TE OGH 1951/6/15 4Ob67/51

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Veröffentlicht am 15.06.1951
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Norm

Angestelltengesetz §17
Arbeiterkammergesetz 1945 §1 Abs3 lita
Arbeiterkammergesetz 1945 §20
Betriebsrätegesetz §2 Abs3 lita
Betriebsrätegesetz §3 Abs3
Betriebsrätegesetz §23
Betriebsrätegesetz §25 Abs3
Handelsgesetzbuch §48 Abs2

Kopf

SZ 24/167

Spruch

Über den Begriff des leitenden Angestellten im Sinne des § 2 Abs. 3 lit. a BRG.

Entscheidung vom 15. Juni 1951, 4 Ob 67/51.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrte Feststellung, daß die Kündigung seines Dienstvertrages durch die Beklagte rechtsunwirksam sei und das Dienstverhältnis aufrechtbestehe. Seine Kündigung sei ohne Verständigung des Betriebsrates von der Kündigungsabsicht erfolgt. Die Aufkündigung sei darum gemäß § 25 Abs. 3 BRG. unwirksam.

Die Beklagte behauptete, Kläger falle nicht unter § 25 Abs. 3 BRG., und es sei darum eine vorherige Verständigung des Betriebsrates entbehrlich gewesen, weil er zum Kreise der leitenden Angestellten im Sinn des § 2 Abs. 3 lit. a BRG. gehörte, da er Prokurist des Unternehmens der Beklagten sei, allerdings nur kollektiv mit dem zweiten Prokuristen zeichnungsberechtigt.

Kläger bestritt seine Eigenschaft als "leitender Angestellter" im Sinne des § 2 Abs. 3 lit. a BRG., weil ihm kein maßgeblicher Einfluß auf die Führung des Betriebes zustehe. Er sei vielmehr umlagepflichtig nach dem ArbKG., habe an den Betriebsratswahlen teilgenommen und sein kollektiv mitzeichnungsberechtigter Kollege sei bei diesen Wahlen sogar zum Angestelltenbetriebsrat gewählt worden.

Das Erstgericht gab der Klage Folge, indem es feststellte, daß Kläger trotz seiner Eigenschaft als (kollektivzeichnungsberechtigter) Prokurist keinen maßgebenden Einfluß auf die Führung des Unternehmens besitze, sondern als Dienstnehmer anzusehen sei und keine betriebswichtige Entscheidung - außer im Falle der Verhinderung des Chefs -, ohne diesen zu befragen oder seine Zustimmung einzuholen, treffen könne. Als Argumente für diese Feststellung zog es auch die Tatsache heran, daß Kläger sich an den Betriebsratswahlen beteiligte, kammerumlagepflichtig ist und daß der Mitprokurist, mit dem zusammen er kollektiv zeichnungsberechtigt ist, sogar als Angestelltenvertreter in den Betriebsrat gewählt wurde. Daran könne die in der Prokura enthaltene Formalvollmacht nichts ändern.

Der Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge, indem es der Rechtsansicht des Arbeitsgerichtes unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des BRG. (Nr. 330 und 344 der stenogr. Beilagen des Nationalrates) beitrat.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revision ist zuzugeben, daß die Prozeßentscheidung davon abhängt, ob man den Kläger zum Kreise der "leitenden Angestellten, denen maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht", im Sinne des § 2 Abs. 3 lit. a BRG. zählt oder nicht. Denn bei Bejahung dieser Frage scheidet er gemäß § 3 Abs. 3 des zitierten Gesetzes aus dem Kreis jener Dienstnehmer aus, auf welche das BRG. und darum vor allem dessen Bestimmungen über den Kündigungsschutz der Dienstnehmer (§ 25 leg. cit.) anzuwenden sind, und der Einwand der Beklagten wäre begrundet, so daß nur noch die Frage der Rechtzeitigkeit der Kündigung zu prüfen wäre, die die Unterinstanzen von ihrem Rechtsstandpunkt aus mit Recht als gegenstandslos übergangen haben. Es sei jedoch der Rechtsansicht der Unterinstanzen beizupflichten, daß der Kläger, obgleich er Kollektivprokurist der Beklagten gemäß § 48 Abs. 2 HGB. war, nicht als leitender Beamter im Sinne des § 2 Abs. 3 lit. a BRG. angesehen werden kann. Wie aus den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Nr. 320 stenogr. Protokoll des Nationalrates) und dem Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung (Nr. 344 ebenda) hervorgeht, begrundet das Gesetz die Ausschließung der Direktoren und (oder) leitenden Beamten, denen ein maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht, vom Kündigungsschutz des § 25 BRG. damit, daß diesen Personen Unternehmerfunktion zukommt, so daß ihre Tätigkeit in die Interessensphäre der übrigen Dienstnehmer eingreift. Es soll demnach eine Interessenkollision vermieden werden. Das Gesetz definiert den Begriff des "leitenden Beamten" ebensowenig wie den des "maßgebenden Einflusses auf die Betriebsführung", weil es sich um fließende Grenzen handelt. Aus den beiden Motivenberichten geht aber deutlich hervor, daß darunter nur solche Personen zu verstehen sind, die berufen sind, auf betriebstechnischem, kaufmännischem oder administrativem Gebiet unter eigener Verantwortung Verfügungen zu treffen, die auf die Betriebsführung von maßgebendem Einfluß sind. Darum ist der Gesetzgeber (vgl. Nr. 320 und 344 zu § 2) der Ansicht, daß diese Begriffe so wie im ArbKG. (§ 1 Abs. 3 lit. a) sehr enge auszulegen sind. Die Unterinstanzen ziehen nun einzelne Tatsachen zur Begründung ihrer Ansicht heran und stellen vor allem unanfechtbar fest, daß die Prokuristen nur ausnahmsweise (während der Abwesenheit des Chefs) und in dringendsten Fällen zur Vertretung des Chefs berechtigt waren, für gewöhnlich aber maßgebende, d. h. betriebswichtige Maßnahmen nur mit Zustimmung des Chefs treffen durften und nach dem Eindruck des Zeugen nur eine beratende Tätigkeit bei solchen Verfügungen des Chefs ausübten. Wenn die Revision behauptet, Kläger habe autonom verfügen können, welchen Dienstnehmern wegen notwendiger Betriebseinschränkung zu kundigen sei, er habe selbständig Einkauf und Materialbeschaffung geleitet, Zahlungen im Einvernehmen mit dem zweiten Prokuristen nach Gutdünken vorgenommen und betriebstechnisch das Unternehmen vollkommen unter seiner Verantwortung geleitet, so sind alle diese Behauptungen unzulässiges neues Vorbringen und darum unbeachtlich. Soweit der Beklagte aber behauptet, der Kläger habe vollständig selbständig den Betrieb in technischer Hinsicht geleitet, steht dieses Vorbringen überdies in offenem Widerspruch zu den gegenteiligen Feststellungen der Unterinstanzen, vor allem, daß der Kläger zwar technischer Leiter des Betriebes war, aber auch in dieser Eigenschaft wichtige Maßnahmen nur im Einvernehmen mit dem Betriebsinhaber getroffen hat, wenn er auch berechtigt war, in Abwesenheit des Chefs dringende Angelegenheiten selbst zu erledigen.

Die Untergerichte haben zur Stützung ihrer Ansicht mit Recht auch darauf hingewiesen, daß nach den nicht bestrittenen Tatsachenfeststellungen der Kläger zum Betriebsrat wahlberechtigt war und auch an den Wahlen teilgenommen hat, daß sein Kollektivprokurist sogar als Angestelltenvertreter in den Betriebsrat entsendet wurde und daß er umlagepflichtig gewesen ist. Die Umlagepflichtigkeit im Sinne des § 20 ArbKG. bildet aber ein charakteristisches Merkmal für die Zugehörigkeit zum Kreis jener Dienstnehmer, die dem BRG. unterliegen, und trifft auf die von ihm ausgenommenen Personen gemäß § 2 Abs. 3 nicht zu (vgl. die zu dem dem § 23 BRG. 1947 inhaltlich analogen § 12 BRG. 1919 ergangenen Entscheidungen ArbSlg. 3187, 3169). Auch aus dem vom Berufungsgericht herangezogenen Akt geht hervor, daß nicht der Kläger selbständig und unter eigener Verantwortung, sondern der Dienstgeber über die Lösung von Dienstverhältnissen entschied und Kläger nur eine beratende Funktion besaß. Auch der Besitz des aktiven und passiven Wahlrechtes zum Betriebsrat ist ein wichtiges Kennzeichen der Zugehörigkeit eines Dienstnehmers zum Kreise der nach dem Gesetz zu behandelnden Dienstnehmer, da die nicht im Sinne des Gesetzes als Dienstnehmer anzusehenden Personen (§ 2 Abs. 3) diese Rechte nicht besitzen können (ArbSlg. 2976).

