Norm
ABGB §142Kopf
SZ 23/350
Spruch
Jeder Elternteil hat das Recht, mit seinem Kinde persönlich zu verkehren. Das Gericht kann die zeitweilige Untersagung anordnen, den persönlichen Verkehr aber nur bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 177, 178 ABGB. vollständig untersagen.
Entscheidung vom 29. November 1950, 1 Ob 671/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Bruck a. d. M.; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Der Verbleib der sechs Jahre alten Elke R. wurde nach § 142 ABGB. dahin geregelt, daß das Kind bei seiner väterlichen Großmutter in D., an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen jedoch bei seinem ehelichen Vater Karl R., einem kaufmännischen Angestellten, in B. lebt. Der Vater hat vor Jahresfrist wieder geheiratet und beabsichtigt, das Kind, nachdem seine Frau ihren Posten als Angestellte in der nächsten Zeit aufgegeben haben wird, zu sich zu nehmen. Die Kindesmutter ist kaufmännische Angestellte in S.
Das Besuchsrecht der Kindesmutter ist nach einem längeren Verfahren dahin geregelt worden, daß die Kindesmutter "am ersten Sonntag eines jeden zweiten Monats das Kind in B. besuchen und jährlich einmal während des ihr zustehenden Gebührenurlaubes auf die Dauer von zwei Wochen innerhalb der Schulferien zu sich nehmen darf".
Der Kindesvater hat mit der Behauptung, daß die Besuche der Kindesmutter dem Kinde seelisch abträglich seien, den Antrag gestellt, der Kindesmutter das Besuchsrecht abzuerkennen. Zur näheren Begründung führte der Kindesvater aus, daß das Kind regelmäßig nach dem Fortfahren der Mutter weine und schlecht schlafe.
Das Erstgericht hat diesen Antrag abgewiesen, das Rekursgericht hat "das Besuchsrecht bis auf weiteres zur Gänze aberkannt".
Das Rekursgericht ging davon aus, daß bei pflegschaftsbehördlichen Maßnahmen, die auf Grund widerstreitender Interessen der Eltern angeordnet werden müssen, immer das Wohl des Kindes den entscheidenden Ausschlag zu geben hat. Im vorliegenden Falle sei das Kind jedesmal durch den Besuch der Mutter schweren seelischen Depressionen ausgesetzt, weil ihm der Abschied schwer fällt, und es tagelang innerlich völlig zerrüttet erscheint. Darin sieht das Rekursgericht "eine Gefahr, durch die das Kind gerade in einem für die Entwicklung höchst gefährdeten Alter Schaden erleiden könnte. Diesem Umstand könne aber derzeit nur damit abgeholfen werden, daß das Kind zumindest für einige Zeit, bis es älter und seelisch reifer geworden sei, von einem Elternteil ganz abgesondert werde, um jeden inneren Zwiespalt zu vermeiden".
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Mutter des Kindes Folge und stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs der Kindesmutter ist begrundet.
Die vom Rekursgericht geäußerte Ansicht ist bedenklich. Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, daß das Wohl des Kindes allein entscheidend ist, ob das Kind beim Vater oder bei der Mutter verbleiben soll. Dazu kommt aber, daß der persönliche Verkehr jedes Elternteiles mit seinem Kinde ein Recht des Elternteiles ist, das in seiner Auswirkung - gleichfalls nach Lehre und Rechtsprechung - dahin verstanden werden muß, daß zwar vom Gerichte eine zeitweilige Untersagung des Verkehres verfügt werden kann, eine gänzliche Untersagung des Verkehres dem Gerichte aber nur dann gestattet ist, wenn die Voraussetzungen der §§ 177 und 178 ABGB. vorliegen. Im vorliegenden Falle sind jedoch keine der Voraussetzungen der genannten Gesetzesstelle gegeben; sie wurden auch nicht behauptet. Es muß daher grundsätzlich auch in diesem Falle bei den von Bartsch in Klangs Kommentar, 1. Aufl., S. 860, angegebenen Richtlinien verbleiben. Allerdings bemerkt Ehrenzweig, II/2, 1924, S. 211, daß "ausnahmsweise die Befugnis, mit dem Kinde persönlich zu verkehren, wohl auch ganz ausgeschlossen werden könne". Die hiezu angeführte Entscheidung GlUNF. 