Norm
Handelsgesetzbuch §346Kopf
SZ 24/108
Spruch
Über die Bedeutung und den Anwendungsbereich der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen.
Entscheidung vom 18. April 1951, 3 Ob 195/51.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger hat mit der beklagten Aktiengesellschaft im Jahre 1946 einen Speditionsvertrag geschlossen, demzufolge die beklagte Partei die Beförderung von Umzugsgut (Wohnungseinrichtungen und Musikinstrumente) von Wien nach Winterhall im Kreis Celle übernahm. Während des Transportes erlitt das Speditionsgut wegen Undichtheit des Waggondaches Wasserschaden, außerdem wurde ein zum Umzugsgut gehöriger Spiegel zerschlagen.
Mit Teil- und Zwischenurteil vom 30. Oktober 1947 hat das Handelsgericht "den Anspruch des Klägers auf Bezahlung eines Schadenersatzes" im Betrage von 5935 S als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannt. Es hielt die Beklagte für den durch Regenwasser entstandenen Schaden verantwortlich. Den Einwand der beklagten Gesellschaft, daß die Haftung durch § 57 Z. 4 der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp.) ausgeschlossen sei, lehnte das Erstgericht mit der Begründung ab, daß diese Bedingung weder als Norm noch als Vertragsinhalt für das Geschäft maßgebend sein könnte.
Das Oberlandesgericht bestätigte dieses Urteil und bemerkte zu dem auf die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen gegrundeten Einwand des Haftungsausschlusses, daß der § 57 Z. 4, selbst wenn diese Bedingungen noch in Geltung stunden, jedenfalls nicht in dem Sinne auszulegen sei, daß eine Haftung für vermeidbare Witterungsschäden ausgeschlossen sei. Im fortgesetzten Verfahren erweiterte der Kläger unter Vorlage einer von einer Bau- und Möbelwerkstätte vorgenommenen "Schadensfeststellung vom 10. Oktober 1948" das Begehren auf Zahlung von 8590 DM, allenfalls auf Zahlung des entsprechenden Wertes in österreichischen Schillingen.
Mit Endurteil vom 17. Oktober 1950 hat das Erstgericht die beklagte Gesellschaft zur Zahlung eines Betrages von 1500 S samt 5% Zinsen seit 13. Juli 1946 verurteilt, das Mehrbegehren aber abgewiesen. Hiebei stellte das Erstgericht auf Grund der "Schadensfeststellung vom 10. Oktober 1948" und der Aussage zweier Zeugen fest, daß der Aufwand von 8340 DM zur Schadensbehebung notwendig war. Auf den Betrag von 1500 S stellte das Erstgericht im Hinblick auf § 54a Punkt 2 der ADSp. ab, der eine Höchstgrenze für die Spediteurshaftung festlegt.
Das Oberlandesgericht hat der Berufung des Klägers teilweise Folge gegeben und das Ersturteil in dem Sinne geändert, daß die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrages von 8340 DM sowie eines Kostenbeitrages von 391.04 DM und zur Zahlung der Prozeßkosten verurteilt wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Bedeutung der Verbindlicherklärung der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen durch die Anordnung des Reichsverkehrsministers vom 29. Dezember 1939 bestand nur darin, daß die Mitglieder der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei gehalten waren, ihren Speditionsverträgen diese Bedingungen zugrunde zu legen. Auf die Auftraggeber erstreckte sich diese Verbindlicherklärung nicht unmittelbar. Die Auftraggeber waren in bezug auf die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen nicht Normunterworfene, sondern unterlagen ihren Bestimmungen nur insoweit, als deren Geltung für den Speditionsvertrag - ausdrücklich oder stillschweigend - vereinbart war (vgl. Kommentar zum Handelsgesetzbuch von Schlegelberger, S. 1459). Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes kommt daher der Frage der verbindlichen Kraft der Anordnung des Reichsverkehrsministers vom 29. Dezember 1939 für die Zeit nach dem April des Jahres 1945 im vorliegenden Fall keine entscheidende Bedeutung zu. Die Frage, ob die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen als lex contractus für den vorliegenden Speditionsvertrag zu gelten hätten, hat das Erstgericht in dem über den Grund des Anspruchs ergangenen Zwischenurteil verneint. Das Berufungsgericht hat sie in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1948 offengelassen. In dem Endurteil hat das Erstgericht die in Rede stehende Frage bejaht. Das Berufungsgericht vertritt in der nunmehr angefochtenen Entscheidung die Ansicht, daß damit das Erstgericht sich über das rechtskräftige Zwischenurteil hinweggesetzt habe. Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Ansicht nicht anzuschließen. Zwischenurteile können nicht im weiteren Umfang der Rechtskraft teilhaft werden als andere Urteile. Darin, daß das Erstgericht die Frage nach der Geltung der Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen neuerdings aufgeworfen hat, vermöchte daher der Oberste Gerichtshof, würde nur auf die Gründe des Zwischenurteils der ersten und zweiten Instanz gesehen werden, keinen Verstoß gegen die Rechtskraftwirkung der Zwischenurteile zu erblicken. Eine andere Frage ist es, ob der Spruch des Zwischenurteils dem im Verfahren über die Höhe des Anspruchs erhobenen Einwand einer Haftungsbeschränkung gemäß § 54 ADSp. entgegensteht. Was zum Grund des Anspruchs und was zu dessen Höhe gehört, ist nicht immer leicht abzugrenzen (Baumbach, ZPO., 18. Aufl., S. 559 ff.). Im deutschen Schrifttum lassen sich Belege finden, die für die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht sprechen, so insbesondere Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts,
