Norm
ZPO ArtXXIX EinfGKopf
SZ 23/328
Spruch
Staatenlose sind nur dann von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung der Prozeßkosten befreit, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben.
Entscheidung vom 15. November 1950, 1 Ob 607/50.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht hat den Antrag auf Erlag einer aktorischen Kaution abgewiesen, dies in der Erwägung, daß der Verstorbene, dessen Verlassenschaft im vorliegenden Rechtsstreite als Klägerin auftritt, reichsdeutscher Jude war, der in der nationalsozialistischen Zeit in der Schweiz gelebt hat und dort 1942 gestorben ist. Zufolge der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz sei der verstorbene Louis J. staatenlos geworden. Da nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für Prozeßkosten nur den Ausländer treffe (§ 57 ZPO.), ein Staatenloser aber nicht Ausländer im Sinne des Art. XXIX EGzZPO. sei, habe die Verlassenschaft der Klägerin keine Sicherheitsleistung zu erbringen. Schließlich meinte das Erstgericht, daß die Tendenz der Gesetzgebung in den meisten Ländern auf Begünstigung der Staatenlosen gehe, was sich - für den österreichischen Rechtsbereich - aus der Berücksichtigung der Staatenlosen bei der Erteilung des Armenrechtes ergebe (§ 63 Abs. 3 ZPO.). Es seien daher die hier in Betracht kommenden Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostensicherheit im gleichen Sinne auszulegen.
Dem Rekurs der beklagten Partei gab das Rekursgericht teilweise Folge und legte der klagenden Partei eine Prozeßkostensicherheit auf. Das Rekursgericht vertritt die Rechtsansicht, daß der Verstorbene nicht Staatenloser, sondern Reichsdeutscher war; aber selbst wenn Louis J. staatenlos gewesen wäre, müsse seine Verlassenschaft in Österreich eine Prozeßkostensicherheit leisten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist nicht begrundet.
Er hält ausdrücklich daran fest, daß Louis J. infolge der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz seine deutsche Staatsbürgerschaft verloren habe und von diesem Zeitpunkt ab als Staatenloser zu bezeichnen sei. Hiezu behauptete die klagende Partei aber, daß jeder Staatenlose vom Erlag der Prozeßkostensicherheit befreit sei. Diese Rechtsansicht ist unrichtig. Schon die Entscheidung SZ. XV/108 hat ausgesprochen, daß der im Auslande lebende Staatenlose Sicherheit zu leisten hat. Auch die neuere Lehre (Wolff, Zivilprozeßrecht. 2. Aufl., S. 22) läßt den Staatenlosen Sicherheit leisten, welche Rechtsansicht schon früher grundsätzlich Sperl (siehe die Entscheidung SZ. XV/108) vertreten hat, dies jedoch mit einer Einschränkung zugunsten der im Inlande lebenden Staatenlosen, die keine aktorische Kaution zu leisten haben. An diese Einschränkung hat sich auch die Rechtsprechung bis heute gehalten, weil sie den Staatenlosen, der im Inlande seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat, nicht als Ausländer im Sinne des § 57 ZPO. - trotz Art. XXIX EGzZPO. - ansieht. Maßgebend war hiefür offenkundig die neue Vorschrift des § 63 Abs. 3 ZPO. Es erfolgte somit die einzige Durchbrechung des Grundsatzes, daß nach § 57 ZPO. nicht der Wohnort, sondern die Staatsangehörigkeit entscheidend ist (GlUNF. 4371), durch die Novellierung des § 63 ZPO. Deshalb hat auch das Rekursgericht mit Recht darauf verwiesen, daß im Gegensatze zu der ausdrücklichen Erwähnung der Staatenlosen in den Bestimmungen über das Armenrecht ein ebensolcher Hinweis bei den Bestimmungen über die Prozeßkostensicherheit nur absichtlich unterblieben sein kann. Das Rekursgericht hat aber gleichfalls richtig auf die Bemerkung bei Fetter (5. Aufl. der ZPO.) verwiesen, wonach § 57 Abs. 1 ZPO. auch gegenüber reichsdeutschen Staatsbürgern gelte. Es macht daher rechtlich keinen Unterschied, ob Louis J. ein Staatenloser, der im Ausland lebte, oder ein Reichsdeutscher war.
Die nur nebenbei im Revisionsrekurse vorkommende Bemerkung, daß Louis J. bis 1938 österreichischer Staatsbürger war, ist eine unzulässige Neuerung, zu der die klagende Partei selbst erklärt, keinen Nachweis dafür erbringen zu können.
Wenn die klagende Partei schließlich noch erwähnt, die Befreiung von der Kautionspflicht setze materielle Gegenseitigkeit voraus, so ist dies richtig; es ist jedoch verfehlt, im vorliegenden Falle diese materielle Gegenseitigkeit darin zu erblicken, "daß entsprechend der Begünstigung von Staatenlosen bei Gewährung des Armenrechtes eine ähnliche Begünstigung auch bei Sicherheitsleistungen für Prozeßkosten Anwendung zu finden habe". Was hingegen tatsächlich unter "materieller Gegenseitigkeit" in der Frage der Prozeßkostensicherheit zu verstehen ist, ergibt sich aus der Entscheidung SZ. XXII/18. Schließlich wäre es nur dann angebracht, das Armenrecht überhaupt zu erwähnen, wenn der klagenden Partei das Armenrecht bewilligt worden wäre.
Der Revisionsrekurs ist daher unbegrundet.
Anmerkung
Z23328Schlagworte
Aktorische Kaution, Staatenlose, Kaution, aktorische, Staatenlose, Prozeßkostensicherheit, Staatenlose, Sicherheit für Prozeßkosten, Staatenlose, Staatenlose ProzeßkostensicherheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00607.5.1115.000Dokumentnummer
JJT_19501115_OGH0002_0010OB00607_5000000_000