Norm
ABGB §567Kopf
SZ 24/179
Spruch
Wer einen Vertrag wegen Handlungsunfähigkeit eines der Vertragspartner anficht, hat die Handlungsunfähigkeit zu beweisen, wenn auch die betreffende Person kurz nach Vertragsabschluß entmundigt wurde. Ist allerdings festgestellt, daß sich dieser Vertragspartner in einem dauernden Zustand der Handlungsunfähigkeit befand, so hat die Gegenseite zu beweisen, daß er im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei voller Besinnung war.
Entscheidung vom 4. Juli 1951, 1 Ob 452/51.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger, ein Sohn des Rupert G., begehrt die Feststellung der Ungültigkeit des notariellen Übergabsvertrages vom 28. April 1949, durch den sein Vater eine Liegenschaft der Beklagten, der Stiefmutter des Klägers, übergeben hat. Beide Untergerichte haben das Klagebegehren abgewiesen.
Rupert G. wurde auf Grund eines von seinen Kindern am 7. Mai 1949 gestellten Antrages mit Beschluß des Bezirksgerichtes St. Veit an der Glan vom 7. Juli 1949 beschränkt entmundigt. Das Verfahren wurde jedoch vom Landesgericht Klagenfurt vor Erledigung eines Widerspruches eingestellt, weil Rupert G. am 9. Juli 1949 gestorben ist. Das Erstgericht hat angenommen, daß Rupert G. nicht an einer senilen Demenz gelitten hat, einer Krankheit, bei der eine Schrumpfung des Gehirns eintritt, sondern an einer arteriosklerotischen Demenz, die nur auf Ernährungsstörungen im Gehirn zurückzuführen ist und zu großen Schwankungen im Geisteszustand des Erkrankten führt. Trotz der Erkrankung kommt es zu luziden Intervallen, bei denen der Erkrankte die normale Einsicht hat.
Das Erstgericht hat als erwiesen erachtet, daß Rupert G. den Übergabsvertrag in einem Zustande errichtet hat, in dem er geistig vollkommen auf der Höhe war und daß damals keine Gedanken- und Verstandesschwäche bestand, die ihn verhindert hätte, seinen wirklichen Willen zum Ausdruck zu bringen.
Das Berufungsgericht hatte keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und hat dessen Feststellungen übernommen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In rechtlicher Beziehung ist die Meinung des Berufungsgerichtes nicht zu bemängeln, daß die beschränkte Entmündigung als rechtsgestaltender Akt immer erst vom Zeitpunkt des Ausspruches wirkt. Richtig ist allerdings, daß die beschränkte Entmündigung nur auf Grund des Zustandes ausgesprochen werden kann, der vorher bestanden hat. Aber der Ausspruch der beschränkten Entmündigung hat nicht die Wirkung einer Feststellung, daß der geschwächte Geisteszustand schon vorher bestanden hat. Es ist also durchaus zutreffend, daß die Handlungsunfähigkeit eines Entmundigten im Zeitraume vor der Entmündigung im Prozesse bewiesen werden muß. Die Ergebnisse des Entmündigungsverfahrens, ob dies nun zur rechtskräftigen Entmündigung geführt hat oder nicht, können hiebei nur unterstützend verwendet werden. Die Tatsache der späteren Entmündigung spielt also nicht bei der rechtlichen Beurteilung, sondern nur bei der Beweiswürdigung eine Rolle, wobei noch zu beachten ist, daß der geistige Zustand, der zu einer beschränkten Entmündigung führt, nicht dem Zustand der Handlungsunfähigkeit entsprechen muß (1 Ob 108/51). Denn der beschränkten Entmündigung unterliegt derjenige, der zwar nicht unfähig ist, seine Angelegenheiten zu besorgen, zu deren gehöriger Besorgung aber eines Beistandes bedarf. Wer sich in einem solchen Zustand befindet, wird daher grundsätzlich als testierfähig angesehen; allerdings knüpft sich nicht schon an den Zustand, sondern an die Tatsache der Entmündigung die Formvorschrift des § 4 Abs. 2 EntmO.
Die übrigen rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichtes gehen davon aus, daß § 567 ABGB. als materielle Beweisregel nur mehr dann von Bedeutung ist, wenn ein voll Entmundigter ein Testament errichtet hat. Hier besteht nach der Lehre sogar trotz der vollen Entmündigung Testierfähigkeit in Augenblicken voller Besinnung; doch trifft der Nachweis der vollen Besonnenheit denjenigen, der sich auf das Testament berufen will. Diese Umkehrung der Beweislast trifft aber auch denjenigen, der sich auf die rechtsgeschäftlichen Erklärungen einer Person beruft, die, ohne entmundigt zu sein, den Gebrauch des Verstandes verloren hatte. Wäre also festgestellt, daß Rupert G. sich in einem Zustand dauernden Verstandsverlustes befunden hat, so wäre die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beweislast treffe den Kläger, unrichtig. Weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht haben jedoch eine solche Feststellung vorgenommen. Das Erstgericht, dessen Beweiswürdigung vom Berufungsgericht voll übernommen wurde, hat überdies, ohne die Frage der Beweislast zu erörtern, ausdrücklich festgestellt, daß Rupert G. sich im Zeitpunkte der Vertragserrichtung bei voller Besinnung befunden hat. Wäre also selbst die Umkehrung der Beweislast eingetreten, die von der Revision behauptet wird, so würden die Feststellungen der Untergerichte ausreichen.
Der Revision war also der Erfolg zu versagen.
Anmerkung
Z24179Schlagworte
Anfechtung eines Vertrages wegen Handlungsunfähigkeit des Partners, Beweislast für Handlungsunfähigkeit, Beweispflicht bei Handlungsunfähigkeit, Dauernde Handlungsunfähigkeit, Vertragsanfechtung, Eintritt der Handlungsunfähigkeit, Beweislast für -, Entmündigung nach Vertragsabschluß, Geschäftsunfähigkeit, Anfechtung eines Vertrages wegen -, Handlungsfähigkeit, Beweis der - , Handlungsunfähigkeit, Beweislast bei dauernder -, Handlungsunfähigkeit des Vertragspartners, Anfechtung wegen -, Kuratel kurz nach Vertragsabschluß, Rechtsgeschäft Anfechtung wegen Handlungsunfähigkeit, Vertragsabschluß, Entmündigung nach -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00452.51.0704.000Dokumentnummer
JJT_19510704_OGH0002_0010OB00452_5100000_000