Norm
ABGB §21Kopf
SZ 24/140
Spruch
Handlungsfähigkeit ist vor dem Ausspruch der Entmündigung nur bei einem Geisteszustande gegeben, der jenem eines Kindes unter sieben Jahren gleichkommt. Ein Zustand, der bloß eine beschränkte Entmündigung rechtfertigen würde, macht an sich noch nicht handlungsunfähig.
Entscheidung vom 23. Mai 1951, 1 Ob 108/51.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die beschränkt entmundigte Klägerin vertreten durch ihren Beistand begehrt in der Klage, den mit dem Beklagten geschlossenen Übergabsvertrag vom 24. 4. 1947 betreffend die Liegenschaft, Grundbuch St., EZ. 47, als unwirksam aufzuheben und die Beklagte zur Erklärung der Einwilligung zur Einverleibung der Löschung ihres Eigentumsrechtes und zur Einverleibung des Eigentums der Klägerin auf dieser Liegenschaft zu verurteilen. Dieses Begehren wird damit begrundet, die Klägerin sei geisteskrank, ihre Einwilligung zum Vertrag sei daher nicht eine freie und ernstliche gewesen, wobei es nicht notwendig sei, daß der Schwachsinn ein totaler, jede Zurechnungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit ausschließender sei, sondern genüge, daß das Erkenntnisvermögen bloß gestört und die volle freie Willensbildung beschränkt oder beeinträchtigt gewesen sei.
Das Erstgericht erkannte mit Urteil vom 29. August 1950 die Beklagte schuldig, ihre Einwilligung zur Einverleibung des Eigentumsrechtes der Klägerin auf der streitgegenständlichen Liegenschaft zu erklären, wies das Klagebegehren im übrigen ab und führte in den Entscheidungsgründen aus, die Klägerin leide zumindest seit dem Schlaganfall vom Jahre 1943 an einem organisch krankhaften Hirnprozeß, der sowohl auf eine Arterienverkalkung als auch auf Atrophie des Gehirns zurückzuführen sein dürfte; es habe sich ein paranoisches Zustandsbild herausgebildet, das ihre geistige Abwegigkeit bestimmt habe; durch die Krankheit sei die Kritik- und Urteilsfähigkeit der Klägerin in weitgehendem Maße beseitigt worden und sei dieser Zustand schon zur Zeit des Vertragsabschlusses vorhanden gewesen; die Klägerin sei daher damals schon des Gebrauches der Vernunft beraubt gewesen und sei der Vertrag gemäß § 865 ABGB. deshalb ungültig. Die Unwirksamkeit des Vertrages habe schon von Anfang an bestanden und es bedürfe nicht erst einer Aufhebung des Vertrages durch das Gericht; ebensowenig sei das Eigentumsrecht der Beklagten zu löschen.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Beklagten nicht Folge, dagegen der Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im abweislichen Teile dahin ab, daß die Unwirksamkeit des Übergabsvertrages festgestellt wird. Es führte in den Entscheidungsgründen nach Verneinung der behaupteten Verfahrensmängel und Übernahme der erstgerichtlichen Feststellungen in rechtlicher Hinsicht aus, die Gleichstellung des beschränkt Entmundigten mit einem mundigen Minderjährigen (§ 4 Abs. 1 EntmO.) lasse noch nicht den Schluß zu, daß ein in einem Zustand, der nur eine beschränkte Entmundigkeit erfordere, vor der Entmündigung abgeschlossenes Rechtsgeschäft unter allen Umständen wirksam sei. Das Berufungsgericht schließe sich der Ansicht Zeillers an, wonach es bei der Beurteilung, ob ein im Zustande des Schwachsinnes unternommenes Rechtsgeschäft giltig sei, teils auf den Grad des Schwachsinnes, teils auf die Beschaffenheit des Geschäftes, insbesondere ob es dem Betroffenen unnachteilig oder nachteilig sei, ankomme. Da es sich bei dem gegenständlichen Übergabsvertrag um ein unentgeltliches, lediglich die Klägerin belastendes Rechtsgeschäft handle, müsse schon ein Zustand, der eine wenn auch nur beschränkte Entmündigung bedinge, als solcher angesehen werden, der, wenn er auch nicht gänzlich den Gebrauch der Vernunft herbeiführe, so doch die Fähigkeit der Klägerin, die Tragweite dieses Vertrages zu überblicken und dessen Folgen einzusehen, und damit ihr Vermögen ausgeschlossen habe, frei, ernstlich und bestimmt, den Willen zur Einwilligung in den Übergabsvertrag zu bilden und zu erklären; das Begehren, den Übergabsvertrag als unwirksam aufzuheben, sei nichts anderes als das zulässige Begehren auf Feststellung einer anfänglichen Unwirksamkeit.