SZ 24/250
Judikatenbuch Nr. 55.
Das Fristengesetz (§ 1) findet auf alle in einem Kollektivvertrag zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen vorgesehenen Fristen Anwendung, die nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufen sind, gleichviel, wann die Frist zu laufen begonnen hat. Es kommt nicht darauf an, ob die Frist vor dem Inkrafttreten des Fristengesetzes abgelaufen ist oder erst nach diesem Zeitpunkt durch Kollektivvertrag festgesetzt wurde. Sind in Kollektivverträgen besondere Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen beim Dienstgeber (Betriebsleiter usw.) vorgeschrieben, an die sich erst weitere Fristen zur gerichtlichen Geltendmachung des vom Dienstgeber abgelehnten Anspruches anschließen, so findet das Fristengesetz nur auf die letzteren, nicht aber auf die erstbezeichneten Fristen Anwendung.
Wo Kollektivverträge ohne Unterscheidung Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen vorschreiben, genügt zur Wahrung des Anspruches die außergerichtliche Geltendmachung.
Gutachten vom 29. September 1951, Präs 344/51.
Begründung:
I. Die Rechtsquellen.
A) Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung vom 27. September 1944, DRGBl. I
S. 229, in Kraft getreten am 15. Oktober 1944:
"§ 32. Die Verjährungsfristen werden vom Inkrafttreten dieser Verordnung ab bis zum Schlusse des Jahres 1945 gehemmt.
§ 33. Die Bestimmung des § 32 gilt sinngemäß:
1. für Fristen, die für die Beschreitung des Rechtswegs oder die sonstige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmt sind, ....."
B) Bundesgesetz vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, über die Zulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung verjährter Rechte (Fristengesetz).
"§ 1. Ein Recht kann trotz Ablaufes der Verjährungsfrist oder der sonstigen für die Beschreitung des Rechtsweges oder die anderweitige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren vorgeschriebenen Frist noch bis 30. Juni 1948 gerichtlich geltend gemacht werden, wenn diese Frist erst nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufen ist."
Verlängert wurde dieses Gesetz durch BG. vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, bis 30. Juni 1949, BG. vom 19. Mai 1949, BGBl. Nr. 131, bis 31. Jänner 1950, BG. vom 1. Dezember 1949, BGBl. Nr. 3 ex/50, bis 30. Juni 1950, BG. vom 24. Mai 1950, BGBl. Nr. 123, bis 30. Juni 1951, BG. vom 17. Mai 1951, BGBl. Nr. 126, bis 30. Juni 1952.
II. Judikatur.
Die bisherige Rechtsprechung, insoweit sie die im Antrag des Bundesministeriums für Justiz behandelten und damit eng zusammenhängenden Fragen der Auslegung des Fristengesetzes betrifft, wird bei der Erörterung der einzelnen Rechtsfragen auszugsweise besprochen.
III. Vorfragen.
1. In der Rechtsprechung wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob das Fristengesetz nur auf Fristen, die vor dem 31. Dezember 1945 zu laufen begonnen haben, Oder auch auf solche anzuwenden sei, die erst nach diesem Zeitpunkt zu laufen begannen, wobei dann für den zweiten Fall wieder die weitere Frage auftaucht, ob die Frist schon vor dem Inkrafttreten des Fristengesetzes abgelaufen sein müsse oder ob das Gesetz auch auf solche Fristen anzuwenden sei, die erst nach diesem Zeitpunkt zu laufen anfingen.
a) Die Ansicht, das Fristengesetz beziehe sich nur auf Fristen, die schon vor dem 31. Dezember 1945 zu laufen begannen (EvBl. 1948, Nr. 255), wird vor allem auf den Wortlaut des Fristengesetzes § 1, aber auch auf die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (385 der Beilagen) gestützt, in denen gesagt wird, die Formulierung des § 1 Fristengesetz lehne sich an §§ 32, 33 der 2.
