TE OGH 1950/11/2 1Ob473/50

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Veröffentlicht am 02.11.1950
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Norm

Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §407
Versicherungsvertragsgesetz §74

Kopf

SZ 23/308

Spruch

Mit dem Abschluß der Speditionsversicherung ist der Spediteur gemäß § 41 lit. a der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen von der Haftung frei.

Die Uneinbringlichkeit der Versicherung macht den Spediteur nicht haftbar.

Entscheidung vom 2. November 1950, 1 Ob 473/50.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei hatte verschiedene Fässer mit flüssiger Seife "Egalin" im Magazin der beklagten Partei am Westbahnhof im Jahre 1943 lagernd und sollten diese an verschiedene Kunden zur Ablieferung gebracht werden, zu welchem Zweck die beklagte Partei dem Reichsbahnmagazineur die Frachtbriefe ausgehändigt hat.

Auch am Nordwestbahnhof hatte die beklagte Partei ein Lager und befanden sich dort Feuerschutzmittel, die der Firma J. & F., bzw. dem Käufer Emil G. gehörten. Letzterer hatte an das Reichsbahnausbesserungswerk F. 20 Fässer Feuerschutzmittel zu liefern. Das Reichsbahnausbesserungswerk stellte den Ausfolgungsschein hinsichtlich dieser Feuerschutzmittel irrtümlich auf den Westbahnhof statt auf den Nordwestbahnhof aus und veranlaßte so, daß der Reichsbahnmagazineur am Westbahnhof die dort befindlichen Fässer der beklagten Partei mit flüssiger Seife an das Reichsbahnausbesserungswerk ausfolgte, welches die Dächer, im Glauben, es handle sich um ein Feuerschutzmittel, bestrichen hat.

Der gegenständliche Verkehrsvertrag wurde im Sinne des § 39 Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen (ADSp.) in der Fassung vom November 1939 gemäß dem Speditionsversicherungsschein (SVS.) von der beklagten Partei versichert, auch der Schadensfall ordnungsgemäß gemeldet und es wurden im Sinne des § 10 SVS. von beiden Teilen rechtzeitig alle Schritte zur Geltendmachung der Ansprüche eingeleitet.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren auf Ersatz der Seife abgewiesen. In rechtlicher Beziehung führte es aus, daß dadurch, daß die beklagte Partei im Sinne des § 39 ADSp. einen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe, die beklagte Partei für jeden durch die Versicherung gedeckten Schaden von der Haftung frei sei.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben, das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. In rechtlicher Beziehung führte das Berufungsgericht folgendes aus:

Der Verkehrsvertrag sei im Jahre 1943 erteilt und durchgeführt worden, als auf Grund der Anordnung des Reichsverkehrsministeriums vom 29. Dezember 1939, DRAnz. 1940, Nr. 4 und 9, die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen vom November 1939 für alle Speditionsverträge in Geltung gestanden sind. Die rechtlich zu lösende Frage gehe nun dahin, ob bei dem Umstand, daß die deutschen Versicherungsgesellschaften den österreichischen Gläubiger derzeit nicht befriedigen und das im § 41 lit. b ADSp. vorgesehene Schiedsgericht nach § 18 Z. 2 SVS. nicht angerufen werden kann, die Einwendung des abgeschlossenen Versicherungsvertrages dem Anspruch der klagenden Partei entgegengehalten werden könne.

Wenn es auch richtig sei, daß nach den Bestimmungen der allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen der Anspruch des Auftraggebers gegen die Versicherungsgesellschaft den Anspruch des Auftraggebers gegen den Spediteur zum Erlöschen bringt, so könne aus diesem Sachverhalt nicht geschlossen werden, daß, da die deutschen Versicherungsgesellschaften infolge der Nachkriegserscheinungen nicht zur Zahlung herangezogen werden können, dieser Umstand als Zufall zu werten sei, der sich im Vermögen der klagenden Partei ereignet habe. Da die Institution der Speditionsversicherung und des Speditionsversicherungsscheines in erster Linie eine Haftpflichtversicherung sei und dazu diene, dem Spediteur die Verantwortung für Haftungsfälle zu erleichtern, ohne den dem Auftraggeber zustehenden Ersatzanspruch in Frage zu stellen, ergebe sich, daß die Gefahr eines völligen Versagens der Versicherungseinrichtung nicht auf den Auftraggeber überwälzt werden dürfe, sondern vom Spediteur zu tragen sei.