4. Aufl., S. 218: "Die Frage der beschränkten oder unbeschränkten Haftung gehört in das Verfahren über den Grund und nicht in das den Betrag betreffende Nachverfahren." Das Revisionsgericht hält es aber für zweifelhaft, ob die Ansicht des Berufungsgerichtes, es wäre, nachdem das Zwischenurteil in seinem Spruch den erhobenen Anspruch dem Grund nach ohne Rücksicht auf eine Haftungsbeschränkung für zu Recht bestehend erklärt hat, der Einwand einer aus den Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen abgeleiteten Haftungsbeschränkung nicht mehr zulässig gewesen, auch in Ansehung der erst im Betragsverfahren vorgenommenen Klagserweiterung gelten könnte. Alle diese Fragen können aber auf sich beruhen. Denn das Revisionsgericht vermag sich der dem Endurteil des Erstgerichtes zugrunde liegenden Auffassung, daß die Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen im vorliegenden Fall Vertragsinhalt geworden seien, nicht anzuschließen. Ganz abgesehen davon, daß nicht schon bei der Auftragsbestätigung von der beklagten Gesellschaft auf die Geltung der Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen hingewiesen wurde, ist auch der in kleiner Schrift gedruckte Hinweis auf der ersten Seite des Lieferscheines unter dem Strich nicht geeignet, die Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen zum maßgebenden Vertragsinhalt zu machen. Denn der Satz "im übrigen arbeiten wir ausschließlich auf Grund der Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen, die durch den Herrn Reichsverkehrsminister mit Anordnung vom 29. Dezember 1939 für rechtsverbindlich erklärt worden sind", kann nicht als genügend angesehen werden, die Kenntnis davon zu verschaffen, daß die Bedingungen Vertragsinhalt werden sollen, zumal die Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen dem Lieferschein nicht beigegeben waren. Daraus aber, daß der Kläger Angestellter eines Erdölwerkes ist, kann nicht gefolgert werden, daß ihm die Allgemeinen Spediteurbedingungen geläufig waren. Daß der Kläger in seiner beruflichen Stellung gerade mit Speditionsaufträgen befaßt war, wurde von keiner Seite behauptet. Die Auffassung des Erstgerichtes, daß jeder Angestellte eines größeren Unternehmens - ganz ohne Rücksicht auf seinen Wirkungskreis - wissen muß, daß allgemeine Speditionsbedingungen existieren, ist abzulehnen.
Nach dem Vorausgeführten ist das Ausmaß des Schadenersatzes, der dem Kläger gebührt, daher ohne Bedacht auf den § 54 ADSp. zu beurteilen. Die Ausführungen der Revision zur Frage des Ausmaßes des Schadenersatzes gehen davon aus, daß der beklagten Partei als Spediteur nur ein leichtes Versehen unterlaufen sei. Insofern liegt der Revision eine aktenwidrige Annahme zugrunde. Denn das Berufungsgericht hat in seiner, das Zwischenurteil bestätigenden Entscheidung ausdrücklich ausgesprochen, daß es die Ansicht des Erstgerichtes billigt, die beklagte Partei habe durch die Beförderung des Umzugsgutes in einem Waggon mit einem schwer schadhaften Dach ihre Sorgfaltspflicht gröblich vernachlässigt. Ist aber durch die Entscheidung über den Grund des Anspruches der Grad des Verschuldens der beklagten Partei im Sinne einer groben Fahrlässigkeit festgelegt, dann ist das Berufungsgericht mit vollem Recht davon ausgegangen, daß der Schaden voll zu ersetzen sei und daß für das Ausmaß des Schadens nicht bloß der gemeine Wert im Zeitpunkt der Schädigung maßgebend sei. Wenn die beklagte Partei in ihrer Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, daß der Kläger es schuldhaft unterlassen habe, den Schaden innerhalb einer angemessenen Zeit beheben zu lassen, so setzt sie sich mit der im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Feststellung des Erstgerichtes in Widerspruch, daß im Sommer des Jahres 1946 eine Reparatur auf Grund der amtlichen Zuteilungen an die Tischler unmöglich war, daß eine Reparatur nur zu Schleichhandelspreisen hätte durchgeführt werden können und daß eine Entspannung des Marktes - und damit die Möglichkeit einer Reparatur - erst einige Monate nach der deutschen Währungsreform eingetreten ist.
Anmerkung
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ECLI:AT:OGH0002:1951:0030OB00195.51.0418.000Dokumentnummer
JJT_19510418_OGH0002_0030OB00195_5100000_000