TE OGH 1951/1/24 1Ob17/51

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Veröffentlicht am 24.01.1951
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Norm

Handelsgesetzbuch §347
Handelsgesetzbuch §384
Handelsgesetzbuch §390
Handelsgesetzbuch §417 Abs1
Handelsgesetzbuch §422 Abs2
ZPO §273

Kopf

SZ 24/25

Spruch

Der Lagerhalter hat den Hinterleger vom Eintritt von Umständen zu verständigen, durch welche die eingelagerten Gegenstände einer größeren Gefahr ausgesetzt sind als bisher, ohne daß der Lagerhalter dieser Gefahr wirksam entgegentreten könnte. Jedoch wird der Lagerhalter nicht deshalb ersatzpflichtig, weil er es unterlassen hat, nach § 422 Abs. 2 HGB. die Rücknahme des Gutes vor Ablauf der Lagerzeit zu verlangen.

Entscheidung vom 24. Jänner 1951, 1 Ob 17/51.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Folgender Sachverhalt wurde festgestellt: Die Klägerin hat bei der Beklagten Einrichtungsgegenstände eingelagert, wobei die Streitteile sich darüber einig waren, daß die Einlagerung in einem nicht mehr fahrbereiten Möbelwagen der Beklagten erfolge, daß der Möbelwagen nach dem 4. Mai 1945 wiederholt, jedenfalls aber zweimal, aufgebrochen wurde, und daß die darin eingelagerten Fahrnisse herausgeworfen, teils zerstört, teils gestohlen wurden. Der erste Einbruch erfolgte am 6. Mai 1945, weitere Einbrüche, jedenfalls ein zweiter, kurze Zeit darauf. Ende Juni 1945 stand der Möbelwagen erbrochen auf seinem Platze im Hofe der Beklagten, die Türflügel waren nur angelehnt, die Fahrnisse zum größen Teil abhanden gekommen, der restliche Teil lag zerschlagen auf dem Boden im Freien. Zwischen dem 10. und 15. Mai 1945 teilte der Zeuge F. der Klägerin mit, daß der Wagen erbrochen und wieder verschlossen und daß nach der Meinung seines Angestellten nichts gestohlen worden sei. Diese Mitteilung an die Klägerin erfolgte nach dem ersten Einbruch. Dabei wurde, wie schon früher wiederholt, davon gesprochen, daß es am besten wäre, die Fahrnisse der Klägerin vom Hof der Beklagten wieder wegbringen zu lassen, weil sie dort wenig sicher seien. Doch steht nicht fest, daß die Beklagte damals von ihrem Rechte nach § 422 Abs. 2 HGB. Gebrauch machte und verlangte, daß die Klägerin die Möbel sofort wieder an sich nehme. Von der späteren völligen Ausplunderung des Wagens erfuhr die Klägerin erst Ende Juni 1945.

Das Erstgericht hat aus diesem Sachverhalt die Ersatzpflicht der Beklagten dem Gründe nach hinsichtlich des ganzen eingetretenen Schadens abgeleitet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die beiden untergerichtlichen Urteile auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn es auch richtig ist, daß § 417 Abs. 1 den § 384 HGB. nicht heranzieht, so steht doch außer Zweifel, daß der Lagerhalter abgesehen von § 384 HGB. jedenfalls gemäß § 390 HGB. verpflichtet ist, die übernommenen Geschäfte und Einlagerungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes durchzuführen, und daß ihn im Falle einer Beschädigung die Beweislast hinsichtlich der Einhaltung dieser Sorgfalt trifft.

Es ist wohl auch nicht daran zu zweifeln, daß diese Sorgfaltspflicht den Lagerhalter verpflichtet, den Hinterleger zu verständigen, wenn Umstände eintreten, durch welche die eingelagerten Gegenstände einer größeren Gefahr ausgesetzt sind als bisher, ohne daß der Lagerhalter dieser Gefahr wirksam entgegenzutreten in der Lage wäre. Doch überspannen die Untergerichte die Sorgfaltspflicht, wenn sie dem Lagerhalter nicht nur die Pflicht der Verständigung und Warnung auferlegen, sondern die Verpflichtung von den ihm nach § 422 Abs. 2 HGB. zustehenden Rechte Gebrauch zu machen, die Rücknahme des Gutes vor dem Ablauf der Lagerzeit zu verlangen. Es ist nicht einzusehen, daß der Lagerhalter von diesem seinem Rechte zur Bevormundung des Hinterlegers Gebrauch machen müßte, wenn dieser bei eintretender und ihm bekannter Gefährdung das Einlagerungsverhältnis doch fortsetzen will.

