TE OGH 1951/5/9 3Ob241/51

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Veröffentlicht am 09.05.1951
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Norm

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §8
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §68 Abs4
Erstes Rückstellungsgesetz §3 Abs5
Grundbuchsgesetz §33 litd
ZPO §292 Abs2

Kopf

SZ 24/128

Spruch

Haben die Gerichte die Richtigkeit einer von einer Verwaltungsbehörde erteilten Beurkundung gemäß § 292 Abs. 2 ZPO. zu untersuchen, so können sie in diesem Rahmen auch verwaltungsverfahrensrechtliche Vorfragen überprüfen.

Entscheidung vom 9. Mai 1951, 3 Ob 241/51.

I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Liegenschaft in der Stadt St. P. EZ. X. stand vor dem Jahre 1938 im Eigentum der Republik Österreich. Auf Grund des § 12 Abs. 1 der ersten Verordnung zur Durchführung des Ostmarkgesetzes vom 10. Juni 1939, DRGBl. I S. 995, ist das Eigentum an der bezeichneten Liegenschaft auf das Deutsche Reich übergegangen. Dieses hat mit Kaufvertrag vom 5. November 1942 und 12. Juli 1943 die Liegenschaft dem Gemeindeverband des Landkreises St. P. verkauft und es ist auf Grund dieses Kaufvertrages das Eigentum für den Gemeindeverband einverleibt worden.

Auf Grund des Bescheides der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Dienststelle für Vermögenssicherung und Rückstellungsangelegenheiten vom 3. Mai 1949 ist die bezeichnete Liegenschaft nach den Bestimmungen des Ersten Rückstellungsgesetzes vom 26. Juli 1946, BGBl. Nr. 156, an den geschädigten Eigentümer, das ist die Republik Österreich, mit 31. Mai 1949 zurückgestellt und diese Rückstellung durch Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten der Republik Österreich am 23. Juli 1949 grundbücherlich durchgeführt worden.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes St. P. vom 25. Oktober 1949, P ..../49-3, wurde der Bezirkshauptmann Dr. Bruno S. gemäß § 276 ABGB. zur Vertretung des Vermögens des ehemaligen Gemeindeverbandes des Landkreises St. P. als Selbstverwaltungskörperschaft als Kurator bestellt.

Am 23. Dezember 1949 hat der bestellte Kurator gegen die Republik Österreich beim Kreisgericht St. P. eine Löschungsklage eingebracht und das Begehren gestellt, die auf Grund des vorbezeichneten Bescheides der Finanzlandesdirektion durchgeführte Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten der Republik Österreich für ungültig zu erklären und diese schuldig zu erkennen, in die Wiederherstellung des früheren Grundbuchsstandes zu willigen.

Mit dem Urteil vom 28. Juli 1950 hat das Erstgericht im Sinne des Klagebegehrens entschieden. Es ging dabei von der Erwägung aus, daß der Bescheid der Finanzlandesdirektion von einer unzuständigen Behörde herrühre und deshalb absolut nichtig sei. Denn die Rückstellung der Liegenschaft hätte nur nach dem Dritten, nicht aber nach dem Ersten Rückstellungsgesetz betrieben werden können. Außerdem sei der Bescheid der Finanzlandesdirektion auch nicht in Rechtskraft erwachsen, weil er, was im Verfahren außer Streit gestellt worden ist, der klagenden Partei niemals zugestellt wurde, die ihm beigesetzte Rechtskraftklausel daher nicht zutreffe.