Kriegsmaßnahmenverordnung an, um gleich erkennbar zu machen, daß sich § 1 Fristengesetz auf die durch diese Vorschriften bis 31. Dezember 1945 gehemmten Fristen beziehe. Außerdem beruft man sich auf die während des Krieges für die Rechtsverfolgung entstandenen großen Schwierigkeiten, die den Anlaß zu dieser Schutzvorschrift geboten haben, nunmehr aber wieder weggefallen seien. Endlich wird auf die Notwendigkeit einschränkender Auslegung eines Ausnahmegesetzes hingewiesen.
Diese Ansicht wird heute kaum mehr aufrecht erhalten. Weder die grammatikalische noch die logische Auslegung zwingen dazu, unter "Fristen, die nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufen sind", nur solche zu verstehen, die schon vor diesem Tage zu laufen begonnen haben. Der Wortlaut deckt vielmehr auch alle anderen Fristen, die nach diesem Stichtag abliefen, gleichviel, wann sie zu laufen begonnen haben. Der Hinweis auf die 2. Kriegsmaßnahmenverordnung im Motivenbericht ist nur historisch zu erklären, da das Fristengesetz sich als Nachfolger dieser Verordnung darstellt und durch seine Rückwirkung den Zeitraum überbrückt, der nach dem 31. Dezember 1945 verstrichen ist.
In der vorliegenden Judikatur wird diese Ansicht ebenfalls überwiegend abgelehnt (vgl. C 56/49 BG Neumarkt, Cg 2009/50 KG. St. Pölten). Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Frage schon zu 2 Ob 141/48, EvBl. 1948, Nr. 777, gleichfalls ablehnend in dem hier vertretenen Sinn Stellung genommen und diese Ansicht in den späteren Entscheidungen 1 Ob 547/50 (JBl. 1951, S. 438) und 4 Ob 7/51 (JBl. 1951, S. 320) wiederholt. Von ihr abzugehen besteht kein Anlaß. Es läßt sich für die hier abgelehnte Ansicht auch nicht etwa, wie gelegentlich versucht wird, eine Stütze im Bericht des Justizausschusses vom 19. Mai 1948 (607 der Beilagen) zur Regierungsvorlage (596 der Beilagen) zum Bundesgesetz vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, finden. Wenn der Justizausschuß meint, es könne seiner Ansicht nach kein Zweifel daran bestehen, daß das Bundesgesetz seinem Wortlaut nach sich ohnedies auf Fristen beziehe, die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens schon abgelaufen sind, so ist damit an das Stammgesetz vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, gedacht. Dieses Gesetz überbrückte aber tatsächlich die Lücke, welche der Ablauf der in § 32 der 2. Kriegsmaßnahmenverordnung genannten Frist geschaffen hatte und sollte die Möglichkeit eröffnen, Rechte geltend zu machen, die infolge des Ablaufes dieser Frist ohne das Fristengesetz bereits vor dessen Inkrafttreten verjährt gewesen wären. Auch die Novelle zum Fristengesetz vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, enthielt eine solche Bestimmung, da sie rückwirkend mit 1. Juli 1948 in Kraft trat (das Gesetz wurde erst am 5. August 1948 im 30. Stück des Bundesgesetzblattes kundgemacht) und somit unmittelbar an die mit 30. Juni 1948 endende Hemmung anknüpfte, welche im Stammgesetz verfügt worden war.
Ebensowenig überzeugt der Hinweis auf die Besserung der Lage, die besondere Schutzmaßnahmen entbehrlich mache. Denn die erläuternden Bemerkungen (385 der Beilagen) besagen ausdrücklich, daß noch immer viele Hindernisse und Erschwerungen für die rechtzeitige Geltendmachung von Forderungen und anderen Rechten bestunden, weshalb es nötig erscheine, die gerichtliche Geltendmachung, wenn die hiefür vorgeschriebene Frist erst nach dem Ende des Jahres 1945 abgelaufen ist, noch bis Ende Dezember 1947 allgemein zuzulassen.
