Norm
ABGB §143Kopf
SZ 24/92
Spruch
Zur Frage der "Bestimmung über die religiöse Erziehung" im Sinne des § 3 Abs. 2 letzter Satz des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung.
Voraussetzung der Religionsänderung bei Waisenkindern durch den Vormund.
Entscheidung vom 4. April 1951, 1 Ob 158/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Oberpullendorf; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Vater der 1944 geborenen Minderjährigen ist im Juli 1944 gefallen. Die Mutter ist im August 1948 in Wien verstorben. Das Kind lebt seit seinem ersten Lebensjahr bei der Schwester der Mutter in K. im Burgenland. Der Gatte dieser Schwester ist der Vormund des Kindes.
Der Kindesvater war evangelischen Glaubens und Volksschullehrer in P., einer vorwiegend evangelischen Gemeinde Burgenlands, während der Vormund des Kindes katholischen Glaubens und Lehrer in der vorgenannten katholischen Gemeinde ist. Die Kindesmutter war - ebenso wie ihre mütterliche Verwandtschaft - katholischen Glaubens, die väterliche Verwandtschaft war evangelisch. Die Pflegeeltern beabsichtigen die Minderjährige "später einmal" zu adoptieren.
Das Erstgericht bewilligte auf Antrag des Vormundes den Wechsel des religiösen Bekenntnisses mit der Begründung, daß schon jetzt alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt werden müßten, die sich aus der Verschiedenheit des Bekenntnisses zwischen den derzeitigen Pflegeeltern und künftigen Wahleltern einerseits und dem Kinde anderseits ergeben könnten.
Das Rekursgericht hat infolge Rekurses des väterlichen Großvaters den Antrag auf Wechsel des Bekenntnisses unter Hinweis auf § 3 Abs. 2, Schlußsatz, des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung (RelErzG.) vom 15. Juli 1921 DRGBl. I S. 939, eingeführt mit Wirksamkeit vom 1. März 1939 durch die Verordnung vom 1. März 1939, DRGBl. I S. 384 (GBlÖ. Nr. 377/1939), abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Vormundes Folge und stellte den erstrichterlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Erstgericht hat seiner Entscheidung eine rechtliche verfehlte Begründung gegeben. Es kommt nach dem Religionserziehungsgesetz nicht darauf an, was für das Kind zweckmäßig ist, sondern ob bei der gegebenen Sach- und Rechtslage ein Wechsel des Bekenntnisses erlaubt ist oder nicht. Im vorliegenden Falle wird der Antrag auf § 3 des Gesetzes gestützt, wonach dann, wenn dem Vormund allein die Sorge für die Person des Kindes zusteht, dieser auch über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Das Erstgericht übersieht jedoch, daß nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung das Recht des Vormundes nur ein Recht der "Erstbestimmung" ist, z. B. bei Findelkindern (Höslinger, "Religionszugehörigkeit und Kindererziehung", Anm. 37 in der Theologisch-praktischen Quartalschrift 1947. S. 225 ff.; ferner Kipp in Kahl's Festschrift, Tübingen, Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1923, S. 42 ff.; Palandt, BGB., 1944, S. 1464 ff., Pfundtner - Neubert, Ausgabe für Österreich, I d 88, S. 1464 ff., Pfundtner - Neubert, Ausgabe für Österreich, I d 8, die wichtige Einschränkung: "Der Vormund kann eine schon erfolgte Bestimmung über die religiöse Erziehung nicht ändern". Das ist der Wortlaut des Schlußsatzes des Absatzes des § 3 RelErzG. Eine derartige Änderung kann auch nicht mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes erfolgen. Diese Bestimmung schließt sich an die sonstigen Vorschriften an, die den Fall betreffen, daß der Vormund (oder der Pfleger) "allein" steht, nicht neben Vater oder Mutter. Die Hauptfrage bleibt, welche "Bestimmungen" es sind, die der Vormund nicht ändern kann. Jedenfalls kann er nicht eine von den Eltern oder eine von einem Elternteil gültig getroffene "Bestimmung" ändern, auch wenn sie noch nicht durch den Beginn der Erziehung in dem bestimmten Bekenntnis in praktische Wirksamkeit getreten war (Kipp, a. a. O.).
