TE OGH 1950/11/10 4Ob82/50

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Veröffentlicht am 10.11.1950
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Norm

ABGB §863

Kopf

SZ 23/324

Spruch

Zur Frage des stillschweigenden Verzichtes auf Überstundenentlohnung durch nicht sofortige Geltendmachung.

Zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Z. 2 Arbeitszeitordnung (Vor- und Schlußarbeiten).

Entscheidung vom 10. November 1950, 4 Ob 82/50.

I. Instanz: Arbeitsgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Juni 1948 bis zum 30. September 1949 beim Beklagten beschäftigt; er hatte Botengänge zu verrichten, die Kunden zu beliefern, die Post abzufertigen und das Aufsperren und Schließen des Geschäftes zu besorgen; außerdem war er Leiter des Magazins und in dieser Eigenschaft mit der Ausgabe des Materials befaßt. Seine monatlichen Bezüge betrugen bis zum 31. August 1948 brutto 650 S und seither brutto 698 S. Nach der Beendigung des Dienstverhältnisses machte er gegen den Beklagten Ansprüche für geleistete Überstunden in der Höhe von 3185.30 S geltend.

Das Arbeitsgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht sprach dem Kläger einen Betrag von 1380 S zu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten teilweise Folge und setzte die ihm obliegende Zahlung auf 858.89 S samt 4% Zinsen herab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Arbeitsgerichtes hat der Kläger während seiner Dienstleistung beim Beklagten in der Woche außerhalb der normalen Arbeitszeit von 48 Stunden einerseits an den ersten fünf Tagen das Auf- und Zusperren des Geschäftes besorgt und anderseits auch den Samstag im Geschäft verbracht; durch das Auf- und Zusperren wurde die Arbeitszeit täglich um eine halbe Stunde verlängert, die Tätigkeit des Klägers am Samstag dauerte 4 1/4 Stunden. Das Berufungsgericht hat auf diese Weise 319 Stunden errechnet, auf deren Entlohnung der Kläger Anspruch habe.

Wenn auch der Beklagte in seiner Revision weder die festgestellte Zahl der Stunden noch die hiefür dem Kläger zugesprochene Entschädigung bekämpft hat, so hat er doch gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß ihm überhaupt ein Anspruch auf eine Entlohnung zustehe, im allgemeinen Stellung genommen, weshalb das Revisionsgericht, das bei der Erledigung der Rechtsrüge nicht an die Ausführungen der Parteien gebunden ist, selbständig zu prüfen hat, ob und inwieweit dem Kläger ein Anspruch auf Entlohnung für die außerhalb der normalen Arbeitszeit verrichteten Dienste zusteht. Diese Prüfung führt jedoch dazu, daß die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, dem Kläger gebühre eine Entschädigung für die an den ersten fünf Wochentagen auf das Auf- und Zusperren verwendete Zeit, nicht geteilt werden kann. Nach § 5 Abs. 1 Z. 2 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938, DBGBl. I S. 447, die auch jetzt noch in Österreich in Kraft ist, kann die für den Betrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit (nach § 3 werktägig höchstens acht Stunden) täglich um zwei Stunden bei Arbeiten ausgedehnt werden, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des Betriebes arbeitstechnisch abhängt. Für diese Arbeiten, zu denen auch das Aufsperren und Schließen der Geschäftsräumlichkeiten gehört, sieht § 15 eine Vergütung über den Lohn für die regelmäßige Arbeitszeit hinaus nicht vor und war daher die Zuerkennung einer Entschädigung hiefür durch das Berufungsgericht rechtsirrig.

Hingegen unterliegen die an jedem Samstag vom Kläger geleisteten Arbeiten nicht der Bestimmung des § 5, und zwar auch nicht in Ansehung der auf das Zusperren verwendeten Viertelstunde, da an diesem Tage nur die Angestellten, nicht aber die Arbeiter im Betrieb tätig sind und daher nicht voller Betrieb herrscht. Der Kläger ist daher für seine Dienstleistungen an den Samstagen grundsätzlich zu entschädigen, es sei denn, daß die Vergütung hiefür in dem vereinbarten Monatsbezug inbegriffen gewesen ist oder daß der Kläger auf eine Entschädigung ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet hat.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen besteht im Betriebe des Beklagten die Übung, daß die Angestellten oder Arbeiter die geleisteten Überstunden vor der Auszahlung ihrer Bezüge der Buchhalterin zu melden haben; die angemeldeten Überstunden sind stets honoriert worden. Der Kläger hat über die von ihm geleisteten Überstunden nur für sich Aufzeichnungen gemacht, Überstunden jedoch, solange er beim Beklagten beschäftigt war, niemals angemeldet. Er hat zwar mit anderen Angestellten darüber gesprochen, daß auch er Überstunden leiste und über sie Buch führe, er hat jedoch der Aufforderung des Betriebsratsmitgliedes P., eine Bezahlung seiner Überstunden schon deshalb zu begehren, um seine Arbeitskameraden, die für ihre Überstunden eine Entlohnung beanspruchten, nicht in ein schiefes Licht zu bringen, nicht entsprochen. Er hatte zunächst überhaupt nicht die Absicht, eine Entschädigung für die von ihm geleisteten Überstunden zu begehren, da er in diesem Fall eine Auflösung seines Dienstverhältnisses befürchtete. Dem Beklagten war bekannt, daß der Kläger auch am Samstag beschäftigt war, der Kläger wurde aber weder von ihm noch von der Buchhalterin gefragt, ob er Ansprüche wegen einer Entlohnung von Überstunden stelle.