b) Eine Variante der hier erörterten und abgelehnten Ansicht will das Fristengesetz zwar auch auf Fristen anwenden, die nach dem 31. Dezember 1945 zu laufen begannen, aber doch nur unter der Voraussetzung, daß sie vor dem Inkrafttreten des Fristengesetzes 16. September 1947) abgelaufen sind. Damit soll namentlich die Hemmung solcher Fristen ausgeschlossen werden, die erst in Kollektivverträgen festgesetzt wurden, die auf Grund des am 6. August 1947 in Kraft getretenen Kollektivvertragsgesetzes vom 26. Feber 1947, BGBl. Nr. 76 (§ 49 KVG.) abgeschlossen wurden (vgl. C 56/49 BG. Neumarkt, Cr 25/50 BG. Amstetten).
Für diese Ansicht wird darauf verwiesen, daß diese Kollektivverträge begrifflich erst nach dem Inkrafttreten des Fristengesetzes und in Kenntnis seines Inhaltes abgeschlossen wurden, woraus sich ergebe, daß die Parteien, wenn sie Präklusivfristen für die gerichtliche Verfolgung von Ansprüchen vereinbarten, das Fristengesetz als auf ihre Vertragsbeziehungen unanwendbar erklären wollten. Außerdem wird aber auch hier auf die Normalisierung der Verhältnisse hingewiesen, wie sie zur Zeit der Erlassung des Fristengesetzes und des Kollektivvertragsgesetzes bereits eingetreten war und die eine weitere Fristenhemmung entbehrlich mache. In der Judikatur wird diese Meinung u. a. in C 56/49 des BG. Neumarkt sowie Cr 25/50 des BG. Amstetten vertreten, jedoch in letzter Sache vom übergeordneten Berufungsgericht (KG. St. Pölten, Cg 2009/50) ausdrücklich abgelehnt, ebenso vom Obersten Gerichtshof in seinen Entscheidungen 2 Ob 141/48, EvBl. 1948, Nr. 777, 1 Ob 547/50, JBl. 1951, S. 438, 4 Ob 7/51, JBl. 1951, S. 320.
Die in diesen oberstgerichtlichen Entscheidungen gegebene Begründung erscheint auch heute noch durchaus zutreffend. Die bloße Tatsache, daß zur Zeit der Errichtung eines Kollektivvertrages das Fristengesetz vom 2. Juli 1947 schon galt, berechtigt noch nicht zur Schlußfolgerung, die Parteien des Kollektivvertrages hätten bei der Setzung von Fallfristen beabsichtigt, das Fristengesetz auszuschließen, ganz abgesehen davon, daß es im Hinblick auf den Schutzcharakter dieses Gesetzes, der in den Motivenberichten immer wieder betont wird, anzunehmen ist, daß seine Bestimmungen zwingenden Charakter beanspruchen und darum unabdingbar sind. Zum mindesten hätte ein vereinbarter Ausschluß der Anwendung des Fristengesetzes ausdrücklich und schriftlich (§ 2 Abs. 1 KVG.) festgehalten werden müssen. Bloß aus konkludenten Handlungen oder Unterlassungen läßt sich eine so wichtige Vereinbarung nicht zwingend erschließen. Dazu kommt, daß das Fristengesetz, wie eingangs dargelegt wurde, seither wiederholt durch Novellen verlängert wurde und darum auch die Kollektivverträge stets in diesem Sinn hätten ergänzt werden müssen.