Das Rekursgericht beruft sich darauf, daß die Minderjährige evangelischen Bekenntnisses ist; daraus ergebe sich, daß die "Bestimmung" bereits erfolgt sei, und daß daher der Schlußsatz des § 3 Abs. 2 RelErzG. Anwendung zu finden habe. Das Rekursgericht meint also, es habe derzeit beim evangelischen Bekenntnisse des Kindes zu verbleiben.
Diese Ansicht des Rekursgerichtes vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen. Es ist zwar richtig, daß durch die evangelische Taufe des Kindes der Vater zum Ausdruck brachte, daß das Kind im evangelischen Glauben erzogen werden soll (JFG. 12, 149 ff.). Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Vater des Kindes bereits ein halbes Jahr nach dessen Geburt gestorben ist. Die väterliche Gewalt und mit dieser auch die Sorge für die Person des Kindes endet mit dem Tode des Vaters. Das Gesetz versteht unter der "Bestimmung über die religiöse Erziehung des Kindes" (§ 1 Satz 1) nicht bloß die erst künftige, also nicht die erst nach dem Tode des Bestimmungsberechtigten zu vollziehende Anordnung, sondern die Umsetzung des über die religiöse Erziehung gefaßten Willens in die Tat durch Vornahme der Erziehung des Kindes in dem gewählten Bekenntnisse. Von einer religiösen Erziehung des Kindes kann im Zeitpunkte des Todes des Kindesvaters noch keine Rede sein. Nachdem der Vater gestorben war, hat der andere Elternteil das ausschließliche Bestimmungsrecht über die religiöse Erziehung des Kindes erlangt, weil in diesem Punkte das Gesetz das Vertragsprinzip der Ehegatten nicht anerkennt und die Unwiderruflichkeit der Einigung erst durch den Beginn der Erziehung in praktische Wirksamkeit getreten ist.
Die Kindesmutter gab bald nach dem Tode des Vaters das Kind zu ihrer katholischen Schwester, der Gattin eines katholischen Lehrers, zur weiteren Erziehung. Damit hat sich die Kindesmutter, der alle Verhältnisse im Hause ihrer Schwester bekannt waren, auch dazu entschlossen, daß ihr Kind im katholischen Glauben erzogen werde (gleicher Fall: JFG. 12. 149 ff.).
Für den Vormund aber ist, wenn beide Eltern tot sind, die Bestimmung bereits "erfolgt", wenn das Kind bisher kraft einer Einigung der Eltern oder kraft der Bestimmung eines Elternteiles (§ 2) in einem bestimmten Bekenntnis erzogen wurde. Die vom Gesetze getroffene unabänderliche Regelung, daß der Vormund an eine Bestimmung über die religiöse Erziehung seines Mundels, die er beim Antritte seines Amtes vorfindet, gebunden ist, beweist, daß der Gesetzgeber für den Fall des Überganges des Personenfürsorgerechtes auf einen Vormund den vorher bestehenden Zustand hinsichtlich der religiösen Erziehung des Kindes aufrechterhalten wissen will (JFG. 6, 66 ff.).