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob das zweitinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Rahmen des Revisionsgrundes nach § 503 Z. 2 ZPO. rügt die beklagte Partei, daß die Vernehmung einer Reihe der von ihr im erstinstanzlichen Verfahren geführten Zeugen, weiters die Beiziehung eines Sachverständigen und die Einholung eines Fakultätsgutachtens unterblieben ist. Hiebei handelt es sich jedoch um angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Berufungsgericht für nicht gegeben angesehen hat. Im Rahmen des Revisionsgrundes nach § 503 Z. 2 ZPO. können aber nur Mängel des Berufungsverfahrens geltend gemacht und vom Revisionsgerichte wahrgenommen werden (vgl. SZ. XXII/106). Soweit ein Beweisantrag im erstinstanzlichen Verfahren nicht gestellt wurde, kann daher das Unterbleiben der Aufnahme dieses Beweises nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden; ebensowenig kann der Antrag zufolge des Neuerungsverbotes nach den §§ 482, 504 ZPO. im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden. Die beklagte Partei bekämpft weiters die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens im wesentlichen mit der Behauptung, daß bei der Wiedergabe von Zeugenaussagen Aktenwidrigkeiten unterlaufen seien und daß das Gutachten mit dem vom selben Sachverständigen im Entmündigungsverfahren erstatteten Gutachten im Widerspruch stehe. Hiezu ist vor allem zu bemerken, daß die Untergerichte dem Gutachten eines Sachverständigen immer zu folgen befugt sind, wenn das Gutachten ihnen schlüssig und überzeugend erscheinen durfte, ihnen dabei kein Verstoß gegen die Denkgesetze zur Last fiel und ihnen auch nicht hätte erkennbar werden müssen, daß der Sachverständige nur in der Außerachtlassung wesentlichen Verhandlungsstoffes zu dem Ergebnisse gelangt sein könne, dem die Gerichte folgen wollen. Innerhalb dieser Grenzen liegt die Beurteilung, zu der die Untergerichte im Anschluß an das Sachverständigengutachten gelangen, auf dem ihnen vorbehaltenen Gebiete der Beweiswürdigung. Soweit die Bemängelung des Sachverständigengutachtens auf eine Bekämpfung dieser Beweiswürdigung hinausläuft, ist sie im Revisionsverfahren unzulässig und unbeachtlich (vgl. SZ. XXII/126). Das Berufungsgericht hat zu den von der beklagten Partei behaupteten Divergenzen zwischen dem im Prozeß erstatteten Gutachten und jenem aus dem Entmündigungsverfahren Stellung genommen und beide gewürdigt. Wenn die beklagte Partei in der Revision behauptet, daß im Gutachten bei der Wiedergabe der Aussagen der Zeugen B. und Dr. Sch. Aktenwidrigkeiten enthalten seien, da der erstere Zeuge nicht angegeben habe, daß ihm die Klägerin verfolgungswahnsinnig vorkomme, und da Dr. Sch. nicht erklärt habe, daß die Klägerin nicht normal sei, so ist dies unrichtig. Die Angabe im Gutachten, der Bürgermeister B. habe angegeben, die Klägerin sei ihm verfolgungswahnsinnig vorgekommen, bezieht sich auf die Aussage des B. im Entmündigungsverfahren. In der Wiedergabe der Zeugenaussage des B. im vorliegenden Prozeß ist von einer solchen Angabe dieses Zeugen keine Rede. Ebensowenig wird bei Wiedergabe der Aussage des Zeugen Dr. Sch. ausgeführt, dieser hätte angegeben, die Klägerin sei nicht normal; vielmehr heißt es nur dort, mit der Klägerin habe man vor dem Schlaganfall normal reden können, später habe sich dies verschlechtert. Demnach handelt es sich bei Ausführung des Revisionsgrundes teils bloß um eine Bekämpfung der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, teils sind die Ausführungen geradezu unrichtig, so daß der Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO. jedenfalls nicht gegeben ist.
