TE OGH 1950/12/29 2Ob739/50 (2Ob853/50)

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Veröffentlicht am 29.12.1950
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Norm

ABGB §1325
ABGB §1327
Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §12
Reichsversicherungsordnung §1542
ZPO §482
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z3
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 23/397

Spruch

Der durch einen Kraftfahrzeugunfall Beschädigte oder dessen Hinterbliebenen, die bereits von einem Sozialversicherungsträger einen Teil ihres Schadens ersetzt erhielten, können einen darüber hinausgehenden Schadenersatzbetrag vom Beschädiger auch dann begehren, wenn sie die Bezahlung dieses Betrages vom Sozialversicherungsträger überhaupt nicht begehrt haben. Dem Versicherungsträger gegenüber wird der Beschädiger nur insoweit nach § 1542 RVO. ersatzpflichtig, als jener tatsächlich Ersatz geleistet hat, während anderseits der Beschädigte oder seine Hinterbliebenen einen vom Versicherungsträger geleisteten Ersatz nicht nochmals vom Beschädiger begehren können.

Entscheidung vom 29. Dezember 1950, 2 Ob 739, 853/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Gatte der Klägerin, der am 21. September 1888 geborene Simon J., ist am 29. Mai 1946 in einem vom Beklagten betriebenen Autobus tödlich verunglückt. Die Klägerin hat zunächst unter Hinweis auf die Beschränkung des Rentenbetrages gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 KFG., jedoch unter Behauptung eines Verschuldens des Autobuslenkers, nur die in der angeführten Gesetzesstelle festgesetzte Höchstrente, nämlich 125 S monatlich, vom 1. Juni 1946 bis 31. Mai 1958 verlangt. Das Erstgericht hat zunächst mit Zwischenurteil erkannt, daß dieses Klagebegehren dem Gründe nach zu Recht besteht - mit dem Beisatze, daß dieser Ausspruch unbeschadet der Beschränkung erfolgt, die sich aus der zitierten Gesetzesstelle ergibt. Dieses Zwischenurteil ist in Rechtskraft erwachsen. Die Klägerin hat hierauf ihr Rentenbegehren unter Hinweis auf das Verschulden des Kraftwagenlenkers auf 400 S monatlich, also über die erwähnte Höchstgrenze hinaus, erhöht und ihr Klagebegehren schließlich dahin präzisiert, daß für die Zeit bis Ende 1949 ein Kapitalsbetrag von 12.605.50 S samt stufenweisen Zinsen und ab 1. Jänner 1950 bis 31. Dezember 1958 eine Monatsrente von 400 S gefordert wird.

Das Erstgericht hat unter Abweisung des Mehrbegehrens der klagenden Partei einen Betrag von 6085.14 S samt stufenweisen Zinsen und vom 1. Jänner 1950 bis 31. Oktober 1952, längstens aber auf Lebensdauer der Klägerin, eine monatliche Rente von 236.40 S zugesprochen.

Das Berufungsgericht hat unter Abweisung der Berufung des Beklagten über Berufung der Klägerin den Kapitalsbetrag auf 7582.14 S um einen Betrag von 1497 S (d. i. um den Rentenanspruch vom Unfallstag bis zum 55. Geburtstag der Klägerin) erhöht und die erstrichterliche Abweisung des Begehrens auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages für die Zeit vom 13. Oktober 1952, richtig 1. November 1952, bis 31. Mai 1958, zwecks Verfahrensergänzung unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben.

Der Oberste Gerichtshof hat die vom Beklagten bekämpfte Entscheidung des Berufungsgerichtes bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte ficht die berufungsgerichtliche Entscheidung mit Revision und Rekurs ihrem ganzen Inhalte nach an und beantragt: 1. Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß das Klagebegehren, soweit es eine Monatsrente von 125 S und ein Gesamtkapital von 25.000 S nach Abrechnung der Witwenrente der Klägerin, die sie von der Invalidenversicherungsanstalt erhält, bzw. der Waisenrente ihrer Tochter Anneliese, übersteigt, abgewiesen werde, 2. allenfalls das Klagebegehren, soweit es 30% des vermutlichen Einkommens des Verstorbenen Simon J. nach Abzug der Witwen- bzw. Waisenrente übersteigt, abzuweisen, 3. in beiden Fällen das Rentenbegehren über den 31. Oktober 1952 hinaus abzuweisen, 4. allenfalls das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache zur Verfahrensergänzung an die zweite Instanz, allenfalls an die erste Instanz zurückzuverweisen. Aus dem Vorbringen der Revision ergibt sich, daß der Kläger die Revisionsgrunde nach § 503 Z. 1, 3 und 4 ZPO. geltend macht. Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Rechtsmittel des Beklagten sind nicht gerechtfertigt.

Die Revision behauptet zunächst mit Unrecht, daß sich die angefochtene Entscheidung mit dem in Rechtskraft erwachsenen Zwischenurteil in Widerspruch gesetzt habe. Der Rechtskraft ist nur der Spruch einer Entscheidung fähig, nicht ein lediglich in den Gründen enthaltener Ausspruch. Der Beisatz des Zwischenurteiles, der Ausspruch über das Zurechtbestehen der Klagsforderung erfolge unbeschadet der sich aus § 12 KFG. ergebenden Beschränkung, läßt seiner sprachlichen Fassung nach die Frage, ob ein über die Grenze des § 12 hinausgehender Anspruch zu Recht bestehe, offen (arg. "unbeschadet") und verneint sie nicht. Dieser in dem auch andere Ansprüche behandelnden Zwischenurteil enthaltene Beisatz konnte sich überdies gar nicht auf den gegenständlichen Klagsanspruch beziehen, da dieser damals die erwähnte Grenze nicht überschritt. Bezüglich dieses Klagsanspruches erscheint er daher gegenstandslos. Keinesfalls wirkt er auf die später erfolgte Erweiterung des Klagebegehrens. Daß die Klägerin in ihrer Klage die nach ihren Tatsachenbehauptungen irrige Rechtsansicht ausspricht, die Ersatzpflicht des Beklagten sei nach § 12 Abs. 1 Z. 1 KFG. beschränkt, kann ihr nicht schaden. Das Gericht ist an die rechtliche Beurteilung der Sache durch die Parteien nicht gebunden.

