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63 Allgemeines Dienst- und BesoldungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer nach vorhergehender Ermahnung wegen unzureichenden Arbeitserfolgs; kein Zweifel an der Zuständigkeit der erstinstanzlichen Disziplinarkommission; Einleitungsbeschluß von den Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht umfaßtSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er ist Leiter der Abteilung "Pflanzenbauliches Versuchswesen" im Bundesamt für Agrarbiologie in Linz.
2. Mit Schreiben vom 16.10.1998 erstattete der Direktor dieses Bundesamtes gegen den Beschwerdeführer beim Bundesministerium (damals:) für Land- und Forstwirtschaft als der zuständigen Dienstbehörde wegen verschiedener Dienstpflichtverletzungen gemäß §109 Beamtendienstrechtsgesetz 1979 (im Folgenden: BDG) eine Disziplinaranzeige; weiters wurde in diesem Schreiben ersucht, die aufgezeigten Dienstpflichtverletzungen zu prüfen und nach §110 Abs1 BDG weitere Veranlassungen zu treffen. Mit Schreiben vom 18.11.1998 erstattete der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Verlust u.a. seines Dienstausweises und seiner Fahrtberechtigung für Dienstfahrzeuge des Bundes eine Selbstanzeige gemäß §111 BDG.
3. Ein an den Beschwerdeführer gerichtetes, mit 12.1.1999 datiertes Schreiben des Direktors des Bundesamtes für Agrarbiologie hat folgenden Inhalt:
"Betrifft: Ermahnung gem. §81 Abs1 Zi 3 BDG 1979
Nach Ansicht der Direktion haben Sie, sehr geehrter Herr Hofrat Dipl.Ing. R M, im Arbeitsjahr 1998 den zu erwartenden Arbeitserfolg nicht aufgewiesen. Diesbezüglich erfolgt daher gemäß §81 Abs1 Zi. 3 BDG 1979 eine erste schriftliche Ermahnung. Die Gründe hiefür sind teils in der Disziplinaranzeige vom 16. Okt.1998 dargelegt bzw. wurden anlässlich des Mitarbeitergespräches am 10.12.1998 mündlich mitgeteilt."
4. In der Folge wurde auf Grund der unter Pkt. 2 genannten Anzeigen mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 22.2.1999 gegen den Beschwerdeführer gemäß §123 Abs1 BDG ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
5. In einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung bringt der Beschwerdeführer u.a. Folgendes vor:
Bei dem (oben unter Pkt. 3 wiedergegebenen) Schreiben des Direktors des Bundesamtes für Agrarbiologie vom 12.1.1999 handle es sich - entgegen der Bezeichnung in der Betreffzeile als "Ermahnung gem. §81 Abs1 Zi. 3 BDG 1979" - um eine disziplinäre Ermahnung iSd §109 BDG. Damit sei der Strafanspruch konsumiert, das Disziplinarverfahren sei daher gemäß §118 BDG einzustellen.
Diese Berufung wurde mit Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt vom 29.7.1999 abgewiesen. Begründend wird dazu u. a. ausgeführt:
"§109 Abs2 BDG bestimmt, dass von einer Disziplinaranzeige an die Dienstbehörde abzusehen ist, wenn nach Ansicht des Dienstvorgesetzten eine Belehrung oder Ermahnung ausreicht.
Die Ermahnung durch den Dienstvorgesetzten ist nach der Aktenlage nach Erstattung der Disziplinaranzeige erfolgt. Dies ist insoferne von rechtlicher Relevanz, als nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 30.4.1986, 85/09/0265) einer Ermahnung im Sinne des §109 Abs2 BDG keine für das Vorgehen der Disziplinarbehörde verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt, wenn die Disziplinaranzeige bereits erstattet wurde. Das Disziplinarverfahren wäre sohin auch bei einer Subsumierung der Ermahnung vom 12. Jänner 1999 unter die Bestimmung des §109 Abs2 leg. cit. nicht einzustellen."
6. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
7. Die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt legte als belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die im vorliegenden Fall in erster Linie maßgeblichen Bestimmungen der §§81, 109 und 123 BDG, in der hier jeweils in Betracht kommenden Fassung, lauten wie folgt:
"Leistungsfeststellung; Begriff und Arten der Leistungsfeststellung
§81. (1) Leistungsfeststellung ist die rechtsverbindliche Feststellung, daß der Beamte im Beurteilungszeitraum den zu erwartenden Arbeitserfolg
1.
durch besondere Leistungen erheblich überschritten,
2.
aufgewiesen oder
3.
trotz zweimaliger nachweislicher Ermahnung, wobei die zweite Ermahnung frühestens drei Monate und spätestens fünf Monate nach der ersten zu erfolgen hat, nicht aufgewiesen
hat. Für das Ergebnis dieser Feststellung sind der Umfang und die Wertigkeit der Leistungen des Beamten maßgebend.
(2) Jeder Bundesminister kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung für alle oder für Gruppen von Beamten seines Wirkungsbereiches die näheren Merkmale für die Beurteilung der Leistung festlegen, die bei der Erstattung von Berichten zu verwenden sind. Dabei ist auf die Verwendung und den Aufgabenkreis der einzelnen Gruppen von Beamten Bedacht zu nehmen.
(3) Solange keine anderslautende Leistungsfeststellung getroffen worden ist, ist davon auszugehen, daß der Beamte den zu erwartenden Arbeitserfolg aufgewiesen hat."
"Disziplinaranzeige
§109. (1) Der unmittelbar oder mittelbar zur Führung der Dienstaufsicht berufene Vorgesetzte (Dienstvorgesetzte) hat bei jedem begründeten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung die zur vorläufigen Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Erhebungen zu pflegen und sodann unverzüglich im Dienstwege der Dienstbehörde Disziplinaranzeige zu erstatten. Erweckt der Verdacht einer Dienstpflichtverletzung auch den Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung, so hat sich der Dienstvorgesetzte in dieser Eigenschaft jeder Erhebung zu enthalten und sofort der Dienstbehörde zu berichten. Diese hat gemäß §84 der Strafprozeßordnung 1975, BGBl. Nr. 631, vorzugehen.
(2) Von einer Disziplinaranzeige an die Dienstbehörde ist abzusehen, wenn nach Ansicht des Dienstvorgesetzten eine Belehrung oder Ermahnung ausreicht. Diese ist dem Beamten nachweislich mitzuteilen. Eine Ermahnung oder Belehrung darf nach Ablauf von drei Jahren ab Mitteilung an den Beamten zu keinen dienstlichen Nachteilen führen, wenn der Beamte in diesem Zeitraum keine weitere Dienstpflichtverletzung begangen hat.
(3) Die Dienstbehörde hat, sofern es sich nicht um eine Selbstanzeige handelt, eine Abschrift der Disziplinaranzeige unverzüglich dem Beschuldigten zuzustellen."
"Verfahren vor der Disziplinarkommission; Einleitung
§123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.
(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluß dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen den Beschluß, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§118 BDG 1979), ist die Berufung an die Berufungskommission zulässig.
(3) Sind in anderen Rechtsvorschriften an die Einleitung des Disziplinarverfahrens Rechtsfolgen geknüpft, so treten diese nur im Falle des Beschlusses der Disziplinarkommission, ein Disziplinarverfahren durchzuführen, und im Falle der (vorläufigen) Suspendierung ein."
2. Der Beschwerdeführer behauptet im Einzelnen die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie "in den verfahrensrechtlichen Mindestgarantien des Strafverfahrens, nämlich nicht zweimal in derselben Sache abgeurteilt zu werden, nach Art6 EMRK auch im Zusammenhang mit §352 StPO und anderen Gesetzesstellen".
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Durch die - wenngleich unter Bezugnahme auf §81 Abs1 Z3 BDG 1979 erteilte - erste schriftliche Ermahnung vom 12.01.1999 sei in Wahrheit eine Ermahnung hinsichtlich der in der Disziplinaranzeige vom 16.10.1998 dargelegten Verfehlungen ausgesprochen worden. Anders könne diese Ermahnung nicht verstanden werden, weil Dienstpflichtverletzungen, die in einer Disziplinaranzeige aufgezählt würden, schwerlich zur Begründung eines im Arbeitsjahr 1998 zu erwartenden Arbeitserfolges herangezogen werden könnten. Mit dieser Ermahnung sei aber der Strafanspruch der Disziplinarbehörde bereits konsumiert, weshalb eine weitere Verfolgung unzulässig sei. Der zur Dienstaufsicht berufene Vorgesetzte habe sich mit der ausgesprochenen Ermahnung durchaus gesetzmäßig verhalten. Gemäß den §§109 ff. BDG habe die Dienstbehörde auf Grund der Disziplinaranzeige eine Disziplinarverfügung zu erlassen, was mit dem Schreiben vom 12.1.1999 geschehen sei, oder die Disziplinaranzeige sei an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt weiterzuleiten. Diese Weiterleitung sei zwar geschehen. Auch sei sodann mit Bescheid vom 22.2.1999, also nachdem von der Dienstbehörde die Disziplinarverfügung der Ermahnung erlassen worden sei, seitens der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft der Beschluss auf Einleitung des Disziplinarverfahrens gefasst worden. Doch sei der Strafanspruch hinsichtlich der in der Anzeige und im Beschluss genannten Punkte konsumiert und erloschen.
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter beinhalte "nicht nur ein Verfahren vor dem richtigen Gericht, sondern natürlich auch kein zweites Verfahren vor einem dann unzuständigen Richter." Art6 EMRK enthalte Mindestgarantien für die rechtsstaatliche Durchführung von Strafverfahren, wozu auch das "ne bis in idem"-Gebot zähle. Das Disziplinarverfahren sei unbestrittenermaßen ein Strafverfahren.
3.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt, insbesondere wenn sie eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, für die jegliche Rechtsgrundlage fehlt (VfSlg. 7985/1977, 9401/1982, 10.137/1984).
Für den Verfassungsgerichtshof ist - auch unter Berücksichtigung des soeben wiedergegebenen Beschwerdevorbringens - indes nicht erkennbar, warum es im vorliegenden Fall der Disziplinarkommission beim Bundesministerium (damals:) für Land- und Forstwirtschaft an der Zuständigkeit gemangelt haben sollte, auf Grund der ihr von der Dienstbehörde gemäß §110 Abs1 BDG zugeleiteten Disziplinaranzeige bzw. Selbstanzeige nach §123 Abs1 BDG über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer zu entscheiden. Ob die zuständiger Weise getroffene Entscheidung inhaltlich rechtmäßig ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen.
3.2. Der vom Beschwerdeführer behauptete Verstoß gegen Art6 EMRK kommt im vorliegenden Fall schon deswegen nicht in Betracht, weil die Entscheidung einer Disziplinarkommission gemäß §123 Abs1 BDG über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens dieser Garantie keinesfalls unterliegt, also selbst dann nicht, wenn Art6 EMRK für die mit dem im nachfolgenden Disziplinarverfahren ergehenden Disziplinarerkenntnis verhängte Disziplinarstrafe sehr wohl Bedeutung hätte (vgl. dazu VfSlg. 11.506, 11.569/1987, 11.776/1988).
4. Der Beschwerdeführer hat keine Bedenken gegen die Rechtsvorschriften geltend gemacht, auf die sich der Bescheid stützt. Auch im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof sind solche Bedenken nicht hervorgekommen.
5. Die getroffene behördliche Entscheidung ist - zusammenfassend - also nicht mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel, der eine Verletzung des Beschwerdeführers in den geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bewirkt, belastet. Ob der Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht richtige Gesetzesanwendung zu Grunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch nicht in dem - hier vorliegenden - Fall, dass eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 14.658/1996 und dort angeführte Rechtspr.).
Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Behördenzuständigkeit, Dienstrecht, Disziplinarrecht Verfahren, LeistungsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B1642.1999Dokumentnummer
JFT_09989388_99B01642_00