Im vorliegenden Falle hatte die Kindesmutter nach dem Religionserziehungsgesetz die Berechtigung und die Verpflichtung, die "Bestimmung" der religiösen Erziehung des Kindes allein vorzunehmen. Sie war allein verfügungsberechtigte Person, und gemäß § 1 des mehrfach erwähnten Gesetzes bestand die Möglichkeit einer freien Einigung der Eltern nicht mehr. Nach dem Inhalte des § 143 ABGB. obliegt der ehelichen Mutter die Erziehung und damit das Recht der Bestimmung des Bekenntnisses ihrer Kinder dann, wenn der Vater tot ist. Dieses Recht der Mutter unterliegt keiner Einschränkung seitens des Vormundes (§ 218 ABGB.). (Anm. 24 bei Höslinger, a. a. O.). Diese Bestimmung hat die Kindesmutter im vorliegenden Falle vorgenommen. Sie, selbst eine Katholikin, hat ihr Kind in das ihr bekannte katholische Lehrerhaus nach K. zu ihrer katholischen Schwester und deren Gatten, dem katholischen Lehrer dieses Ortes, in Pflege und Erziehung gegeben. Es wäre verfehlt, anzunehmen, daß die Erziehung bis auf weiteres eindeutig durch die Taufe nach dem evangelischen Glauben bestimmt sei. Von einer "schon erfolgten" Bestimmung über die religiöse Erziehung kann sprachlich nur dann die Rede sein, wenn diese Erziehung schon in einer bestimmten Richtung, in einem bestimmten Bekenntnisse, in die Wege geleitet ist. Das Aufziehen eines Kindes von dem Zeitpunkte an, in welchem es sprechfähig wird, ist normalerweise auch der Zeitpunkt des Beginnes der Erziehung eines Kindes in der Richtung eines bestimmten religiösen Bekenntnisses. Es ist also im vorliegenden Falle anzunehmen, daß das Kind mit dem Zeitpunkte des Erlernens der Sprache auch das Beten gelernt hat. Daß die Kindesmutter sich bewußt darüber war, ihr Kind katholischen Verwandten anzuvertrauen, darüber kann nach der Sachlage kein Zweifel bestehen; im übrigen ergibt sich dies eindeutig aus den zum Gegenstande der Ermittlungen vom Vormundschaftsgerichte gemachten Brief der Kindesmutter, den sie etwa ein Jahr vor ihrem Tode geschrieben hat. Somit hat die Kindesmutter berechtigterweise selbst über die religiöse Erziehung ihres Kindes verfügt.
Das Rekursgericht hat diese Verfügung der Kindesmutter übersehen; es glaubte, sich mit der Bestimmung durch den Kindesvater, der die Taufe des Kindes nach evangelischem Glauben verfügte, abfinden zu müssen.
Es bleibt daher, nach der rechtsmäßigen Verfügung der Kindesmutter, kein Raum mehr für eine Verfügung durch den Vormund, wenn er auch hiezu der Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes bedarf und diese erhielte.
Was der Revisionsrekurs hinsichtlich der religiösen Kindererziehung durch letztwillige Verfügung behauptet, bedarf hier keiner näheren Untersuchung, weil die Bestimmung durch die Kindesmutter lange vor ihrem Tode erfolgte, nämlich bereits in dem Zeitpunkte, als das Kind in die Pflege und Erziehung der Schwester der Kindesmutter gelangte. Aber auch der Brief aus A. ist keine letztwillige Verfügung. Im übrigen hat die Entscheidung JFG. 6, 66 ff., die Bestimmung über die religiöse Erziehung durch letztwillige Verfügung verneint.
Aus diesen Erwägungen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung abzuändern und der Spruch des Erstgerichtes, wenn auch nicht aus dessen Gründen, wiederherzustellen.
Anmerkung
Z24092Schlagworte
Bekenntnis, Bestimmung der Erziehung zu einem religiösen -, Bestimmung über die religiöse Erziehung, Eltern, religiöse Kindererziehung, Erziehung, Bestimmung über die religiöse -, Kind Bestimmung der religiösen Erziehung eines -, Konfessionszugehörigkeit, Bestimmung der - des Mundels, Mundel, Änderung des Religionsbekenntnisses eines - durch den Vormund, Religion, Bestimmung der Zugehörigkeit des Mundels zu einer -, Religiöse Erziehung, Bestimmung über die -, Vormund, Änderung der Religion eines Waisenkindes durch den -, Waisenkind, Religionsänderung eines - durch den Vormund, Wechsel der Konfession eines Waisenkindes durch den VormundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00158.51.0404.000Dokumentnummer
JJT_19510404_OGH0002_0010OB00158_5100000_000