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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Kaiser-Franz-Josef-Kai 70, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 9. Jänner 2002, Zl. LGS600/ALV/1218/2001-Mag.GR/Kö, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Graz, Service Versicherungsleistungen, vom 4. Dezember 2001, mit dem der Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für die Zeit vom 10. Oktober bis zum 4. Dezember 2001 ausgesprochen wurde, abgewiesen.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 10. Oktober 2001 die Möglichkeit gehabt, eine Beschäftigung bei einem Beschäftigungsprojekt aufzunehmen. Nach einer Stellungnahme des Projektleiters dieses Beschäftigungsprojektes vom 20. Dezember 2001 wäre der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf seine körperlichen Einschränkungen (amtsärztliches Gutachten vom 6. Juni 2001, das dem Projektverantwortlichen bekannt sei) für die Reinigung der Betriebsstätte und der Betriebsmittel, wie Werkzeuge, Maschinen und Fahrzeuge, eingesetzt worden. Der Beschwerdeführer habe sich laut Protokoll über die geplante Arbeitsaufnahme vom 10. Oktober 2001 geweigert, die zugewiesene Stelle anzunehmen, obwohl ihm mehrfach zugesichert worden sei, nur gesundheitlich zumutbare Arbeiten verrichten zu müssen. Nach der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift habe dieser die Stelle nicht angenommen, weil ihm die Tätigkeit gesundheitlich nicht zumutbar gewesen wäre und er sich außerdem von der sozialpädagogischen Betreuerin des Projektes bedroht gefühlt hätte.
Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Berufung des Beschwerdeführers und einer Darstellung der Rechtslage setzte die belangte Behörde wörtlich wie folgt fort:
"Die Ihnen zugewiesene Stelle im Rahmen des ... Beschäftigungsprojektes wäre geradezu ausgerichtet gewesen für Personen mit körperlichen Einschränkungen und solchen, die schon lange arbeitslos sind.
Laut Stellungsnahme des (Projektverantwortlichen) wären Sie nur zu Tätigkeiten, herangezogen worden, die Ihnen laut ärztlichem Gutachten auch zugemutet werden können. Dies wurde Ihnen auch ausführlich und mehrfach erklärt.
Laut amtsärztlichen Gutachten wäre lediglich schweres Heben (ab 25 kg) bzw. chemische Dämpfe und Gase dauernd zu vermeiden, leichtes bis mittelschweres Heben sowie abwechselnd stehen, sitzen, bücken, hocken wäre zumutbar.
Im Rahmen dieses Projektes wäre Ihnen ein Tätigkeitsbereich zugewiesen worden, der Ihren körperlichen Fähigkeiten entsprochen hätte.
Da Sie die Arbeitsaufnahme verweigert haben, ist Ihre Behauptung, Sie wären der Stelle gesundheitlich nicht gewachsen gewesen, unhaltbar, zumal Ihnen die Rücksichtnahme auf Ihre körperlichen Einschränkungen im Vorstellungsgespräch mehrmals zugesichert worden ist.
Da Sie eine zugewiesene, zumutbare Stelle nicht angenommen haben, war Ihre Notstandshilfe zu Recht für 8 Wochen einzustellen, da bereits im Juni 2001 ein Anspruchsverlust vorgelegen ist."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Verfahrensrüge in der Beschwerde erschöpft sich in der Wiedergabe von Bestimmungen des Verfahrensrechtes und in allgemeinen Behauptungen ohne Bezug auf das konkrete Verfahren, sodass darauf nicht eingegangen werden konnte. Der rechtlichen Beurteilung ist daher der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt zu Grunde zu legen (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
Zumutbar ist eine Beschäftigung gemäß § 9 Abs. 2 AlVG unter anderem, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist.
Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Auf Grund des § 38 AlVG sind die genannten Regelungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (so etwa das Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0219, und zahlreiche weitere Erkenntnisse).
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050).
In dem ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Erkenntnis vom 5. Juni 2002, Zl. 2002/08/0067, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es dann, wenn nach einem ärztlichen Gutachten der Arbeitslose auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen nur zu bestimmten Tätigkeiten herangezogen werden kann, Aufgabe der Behörde sei, die körperlichen Anforderungen einer zugewiesenen Beschäftigung mit den (verbliebenen) körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen zu vergleichen und danach zu beurteilen, ob dem Arbeitslosen die zugewiesene Beschäftigung gesundheitlich zugemutet werden könne. Eine allgemeine Zusicherung, dass im Rahmen der zugewiesenen Beschäftigung auf gesundheitliche Einschränkungen Bedacht genommen werde, genüge dieser Anforderung nicht.
Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich, ob die Beschäftigung, deren Annahme der Beschwerdeführer verweigert hat, zumutbar war. Die belangte Behörde bejahte diese Frage, weil der potenzielle Dienstgeber bei der in Aussicht genommenen Art der Tätigkeit auf die laut ärztlichem Gutachten vorliegenden körperlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers Rücksicht genommen hätte, was ihm im Vorstellungsgespräch zugesichert worden sei.
Der Beschwerdeführer vertritt in der Beschwerde die Ansicht, die Beschäftigung sei nicht zumutbar gewesen, weil beabsichtigt gewesen sei,
"den Beschwerdeführer für Arbeiten einzusetzen, zu denen er körperlich nicht geeignet ist. Jedenfalls jedoch wurde der Beschwerdeführer bewusst im Ungewissen gehalten, da offensichtlich zumindest der Eindruck erweckt wurde, der Beschwerdeführer würde für Abbruch- und Maurerarbeiten eingesetzt, zu denen er sich gesundheitlich nicht in der Lage sah, während die Möglichkeit der Durchführung von Reinigungstätigkeiten dem Beschwerdeführer tunlich verschwiegen wurde."
Tatsächlich ergibt sich aus dem über das Einstellungs- bzw. Vorstellungsgespräch mit dem Beschwerdeführer am 10. Oktober 2001 aufgenommenen Protokoll, dass dieser nicht darüber informiert wurde, dass er Reinigungsarbeiten durchzuführen gehabt hätte. Allerdings wurde dem Beschwerdeführer beim Vorstellungsgespräch nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen mehrmals zugesichert, dass auf seine körperlichen Einschränkungen Rücksicht genommen würde. Diese Feststellung findet Deckung im Inhalt des genannten Protokolls vom 10. Oktober 2001, nach dem der Beschwerdeführer darauf hingewiesen hat, dass er "laut amtsärztlichem Gutachten nur maximal 15 kg heben, nur sehr leichte Arbeiten verrichten" dürfe, worauf der Vertreter des potenziellen Dienstgebers erwiderte, dass er die Arbeit aufnehmen könne, "da ihm ja ohnedies schon bei vorhergegangenen Gesprächen versichert worden sei, daß das Projekt auf seinen Gesundheitszustand Rücksicht nehmen werde, sofern er ein entsprechendes amtsärztliches Attest vorlegen würde."
Der Beschwerdeführer hat somit auch beim Vorstellungsgespräch auf das amtsärztliche Gutachten hingewiesen und die - schon wiederholte - Zusicherung erhalten, seine Verwendung werde auf seine körperlichen Einschränkungen abgestellt. Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid wäre dem Beschwerdeführer ein Tätigkeitsbereich zugewiesen worden, der seine - konkret aufgezählten - körperlichen Einschränkungen berücksichtigt hätte.
Der Beschwerdeführer musste somit nach dem Einstellungsgespräch davon ausgehen, dass bei der ihm zugewiesenen Beschäftigung auf seine gesundheitlichen Einschränkungen Bedacht genommen werden wird. Entsprachen aber die körperlichen Anforderungen der zugewiesenen Beschäftigung seinen (verbliebenen) körperlichen Fähigkeiten, so konnte ihm die Beschäftigung gesundheitlich zugemutet werden. Die belangte Behörde ging daher zu Recht von einer Weigerung des Beschwerdeführers aus, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen; die Weigerung war auch kausal für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses.
Sofern der Beschwerdeführer sich zur Unterstützung seiner Auffassung, er hätte zu für ihn nicht durchführbaren Abbruch- und Maurerarbeiten eingesetzt werden sollen, auf ein mit einer Fachbetreuerin des AMS geführtes Gespräch beruft, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, weshalb darauf nicht einzugehen war.
Der Ausspruch über den Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe entsprach nach dem Gesagten der Rechtslage, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch ein "civil right" im Sinne der EMRK betrifft, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist:
Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbart erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 23. Februar 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002080119.X00Im RIS seit
24.03.2005