Was aber die vermeintliche Entbehrlichkeit der Schutzmaßnahmen wegen der immer mehr fortschreitenden Konsolidierung und Normalisierung der Verhältnisse betrifft, so genügt es, auf die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, betreffend die abermalige Erstreckung des Fristengesetzes vom 3. April 1951 (340 der Beilagen), hinzuweisen, in denen es heißt: "Trotz gewichtiger Bedenken, die gegen eine generelle Verlängerung des angeführten Termins bestehen, muß doch eine neuerliche Erstreckung in Aussicht genommen werden, da die Rechtslage auf verschiedenen wichtigen Gebieten nach wie vor ungeklärt ist und für die Geltendmachung von Rechten vielfach noch erhebliche Schwierigkeiten bestehen. Die an die letztmalige Verlängerung der Fristen geknüpfte Erwartung, daß bis zum 30. Juni 1951 normale Verhältnisse eingetreten sein würden, hat sich nicht erfüllt. Es hat sich vielmehr an dem damals bestehenden Rechtszustand nichts geändert." Hiezu ergänzt der Bericht des Justizausschusses (345 der Beilagen): "Der Umstand, daß wir heute, sechs Jahre nach Beendigung der Kriegshandlungen, noch immer nicht zu einer Klärung unserer staatlichen Stellung gekommen sind, hat die Normalisierung der Verhältnisse in unserem Lande bisher in einem Maße verzögert, das wir uns im Jahre 1947 nicht vorstellen konnten, als das Bundesgesetz über die Zulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung verjährter Rechte beschlossen wurde. Schon bisher mußte das Gesetz mehrmals in seiner Geltungsdauer erstreckt werden und wieder sah sich die Regierung veranlaßt, vor Ablauf der derzeit geltenden Frist (30. Juni 1951) dem Nationalrat eine neuerliche Verlängerung vorzuschlagen."
Man entnimmt aus diesen Ausführungen, daß nicht bloß die früher besonders hervorgehobenen persönlichen Schwierigkeiten für den einzelnen Rechtssuchenden, wie Verkehrsbehinderungen, Einziehung oder Überlastung der Gerichte, Abwesenheit in Kriegsgefangenschaft - die übrigens für Tausende noch heute besteht für die Verlängerung der Wirksamkeit des Fristengesetzes bestimmend gewesen ist, sondern auch die Ungeklärtheit der staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die auch heute weiter besteht, mag auch die wirtschaftliche und die Verkehrssituation sich weitgehend gebessert haben.
Eben diese Erwägungen führen aber auch dazu, dem Fristengesetz unabdingbaren Charakter zuzuerkennen.
Der Oberste Gerichtshof glaubt daher auch in dieser Hinsicht an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten zu sollen, wonach es für die Anwendbarkeit des Fristengesetzes nur darauf ankommt, ob die Frist nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufen ist, nicht aber wann sie zu laufen begonnen hat, und daß dies insbesondere auch für solche Fristen gelte, die erst nach dem Inkrafttreten des Fristengesetzes oder seiner Novelle zu laufen begannen.
2. Zu manchen Zweifeln gab auch die Frage Anlaß, ob das Fristengesetz nur auf materiellrechtliche Fristen oder auch auf solche anzuwenden ist, die in den Verfahrensgesetzen angeordnet sind, und weiter, ob bloß Verjährungs- oder auch Präklusivfristen betroffen sind. In diesem Punkt ist die Rechtsprechung bereits weitgehend gleichförmig geworden und geht dahin, nur materiellrechtliche Fristen - ohne Unterschied, ob sie echte Verjährungs- oder sogenannte Fallfristen sind - dem Fristengesetz zu unterwerfen (vereinzelt und unklar 2 Cr 201/49 des ArbG. Wien, derzufolge "alle privatrechtlichen Fristen" bis auf weiteres gehemmt sind, und 4 Cr 324/49 desselben Gerichtes, wonach "alle" Fristen bis 30. Juni 1950 gehemmt seien). Für die nun herrschende Auslegung spricht nicht nur der Wortlaut des Gesetzes, sondern auch der Motivenbericht (385 der Beilagen), demzufolge nach Ablauf der gesetzlich festgesetzten Fristen das Recht nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden könne, und der Bericht des Justizausschusses (607 der Beilagen), aber auch die Erwägung, daß eine Hemmung der in den Verfahrensgesetzen normierten Fristen das ganze Rechtsleben zerrütten müßte. Im Einzelfall mag es allerdings fraglich erscheinen, ob eine Frist als eine solche des materiellen oder des Verfahrensrechtes anzusehen ist. Der Oberste Gerichtshof hat grundsätzlich die Anwendbarkeit des Fristengesetzes auf prozessuale Fristen verneint (2 Ob 449/50, JBl. 1950, S. 530), dagegen die Fristen des § 57 EheG. (1 Ob 741/47, SZ. XXI/151) und der §§ 19 Abs. 4 und 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. (3 Ob 140/48, SZ. XXI/95) als materiellrechtliche bezeichnet, während z. B. die Natur der Frist des § 454 ZPO. noch nicht endgültig geklärt ist.