Den Ausführungen der Untergerichte über die Bedeutungslosigkeit des Umstandes, daß Kläger Kollektivprokurist im Sinne des § 48 Abs. 2 HGB. war, ist zuzustimmen. Für das BRG. 1919 will zwar die Entscheidung ArbSlg. 3187 Prokuristen schlechthin vom Kreise der Angestellten ausschließen. Das ist aber nicht zu vertreten, denn auch der Prokurist ist ein Dienstnehmer und seine weitgehenden, auf der gesetzlichen Formalvollmacht beruhenden Vertretungsbefugnisse im Außenverhältnis sind genau von den Befugnissen zu sondern, die ihm im Innenverhältnis gegenüber dem Machtgeber zustehen. Wenn etwa der Entwurf zum westdeutschen Betriebsverfassungsgesetz, § 4 Abs. 2, aus seinem Geltungsbereich ausdrücklich leitende Angestellte, denen Prokura oder Generalvollmacht erteilt wurde, ausnimmt, so ist das eine positive Regelung, die dem österreichischen Recht fremd ist. Ebensowenig kommt nach den bindenden Feststellungen der Unterinstanzen das in jenem Gesetzentwurf als selbständiges Kriterium angeführte Recht zur Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern in Frage. Die Gewinnbeteiligung des Klägers ergibt kein Argument, weil sie nach § 17 AngG. mit jedem Angestellten im Sinne dieses Gesetzes vereinbart werden kann.

Schließlich hat das Erstgericht auch noch darauf hingewiesen, daß die Machtvollkommenheiten des Klägers schon durch den Umstand, daß er nur kollektivzeichnungsberechtigt ist, eine wesentliche Einschränkung erfahren haben. Kommt diesem Argument bei dem Umstand, daß die Prokura nach außen hin als Formalvollmacht Dritten gegenüber unbeschränkbar ist, geringere Bedeutung zu, so ist für das Innenverhältnis doch jedenfalls nur der erteilte Auftrag maßgebend und die diesfalls vorgenommenen Beschränkungen sind für das Innenverhältnis gültig (Staub - Pisko, S. 313, Baumbach, S. 163). Aus diesen Beschränkungen aber geht hervor, daß nach dem Willen des Prinzipals Kläger und sein Mitprokurist eben nur Angestellte und nicht einmal leitende Angestellte, am wenigsten aber solche waren, die unter eigener Verantwortung wichtige Verfügungen, die auf die Betriebsführung sich beziehen, treffen durften und gleichsam die verlängerte Hand des Unternehmers bilden und diesen selbst vorstellen (vgl. ArbSlg. 2976).

Anmerkung

Z24167

Schlagworte

Angestellter leitender -, gem. § 2 Abs. 3 lit. a BRG., Arbeitsrecht leitender Angestellter, Kündigungsschutz, Auflösung eines Dienstvertrages, leitender Angestellter, Begriff des leitenden Angestellten nach § 2 Abs. 3 lit. a BRG., Betriebsrat, leitender Angestellter, Dienstnehmer leitender Angestellter, Kündigungsschutz, Dienstvertrag leitender Angestellter, Kündigungsschutz, Kündigung leitender Angestellter, Kündigungsschutz leitender Angestellter, Leitender Angestellter, Kündigungsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0040OB00067.51.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19510615_OGH0002_0040OB00067_5100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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