Norm
Fürsorgepflichtverordnung §21aKopf
SZ 23/368
Spruch
Unter "Fürsorgeerziehung" im Sinne des § 119a RVO. ist auch die Fürsorgeerziehung nach §§ 49 ff. JWV. zu verstehen.
Steht ein Minderjähriger gemäß §§ 49 ff. JWV. in Fürsorgeerziehung, so kann die Stelle, der die Kosten der Unterbringung zur Last fallen, die Überweisung der dem Minderjährigen zustehenden Waisenrente begehren.
Entscheidung vom 8. Dezember 1950, 2 Ob 683/50.
I. Instanz: Jugendgerichtshof Wien; II. Instanz: Jugendgerichtshof Wien.
Text
Das Vormundschaftsgericht verfügte, nachdem ihm unterstellte Minderjährige in "Fürsorgeerziehung" nach § 49 JWV. gekommen waren, daß die ihnen zukommenden Waisenrenten (der Invalidenversicherungsanstalt) nicht mehr an den Magistrat Wien, sondern auf Sparkonto der Minderjährigen zu überweisen seien.
Das Rekursgericht wies die Invalidenversicherungsanstalt an, die Renten weiterhin an den Magistrat Wien flüssigzumachen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Vormunderin keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Das Rekursgericht hat den angefochtenen Beschluß wie folgt begrundet: Die gegenständlichen Waisenrenten seien Renten im Sinne der RVO. Die Minderjährigen stehen in Fürsorgeerziehung gemäß §§ 49 ff. JWV. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Minderjährigen im Hinblick auf § 67 JWV. und §§ 4 Abs. 2, 5 Lohnpfändungsverordnung zur Deckung der Kosten der Fürsorgeerziehung aus ihrer Waisenrente nicht herangezogen werden können und daß es sich bei dem in § 119a RVO. gebrauchten Worte "Fürsorgeerziehung" nicht um eine solche im technischen Sinne des § 49 JWV. handeln könne, da § 119a RVO. vor der JWV. in Kraft getreten sei, übersehe die geschichtliche Entwicklung der Jugendwohlfahrtsgesetzgebung des ehemaligen Deutschen Reiches. Der Begriff der Fürsorgeerziehung in §§ 49 ff. JWV. stamme aus dem Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922, DRGBl. I S. 633, dessen §§ 62 und 75 in den §§ 49 und 67 der ab 1. April 1940 in Österreich in Kraft getretenen Jugendwohlfahrtsverordnung gleichlautend übernommen wurden. § 119a RVO. wurde jedoch erst durch Art. 8 des Gesetzes vom 24. November 1933, DRGBl. I S. 1000, in die Reichsversicherungsordnung eingefügt, also zu einer Zeit, als das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt und insbesondere auch dessen § 75 (der dem § 67 JWV. entspricht) schon Jahre hindurch in Geltung stand. Es erscheine daher nicht berechtigt, wegen der Tatsache, daß die Jugendwohlfahrtsverordnung erst 1940 in Kraft trat, den Begriff "Fürsorgeerziehung" in § 119a anders auszulegen als im Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt, bzw. in der Jugendwohlfahrtsverordnung. Daher bestehen gegen die Anwendung des § 119a RVO. auf den gegenständlichen Fürsorgeerziehungsfall keine Bedenken. Nach dieser Gesetzesstelle gehe der Anspruch auf die Waisenrente auf die Stelle über, der die Kosten der Unterbringung zur Last fallen. Die Gemeinde Wien habe daher kraft dieser gesetzlichen Bestimmung einen unmittelbaren Anspruch auf die Waisenrenten, da die Kosten der Fürsorgeerziehung der Minderjährigen das Ausmaß dieser Renten bei weitem übersteigen und ein Ersatz dieser Kosten auf andere Art nicht behauptet, geschweige nachgewiesen worden sei.
Diese Begründung muß als treffend bezeichnet werden. Die vom Obersten Gerichtshof in einigen Entscheidungen zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, daß dem Wort "Fürsorgeerziehung" in § 119a RVO. eine andere Bedeutung zukomme als in § 67 JWV., kann nicht weiter aufrechterhalten werden. Zu einer solchen Annahme, daß derselbe Gesetzgeber demselben Wort in zwei verschiedenen Gesetzen verschiedene Bedeutung beilegen wollte, besteht im gegenständlichen Fall keinerlei Veranlassung. Im Gegenteil, es besteht kein Grund, in dieser Hinsicht die in Fürsorgeerziehung Stehenden besser zu stellen, als nach § 21a Fürsorgepflichtverordnung die Hilfsbedürftigen gestellt sind. Es besteht zwischen den erwähnten Gesetzesstellen auch keinerlei Widerspruch. § 119a RVO. regelt (ebenso wie § 21a Fürsorgepflichtverordnung) einen Spezialfall, indem er den Rentenanspruch des in Fürsorgeerziehung Stehenden (so wie § 21a Fürsorgepflichtverordnung den Unterhaltsanspruch des Hilfsbedürftigen) aus dem sonstigen Vermögen des in Fürsorgeerziehung Stehenden herausnimmt und ihn kraft Gesetzes auf die Stelle übergehen läßt, der die Kosten der Fürsorgeerziehung zur Last fallen. Diese cessio legis wird ohne Rücksicht auf die Pfändbarkeit des Anspruches verfügt.
Da der Oberste Gerichtshof also den in einigen Entscheidungen bisher eingenommenen und vom Erstgericht ausgesprochenen Rechtsstandpunkt nicht mehr einnehmen kann, vielmehr sich der zutreffenden und erschöpfenden Begründung der vorliegenden Rekursentscheidung anschließt, ist dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben worden.
Anmerkung
Z23368Schlagworte
Fürsorgeerziehung, Begriff nach § 119a RVO., Fürsorgeerziehung Verwendung der Waisenrente, Minderjähriger Verwendung der Waisenrente bei Fürsorgeerziehung, Rente eines Minderjährigen, Verwendung bei Fürsorgeerziehung, Waisenrente, Verwendung bei FürsorgeerziehungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00683.5.1208.000Dokumentnummer
JJT_19501208_OGH0002_0020OB00683_5000000_000