Auch darüber, daß nicht nur Verjährungsfristen im Sinn der §§ 1479 ff. ABGB., sondern auch Fallfristen dem Fristengesetz unterliegen, besteht kein Streit mehr (vgl. C 230/49 BG. Bad Aussee, C 231/50 BG. Wolfsberg, Cr 349/49 ArbG. Innsbruck u. a. m.). Der Titel des Gesetzes, zu eng gefaßt, wird also durch den Wortlaut des § 1 ("sonstige für die Beschreitung des Rechtsweges oder die anderweitige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren vorgeschriebene Fristen") der Absicht des Gesetzgebers entsprechend interpretiert. Dies ist auch die Ansicht des Obersten Gerichtshofes (1 Ob 547/50, 4 Ob 7/51) (vgl. auch dazu Kummer in ÖJZ. 1949, S. 171).
IV. Anwendbarkeit des Fristengesetzes auf kollektivvertraglich geregelte Fristen.
Nach Beantwortung der mit dem Problem in engem Zusammenhand stehenden Vorfragen kann nun dieses selbst behandelt werden:
A) Die Judikatur der Unterinstanzen ist hier nicht einheitlich. Ein Teil der Entscheidungen (C 231/50 BG. Wolfsberg in beiden Instanzen;
C 56/49 BG. Neumarkt als erste Instanz; Cr 349/49 ArbG. Innsbruck als erste Instanz; Cr 25/50 des BG. Amstetten in beiden Instanzen;
LG. f. ZRS. Wien als Berufungsinstanz 44 Cg 271/50 in der Sache 2 Cr 10/50 des ArbG. Wien) lehnt die Anwendung des Fristengesetzes auf kollektivvertraglich geregelte Fristen deswegen ab, weil der Kollektivvertrag ein Vertrag sei und das Fristengesetz auf rechtsgeschäftlich vereinbarte Fristen unanwendbar ist. Die Ansicht, der Kollektivvertrag sei oder entspreche einem Gesetz und die in ihm geregelten Fristen seien darum "vorgeschrieben" im Sinn des § 1 Fristengesetz, wird abgelehnt und die Ansicht vertreten, das Fristengesetz sei auf gesetzlich geregelte Fristen zu beschränken.
Andere Entscheidungen (ArbG. Leoben Cr 204/48 in beiden Instanzen, LG. Innsbruck als Berufungsgericht 1 Cg 62/50 in der Sache Cr 349/49 des ArbG. Innsbruck; ArbG. Wien 2 Cr 10/50) erklären das Fristengesetz schlechthin für anwendbar auf alle kollektivvertraglich geregelten Fristen, sei es ohne nähere Begründung, sei es in der Erwägung, daß Kollektivverträge zwingende öffentlich-rechtliche Normen darstellten, die Parteien nicht nach freiem Ermessen Vereinbarungen treffen könnten und für keinen Partner die Möglichkeit bestehe, von den Abmachungen des Kollektivvertrages abzugehen. Diese Fristen seien daher als "vorgeschriebene" im Sinn des § 1 Fristengesetz anzusehen. Zur Begründung wird noch auf das Kollektivvertragsgesetz, BGBl. Nr. 76 aus 1947, auf Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 483 ff., und Pisko bei Klang 1. Aufl. § 1, S. 66, ferner Adler bei Klang 1. Aufl., § 1153, S. 175 ff., verwiesen, ja der Kollektivvertrag geradezu als Gesetz im materiellen Sinn und deswegen die Kollektivvertrags-Fristen als gesetzliche bezeichnet.
