Norm
Ehegesetz §49Kopf
SZ 24/313
Spruch
Werden mit einer Scheidungsklage vermögensrechtliche Ansprüche (auch Alimente) verbunden, so besteht absoluter Anwaltszwang, und zwar auch insoweit, als das Verfahren nur die Ehescheidung betrifft.
Bei absolutem Anwaltszwang bedarf auch der Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches der Mitwirkung von Anwälten.
Entscheidung vom 14. November 1951, 3 Ob 636/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger, ein 22 Jahre alter Hilfsarbeiter, hat eine auf § 49 EheG. gestützte Scheidungsklage zu Protokoll gegeben. Die Ehefrau hat diese Klage mit einer durch einen Armenanwalt angestrengten Widerklage, mit der sie Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Ehemannes und dessen Verurteilung zur Zahlung von Unterhalt begehrte, beantwortet.
Die einzige Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung verrichtete der Ehemann persönlich, während die Ehefrau gemeinsam mit ihrem Armenanwalt erschienen war. Bei dieser Tagsatzung wurde zunächst dem Ehemann mit seiner Zustimmung die Widerklage behändigt. Hierauf wurden Klage und Widerklage zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Die Parteien schlossen für den Fall der Scheidung einen Vergleich, der das Eigentum an der Wohnungseinrichtung sowie die Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes für Frau und Kind und endlich den Prozeßkostenersatz regelte. Der Ehemann nahm sodann seine Klage zurück, während die Ehefrau ihre Widerklage auf Lieblosigkeit und Verweigerung des ehelichen Verkehrs einschränkte.
Nach Durchführung der Parteienvernehmung verkundete das Erstgericht das Urteil auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Ehemannes. Beide Streitteile verzichteten auf Rechtsmittel.
Am nächsten Tag erschien der Kläger bei Gericht und meldete gegen das mündlich verkundete Urteil vom vorangegangenen Tag trotz Belehrung, daß er rechtsgültig auf ein Rechtsmittel verzichtet habe, Berufung an. Innerhalb der 14tägigen Berufungsfrist langte eine Berufung des Klägers, der nunmehr auch anwaltschaftlich vertreten ist, beim Erstgericht ein. Eis wird darin das Scheidungsurteil insofern angefochten, als die Ehe nicht auch aus dem Verschulden der Frau geschieden wurde. Es wird die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Rechtssache an das Prozeßgericht beantragt.
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig gemäß §§ 471 Z. 2, 472 Abs. 1, 473 Abs. 1 und 474 Abs. 2 ZPO. mit Beschluß verworfen.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurse des Ehemannes mit folgender
Rechtliche Beurteilung
Begründung stattgegeben:
Die Frage, ob die Verbindung eines Unterhaltsbegehrens mit einer Scheidungsklage an dem im § 27 Abs. 2 ZPO. und § 2 Abs. 2 der Verordnung, RGBl. Nr. 283 aus 1897 für Ehesachen normierten Grundsatz der Befreiung vom Anwaltszwang etwas ändere, ist strittig. Das ältere Schrifttum (vgl. Pollak, System S. 143, Hermann "Die Zivilprozeßnovellen", S. 103, Note 3, und die herrschende Rechtsübung vertreten die Ansicht, daß bei Verbindung von Scheidungsklagen mit vermögensrechtlichen Ansprüchen aus dem Eheverhältnis gemäß § 27 Abs. 1 ZPO. das Verfahren absolut dem Anwaltszwang unterliege und dieser auch den Eheprozeß selbst ergreife. In jüngerer Zeit hat sich auch Reul, Deutsches Recht, Wiener Ausgabe, 1942, S. 26, zu dieser Auffassung bekannt.
Demgegenüber sprach das Oberlandesgericht Innsbruck in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1940 (R 118/40, R 212/40) die Meinung aus, daß die Verbindung des Unterhaltsbegehrens mit einem Scheidungsbegehren Anwaltszwang nicht nach sich ziehe. Das Oberlandesgericht Innsbruck leitete diese Ansicht aus den Worten "nach den sonst dafür geltenden Vorschriften" in § 7a Abs. 3 JN. ab. Das Oberlandesgericht Innsbruck meinte, daß unter den "sonst geltenden Vorschriften" die Vorschriften des Verfahrens in Ehesachen, insbesondere auch § 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 283/1897, zu verstehen seien. Danach bestunde für die mit Ehesachen verbundenen Unterhaltsstreitigkeiten, wenn der Wert des Unterhaltsbegehrens 4000 S übersteige, nur relativer, wenn der Wert unter dieser Grenze bleibe, überhaupt kein Anwaltszwang, weil nach § 49 Z. 2a JN. derlei Ansprüche zur bezirksgerichtlichen Zuständigkeit gehörten und nur als Nebensachen einer dem Anwaltszwang nicht unterworfenen Gerichtshofsache vor den Gerichtshof gezogen würden. Gleicher Ansicht sind Derganz, Deutsches Recht, Wiener Ausgabe 1941, S. 66, Stagel, Manz'sche Ausgabe der Zivilprozeßordnung 10. Aufl., S. 397 Note 3, und Schwind, Eherechtskommentar S. 299.
Der Oberste Gerichtshof vermag sich der neueren Ansicht über die Ausdehnung der Befreiung vom Anwaltszwang auf die im Sinne des § 7a JN. mit einer Ehesache verbundenen Unterhaltsstreitigkeit nicht anzuschließen.
Die Zulässigkeit der Verbindung von vermögensrechtlichen Ansprüchen mit einer Scheidungsklage im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz wurde durch die mit Art. II Z. 1 der zweiten Gerichtsentlastungsnovelle StGBl. Nr. 116/1920, neu geschaffene Bestimmung des § 7a Abs. 3 JN. normiert, nachdem die Praxis schon vorher solche Verbindungen zugelassen hatte. Im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 7a Abs. 3 JN. wurde durch Artikel II Z. 7 der dritten Gerichtsentlastungsnovelle, BGBl. Nr. 743/1921, die Zuständigkeitsbestimmung des § 76 JN. ergänzt und mit Art. II Z. 3 der dritten Gerichtsentlastungsnovelle die Bestimmung des § 49 Abs. 2 Z. 2a JN. neu eingeschaltet. Die Bestimmung des § 27 Abs. 2 ZPO. und auch die Vorschrift des § 1 Abs. 2 der Verordnung RGBl. 1897, Nr. 283, blieben hingegen unverändert. Aus der amtlichen Begründung zur zweiten Gerichtsentlastungsnovelle geht aber die Absicht des Gesetzgebers in dem Sinne, daß die Befreiung vom Anwaltszwang nur für reine Ehesachen Geltung haben solle, einwandfrei hervor. Die amtliche Begründung spricht nämlich aus, daß an dem Erfordernis des Anwaltszwanges, soweit es bisher bestanden habe, durch die Zulässigkeit der Verbindung von vermögensrechtlichen Ansprüchen mit Ehesachen nichts geändert würde.
Der Rekurs ist also im Recht mit der Behauptung, daß im vorliegenden Falle das gesamte Verfahren nach der Verbindung der Klage mit der auch auf die Verfolgung eines vermögensrechtlichen Anspruches gerichteten Widerklage dem Anwaltszwang unterlag.
Das Berufungsgericht geht bei Verwerfung der Berufung davon aus, es habe der bei der Verhandlung am 2. Juli 1951 geschlossene Vergleich zu einer wesentlichen Einschränkung des Verfahrens geführt. Nach Abschluß dieses Vergleiches habe der Unterhaltsanspruch der Frau nicht mehr einen Gegenstand des Prozesses gebildet, es sei vielmehr Gegenstand des Prozesses nur mehr der vom Unterhaltsanspruch losgelöste Scheidungsanspruch gewesen. In diesem Umfang sei der Kläger und Widerbeklagte aber prozessual dispositionsfähig gewesen.
Der Oberste Gerichtshof vermag dieser Auffassung nicht beizupflichten. Er teilt nämlich nicht die Ansicht des Berufungsgerichtes über die Wirksamkeit des am 2. Juli 1951 geschlossenen Vergleiches.
Absoluter Anwaltszwang bewirkt, daß die Partei für sich allein keinen Vergleich eingehen kann (vgl. Pollak, System, S. 144). Allerdings wird diese Auffassung nicht einheitlich vertreten (gegenteilig Neumann, Komm., 1. Band, S. 486). Aber das dort verwendete Argument, daß nämlich die Partei für sich allein gemäß § 204 Abs. 2 ZPO. auch in einem dem Anwaltszwang unterworfenen Verfahren sich vergleichen könne, vermag nicht zu überzeugen. Denn § 204 Abs. 2 ZPO. setzt die Zustimmung zur Verweisung zum Vergleichsversuch vor einem ersuchten oder beauftragten Richter voraus, diese Zustimmung bedürfte aber im Anwaltsprozeß wieder der Mitwirkung des Anwalts.
Ein Prozeßvergleich ist einerseits eine Prozeßhandlung und anderseits ein zivilrechtlicher Vertrag. Nur der in der Form des Prozeßrechtes und unter Einhaltung der Voraussetzungen des Prozeßrechtes zustande gekommene Vergleich vermag den Prozeß gemäß § 204 ZPO. zu beenden (vgl. OGH. Entsch. vom 8. Feber 1927, ZBl. Nr. 116). Da der Vergleich vom 2. Juli 1951 den zivilprozessualen Vorschriften nicht entsprochen hat, vermochte er Beendigungswirkung in bezug auf das von der Beklagten und Widerklägerin erhobene Unterhaltsbegehren nicht zu äußern. Da das Klagebegehren in diesem Punkte auch nicht ausdrücklich zurückgenommen wurde, ist das Unterhaltsbegehren weiterhin Gegenstand des Prozesses geblieben und es ist aus diesem Gründe der ohne Anwalt abgegebene Rechtsmittelverzicht des Klägers und Widerbeklagten prozessual unwirksam.
Mit der Frage, ob und inwieweit der geschlossene Vergleich nach materiellem Recht gültig geschlossen worden ist, einer Frage, die nicht für die Fortsetzung des Rechtsstreites, sondern nur für seinen Ausgang bedeutsam ist, hatte sich der Oberste Gerichtshof nicht zu befassen.
Anmerkung
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ECLI:AT:OGH0002:1951:0030OB00636.51.1114.000Dokumentnummer
JJT_19511114_OGH0002_0030OB00636_5100000_000