Im übrigen muß aber auch noch folgendes bedacht werden: Die Klägerin wußte, daß die von ihr eingelagerten Gegenstände in einem im Hofe abgestellten Möbelwagen eingelagert sind. Es mußte ihr wohl auch klar sein, daß diese Art der Einlagerung weniger Sicherheit bietet als die Einlagerung in geschlossenen Lagerräumen. Es war wohl auch in S. offenkundig, daß nach dem Einmarsch der alliierten Truppen Plunderungen vorgekommen sind. Es steht im übrigen fest, daß die Beklagte die Klägerin überdies von dem ersten Aufbrechen des Möbelwagens, welches angeblich einen Verlust für die Klägerin noch nicht zur Folge hatte, verständigte. Es ist nun doch selbstverständlich, daß die Klägerin aus dieser Mitteilung nicht die Folgerung ableiten konnte, daß weitere Plunderungen nicht mehr vorkommen werden und daß bei allenfalls doch später vorkommenden Plunderungen ebenso wie das erste Mal ihr Hab und Gut verschont bleiben werde. Im Gegenteil, trotz dieses glimpflichen Verlaufes des ersten Angriffes auf den Möbelwagen mußte auch der Klägerin die Gefahr eines neuerlichen erfolgreicheren Angriffes klar sein. Überdies wurde ja ausdrücklich wiederum darüber gesprochen, daß das Entfernen der Einrichtungsgegenstände vorteilhaft wäre. Es hat also schon diese erste Mitteilung hingereicht, die Klägerin über die Gefahr vollkommen ins Bild zu setzen, der die eingelagerten Gegenstände ausgesetzt sind. Es liegt demnach darin, daß die Klägerin nach dieser ersten Verständigung von der ihr nach den Feststellungen der Untergerichte zur Verfügung stehenden Möglichkeit, ihre Fahrnisse wegzubringen, nicht Gebrauch gemacht hat, eine gewisse Leichtfertigkeit, die ein Mitverschulden auf ihrer Seite begrundet, während eine Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt auf seiten der Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt nicht angenommen werden kann.

Das Erstgericht läßt es offen, ob dieser ersten Plunderung eine oder aber mehrere Plunderungen folgten. Die Untergerichte sehen aber eine Pflichtverletzung der Beklagten darin, daß sie die Klägerin später nicht verständigt hat, daß nunmehr eine folgenschwere Plunderung stattgefunden habe. Dieser Rechtsansicht ist beizupflichten, insbesondere wäre aber auch eine Verständigung der Klägerin deswegen notwendig gewesen, weil nach der zweiten oder einer späteren Plunderung, wenn eine solche noch stattgefunden haben sollte, der Wagen nicht mehr so wie nach der ersten Plunderung wieder verschlossen und soweit in Ordnung gebracht wurde, daß er doch einen relativen Grad der Sicherheit für die noch nicht gestohlenen Fahrnisse bot und jedenfalls eine Beschädigung durch die Witterung ausgeschlossen war. Wie der Ende Juni wahrgenommene Zustand zeigt, wurde vielmehr nach der oder den späteren Plunderungen alles in dem Zustand gelassen, wie es sich hernach befunden hat. Aber wenn auch die Beklagte die Verpflichtung zu dieser weiteren Verständigung traf, so ließen die Untergerichte außer Acht, daß durch diese Verständigung der Eintritt des bei der ersten erfolgreichen Plunderung entstandenen Schadens keinesfalls hätte verhindert werden können. Da aber nicht ausdrücklich festgestellt ist, daß der Wagen mehr als zweimal im ganzen erbrochen wurde, so steht damit auch noch gar nicht fest, ob nicht der ganze Schaden bei der zweiten, also der ersten folgenschweren Plunderung entstanden ist, und ob überhaupt ein Schade vorliegt, der dadurch, daß die Klägerin ihre Gegenstände nach der Verständigung von der zweiten Plunderung weggebracht hätte, hätte verhindert werden können. Die Feststellungen der Untergerichte lassen also durchaus nicht mit Sicherheit erkennen, daß überhaupt ein Schaden oder gar der ganze eingetretene Schaden auf die Unterlassung einer Verständigung von dem ersten, mit Abgängen verbundenen Aufbrechen des Wagens zurückzuführen ist.