Es ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zunächst festzuhalten, daß das Fristengesetz tatsächlich nur auf gesetzlich bestimmte Fristen anzuwenden ist, wobei "gesetzlich" hier nicht im staatsrechtlichen Sinn zu verstehen ist, sondern für jede von einer verfassungsrechtlich dazu berufenen Institution erlassene Norm gilt. Dagegen findet das Fristengesetz auf rechtsgeschäftlich vereinbarte Fristen keine Anwendung. Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 1 Fristengesetz, da unter "vorgeschrieben" nur eine von der dazu berechtigten Autorität normierte Frist zu verstehen ist. Die Vertragsparteien schreiben einander nichts vor, sondern vereinbaren eine Frist. Auch die Erläuterungen (385 der Beilagen) sprechen ausdrücklich aus, daß nur gesetzlich festgesetzte Fristen vom Gesetzgeber gehemmt werden sollten. Dieselbe Ansicht wird auch bei Heinl - Loebenstein - Verosta, Österreichisches Recht, V, a, 57 (Fristengesetz), S. 2, Anmerkungen, und bei E. Weiss, JBl. 1948, S. 4, ausgesprochen. Sie liegt auch den meisten der angeführten unterinstanzlichen Entscheidungen zugrunde.
Wenn die Gegner dieser Ansicht sich auf die früher bezogenen Erläuterungen berufen, wo es heißt, daß diese Formulierung des § 1 Fristengesetz sich eng an §§ 32, 33 Z. 1 der Zweiten Kriegsmaßnahmenverordnung anschließe, um gleich erkennbar zu machen, daß sich § 1 auf die durch diese Vorschriften bis 31. Dezember 1945 gehemmten Fristen beziehe, so ist für sie aus dieser Bemerkung nichts zu gewinnen.
Denn trotz dieser allgemein gefaßten Bemerkung unterscheidet sich § 1 Fristengesetz textlich wesentlich von §§ 32, 33 Z. 1 der Zweiten Kriegsmaßnahmenverordnung, da er nicht mehr von Fristen spricht, die für die Beschreitung des Rechtsweges im gerichtlichen Verfahren gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmt werden, sondern von Verjährungs- oder sonst für die Beschreitung des Rechtsweges oder die anderweitige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren vorgeschriebenen Fristen. Es wurde schon dargelegt, daß darunter nur die normativ von der gesetzgebenden oder verordnenden Gewalt bestimmten, nicht aber die rechtsgeschäftlich vereinbarten Fristen verstanden werden können. Eine Verlängerung vertraglicher Fristen liegt auch außerhalb des Kreises jener Erwägungen, von denen sich der Gesetzgeber bei der wiederholten Verlängerung der Wirksamkeit des Fristengesetzes hat leiten lassen (vgl. 839, 872 und 596, 607 der Beilagen).
Hält man nun mit der früher zitierten ersten Gruppe von Entscheidungen den Kollektivvertrag für einen, wenn auch mit besonderen Rechtswirkungen ausgestatteten Vertrag, so wird man das Fristengesetz auf die darin vorgesehenen Fristen zur gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruches nicht anwenden. Erblickt man in ihm eine Norm des objektiven Rechtes, so wird man die Frage bejahen.
Es genügt in diesem Zusammenhange zunächst festzustellen, daß die sogenannten Gesamtarbeitsverträge im Sinn des § 2 KVG. sowohl normative wie verpflichtende Teile enthalten, von denen erstere allgemeine Bestimmungen über die Arbeitsbedingungen, also insbesondere Arbeitslohn, Arbeitszeit u. dgl. treffen, die Bestandteile der abzuschließenden Einzelarbeitsverträge werden sollen, während die letzteren die vertragschließenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen binden (Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 482, Pisko bei Klang 1. Aufl. zu § 1, S. 66, und Adler bei Klang, 1. Aufl., § 1153, S. 172).
