TE OGH 1950/12/6 1Ob669/50

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.1950
beobachten
merken

Norm

ABGB §863
ABGB §1052
Versicherungsvertragsgesetz §40
Versicherungsvertragsgesetz §81

Kopf

SZ 23/362

Spruch

Recht des Versicherungsnehmers, den Versicherungsvertrag zu kundigen, wenn der Versicherer ihm mit Rundschreiben mitteilt, daß er nicht mehr in der Lage sei, eine entsprechende Deckung zu gewähren.

Keine Bindung des Versicherungsnehmers an die im Rundschreiben enthaltene Mitteilung des bisherigen Versicherers, daß er mit der Vertragsauflösung nur einverstanden sei, wenn der Versicherungsnehmer bei einer bestimmten anderen Gesellschaft eine Ersatzversicherung abschließt.

Unterwirft sich der Versicherungsnehmer diesem Begehren, so kann er, solange er die Ersatzversicherung nicht abgeschlossen hat, nicht wieder kundigen und bleibt trotz Kündigung der erste Versicherer weiter in Haftung.

Entscheidung vom 6. Dezember 1950, 1 Ob 669/50.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Kläger war laut Versicherungsschein W 80.799 beim G-Konzern gegen Brand, Blitzschlag und Leuchtgasexplosion auf 57.400 RM für die Zeit vom 1. April 1943 bis 1. April 1953 versichert. Ende 1946 oder anfangs 1947 teilte der öffentliche Verwalter der Beklagten dem Kläger mit Formular mit, daß mit Rücksicht darauf, daß der inländische Versicherungsbestand für die Zweigstelle keine ausreichende Grundlage für die Fortführung des Betriebes bilde, die Voraussetzungen für die vollwertige Deckung der Ansprüche des Klägers fehlten. Seine Versicherungsdeckung erscheine in Frage gestellt. Der öffentliche Verwalter halte es daher für seine Pflicht, den Kläger darauf aufmerksam zu machen, daß sich die Verhältnisse seit Vertragsabschluß grundlegend geändert haben und daß es ihm daher nicht verwehrt werden könne, den bestehenden Versicherungsvertrag zu kundigen. Wenn der Kläger Wert darauf lege, weiterhin wirksam Versicherungsschutz zu genießen, so stehe es ihm frei, bei einer anderen Versicherungsgesellschaft, die im Inland zum Versicherungsbetrieb zugelassen sei, einen neuen Vertrag zu schließen.

Kläger teilte daraufhin im März 1947 der Beklagten mit, daß er den Vertrag kundige. Die Beklagte wies aber mit Schreiben vom 11. März 1947 die Kündigung mit der Begründung zurück, daß dem Kläger nur im Falle eines Neuabschlusses der Feuerversicherung W 80.799 bei der "W" das Recht zur Kündigung zustehe, weil die Versicherung nur auf diese Versicherungsgesellschaft übergehen dürfe. Ansonsten bliebe der Vertrag weiterhin beim G-Konzern aufrecht.

Kläger beantragte nun im Wege der Filiale Innsbruck der "W" den Abschluß einer Ersatzfeuerversicherung; dieser Antrag langte am 2. Juni 1947 bei der Zentrale der "W" in Wien ein. Aus dem Brief ergibt sich, daß der Feuerversicherungsantrag bereits im März 1947 gestellt wurde; ob vor oder nach Einlangen des Schreibens der Beklagten vom 11. März 1947 ist nicht ersichtlich. Wie sich aus dein von der Beklagten vorgelegten Schreiben an den Kläger vom 29. Oktober 1947 ergibt, hat die "W" die Bindungsfrist vorübergehen lassen, ohne den Antrag anzunehmen, weshalb Kläger am 25. Oktober 1947 wegen Überschreitung der gesetzlichen Bindungsfrist widerrief, weil er es nicht verantworten könne, so lange unversichert zu bleiben.