Dies gehe im übrigen auch noch aus § 18 SVS. hervor. Die nach dieser Vertragsbestimmung zu fällende Entscheidung des für alle Streitigkeiten vorgesehenen Schiedsgerichtes sei für das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Spediteur präjudiziell.

Nehme nämlich das Schiedsgericht an, daß der behauptete Schaden zwar durch die Versicherung gedeckt, aber nicht eingetreten sei, dann könne der Auftraggeber keinen Anspruch mehr gegen den Spediteur geltend machen. Werde aber vom Schiedsgericht angenommen, daß die Schäden der behaupteten Art durch die Versicherung nicht gedeckt sind (§ 41 lit. b ADSp.), so stehe es dem Auftraggeber frei, seine Ansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen, ohne daß dem Spediteur in diesem Prozeß das Recht eingeräumt werde, einzuwenden, daß die Schäden durch die Versicherung zu decken gewesen wären. Ähnlich wie in einem solchen Falle eine Fehlentscheidung des Schiedsgerichtes nicht zu Lasten des Auftraggebers, sondern des Spediteurs gehe, so müsse auch das völlige Versagen der Versicherung infolge der durch die Nachkriegsverhältnisse geschaffenen Lage zu Lasten des Spediteurs gehen.

Der Anspruch der klagenden Partei könne daher unter der Voraussetzung, daß die Versicherungsleistungen derzeit nicht erwirkt werden können, nicht auf die bloße Einwendung der Speditionsversicherung hin abgewiesen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der beklagten Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die sogenannte Speditionsversicherung ist eine Versicherung eigener Art. Sie deckt die dem Spediteur obliegende Haftung, u. zw. auf Kosten des Kunden, der dafür den Vorteil genießt, daß ihm der Versicherer den Schaden, den er durch das Verschulden des Spediteurs erleidet, in voller gesetzlicher Höhe im Rahmen des § 6 SVS. zu ersetzen hat, obwohl er nach den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen vom Spediteur nur einen Teilbetrag verlangen könnte. Die Spediteursversicherung wird vom Spediteur für fremde Rechnung (§ 74 VersVG.) genommen, u. zw. für Rechnung, wen es angeht, sei dies der Auftraggeber oder derjenige, dem das versicherte Interesse zur Zeit des den Schaden verursachenden Ereignisses zugestanden ist (§ 1 SVS.). So war es in der deutschen Okkupationszeit und so ist es heute noch, da jetzt die den deutschen Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen und dem deutschen Speditionsversicherungsschein fast wörtlich gleichlautenden Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen und der österreichische Speditionsversicherungsschein gelten.

Der Speditionsversicherungsschein wird als laufende Polizze abgeschlossen; daraus folgt, daß das Erstgericht mit Recht die Vorlage des Versicherungsscheines nicht angeordnet hat, weil aus ihm die Versicherung des gegenständlichen Verkehrsgeschäftes gar nicht ersichtlich sein könnte. Es könnte nur die Aufgabe des einzelnen versicherten Interesses in Frage kommen, und daß diese Aufgabe erfolgt ist, hat das Erstgericht auf Grund der Aussage Dris. F. als Zeuge als erwiesen angenommen. Überdies kommt es für die Frage, ob eine ordnungsmäßige Aufgabe seitens des Spediteurs erfolgt ist, nach § 6 B 2 d SVS. gar nicht an, weil ein dem Spediteur etwa unterlaufenes Versehen in der Aufgabe dem Auftraggeber nicht zum Nachteil gereicht. Daß aber die Beklagte, einer der größten deutschen Spediteure, sich überhaupt nicht versichert habe, wurde gar nicht behauptet.