1785 führt aber einen auf den vorliegenden Fall nicht passenden Sachverhalt an, weil es sich in dieser Entscheidung tatsächlich um einen Fall des § 178 ABGB. gehandelt hat und dieser Fall in einem außerordentlichen Revisionsrekurs nach § 16 AußstrG. erörtert wurde, wozu der Oberste Gerichtshof erklärte, daß die an sich begrundete Ausschließung keine offenbare Gesetzesverletzung darstelle. Es zeigt sich somit, daß auch Ehrenzweig an der bei Klang vorgezeichneten Linie festhält. Zutreffend ist der Hinweis Ehrenzweigs an der angegebenen Stelle unter Anmerkung 23, daß die deutsche Praxis ("Reichsgerichtsrätekommentar zu § 1636 BGB.") anderer Meinung sei. Hier ist ein dem vorliegenden ähnlicher Fall mit Entscheidung des Reichsgerichtes vom 23. Dezember 1901, IV 286/01, dahin beurteilt worden, daß das Kind auch dann, wenn es vor dem nicht fürsorgeberechtigten Elternteil "Angst" empfindet, zufolge der Pflicht des anderen Ehegatten, durch dessen vernünftige Vorstellungen angeleitet werden müsse, damit es die Angst verliere; im übrigen aber müssen die Einflüsse beseitigt werden, die die Angst hervorrufen. Wenn auch an Stelle des § 1636 BGB. der § 82 EheG. getreten ist, so folgt in Österreich der in dieser Gesetzesstelle erwähnte persönliche Verkehr der Eltern mit den Kindern aus den aufrecht gebliebenen Richtlinien des § 142 ABGB. Das Recht zum Verkehr soll dem nichtsorgeberechtigten Elternteil wenigstens die Möglichkeit geben, sein Kind zu sehen, um den Zusammenhang mit ihm aufrechterhalten zu können. Die völlige Unterbindung des Verkehres zwischen verkehrsberechtigtem Elternteil und Kind muß bei der Stärke der Bande zwischen beiden eine seltene Ausnahme bleiben. Der Vormundschaftsrichter soll nur dann zu diesem letzten Mittel greifen, wenn auch eine starke Beschränkung des Verkehrsrechtes dem Wohle des Kindes nicht mehr gerecht wird (Volkmar - Antoni, S. 305, 307).
Gleichviel aber, ob der Entzug des Verkehrsrechtes nur unter der Voraussetzung der §§ 177 und 178 ABGB. erfolgen kann oder unabhängig von diesen Gesetzesstellen auch aus anderen Gründen (z. B. im Falle äußerster Gefahr), ist der Oberste Gerichtshof der Ansicht, daß der vorliegende Fall ungeeignet ist, der Kindesmutter das Verkehrsrecht mit ihrem sechsjährigen Kinde bis auf weiteres zur Gänze zu entziehen. Anknüpfend an die vom Rekursgerichte in den Vordergrund gestellte Erwägung über das Wohl des Kindes muß es fraglich erscheinen, ob diese Entscheidung dem Wohl des Kindes wirklich dienlich ist; vielmehr ist dem Rekurse der Kindesmutter beizupflichten, daß trotz des Umstandes, daß der Besuch der Mutter vor deren Abreise beim Kinde eine gewisse Depression hervorruft, die Tatsache bestehen bleibt, daß das Kind sich auf den nächsten Besuch der Mutter freut. Es ist daher die Besorgnis nicht von der Hand zu weisen, daß bei dem heranwachsenden Kinde das Gefühl hervorgerufen werden kann, die Mutter kümmere sich nicht mehr um das Kind. Unter diesem Gesichtspunkte schafft die Maßnahme des Rekursgerichtes, daß die Mutter das Kind nunmehr überhaupt nicht mehr besuchen darf, keine Abhilfe, sondern eine noch größere Gefährdung des Kindes, indem die Tatsache der Trennung von der Mutter den Zwiespalt beim Kinde erheblich verschärft. Es haben daher Lehre und Rechtsprechung mit Recht den völligen Entzug des Besuchsrechtes grundsätzlich auf die Voraussetzungen nach den §§ 177, 178 ABGB. beschränkt, um nicht, wie der Revisionsrekurs ausführt, bei einer derart schwerwiegenden Maßnahme psychologisch falsche Entscheidungen zu fällen.
Aus diesen Gründen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluß wieder herzustellen.
Anmerkung
Z23350Schlagworte
Besuchsrecht der Eltern, Untersagung, Eltern Besuchsverbot, Mutter Besuchsverbot, Vater BesuchsverbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00671.5.1129.000Dokumentnummer
JJT_19501129_OGH0002_0010OB00671_5000000_000