Ob die normativen Teile eines Kollektivvertrages objektives Recht enthalten (Ehrenzweig, 1. Aufl., c., Anm. 48, und I, 1, S. 59, ebendort S. 482, Anm. 48, und Allg. Teil, 1951, S. 65), geradezu ein vereinbartes Gesetz bedeuten oder eine Verordnung darstellen (Dechant, Der Kollektivvertrag, § 3), ist sehr umstritten. Man wird mit Adler bei Klang, 1. Aufl., § 1153, S. 176, sagen dürfen, daß die Arbeitsvertragsbedingungen des Kollektivvertrages insofern objektives Recht darstellen, als diese Vereinbarungen zwangsläufig und ohne daß eine Abänderung (abgesehen von solchen zugunsten des Dienstnehmers) zulässig wäre, Inhalt des Einzelarbeitsvertrages werden, ohne daß es auf den Parteiwillen ankäme. Von der Verordnung wie vom Gesetz unterscheidet sich der Kollektivvertrag in wesentlichen Stücken (Adler bei Klang 1. Aufl. zu § 1153, S. 177, Anm. 31, 32), so darin, daß er nicht nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen und nicht von den nach der Verfassung dazu berufenen Organen geschaffen und seine Gültigkeit nicht vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten werden kann, vielmehr nur von den ordentlichen Gerichten zu prüfen ist.
Nach herrschender Lehre, der der Oberste Gerichtshof entgegenzutreten sich nicht veranlaßt sieht, stellt der Kollektivvertrag eine Norm dar. Für seine Auslegung sind die Grundsätze der §§ 6, 7 ABGB. heranzuziehen. Der Oberste Gerichtshof ist darum der Ansicht, daß das Fristengesetz auch auf kollektivvertragliche Fristen zur Geltendmachung von Dienstnehmeransprüchen anzuwenden ist.
B) Manche Kollektivverträge treffen nun eine Unterscheidung zwischen
der Frist zur Geltendmachung eines solchen Anspruches gegenüber dem Dienstgeber und seiner Geltendmachung vor Gericht. So bestimmt z. B. der Kollektivvertrag für das Baugewerbe vom 1. September 1948 in § 13 P. 2, daß Ansprüche jeglicher Art aus dem Dienstverhältnis und Reklamationen in bezug auf die Abrechnung binnen sechs Monaten nach Empfangnahme der Abrechnung bei sonstigem Ausschluß beim Dienstgeber oder dessen Beauftragten erhoben werden müssen. Für den Fall der Auflösung des Dienstverhältnisses ordnet § 13 P. 3 an, daß Forderungen jeglicher Art innerhalb eines Monates nach Lösung des Dienstverhältnisses beim Dienstgeber geltend zu machen sind. Lehnt dieser den Anspruch ab, so verfällt er, wenn er nicht binnen weiteren sechs Wochen gerichtlich geltend gemacht wird. Ähnlich bestimmt der Kollektivvertrag für eisen-, metallerzeugende und verarbeitende Industrien und Gewerbe in P. XIX, daß Lohnansprüche verfallen, wenn sie nicht binnen drei Monaten nach Fälligkeit, Ansprüche auf Bezahlung von Zuschlägen zum Lohn, wenn sie nicht innerhalb von sechs Wochen nach Fälligkeit mündlich oder schriftlich bei der Betriebsleitung geltend gemacht werden. Bei rechtzeitiger Geltendmachung beim Betriebsleiter bleibt die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist gewahrt.