Für das Verhältnis der beiden Streitteile sind die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen vom November 1939 maßgebend, weil die Anordnung des Reichsverkehrsministers vom 29. Dezember 1939, DRAnz. 1940, Nr. 4, vom 5. Jänner 1940 auf Grund des § 27 der Verordnung über den organischen Aufbau des Verkehres vom 25. September 1935, DRGBl. I S. 1169, bestimmt hat (P. 1 a), daß die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen, Fassung November 1939, vom 1. März 1940 an - das gegenständliche Verkehrsgeschäft fällt in das Jahr 1943, also nach dem Stichtag - für alle Geschäfte verbindlich sind, die von den Mitgliedern der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei mit ihren Auftraggebern abgeschlossen werden.

Wird aber davon ausgegangen, daß für das Rechtsverhältnis der Vertragsparteien die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen maßgebend waren, so ist anzunehmen, daß nach § 39 lit. a ADSp. der Spediteur (Beklagter), sofern es der Auftraggeber nicht ausdrücklich schriftlich untersagt hat, was gar nicht behauptet wurde, verpflichtet war, die Schäden, die dem Auftraggeber durch den Spediteur bei der Ausführung des Auftrages erwachsen könnten, nach dem Speditionsversicherungsschein auf Kosten des Auftraggebers zu versichern. Nach § 40 ADSp. hat der Auftraggeber sich und alle Personen, in deren Interesse oder Auftrag er gehandelt hat, durch Abschluß des Speditionsvertrages allen Bedingungen des Speditionsversicherungsscheines unterworfen und insbesondere die Verpflichtung übernommen, für rechtzeitige Schadensanmeldung zu sorgen. Wenn nun der Spediteur infolge ausdrücklichen oder vermuteten Auftrages die Spediteursversicherung "gedeckt" hat, so ist er gegenüber dem Kunden von der Haftung für alle durch die Versicherung gedeckten Schäden frei (§ 41 lit. a).

Es ist rechtsirrig und mit der Terminologie in der Versicherungswirtschaft im Widerspruch, wenn das Berufungsgericht aus dem Gebrauch des Wortes "gedeckt" schließen will, daß die Versicherung tatsächlich zur Auszahlung gelangen müsse. Einen "Schaden decken" heißt, einen Schaden versichern, ein Risiko übernehmen. Das ist jeder im Wirtschaftsleben stehenden Person bekannt und überhaupt ernstlich nicht bestreitbar (vgl. den Ausdruck "Deckungszusage", "vorläufige Deckung", "Deckungsbrief" usw.).

Das Berufungsgericht will freilich nicht gelten lassen, daß mit dem Abschluß der Versicherung die Haftung des Spediteurs erloschen sei, denn die Institution der Spediteurversicherung diene in erster Linie dazu, dem Spediteur die Verantwortung zu erleichtern, ohne den dem Auftraggeber zukommenden materiellen Ersatz in Frage zu stellen; daher könne das völlige Versagen der Versicherungseinrichtung nicht auf den Auftraggeber überwälzt werden, sondern müsse vom Spediteur getragen werden. Es ist zunächst rechtsirrig, daß die Institution der Spediteurversicherung in erster Linie dem Spediteur die Verantwortung erleichtern soll, denn die Spediteurversicherung deckt nicht nur den Schaden, den der Spediteur nach dem Vertrag zu ersetzen hat, sondern darüber hinaus den Schaden, den der Spediteur nach dem Gesetz tragen müßte, wenn er die gesetzliche Haftung nicht vertragsmäßig vermindert oder ausgeschlossen hätte. Die Spediteurversicherung liegt daher im beiderseitigen Interesse, weil sie einerseits den Spediteur von jeder Haftung befreit und anderseits den Kunden darüber hinaus Deckung bis zur Höhe der im Handelsgesetzbuch vorgesehenen, in den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen aber verminderten Haftung gewährt.

