Norm
ZPO §85Kopf
SZ 23/260
Spruch
In einer auf § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützten Wiederaufnahmsklage ist der gesetzliche Anfechtungsgrund (§ 536 Z. 2 ZPO.) nicht hinlänglich bezeichnet, wenn als neue Tatsache, zu deren Kenntnis der Wiederaufnahmskläger gelangt ist, "die gesamten Aussagen" eines in einem anderen Verfahren vernommenen Zeugen bezeichnet werden.
Entscheidung vom 20. September 1950, 3 Ob 152/50.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die klagende Partei hat zu 10 Cg 84/46 des Handelsgerichtes Wien von der beklagten Partei einen Betrag von 3398.98 S s. A. für ihr gelieferte, bzw. zu ihrem Nutzen verwendete Tarnfarben verlangt und sich in diesem Rechtsstreit auf den Zeugen Alfred T. berufen. Das Klagebegehren wurde vom Handelsgericht Wien mit Urteil vom 12. Juni 1946, 10 Cg 84/46-5, abgewiesen. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat dieses abweisende Urteil mit seinem Urteil vom 14. November 1946, 1 R 535/46-9, bestätigt. Beide Instanzen stellen fest, daß T., der für die beklagte Partei den Tarnanstrich durchgeführt hat, die Tarnfarben von der klagenden Partei in eigenem Namen gekauft habe. Daraufhin hat die klagende Partei zu 3 Cg 199/47 des Handelsgerichtes Wien den Kaufpreis gegen T. eingeklagt, aber auch diesen Prozeß verloren, weil sie die Bestellung durch T. nicht nachweisen konnte. In dem letzterwähnten Rechtsstreit wurde Dipl.- Ing. Alfred P. als Zeuge und T. als Partei vernommen. Nunmehr ficht die klagende Partei mit Wiederaufnahmsklage die Urteile 10 Cg 84/46- 5 des Handelsgerichtes Wien und 1 R 535/46-9 des Oberlandesgerichtes Wien an.
Das Handelsgericht Wien hat diese Wiederaufnahmsklage mit Urteil abgewiesen, das Berufungsgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles die Wiederaufnahme bewilligt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Als Wiederaufnahmsgrund macht die klagende Partei geltend, daß sie durch die von Ing. P. am 13. Jänner 1948 in dem Rechtsstreit 3 Cg 199/47 des Handelsgerichtes Wien abgelegte Zeugenaussage in Kenntnis von neuen Tatsachen der im § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. bezeichneten Art gelangt sei, ohne diese Tatsachen zu bezeichnen. Vom Prozeßgericht zur genauen Angabe dieser Tatsachen verhalten, hat die klagende Partei in der ihr hiezu gemäß § 85 ZPO. bestimmten Frist vorgebracht, daß als die den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. darstellenden Tatsachen "die gesamten Aussagen des Zeugen Ing. P. und des als Partei vernommenen T." bezeichnet werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die ungenügende Bezeichnung des Wiederaufnahmsgrundes ein Formgebrechen im Sinne des § 85 ZPO. ist, da, wie auch das Berufungsgericht treffend festgestellt hat, das Gebrechen in der gesetzten Frist nicht behoben wurde. Es kann aber dem Berufungsgericht darin nicht gefolgt werden, daß dem in § 536 Z. 2 ZPO. aufgestellten Erfordernis der Bezeichnung des Wiederaufnahmsgrundes durch Verweisung auf alle von einem Zeugen in einem anderen Rechtsstreit bekundeten Tatsachen genügt sei. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen. Wenn schon bei der schlichten Klage nach § 226 ZPO. die Tatsachen, auf welche sich der Anspruch des Klägers grundet, anzugeben sind und die Verweisung auf eine in anderer Sache abgelegte Zeugenaussage als Klagegrund nicht genügend wäre, muß bei der Wiederaufnahmsklage der Wiederaufnahmsgrund gemäß § 536 Z. 2 ZPO. um so mehr genügend spezialisiert werden, als bei der nach § 538 ZPO. vorgeschriebenen Prüfung der Klage aus ihr allein muß beurteilt werden können, ob sich die Klage auf einen Grund stützt, der sich unter die §§ 530 f. ZPO. subsumieren läßt (Neumann, Kommentar zu §§ 536, 538 ZPO.). Es darf keinesfalls dem Gericht überlassen werden, aus einer großen Anzahl von Tatsachen jene herauszusuchen, die einen Wiederaufnahmsgrund abgeben könnten. Ein entgegengesetzter Standpunkt könnte zu kaum absehbaren Schwierigkeiten führen, zumal der Kreis der dem Gericht zur Auswahl zur Verfügung gestellten Tatsachen beliebig erweitert werden könnte, z. B. auf die in einem oder in mehreren bestimmten Akten behaupteten Tatsachen. Wenn z. B. der Zeuge Inge P. neben dem Bericht zahlreicher für die Entscheidung der Frage, wer der Vertragspartner der klagenden Partei gewesen sei, gänzlich unwichtiger Tatsachen ohne Begründung seiner Meinung Ausdruck gibt, daß T. in der Beschaffungsgenehmigung 568 "offenbar" durch das Versehen einer Schreibkraft als Besteller bezeichnet wurde, worauf die klagende Partei in ihrer Berufung großen Wert legt, ist wohl sehr zweifelhaft, ob er damit eine Tatsache berichtet hat. Mit Recht verweist die Revisionsschrift auf die Analogie zu den Vorschriften über die bestimmte Bezeichnung der Rechtsmittelgrunde (§§ 467 Z. 3 und 506 Abs. 1 Z. 2 ZPO.), nach welchen es unzulässig ist, dem Rechtsmittelgericht die Konstruktion der den Rechtsmittelgrund bildenden Umstände und Mängel aus den Akten zu überlassen (Neumann, Kommentar zu § 503 ZPO.). Die klagende Partei hat überdies ihr Vorbringen in Ansehung des Wiederaufnahmsgrundes bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz nicht ergänzt. Daher ist die Klage, die schon nach § 538 ZPO. durch Beschluß zurückzuweisen gewesen wäre, vom Erstgericht nach durchgeführter Verhandlung mit Recht mangels Behauptung eines bestimmten Anfechtungsgrundes abgewiesen worden (da die Klage nicht auf einen gesetzlich unzulässigen Anfechtungsgrund gestützt wurde, kam eine Zurückweisung mit Beschluß gemäß § 543 ZPO. nicht mehr in Frage). Davon, daß die klagende Partei ihre Wiederaufnahmsklage auf die Auffindung eines Beweismittels stützt, ist in der Wiederaufnahmsklage keine Rede, insbesondere wird auch nicht angegeben, zum Nachweis welcher streitiger Tatsachen ein neues Beweismittel aufgefunden worden sein sollte.
Anmerkung
Z23260Schlagworte
Beweismittel neues, Anführung als Wiederaufnahmsgrund, Tatsachen, neue, Anführung als Wiederaufnahmsgrund, Wiederaufnahmsklage, Anführung der neuen Tatsache, Zeugenaussage als WiederaufnahmsgrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00152.5.0920.000Dokumentnummer
JJT_19500920_OGH0002_0030OB00152_5000000_000