Die Beklagte behauptet, daß dem Antrag an die "W" ein Formular der "W" de dato 23. April 1947 (ausgebessert vom 5. März 1947) beigelegen sei, in dem Kläger unter Berufung auf das oben erwähnte Rundschreiben mitteilt, daß er unter Berufung auf § 1052 ABGB. den Versicherungsvertrag, Pol. Nr. 80.799, als erloschen betrachte und um Kenntnisnahme ersuche. Kläger verweist darauf, daß er laut Aufgabeschein dieses Kündigungsschreiben bereits am 5. März - auf welches Datum die ursprüngliche Datierung lautet - an die Beklagte abgesendet und diese am 11. März 1947 diese Kündigung zurückgewiesen habe, womit freilich nicht übereinstimmt, daß die Beklagte hiebei von einer undatierten Kündigung spricht. Dieser Widerspruch wäre nur dann nicht gegeben, wenn man annehmen wollte, daß Kläger das Formular der "W" in zwei Ausfertigungen unterschrieben und die eine "undatiert" ohne nähere Aufklärung an die Beklagte geschickt, die zweite dem Agenten der "W" übergeben hat, der sie zunächst mit 5. März 1947 datierte und nachträglich das Datum in 23. April 1947 abgeändert hat. Die Unterinstanzen nahmen als erwiesen an, daß das Formular dem Antrag an die "W" beigelegen, und von dieser unter Mitteilung über die beantragte Ersatzversicherung an die Beklagte weitergeleitet worden sei.

Im September 1948 trat ein Brandschaden ein; Kläger begehrte von der Beklagten 50.400 S. Die Beklagte behauptet, daß der Vertrag im Juni 1947 außer Kraft getreten sei; von dieser Einwendung abgesehen, bestreitet sie nicht, daß der Schadenersatzanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Nur die Höhe des Anspruches wird im übrigen bekämpft.

Die beiden Unterinstanzen haben sich dem Rechtsstandpunkt der Beklagten angeschlossen, den Vertrag als gekundigt angesehen und die Klage abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hob auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagte hat dem Kläger mit Rundschreiben mitgeteilt, daß sie nicht mehr in der Lage sei, die Versicherungsdeckung zu gewährleisten. Dieses Schreiben berechtigte den Kläger, wegen Unsicherwerdens des Versicherers den Vertrag fristlos zu kundigen. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 28. Oktober 1930, Rspr. 1931, Nr. 2, dieses Kündigungsrecht ausdrücklich anerkannt, aber an die Voraussetzung geknüpft, daß vorerst vergeblich Sicherstellung begehrt wird. Da sich aber aus dem Rundschreiben ergibt, daß ein solches Begehren erfolglos hätte bleiben müssen, weil die Beklagte selbst die Versicherungsnehmer aufforderte, den Vertrag aufzulösen und sich anderweitig zu versichern, so konnte im vorliegenden Fall die Sicherstellungsaufforderung entfallen und war Kläger demnach berechtigt, sofort den Vertrag aufzulösen, zumal da auch die Aufsichtsbehörde keine Schritte zur Sicherung der bereits bei der Beklagten versicherten Personen unternommen hat und offenbar auch nichts unternehmen konnte.

Kläger hat auch tatsächlich den Vertrag im Sinne dieser Aufforderung gekundigt. Die Beklagte hat aber diese Kündigung zurückgewiesen, weil das Vertragsverhältnis nur dann gekundigt werden könne, wenn eine Ersatzversicherung bei der "W" abgeschlossen werde. Diese Mitteilung war unrichtig und nicht geeignet, das dem Kläger zustehende Recht, den Vertrag ohne Abschluß einer Ersatzversicherung zu lösen, zu beseitigen, weil der Umstand, daß die österreichischen Versicherungsgesellschaften untereinander mit Genehmigung der Versicherungsaufsichtsbehörde ein Abkommen über die Exploitierung und Ausspannung des Versicherungsbestandes der deutschen Versicherungsgesellschaften geschlossen hatten, das übrigens auch im Rundschreiben anerkannte Recht der Versicherungsnehmer, fristlos zu kundigen, nicht berühren und diese nicht hindern konnte, das bisher versicherte Risiko ungedeckt zu lassen, wenn sie es vorzogen, unversichert zu bleiben.

Der Kläger hätte daher nach Empfang des Briefes vom 11. März 1947 auf seinem Standpunkt beharren können; er hat es aber nicht getan, sondern sich dem Standpunkt der Beklagten stillschweigend unterworfen, daß ihm nur im Falle eines Neuabschlusses der Feuerversicherung W 80.799 bei der "W" das von ihm beanspruchte Kündigungsrecht zustehe. Der Brief vom 11. März 1947 muß als ein Antrag der Beklagten, den Versicherungsvertrag in diesem Sinne zu ergänzen, gewertet werden, das Stillschweigen des Klägers als Annahme dieser Offerte.