Es kann daher auch nicht gesagt werden, daß die in den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen getroffene Regelung den guten Sitten widerspreche. Es ist wohl richtig, daß eine Ablehnung einer gesetzlichen Haftung durch eine Fachorganisation mit Treu und Glauben unvereinbar sein kann, weil dadurch das Vertragsrisiko einseitig auf die Schultern der anderen Vertragsgruppe, die mit einem Kartellverband organisierten Mitgliedern dieser Vertragsgruppe in Geschäftsverbindung tritt, verschoben wird. Bei den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen liegen die Verhältnisse aber anders; denn durch die mit der Haftungsbeschränkung verbundene Versicherung zugunsten der Auftraggeber wird das Vertragsrisiko nicht auf die Kunden des Spediteurs verlagert, diesem vielmehr durch die Versicherung die Möglichkeit geboten, Schadenersatz in vollem Umfange zu erhalten. Durch diese Regelung ist dem Interesse beider Vertragsteile in vollem Umfange Rechnung getragen, also ein Ausgleich der entgegengesetzten Interessen herbeigeführt, so daß man nicht sagen kann, daß die getroffene Regelung den guten Sitten widerspreche. Davon, daß die Speditionsversicherung nur im einseitigen Interesse der Spediteure gelegen sei, kann demnach keine Rede sein.

Übrigens ist die Frage, wer den größeren Vorteil von der Speditionsversicherung hat, der Spediteur oder sein Auftraggeber, müßig, weil im Speditionsrecht der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt und daher die Parteien an die Vereinbarung gebunden sind, daß der Spediteur nicht hafte, wenn eine Spediteurversicherung abgeschlossen worden ist. So wenig die Insolvenz des Versicherers oder eine Moratoriumsgesetzgebung (vgl. Schillinggesetzgebung) die Haftung des Spediteurs, die vertragsmäßig ausgeschlossen wurde, zum Wiederaufleben bringt, kann der Umstand, daß aus anderen Gründen die Versicherung angeblich nicht einbringlich gemacht werden kann, den Spediteur nicht haftbar machen. Der Ausschluß der Haftung ist im Speditionsgewerbe kalkuliert. Die Auffassung des Berufungsgerichtes würde alle Spediteure, die eine größere Zahl von Schadensfällen, die sie durch eine nicht honorierte Spediteursversicherung gedeckt haben, regulieren müßten, der Gefahr der Insolvenz aussetzen, was bei den Auftraggebern nicht der Fall ist, weil in ihrem Betrieb Verluste aus dem Ausfallen einer Spediteurversicherung immer nur Einzelfälle bleiben. Es wäre daher auch volkswirtschaftlich verfehlt, wenn man mit dem Berufungsgericht entgegen der vertragsmäßig getroffenen Risikoverteilung den Verlust auf die Spediteure überwälzen wollte.

Der Umstand, daß angeblich infolge des Zusammenbruches des Großdeutschen Reiches die Versicherung wertlos geworden ist, kann deshalb die Haftung des Spediteurs nicht wieder aufleben lassen, zumal da beim Abschluß des gegenständlichen Verkehrsvertrages niemand mit der eingetretenen Entwicklung rechnen konnte.

Übrigens ist es auch nicht richtig, daß die im Pool zusammengefaßten Versicherungsgesellschaften vom Kläger nicht haftbar gemacht werden können, da der Pool-Führer, aber auch andere der beteiligten Versicherungsgesellschaften nach wie vor in Österreich Vermögen besitzen und daher hier belangt werden können, zumal da in Österreich nicht einmal ein Haftungsausschluß des inländischen Vermögens für Versicherungen vorgesehen ist, die nicht von inländischen Zweigniederlassungen abgeschlossen wurden.

Das Berufungsgericht hat daher zu Unrecht das erstrichterliche Urteil aufgehoben, da die Sache spruchreif ist. Es war demnach dem Rekurse Folge zu geben und wie oben zu erkennen.

Anmerkung

Z23308

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00473.5.1102.000

Dokumentnummer

JJT_19501102_OGH0002_0010OB00473_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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