Im Rahmen des Revisionsgrundes nach § 503 Z. 4 ZPO. wendet sich die beklagte Partei gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß es bei Schwachsinnigen vor dem Ausspruch der beschränkten Entmündigung für die Beurteilung der Handlungsfähigkeit sowohl auf den Grad des Schwachsinnes als auch auf die Art des Rechtsgeschäftes ankomme. Das Berufungsgericht hat hiezu unter Berufung auf Zeiller ausgeführt, es handle sich um ein unentgeltliches, lediglich die Klägerin belastendes und ihr daher zweifellos nachteiliges Geschäft und müsse daher schon ein Zustand, der lediglich eine beschränkte Entmündigung bedinge, als solcher angesehen werden, der, wenn er auch nicht gänzlich des Gebrauches der Vernunft beraube (§§ 21, 865 ABGB.), so doch die Fähigkeit der Klägerin, die Tragweite dieses Vertrages zu überblicken und dessen Folgen einzusehen, und damit ihr Vermögen ausgeschlossen habe, frei, ernstlich und bestimmt den Willen zur Einwilligung in den Übergabsvertrag zu bilden und zu erklären. Diese Ansicht des Berufungsgerichtes kann nicht geteilt werden. Es mag schon fraglich sein, ob sie überhaupt mit der Meinung Zeiller's wirklich übereinstimmt, der doch dem Grade des Schwachsinnes eine wesentliche Bedeutung beilegt und, wenn er darauf hinweist, daß es auch darauf ankomme, ob das Geschäft dem Betroffenen unnachteilig oder nachteilig sei, eher meint, daß es sich um ein solches Geschäft handeln müsse, daß es eben ein vernünftiger Mensch nicht abgeschlossen hätte. Dies trifft aber offenbar bei einem Übergabsvertrag, der dem Übergeber immerhin das lebenslängliche Fruchtgenußrecht sichert, wohl nicht ohneweiters zu. Ungewöhnlich kann der Vertrag wohl nur insoweit erscheinen, als er mit der Schwiegertochter, u. zw. zu einer Zeit abgeschlossen wurde, als die Scheidung der Ehe mit dem Sohne der Klägerin bereits bevorstand, was doch offensichtlich den Zweck verfolgte, die Liegenschaft den ehelichen Kindern zu entziehen, von denen sich die Klägerin schlecht behandelt wähnte. Wäre letzteres tatsächlich nicht der Fall gewesen, so würde allenfalls ein Motivirrtum im Sinne des § 901 ABGB. in Frage kommen. Jedenfalls kann aber bei einem Zustand, der bloß eine beschränkte Entmündigung rechtfertigt, nicht ganz allgemein die Fähigkeit, die Tragweite eines Übergabsvertrages zu überblicken und dessen Folgen einzusehen, und damit das Vermögen der freien Willensbildung verneint werden. Denn gemäß § 1 Abs. 2 EntmO. können ja nur Personen beschränkt entmundigt werden, die "zwar nicht unfähig sind, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen", sondern nur zur gehörigen Besorgung ihrer Angelegenheiten eines Beistandes bedürfen. Wenn selbst eine bloß relative Unfähigkeit, Wesen und Folgen eines bestimmten Geschäftes einzusehen, als genügend erachtet würde, so könnte diese Unfähigkeit doch nicht bei jedem nur beschränkt zu Entmundigenden ohneweiters bei einem Übergabsvertrag angenommen werden, vielmehr müßte an der Hand eines entsprechenden Sachverständigengutachtens geprüft werden, ob diese Unfähigkeit im konkreten Fall gegeben ist (vgl. JBl. 1934, S. 322). Hievon abgesehen ist aus den §§ 21 und 865 ABGB., die von den Personen sprechen, die des Gebrauches der Vernunft völlig beraubt oder wenigstens unvermögend sind, die Folgen ihrer Handlungen einzusehen, und die diese Personen Kindern unter sieben Jahren gleichstellen, klar zu entnehmen, daß Handlungsunfähigkeit nur bei einem Geisteszustand gegeben ist, der jenem eines Kindes unter sieben Jahren gleichkommt (vgl. Pisko in Klangs Kommentar, 1. Aufl., zu § 21 ABGB., S. 226, Wolff in Klangs Kommentar, 2. Aufl., zu § 21 ABGB., S 153, Entscheidung ZBl. 1917, Nr. 264). Wäre daher der Geisteszustand der Klägerin zur Zeit des Abschlusses des Übergabsvertrages jenem zur Zeit der beschränkten Entmundung gleich, so würde dies eher dafür sprechen, daß die Klägerin zur Zeit des Vertragsabschlusses eben handlungsunfähig war. Genügt nun zur Handlungsunfähigkeit ein Zustand, der bloß eine beschränkte Entmündigung rechtfertigt, an sich noch nicht, so bedarf es einer genauen Prüfung des Geisteszustandes der Klägerin zur Zeit des Vertragsabschlusses. Nun hat das Berufungsgericht erklärt, daß es sämtliche erstrichterlichen Feststellungen übernehme, insbesondere jene, daß der Geisteszustand und damit die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Klägerin zur Zeit des Vertragsabschlusses gleich war wie im Zeitpunkt der beschränkten Entmündigung und der Begutachtung im Rechtsstreit. Diese vom Berufungsgericht übernommenen erstrichterlichen Feststellungen sind jedoch unklar und widerspruchsvoll, da das Erstgericht ja auch angenommen hat, daß die Klägerin zur Zeit des Vertragsabschlusses des Gebrauches der Vernunft beraubt war. Es ist daher aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Geisteszustand der Klägerin zur Zeit des Vertragsabschlusses bloß den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 EntmO. entsprach, oder ob die Klägerin des Gebrauches der Vernunft beraubt war. Aus diesem Gründe ist der Oberste Gerichtshof nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden.
Daher muß der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Anmerkung
Z24140Schlagworte
Beschränkte Handlungsfähigkeit, beschränkte Entmündigung, Entmündigung, Handlungsunfähigkeit, Geisteszustand bei beschränkter Handlungsunfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit vor Ausspruch der Entmündigung, Handlungsfähigkeit beschränkte Entmündigung, Handlungsunfähigkeit vor Ausspruch der Entmündigung, Vollentmündigung, HandlungsunfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00108.51.0523.000Dokumentnummer
JJT_19510523_OGH0002_0010OB00108_5100000_000