Norm
Fürsorgepflichtverordnung §23Kopf
SZ 23/252
Spruch
Für das Begehren des Fürsorgeverbandes auf Ersatz von Fürsorgekosten durch eine Person, die zur Unterhaltsleistung gegenüber dem Befürsorgten verpflichtet ist, ist der ordentliche Rechtsweg auch dann zulässig, wenn nicht vorher eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Ersatzpflicht nach § 23 FürsorgepflichtV. herbeigeführt wurde.
Entscheidung vom 13. September 1950, 3 Ob 402/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Magistrat forderte mit der gegen Elisabeth S. eingebrachten Klage als teilweisen Ersatz der für die Mutter der Beklagten aufgelaufenen Fürsorgekosten einen Betrag von 520 S sowie ab 1. Mai bis 31. Juli 1949 monatlich 40 S und ab 1. August 1949 monatlich 30 S an laufenden Unterhaltskosten. Zur Begründung des Klagsanspruches führte die klagende Partei an, daß die Beklagte gemäß § 154 ABGB. zur Zahlung verpflichtet sei, den Klagsanspruch aber nicht anerkenne.
Das Erstgericht fällte ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens.
Anläßlich der gegen dieses Urteil von der beklagten Partei erhobenen Berufung hob das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück.
Das Berufungsgericht stellte sich in seiner Entscheidung auf den Standpunkt, daß der erhobene Anspruch nicht auf den ordentlichen Rechtsweg gehöre. Gemäß § 23 Abs. 1 der Anlage I der Bekanntmachung der Verordnung über die Einführung für sorgerechtlicher Vorschriften im Lande Österreich vom 3. September 1938, GBlÖ. Nr. 397, könne der nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtige auf Antrag des vorläufig oder endgültig verpflichteten Fürsorgeverbandes im Verwaltungswege zum Kostenersatz und zur Erfüllung der Unterhaltspflicht angehalten werden. Erst wenn der Unterhaltspflichtige seine Unterhaltspflicht bestreite, könne die Verwaltungsbehörde gemäß § 23 Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges die Unterhaltspflicht im Verwaltungswege feststellen. Daß dies schon geschehen sei, werde in der Klage nicht behauptet. Das Wort "kann" dieser Gesetzesstelle könne nur dahin verstanden werden, daß der Fürsorgeverband zunächst gemaß § 17 Abs. 2 der angeführten Bekanntmachung zu erwägen habe, ob die Durchsetzung des Ersatzanspruches gegen den Unterhaltspflichtigen nicht dessen wirtschaftliche Lage gefährden würde. Erst wenn dies verneint werde, könne der Fürsorgeverband die Verwaltungsbehörde anrufen. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1, daß die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Unterhaltspflicht vorbehaltlich der Beschreitung des ordentlichen Rechtsweges erfolge, sei zu entnehmen, daß es dem Fürsorgeverband verwehrt sei, das ordentliche Gericht zur Durchsetzung des Ersatzanspruches unmittelbar anzurufen. Dafür spreche überdies vor allem, daß es dem Unterhaltspflichtigen möglich ist, im Falle die Verwaltungsbehörde seine Unterhaltspflicht feststellt, die Aufhebung oder Abänderung dieser Entscheidung bei dem ordentlichen Gerichte zu begehren. Da aus der Klage nicht zu entnehmen sei, daß eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Ersatzpflicht der Beklagten bereits erfolgt sei, fehle es an einer gemäß § 396 ZPO. für wahr zu haltenden Behauptung der klagenden Partei über eine rechtserhebliche Tatsache, nämlich über die Tatsache der bereits erfolgten Verwaltungsentscheidung, die erst die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begrunde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge und trug dem Berufungsgerichte die Entscheidung über die Berufung der Beklagten auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht ging bei seiner Entscheidung von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung und einer unrichtigen Gesetzesauslegung aus. Die im § 23 der Fürsorgepflichtverordnung enthaltene Bestimmung, daß der nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtige auf Antrag des vorläufig oder endgültig verpflichteten Fürsorgeverbandes im Verwaltungsweg zum Kostenersatz und zur Erfüllung der Unterhaltspflicht angehalten werden "kann", erhält durch § 17 Abs. 1 der angeführten Verordnung über die Einführung fürsorgerechtlicher Vorschriften im Lande Österreich die Ergänzung, daß die Verwaltungsbehörden vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgültig entscheiden. Nach der Lehre (Fleischmann - Jäger - Jehle, "Die öffentliche Fürsorge") ist das Wort "kann" dahin auszulegen, daß es im Ermessen des Fürsorgeverbandes liegt, vom Antragsrecht nach § 23 Gebrauch zu machen oder nicht. Die Aussicht auf den Erfolg des Vorgehens werde je nach den Umständen hiefür entscheidend sein. Auch der Kommentar zum Fürsorgerecht von Pfeiffer - Axmann vertritt den Standpunkt, daß sich aus dem Worte "kann" geradezu ergibt, daß neben dem Verwaltungsweg auch der ordentliche Rechtsweg nach freier Wahl von Anfang an offen steht. Dieser wird vor allem dann zu beschreiten sein, wenn, wie dies auch in der Klage ausdrücklich ausgeführt ist, der Fürsorgepflichtige den Anspruch des Fürsorgeverbandes nicht anerkennt. Es besteht daher kein Hindernis, daß der Magistrat als der für die Eintreibung der Fürsorgekosten maßgebende Fürsorgeverband unmittelbar im Rechtsweg die Klärung der Unterhaltspflicht der beklagten Partei anstrebt, wenn diese sie bestreitet.
Anmerkung
Z23252Schlagworte
Fürsorgekosten, Rechtsweg für Ersatzanspruch, Rechtsweg für Ersatz von Fürsorgekosten, Unzulässigkeit des Rechtsweges Ersatz von FürsorgekostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00402.5.0913.000Dokumentnummer
JJT_19500913_OGH0002_0030OB00402_5000000_000