Das Arbeitsgericht hat die Ansicht vertreten, daß der Kläger verpflichtet gewesen wäre, die von ihm geleisteten Überstunden dem Beklagten zu melden, und daß daher in der Unterlassung einer solchen Meldung ein Verzicht auf die Geltendmachung einer Entlohnung zu erblicken sei. Das Berufungsgericht hat die Annahme eines Verzichtes abgelehnt.

Es ist vom Beklagten nicht behauptet worden, daß in dem mit dem Kläger vereinbarten Entgelt auch ein Pauschale für notwendige Überstunden inbegriffen sei. Da dem Beklagten die Beschäftigung des Klägers an Samstagen bekannt war, wäre es seine Pflicht gewesen, an ihn heranzutreten und ihn wegen seiner Ansprüche zu befragen; er hat jedoch die Mehrdienstleistungen ebenso stillschweigend hingenommen, wie sie der Kläger verrichtet hat. Da der Zeuge P. nicht der Vertreter des Beklagten im Betriebe war, kommt dem zwischen dem Kläger und dem Zeugen geführten Gespräch eine Rechtswirkung in dem Verhältnis der Parteien untereinander nicht zu. Es ist vom Beklagten nicht einmal behauptet worden, daß er noch während der Beschäftigung des Klägers bei ihm den Inhalt dieses Gespräches erfahren habe; selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, könnte der Beklagte daraus, daß der Kläger die Aufforderung des Zeugen, seine Ansprüche jeweils geltendzumachen, nicht befolgt hat, nicht auf einen Verzicht des Klägers, eine Entschädigung für seine Überstunden zu begehren, mit Recht geschlossen haben, zumal ihm dann auch bekannt sein mußte, daß der Kläger ein Verzeichnis über seine Überstunden geführt und dadurch zweifellos zu erkennen gegeben hat, daß er sich die Geltendmachung seiner Ansprüche zumindest vorbehalte. Der in der Revision erhobene Einwand, daß dem Dienstgeber, wenn alle Dienstnehmer in gleicher Weise wie der Kläger verführen, jede Kalkulationsmöglichkeit fehlte, ist vor allem dadurch widerlegt, daß dem Beklagten nach der Feststellung des Berufungsgerichtes die Leistung von Überstunden durch den Kläger bekannt war und daher bei seinen Kalkulationen berücksichtigt werden konnte. Er konnte daher höchstens nur Zweifel haben, ob der Kläger etwa auf sein gesetzliches Recht (§ 15 der Arbeitszeitordnung), für seine Mehrdienstleistung eine Entschädigung zu verlangen, verzichte, und war in diesem Fall genötigt, sich durch eine Aussprache mit ihm Klarheit zu verschaffen. Die Annahme eines solchen Verzichtes durch den Beklagten ohne Aussprache mit dem Kläger war somit nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht hat dem Kläger 1380 S zugesprochen. Die Errechnung dieses Betrages ist vom Beklagten nicht angefochten worden, weshalb er auch der Entscheidung des Revisionsgerichtes zugrundezulegen ist. Da aber das Berufungsgericht mit diesem Betrage den Kläger nicht nur für seine Tätigkeit an den Samstagen entschädigt hat, nach der Ansicht des Revisionsgerichtes jedoch eine Entschädigung für die auf das Auf- und Zusperren verwendete Zeit zu entfallen hat, war von dem Betrage dem Kläger nur die Quote zuzuerkennen, die seiner Dienstleistung am Samstag entspricht. In diesem Umfange war der Revision Folge zu geben.

Anmerkung

Z23324

Schlagworte

Arbeitnehmer Überstunden, Arbeitszeitordnung, Vor- und Schlußarbeiten, Dienstnehmer Überstunden, Stillschweigen als Verzicht auf Überstundenentlohnung, Überstunden, stillschweigender Verzicht auf Entlohnung, Überstunden Vor- und Schlußarbeiten, Verzicht stillschweigender, auf Überstundenentlohnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0040OB00082.5.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19501110_OGH0002_0040OB00082_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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