Auf die Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens geändert. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes ist der Bescheid der Finanzlandesdirektion nicht als absolut nichtig zu betrachten, weil absolute Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nur anzunehmen sei, wenn die Verwaltungsbehörde, die ihn erlassen hat, offenkundig inkompetent gewesen sei. Die Prüfung der Rechtskraft des Bescheides der Finanzlandesdirektion und damit der Richtigkeit der von dieser Behörde ihrem Bescheid beigegebenen Rechtskraftklausel sei den Gerichten versagt. Die materielle Richtigkeit des Rückstellungsbescheides könne nicht geprüft werden, weil die Gerichte an formell rechtskräftige Verwaltungsakte gebunden seien.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Allerdings vermag sich der Oberste Gerichtshof den Ausführungen der Revision nicht anzuschließen, die darzutun versuchen, daß der Rückstellungsbescheid der Finanzlandesdirektion absolut nichtig und daher für die Gerichte unbeachtlich sei. Selbst wenn die Rückstellung der Liegenschaft nicht nach dem Ersten, sondern nach dem Dritten Rückstellungsgesetz zu beurteilen wäre, also die Finanzlandesdirektion zur Erlassung des Bescheides vom 3. Mai 1949 nicht kompetent gewesen wäre, könnte nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes von einer "absoluten Nichtigkeit" nicht gesprochen werden. Der Übergriff in eine fremde Zuständigkeitssphäre macht einen Verwaltungsakt nur dann schlechthin wirkungslos, wenn er, nach seinen wesentlichen Bestandteilen geprüft, unter gar keinen Umständen Objekt des erlassenden Staatsorgans sein konnte (Walter Jellinek "Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen" S. 95). Darin, daß die Rückstellung dem Ersten Rückstellungsgesetz trotz des vorangegangenen Eigentumswechsels unterworfen wurde, könnte nur eine unrichtige Anwendung des Gesetzes, nicht aber die Entfaltung einer Tätigkeit erblickt werden, die absolut, also unter allen Umständen, der Finanzlandesdirektion nicht zusteht. Dazu kommt, daß nach § 68 Abs. 4 AVG. zwar - mit der im Absatz 5 dieser Gesetzesstelle vorgesehenen zeitlichen Schranke - von einer unzuständigen Behörde erlassene Bescheide für nichtig erklärt werden können, diese Gesetzesstelle die Oberbehörde aber zur Nichtigerklärung nicht verpflichtet (vgl. Erk. d. VerfGH. v. 20. Dezember 1948, ÖJZ. 1949, S. 97).

Dagegen ist die Revision im Recht, wenn sie die Auffassung vertritt, daß die Rechtskraftklausel auf dem Bescheid vom 3. Mai 1949 nicht als ein verwaltungsbehördlicher Bescheid, sondern als eine Beurkundung zu werten ist (vgl. Erk. d. VerwGH. v. 24. Jänner 1927, Slg. 14.615). Nach § 292 Abs. 2 ZPO. kann aber eine solche Beurkundung auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Diese Prüfung führt zu dem Ergebnis, daß die Beurkundung der Rechtslage nicht entspricht. Es steht außer Streit, daß der Rückstellungsbescheid der klagenden Partei nicht zugestellt worden ist. Daß aber der klagenden Partei, die im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist und der ihr Eigentum jetzt durch den Bescheid der Finanzlandesdirektion entzogen werden soll, nach § 8 AVG. Parteistellung gebührt, kann ebensowenig zweifelhaft sein, wie daß nach dem im vorliegenden Fall - mit Recht oder Unrecht - zur Anwendung gebrachten Ersten Rückstellungsgesetz für das Verfahren die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes zu gelten haben. Es hätte daher an dem Rückstellungsverfahren ein Kurator für den grundbücherlichen Eigentümer der Liegenschaft beteiligt werden sollen (vgl. Erk. d. VerfGH. v. 1. April 1950, ÖJZ. 1950, S. 482). Wenn die beklagte Partei meint, daß die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze eine Domäne der Verwaltungsbehörden wären und den Gerichten jede Befassung mit ihnen verwehrt wäre, so irrt sie. Die Gerichte können allerdings rechtskräftige Verwaltungsakte weder auf die Einhaltung der verfahrensrechtlichen noch der materiellrechtlichen Vorschriften überprüfen. Haben aber die Gerichte in einem auf Grund einer Löschungsklage anhängigen Prozeß die Richtigkeit einer von einer Behörde erteilten Beurkundung gemäß § 292 Abs. 2 ZPO. zu untersuchen, dann können sie in diesem Rahmen auch verwaltungsverfahrensrechtliche Vorfragen beurteilen.

Da somit die angefochtene Einverleibung auf einem noch nicht rechtskräftigen Verwaltungsbescheid beruhte, hat das Erstgericht mit Recht dem Klagebegehren Folge gegeben. Keiner näheren Erörterung bedarf es, daß trotz des Wortlautes des § 3 Abs. 5 des Ersten Rückstellungsgesetzes gemäß § 33 lit. d GBG. (vgl. SZ. V/114) nur rechtskräftige Rückstellungsbescheide der Finanzlandesdirektion Grundlage für grundbücherliche Einverleibungen bilden können.

Anmerkung

Z24128

Schlagworte

Beurkundung der Verwaltungsbehörde, Überprüfung der Richtigkeit einer -, Richtigkeit verwaltungsbehördlicher Urkunden, Überprüfung der -, Überprüfung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorfragen durch das Gericht, Urkunde der Verwaltungsbehörden, Überprüfung der Richtigkeit von -, Verfahrensvorschriften des Verwaltungsverfahrens, Überprüfung von -, durch das Gericht, Verwaltungsverfahren, Überprüfung von Vorfragen des - durch das Gericht, Vorfrage des Verwaltungsverfahrensrechtes, Überprüfung von - durch das, Gericht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0030OB00241.51.0509.000

Dokumentnummer

JJT_19510509_OGH0002_0030OB00241_5100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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