Im Sinne der getroffenen Zusatzvereinbarung war daher Kläger nach Empfang des Briefes nur mehr dann berechtigt, wegen Unsicherheit der Beklagten das Versicherungsverhältnis zu kundigen, wenn es zu einem Neuabschluß der Versicherungspolizze W 80.799 mit der "W" gekommen wäre. Nun ist es aber niemals zu diesem Neuabschluß gekommen, weil die "W" den Versicherungsantrag nicht innerhalb der Bindungsfrist des § 81 VersVG. angenommen und Kläger überdies nach Ablauf dieser Frist ausdrücklich vom Antrag zurückgetreten ist. Die anfangs Juni 1947 der Beklagten zugemittelte Kündigungserklärung war daher wirkungslos, weil damals Kläger noch nicht mit der "W" neu abgeschlossen hatte. Übrigens durfte die "W", auch wenn ihr Kläger das Kündigungsschreiben vor Abschluß der Ersatzversicherung zur Weiterleitung übergeben hätte, diesen Brief nach den im redlichen Versicherungsverkehr geltenden Übungen erst dann der Beklagten zumitteln, wenn die Ersatzversicherung perfekt war, weil sonst die Klägerin Gefahr lief, bei einem Brand in der Zwischenzeit überhaupt keinen Versicherungsschutz zu haben. In dem vorliegenden Fall hat diese Verletzung der Pflichten eines ordentlichen Versicherers seitens der "W" dem Kläger nur deshalb keinen Schaden zugefügt, weil er vor Abschluß der Ersatzversicherung nach der Vertragsergänzung gar nicht rechtswirksam kundigen konnte.

Die als Kündigung unwirksame Erklärung des Klägers, Beilage 4, kann aber auch nicht als stillschweigend abgeschlossener Stornierungsvertrag aufrechterhalten werden; denn nach § 81 Abs. 1 VersVG. erlischt ein dem Versicherer gemachter Antrag auf Änderung eines Vertrages, wenn die Annahmeerklärung des Versicherers nicht binnen zwei Wochen dem Versicherungsnehmer zugekommen ist. Ein Antrag auf Aufhebung eines mehrjährigen Vertrages fällt aber ebenfalls unter den Begriff "Abänderung" eines Vertrages, weil damit die einen wesentlichen Bestandteil des Versicherungsvertrages ausmachende Laufzeit abgeändert wird. Auch spricht die Ratio des § 81 VersVG. dafür, diese Gesetzesstelle auch auf Aufhebungsverträge zu erstrecken, weil der Versicherungsnehmer wissen muß, ob er weiter versicherungsmäßig gedeckt ist oder nicht. Im vorliegenden Fall kann auch § 863 ABGB. nicht angewendet werden, weil der Antragsteller ausdrücklich den Vertrag für erloschen erklärte und "Kenntnisnahme" verlangte, was nach der Geschäftssitte dahin zu verstehen ist, daß ein Bestätigungsschreiben erwartet wird. Dieses Begehren war aber gerechtfertigt, weil Kläger mit Rücksicht auf die Ablehnung der ersten Kündigung mit Recht eine Antwort erwarten konnte, um klar zu sehen, ob seine Kündigung nunmehr in Ordnung geht. Es kommt daher § 81 VersVG. zur Anwendung und da die Beklagte seinen Antrag nicht beantwortet hat, so gilt er nach dieser Gesetzesstelle als abgelehnt. Übrigens hat die Beklagte nachträglich ein Verhalten an den Tag gelegt, aus dem zu entnehmen war, daß auch sie die Versicherung nicht als storniert ansah. Denn die Beklagte hat, obwohl im Fall des Rücktrittes des Versicherungsnehmers wegen Unsicherheit der Versicherung der Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie nicht gilt, dem Kläger noch im Jänner 1948 die ganze Jahresprämie (1. April 1947 bis 1. April 1948) im Verrechnungswege angelastet und damit den Anschein erweckt, daß sie den Vertrag als nicht aufgelöst ansehe. Darauf, ob sie diese Absicht gehabt hat, kommt es nicht an; auch wenn sie selbst sich im Irrtum darüber befunden haben sollte, wie § 40 Abs. 1 VersVG. auszulegen ist, so muß sie den durch ihr Handeln erweckten äußeren Anschein gegen sich gelten lassen, daß sie den Vertrag noch im Jänner 1948 als zu Recht bestehend angesehen habe.

Die Annahme der Unterinstanzen, daß der Vertrag im Zeitpunkte des Versicherungsfalles bereits aufgelöst war, ist demnach rechtsirrig.

Anmerkung

Z23362

Schlagworte

Deckung der Versicherung, mangelnde, Kündigung, Ersatzversicherung, Kündigung des Versicherungsvertrages mangels Deckung„ Ersatzversicherung, Versicherung Kündigung wegen mangelnder Deckung, Ersatzversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00669.5.1206.000

Dokumentnummer

JJT_19501206_OGH0002_0010OB00669_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten