Norm
Vierte Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §12Kopf
SZ 24/94
Spruch
Wird eine Partei, die nicht auf die Teilnahme an der Beweisaufnahmetagsatzung vor dem ersuchten Richter verzichtet hat, von dieser nicht verständigt, so begrundet dies keine Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO., wohl aber einen Verfahrensmangel.
Entscheidung vom 4. April 1951, 1 Ob 227/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht wies die auf Feststellung der außerehelichen Vaterschaft des Beklagten zu der am 19. Juni 1943 geborenen Klägerin und auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von 30 RM gerichtete Klage ab. Da die Mutter der Klägerin deutsche Staatsbürgerin sei, müsse gemäß § 12 der Vierten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz deutsches Recht angewendet werden. Zwischen der Mutter des Kindes und dem Beklagten sei es allerdings Ende September oder wahrscheinlich erst im Oktober 1942, also innerhalb der für die Zeugung gesetzlich in Betracht kommenden Zeit, zum Geschlechtsverkehr gekommen und es sei gemäß § 1717 DBGB. die außereheliche Vaterschaft des Beklagten zu vermuten. Da aber Mehrverkehr der Kindesmutter anzunehmen sei, die über Nacht in Männergesellschaft und betrunken gewesen sei und für die Zeit knapp vor der Bekanntschaft mit dem Beklagten anderweitigen Geschlechtsverkehr zugegeben habe, müsse Schwängerung der Beklagten durch einen anderen Mann angenommen werden. Jedenfalls könne der Beklagte mit Rücksicht auf diesen Mehrverkehr nach § 1717 Abs. 1 DBGB. als Zahlvater nicht in Anspruch genommen werden. Infolge Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht den Ausspruch des Erstgerichtes über die Vaterschaft des Beklagten dahin ab, daß dieser als Vater der Klägerin festgestellt wurde. Bezüglich des Unterhaltsbegehrens hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Auf Grund der wiederholten Vernehmung der Kindesmutter als Zeugin und des Beklagten als Partei sei als erwiesen anzunehmen, daß ein Mehrverkehr der Mutter des Kindes mit einem bestimmten Mann innerhalb der Vermutungsfrist nicht stattgefunden habe. Es streite daher die Vermutung des § 1717 DBGB., die nicht widerlegt worden sei, für die Vaterschaft des Beklagten.
Mit Rücksicht darauf sei das erstgerichtliche Verfahren über das Unterhaltsbegehren mangelhaft geblieben, und es sei Sache des Erstgerichtes, die Einkommensverhältnisse und Sorgepflichten des Beklagten zu erheben und die Devisenbestimmungen zu beachten.
Der Oberste Gerichtshof gab Revision und Rekurs der beklagten Partei Folge, hob Urteil und Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Mit dem Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO. macht der Revisionswerber geltend, daß er vom ersuchten Gericht in H. von der Tagsatzung zur neuerlichen Vernehmung der Kindesmutter am 29. Juni 1950 nicht verständigt worden sei, obwohl er auf Benachrichtigung nicht verzichtet habe. Es ist allerdings richtig, daß in den Akten kein Hinweis dafür enthalten ist, daß der Beklagtenvertreter vom Amtsgericht H. von der Vernehmungstagsatzung am 29. Juni 1950 in Kenntnis gesetzt worden wäre. Ein Zustellschein liegt nicht vor. Allein eine Nichtigkeit kann in diesem ungesetzlichen Vorgang deshalb nicht erblickt werden, weil nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO. Nichtigkeit nur dann anzunehmen ist, wenn hiedurch der Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, entzogen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn die Partei von Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht nicht verständigt wurde, nicht aber, wenn die Verständigung von der Vernehmungstagsatzung vor dem ersuchten Richter unterblieben ist. Denn bei einer solchen wird zum Unterschied von Streitverhandlungen nicht "verhandelt", das heißt streitig Prozeß geführt, sondern es beschränkt sich die Tätigkeit des ersuchten Richters im Normalfall auf die Aufnahme von Beweisen (GZ. 1921, S. 110). Soweit der Revisionswerber die Unterlassung seiner Verständigung von der Tagsatzung zur Vernehmung der Kindesmutter als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend macht, ist die Revision jedoch berechtigt. Die Kindesmutter ist zum erstenmal am 26. April 1949 vernommen worden. Ihre damalige Zeugenaussage steht mit ihren Angaben bei der neuerlichen Vernehmung vom 29. Juni 1950 nicht durchwegs im Einklang. Insbesondere fällt auf, daß sie bei der ersten Vernehmung davon sprach, sie habe kurz vor der Bekanntschaft mit dem Beklagten, den sie Ende September oder Anfang Oktober 1942 kennengelernt habe, mit einem anderen Manne Geschlechtsverkehr gehabt. Diese Aussage stellte sie dann dahin richtig, daß sie zwei Monate vor der Bekanntschaft mit dem Beklagten, die sie nunmehr in die Mitte des Monates September 1942 verlegte, anderweitig geschlechtlich verkehrt habe. Die Frage, welche dieser beiden Aussagen richtig ist, hat deshalb besondere Bedeutung, weil der Mehrverkehr im ersten Fall in die gesetzliche, am 21. August 1942 beginnende Vermutungsfrist fiele, im anderen jedoch nicht. Dem Revisionswerber durfte die Möglichkeit, durch Befragung der Kindesmutter auf eine befriedigende Aufklärung der Widersprüche hinzuwirken, durch die Unterlassung der Verständigung von der Vernehmungstagsatzung nicht genommen werden. Es bedeutet eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, daß das Berufungsgericht trotz der diesbezüglichen Mängelrüge des Revisionswerbers bei der Berufungsverhandlung vom 22. September 1950 das Amtsgericht H. nicht um neuerliche Vernehmung der Kindesmutter nach ordnungsmäßiger Verständigung auch des Revisionswerbers ersucht hat.
Es wird aber auch notwendig sein, die vom Beklagten behauptete Unmöglichkeit der Zeugung der Klägerin durch ihn in der Richtung zu prüfen, ob es medizinisch denkbar ist, daß nach einem Geschlechtsverkehr von Ende September oder Anfang Oktober 1942 schon am 19. Oktober 1942 auf Grund des Eintrittes von Übelkeiten die Schwangerschaft von der Kindesmutter festgestellt werden konnte oder ob das Ausbleiben der Regel auf einen früheren Geschlechtsverkehr zurückgeführt werden müßte. Bei der erforderlichen Heranziehung eines ärztlichen Sachverständigen wird auch die klare Feststellung eine Rolle spielen, ob das Kind bei der Geburt voll ausgetragen war. Nötigenfalls wird auch die anthropologisch-erbbiologische Untersuchung in Frage kommen. Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Unterbrechung des Geschlechtsverkehrs kann freilich den Beweis der Unmöglichkeit der Zeugung durch ihn nach ständiger Rechtsprechung nicht erbringen.
Da sich das Verfahren des Berufungsgerichtes in den angegebenen Richtungen als mangelhaft erwiesen hat, mußte das Urteil und der damit in innigem Zusammenhang stehende Aufhebungsbeschluß bezüglich des Unterhaltsbegehrens aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Anmerkung
Z24094Schlagworte
Beteiligung der Parteien an der Beweistagsatzung, Beweisaufnahme durch ersuchten Richter, Unterlassung der Ladung der, Parteien, Ersuchter Richter, Beweisaufnahme durch -, Unterlassung der Ladung der, Parteien, Interventionsverzicht bei Beweistagsatzung, Unterlassung der, Parteienladung ohne -, Ladung zur Beweisaufnahme durch ersuchten Richter, Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO., Nichtverständigung von der, Beweisaufnahmetagsatzung keine -, Partei, Beweisaufnahme durch ersuchten Richter ohne Ladung der -, Rechtliches Nichtverständigung von der Beweisaufnahmetagsatzung, Tagsatzung zur Beweisaufnahme, Unterbleiben der Ladung der Parteien zur, Verfahrensmangel durch Unterlassung der Verständigung der Parteien von, der Beweisaufnahmetagsatzung, Verständigung der Partei von der Beweisaufnahme durch ersuchten Richter, Verzicht auf Beteiligung an der Beweisaufnahmetagsatzung, Ladung der, Parteien ohne -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00227.51.0404.000Dokumentnummer
JJT_19510404_OGH0002_0010OB00227_5100000_000