Das Berufungsgericht hat aber auch mit Recht das die mj. Anneliese J. betreffende Vorbringen der Berufung als unzulässige Neuerung (§ 482 Abs. 2 ZPO.) nicht berücksichtigt. Die Revision übersieht, daß, wenn die Klägerin zugegeben hat, daß in ihrem Haushalte ihr a. e. Kind Anneliese lebt, dem ihr verstorbener Gatte seinen Namen gegeben hat, damit nicht zugegeben erscheint, daß dieses Kind auch aus dem Einkommen des Verstorbenen erhalten wurde. Die Behauptung der Berufung, daß Anneliese J. aus dem Verdienst des Verstorbenen erhalten werden mußte, stellt daher eine unzulässige Neuerung dar. Wenn Anneliese J. nach dem verstorbenen Gatten der Klägerin zu Unrecht eine Waisenrente bezogen haben sollte, wird sie dadurch allenfalls der Versicherungsanstalt gegenüber rückersatzpflichtig. Warum hiedurch der Schaden der Klägerin verringert oder diese gar bereichert worden sein soll, ist nicht ersichtlich. Es geht daher auch dieses Revisionsvorbringen ins Leere und damit auch der in diesem Zusammenhange von der Revision erhobene Vorwurf einer durch das Berufungsgericht begangenen Aktenwidrigkeit im Sinne des § 503 Z. 3 ZPO.

Mit Recht hat weiter das Berufungsgericht ausgesprochen, daß die Klägerin ihren Anspruch gegen den Beklagten auf die 1497 S nicht dadurch verwirkte, daß sie es unterlassen hat, diesen Anspruch gegen die Versicherungsanstalt geltend zu machen. Der Beschädiger ist nicht berechtigt, vom Beschädigten bei sonstiger Verwirkung seines Schadenersatzanspruches zu verlangen, gewisse Rechte gegen den Sozialversicherungsträger geltend zu machen. Nach § 1542 RVO. findet ein Anspruchsübergang nur insoweit statt, als der Sozialversicherungsträger Leistungen zu gewähren hat. Hat der Sozialversicherungsträger daher Leistungen nur auf Verlangen zu gewähren und wird ein solches Verlangen nicht gestellt, findet selbstverständlich auch ein Anspruchsübergang nach § 1542 RVO. nicht statt, weil dann eben eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers nicht entstanden ist. Der Beschädigte kann selbstverständlich nicht doppelten Ersatz - vom Beschädiger und vom Sozialversicherungsträger - erlangen. Er verliert seinen Anspruch gegen den Beschädiger durch die cessio legis des § 1542 RVO. daher, soweit er Ersatz vom Sozialversicherungsträger erhält. In diesem Falle kann der vom Beschädigten in Anspruch genommene Beschädiger den Mangel der aktiven Klagslegitimation einwenden, im übrigen kann aber der Beschädiger aus der Sozialversicherung des Beschädigten keinerlei Rechte ableiten.

Schließlich ist auch der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes gerechtfertigt. Das Erstgericht hat - dem Sachverständigen folgend - festgestellt, daß eine volle Arbeitsfähigkeit des verstorbenen Simon J. über das 64. Lebensjahr hinaus nicht anzunehmen ist, und hat daher der Klägerin eine Rente nur bis zum 31. Oktober 1952 zugesprochen. Diese Feststellung läßt die Frage offen, ob der verstorbene Simon J. nicht über das 64. Lebensjahr hinaus beschränkt arbeitsfähig gewesen wäre und trotz dieser nur beschränkten Arbeitsfähigkeit im Hinblick auf seine lange Dienstzeit weiter von seiner Dienstgeberin beschäftigt worden wäre. Dadurch, daß sich das Erstgericht mit dieser Frage nicht beschäftigt hat, leidet das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Mangel, der eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Streitsache verhinderte, so daß die Zurückverweisung der Sache an das Prozeßgericht gemäß § 496 Abs. 1 Z. 2 ZPO. gerechtfertigt erscheint.

Anmerkung

Z23397

Schlagworte

Cessio legis nach § 1542 RVO., Haftung nach § 1542 RVO., Körperverletzung Sozialrente übersteigender Schaden, § 1542 RVO., Regreß nach § 1542 RVO., Rückgriff nach § 1542 RVO., Schadenersatz über Sozialrente hinausgehender, § 1542 RVO., Sozialrente übersteigender Schaden, § 1542 RVO., Sozialversicherung Forderungsübergang nach § 1542 RVO., Tötung Sozialrente übersteigender Schaden, § 1542 RVO., Unfall über Sozialrente hinausgehender Schaden, § 1542 RVO., Verletzung Sozialrente übersteigender Schaden, § 1542 RVO., Versicherungsträger, Ersatzanspruch nach § 1542 RVO., Zession gesetzliche, nach § 1542 RVO.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00739.5.1229.000

Dokumentnummer

JJT_19501229_OGH0002_0020OB00739_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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