Es ist oft nicht leicht zu beurteilen, welche Natur die Frist zur Geltendmachung des Anspruches gegenüber dem Arbeitgeber, bzw. Betriebsleiter besitzt. In der Regel wird sie wohl dahin zu verstehen sein, daß der Anspruch erlischt ("verjährt", "verfällt"), wenn er nicht in offener Frist beim Betriebsleiter u. dgl. erhoben wird. Es bedarf dann zur Durchsetzung des Anspruches nicht nur der gerichtlichen Einklagung, sondern dieser muß die außergerichtliche Geltendmachung beim Dienstgeber vorangehen. Diese Frist dient nicht, auch nicht vorbereitungsweise, der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten oder der Beschreitung des Rechtsweges, sondern einem internen, von den Parteien einvernehmlich der Prozeßführung vorangestellten außergerichtlichen Verfahren (vgl. C 231/50 BG. Wolfsberg, Cr 349/49 ArbG. Innsbruck, 2 R 690/50 LG. Klagenfurt, Cr 422/49 ArbG. Graz und 2 Cg 14/50 LG. f. ZRS. Graz), ist also ihrem Wesen nach von der Ausschlußfrist der zweiten Art, die zur gerichtlichen Verfolgung eines beim Arbeitgeber erhobenen, von ihm aber abgelehnten Anspruches bestimmt ist, verschieden. Sie fällt darum nicht unter das Fristengesetz. Die gegenteilige, in 1 Ob 547/50 ausgesprochene Rechtsansicht wird nicht aufrechterhalten.
C) Daneben gibt es Kollektivverträge, welche diesen Unterschied
nicht machen, sondern nur davon sprechen, daß alle Ansprüche von Arbeitnehmern jeweils drei Monate nach ihrer Entstehung "verjähren", z. B. § 19 des Kollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe vom 18. Oktober 1948, Kollektivvertrag für das Schneidergewerbe P. 4 (Ansprüche sind binnen sechs Wochen nach dem Tage der letzten Lieferung zu erheben).
Hier kann es fraglich sein, ob es zur Sicherung der Ansprüche genügt, wenn sie innerhalb der im Kollektivvertrag vorgesehenen Frist beim Dienstgeber, also außergerichtlich, erhoben werden, oder ob hiezu die gerichtliche Geltendmachung erforderlich ist (vgl. Kummer ÖJZ. 1949, S. 171).
Kummer hält in dem angeführten Aufsatz die Meinung aufrecht, es ginge zu weit, wenn man hier analog der Unterbrechung der Verjährung gerichtliche Geltendmachung fordern wollte. Dies würde auch Schwierigkeiten hervorrufen, da während des Bestehens des Dienstverhältnisses praktisch kaum eine Klage möglich sei. Hinsichtlich der in §§ 967, 982 ABGB. vorgesehenen Befristung von Ansprüchen aus dem Verwahrungs-, bzw. Leihvertrag steht auch Swoboda bei Klang 1. Aufl., zu §§ 967, 982, S. 678, 708 auf dem Standpunkt, außergerichtliche Geltendmachung des Anspruches sei genügend (ebenso Ofner, II, S. 38, 62, GlUNF. 5092, 4596, 4162 u. a. m.). Man wird dieser Ansicht beitreten können. Anschließend greift die Verjährungsfrist im Sinn des § 1486 Z. 3 ABGB. Platz.
Wo das Gesetz die gerichtliche Geltendmachung des Anspruches innerhalb einer bestimmten Frist zwingend vorschreibt (§ 1162d, § 34 Abs. 1 AngG.), muß es dabei verbleiben und es könnte auch der Kollektivvertrag daran nichts ändern.
Ist aber aus dem Kollektivvertrag zu ersehen, daß nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht die Geltendmachung von Lohnbezügen u. dgl., sondern nur die Anfechtung der Regelung in einen bestimmten Lohnsatz, Überstundenverrechnung u. dgl. ausgeschlossen werden soll, so wird man der Ansicht zustimmen können, daß die Unterlassung der Anfechtung als stillschweigende Zustimmung zu der Verfügung des Dienstgebers anzusehen sein wird. Auch auf solche Fristen wird das Fristengesetz unanwendbar sein.
Der Plenarsenat des Obersten Gerichtshofes hat daher beschlossen, die oben angeführten Rechtssätze unter Nr. 55 in das Judikatenbuch einzutragen.