Der Oberste Gerichtshof geht also davon aus, daß der eingetretene Schaden zunächst auch auf ein nicht ganz zu vernachlässigendes Verschulden der Klägerin zurückzuführen sein wird, das darin liegt, daß die Klägerin trotz der Verständigung von dem ersten folgenlosen Erbrechen des Wagens und dem Rate des Prokuristen der Beklagten, die Sachen anders unterzubringen, diese im Möbelwagen bei der Beklagten belassen hat. Das Verhältnis zwischen dem Verschulden der Parteien und insbesondere die Kausalität dieses Verschuldens für den eingetretenen Schaden läßt sich zunächst jedoch noch nicht abschätzen. Zur Feststellung des Verschuldens der Beklagten und der Höhe des auf ihr Verschulden zurückzuführenden Schadens wird die Feststellung notwendig sein, wann und wie oft nach dem ersten erfolglosen Erbrechen eine weitere Plunderung des Wagens stattfand. Es wird dabei zu berücksichtigen sein, innerhalb welchen Zeitraumes der Beklagten nach den doch erschwerten Verhältnissen der damaligen Zeit und im Hinblick auf den auch anderen Kunden der Beklagten etwa entstandenen Schaden eine Verständigung der Klägerin zugemutet werden konnte und innerhalb welcher Zeit von der Klägerin eine andere Verfügung über die Einrichtungsgegenstände getroffen werden konnte, welche Schäden bis zu dem möglichen Eingreifen der Klägerin schon eingetreten waren und daher auch durch die Verständigung und das Wegräumen der Gegenstände nicht hätten vermieden werden können, und welche Schäden erst später oder dadurch entstanden sind, daß die Beklagte in der Folge es unterlassen hat, die aus dem Wagen gerissenen Gegenstände wieder darin unterzubringen und den Wagen so gut wie möglich zu verschließen. Bei dem sich so ergebenden Schaden wird ein gewisses Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen sein. Was die Höhe des Schadens betrifft, wird deren Festsetzung dem Gerichte nur mit Hilfe des § 273 Abs. 1 ZPO. möglich sein.

Da die bisherigen Feststellungen nicht ausreichen, auf Grund des Vorbringens der Klägerin aber weitere Feststellungen möglich sind, die zur Annahme wenigstens einer teilweisen Schadenersatzpflicht der Beklagten führen könnten, ist die Wiederholung des Verfahrens in erster Instanz unentbehrlich, weshalb die Urteile der Untergerichte aufgehoben werden mußten und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Anmerkung

Z24025

Schlagworte

Benachrichtigungspflicht des Lagerhalters von der Gefahrerhöhung, Einlagerer, Verständigung des - von Gefahrenerhöhung, Gefahrerhöhung, Benachrichtigungspflicht des Lagerhaltes bei -, Haftung des Lagerhalters bei Unterlassung der Benachrichtigung, Hinterleger, Benachrichtigung des - bei Gefahrerhöhung, Lagerhalter, Benachrichtigungspflicht bei Gefahrerhöhung, Lagerzeit, Rücknahme des eingelagerten Gutes vor Ablauf der -, Pflicht des Lagerhalters zur Benachrichtigung des Hinterlegers bei, Gefahrerhöhung, Schadenersatz des Lagerhalters, Sorgfaltspflicht des Lagerhalters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00017.51.0124.000

Dokumentnummer

JJT_19510124_OGH0002_0010OB00017_5100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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