrpersonen aufgeführt wurde und damit einem wichtigen Zwecke im öffentlichen Interesse dienstbar sein soll. Der Tatbestand sei daher als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. anzusehen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit in der Revision die Revisionsgrunde nach § 503 Z. 2 und 3 ZPO. geltend gemacht werden, sind die einschlägigen Ausführungen unbeachtlich, da nach § 502 Abs. 4 ZPO. ein bestätigendes Urteil des Berufungsgerichtes in Kündigungsstreitigkeiten aus Mietverhältnissen, auf welche die Bestimmungen über den Schutz der Mieter Anwendung finden, nur aus dem im § 503 Z. 4 ZPO. bezeichneten Gründe angefochten werden kann.

Aber auch die im Sinne des § 503 Z. 4 ZPO. erhobene Rechtsrüge ist unbegrundet.

Soweit die Revision sich in dieser Richtung zunächst dagegen wendet, daß die zweite Instanz die Kündigung aus ganz anderen Gründen für rechtswirksam erklärt hätte, als die Kündigung selbst vorgebracht habe, übersieht sie, abgesehen davon, daß, wie die Überprüfung des Urteils in dieser Richtung ergibt, dieser Vorwurf gar nicht gerechtfertigt ist, daß im Sinne des § 21 Abs. 1 MietG. die kundigende Partei in der Aufkündigung nur die Kündigungsgrunde, also den der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt anzuführen hat, die rechtliche Beurteilung dieses Tatbestandes aber Sache des Gerichtes ist; § 21 Abs. 1 MietG. fordert auch nicht, daß schon in der Kündigung alle Einzelheiten, welche die Kündigung rechtfertigen sollen, angeführt werden.

Soweit die Revision den Standpunkt vertritt, es sei selbstverständlich und aus dem Begriffe der Zweckwohnung abzuleiten, daß die Wohnung auch für die Witwen der Lehrer erbaut wurde, erscheint ihre Schlußfolgerung unhaltbar. Die Untergerichte haben festgestellt, daß das Haus für einen bestimmten Zweck - Schaffung von Wohnräumen für Lehrpersonen - errichtet wurde, und daß es diesem Zwecke auch zugeführt wurde.

Aus dieser Zweckbestimmung an sich ergibt sich, daß hiemit nur "aktive" Lehrpersonen gemeint sein können. Durch die Weiterbelassung der Wohnung an eine Person, die selbst keine aktive Lehrperson ist, ist die Wohnung ihrem Zwecke entzogen und die Unterbringung eines aktiven Angestellten verhindert. Dadurch wird ein wichtiges Interesse der kundigenden Partei verletzt; denn bei dem als gerichtsbekannt anzusehenden großen Wohnungsmangel ist sie außerstande, wenn sich der Bedarf zur Unterbringung eines aktiven Angestellten ergibt, für dessen entsprechende Deckung zu sorgen.

Daß die Lehrperson hier nicht Angestellte der klagenden Gemeinde ist, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, insofern eine naturgemäße Interessengemeinschaft auf öffentlichem, bzw. kulturellem Gebiete gegeben ist (E. v. 11. Jänner 1928, Ob II 1178/27, SZ. X/7).

In diesem Sinne ist es auch unerheblich, ob ein bestimmter Nachfolger für die Wohnung in Aussicht genommen ist; denn die Notwendigkeit, aus dienstlichen Gründen einen aktiven Angestellten unterzubringen, kann jederzeit eintreten; Wohnungen, die zur Unterbringung aktiver Angestellter bestimmt sind, dürfen eben nicht diesem Zweck entfremdet werden, und darin liegt bereits der wichtige Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG.

Weder bedarf es des Nachweises, daß darüber hinaus im besonderen Falle noch ein besonderes dienstliches Interesse bestehe, noch, daß gerade die gekundigte Wohnung für die angegebenen Zwecke dringend benötigt wird.

Diesen Rechtsgedanken hat der Oberste Gerichtshof bereits in ähnlichen Fällen ausgesprochen (1 Ob 319/47, 1 Ob 525/47 und 2 Ob 37/49).

Daß hier weder eine Interessenabwägung stattzufinden hat, noch die Interessen Dritter beachtet werden können, bedarf keiner Erörterung, es erübrigt sich daher, auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revision einzugehen.

Der Umstand, daß von der Kündigungsmöglichkeit bisher von der Gemeinde kein Gebrauch gemacht wurde, steht diesen grundsätzlichen Erwägungen nicht entgegen.

Die Annahme des Rechtsmittelwerbers, die Überlassung der Wohnung an einen Lehrer schließe gewissermaßen auch die Überlassung an dessen eventuelle Witwe schon in sich, widerspricht dem vorliegenden Zwecke, der ja darin gelegen ist, die dem öffentlichen Interesse dienende Aufrechterhaltung des Schulbetriebes durch Unterbringung der tätigen Lehrpersonen in entsprechenden Wohnungen zu ermöglichen, und erscheint daher völlig abwegig.

Ebenso unbegrundet ist die Anschauung der Revision, daß aus dem Gründe, weil in den Kündigungsgrunden des § 19 Abs. 2 Z. 9a und 9b MietG. Kündigungen von Zweckwohnungen lediglich zugunsten des Bundes vorgesehen sind, den Ländern und Gemeinden kein Recht zukomme, Zweckwohnungen, ausgenommen den Fall nach § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG., zu kundigen.

Denn es ist keineswegs ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß Tatbestände, die den im Gesetze angeführten ähnlich sind, sich aber in einem wesentlichen Punkte davon unterscheiden, überhaupt nicht als Kündigungsgrunde gelten können. Es kommt nur darauf an, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines wichtigen Kündigungsgrundes vorliegen, der an Bedeutung hinter den im Gesetze ausdrücklich angeführten Kündigungsgrunden nicht zurücksteht, wie dies schon das Berufungsgericht zutreffend angeführt hat und auch in der Rechtslehre (Kommentar zum Mietengesetz von Swoboda zu § 19 MietG.) zum Ausdruck gebracht ist. Die Anerkennung eines besonderen Kündigungsgrundes ist hiebei erleichtert, wenn die Frage bejaht werden kann, daß die Zulässigkeit der Aufkündigung auch im öffentlichen Interesse gelegen ist.

Was schließlich das Vorbringen der Revision betrifft, ein Hausbau mit einem rechtsverbindlichen Zweck liege überhaupt nicht vor, weil es an einem diesbezüglichen Gemeinderatsbeschluß fehle, ist dem entgegenzuhalten, daß in diesem Vorbringen im Wesen nicht eine Bekämpfung der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, als vielmehr eine Bekämpfung der Beweiswürdigung der Untergerichte gelegen ist, deren Überprüfung im Revisionsverfahren nicht statthat.

Der Oberste Gerichtshof gelangt somit dazu, die rechtliche Beurteilung, welche der vorliegende Sachverhalt durch die Untergerichte in seinem Endergebnisse gefunden hat, zu billigen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Z23193

Schlagworte

Eigenbedarf einer Gemeinde für Lehrer, Gemeinde, Eigenbedarf für Lehrer, Kündigung Unterbringung eines Lehrers, Lehrer, Unterbringung eines - als Kündigungsgrund, Unterbringung eines Lehrers als Kündigungsgrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00312.5.0607.000

Dokumentnummer

JJT_19500607_OGH0002_0010OB00312_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten