TE OGH 1951/11/14 3Ob450/51

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Veröffentlicht am 14.11.1951
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Norm

Ehegesetz §47
Ehegesetz §55
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §534
ZPO §536 Z5

Kopf

SZ 24/311

Spruch

Die Erhebung neuer zivilrechtlicher Ansprüche mit einer Wiederaufnahmsklage ist insoweit zulässig, als es zur Wiederaufnahme des früheren Verfahrens kommt und darin nach dessen Stand, wie er sich bei Aufhebung des Urteils darstellt, die Geltendmachung neuer Ansprüche nach allgemeinen prozessualen Vorschriften möglich ist.

Es ist zumindest in Ehesachen auch nach Ablauf der einmonatigen Frist des § 534 ZPO. eine Änderung des in der Hauptsache gestellten Klagebegehrens zulässig.

Hatte die Beklagte im Vorprozeß eine Widerklage erhoben, so steht es ihr frei, im Zusammenhang mit der Wiederaufnahmsklage gegen die im Vorprozeß von ihrem Gatten auf § 55 EheG. gestützte Klage Widerspruch zu erheben.

Entscheidung vom 14. November 1951, 3 Ob 450/51.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Im Vorprozesse 26 Cg 236/49 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien wurde am 18. April 1950 die Ehe der Streitteile gemäß § 55 EheG. geschieden, wobei das Gericht den vom Abwesenheitskurator der Beklagten gemäß § 55 Abs. 2 des Ehegesetzes erhobenen Widerspruch mangels eines Verschuldens des Klägers für unzulässig erklärte.

Mit ihrer auf § 530 Z. 7 ZPO. gestützten Wiederaufnahmsklage verband die Wiederaufnahmsklägerin eine auf Ehebruch ihres Ehemannes gegrundete Widerklage nach § 47 EheG. und stellte zur Hauptsache das Begehren auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden ihres Ehemannes. In der mündlichen Streitverhandlung vom 10. November 1950 hat die Wiederaufnahmsklägerin ihr Begehren in der Hauptsache dahin abgeändert, daß sie Abweisung des Scheidungsbegehrens beantragte.

Der Erstrichter ließ die Klagsänderung, gegen die der Beklagte sich aussprach, zu und entschied im Sinne des geänderten Klagebegehrens. Er stellte fest, daß der Beklagte die Ehe durch Ehebruch mit Ludmilla W., die er seither geheiratet hat, zerrüttet habe. Darauf folgerte das Gericht erster Instanz, daß das alleinige Verschulden an der Zerrüttung den Beklagten treffe und der Widerspruch der Klägerin zulässig sei. Es erklärte den Widerspruch auch für beachtlich, da keine Gründe vorlägen, welche die Aufrechterhaltung der Ehe zwischen den Streitteilen als sittlich nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

Vom Berufungsgericht wurde diese Entscheidung bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers und Wiederaufnahmsbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Untergerichte haben mit Recht dem Wiederaufnahmsbegehren stattgegeben. Denn die Feststellungen der Untergerichte rechtfertigen die rechtliche Schlußfolgerung, daß die Beklagte kein Verschulden an der verspäteten Geltendmachung des Ehebruches des Beklagten trifft.

Die Säumigkeit des Kurators war nicht ausschlaggebend; denn es hat sich auch herausgestellt, daß die vom Richter verfügte Zustellung der Klage an die Beklagte deshalb nicht erfolgen konnte, weil der Schriftsatz gar nicht in das Ausland abgesendet worden war.

Auch die Anwendung von § 540 Abs. 1 ZPO. ist zulässig gewesen, da der Wiederaufnahmsgrund sich allein schon aus den Prozeßakten ergeben hat, wie die Untergerichte zutreffend feststellten. Es bedurfte daher nicht der Vorlage weiterer Urkunden.

Der Wiederaufnahmsklägerin kommt in dem wiederaufgenommenen Verfahren über die Hauptsache die Parteistellung der Beklagten zu, so daß von ihr neue Ansprüche nur in der Form der Widerklage erhoben werden konnten. Die Erhebung neuer zivilrechtlicher Ansprüche mit einer Wiederaufnahmsklage muß insoweit als zulässig erachtet werden, als es zur Wiederaufnahme des früheren Verfahrens kommt und darin nach dessen Stand, wie er sich bei Aufhebung des Urteils darstellt, die Geltendmachung neuer Ansprüche nach allgemeinen prozessualen Vorschriften möglich ist. Da die Wiederaufnahmsklägerin zunächst mit ihrem Antrag zur Hauptsache Scheidung der Ehe nach § 47 EheG. anstrebte und Scheidung aus "anderen Gründen" (§§ 50 bis 55 EheG.) neben einer Scheidung wegen Ehebruches nicht ausgesprochen werden kann, ist es klar, daß der Antrag der Wiederaufnahmsklägerin in Angehung der Wiederaufnahme auf Aufhebung des früheren Scheidungsurteils gerichtet war.

Die maßgebliche prozeßrechtliche Frage geht dahin, ob die Bestimmung des § 534 Abs. 1 ZPO. der Änderung des ursprünglich auf Scheidung wegen Ehebruches gerichteten Antrages in den Antrag auf Abweisung der auf § 55 des Ehegesetzes begrundeten Klage des Ehemannes nach Ablauf der einmonatigen Frist entgegensteht.

Das Revisionsgericht hat keine Bedenken, den Erwägungen des Berufungsgerichtes zu dieser Frage grundsätzlich beizutreten, ohne allerdings der Auffassung des Berufungsgerichtes zu folgen, daß der zweite Antrag gegenüber dem ersten ein Minus darstellt. Damit, daß dem Wiederaufnahmsbegehren Folge gegeben wurde, ist das ursprüngliche Urteil beseitigt worden und es ist daher an dessen Stelle ein anderes zu setzen gewesen. Es wäre daher auch nicht korrekt, in derlei Fällen von einer Aufrechterhaltung oder einer Änderung des früheren Urteils zu sprechen, gleichviel, ob über das Aufhebungs- und Erneuerungsbegehren getrennt oder unter einem entschieden wird. Jedenfalls ist auch bei einer verbundenen Verhandlung das Vorbringen der Parteien, soweit es sich auf das Erneuerungsverfahren bezieht, in dem Sinne zu verstehen, daß es die positive Erledigung des Wiederaufnahmsbegehrens vorwegnimmt und voraussetzt.

Das Wiederaufnahmsverfahren ist grundsätzlich ein Verfahren erster Instanz und unterliegt dann, wenn es eine Ehesache betrifft, den besonderen, für Ehesachen geltenden verfahrensrechtlichen Vorschriften. Der aus § 534 ZPO. abzuleitende Schluß, daß eine Klagsänderung und damit auch eine Änderung des in § 536 Z. 5 ZPO. vorgesehenen Ersatzbegehrens nur innerhalb Monatsfrist zulässig sei, trifft jedenfalls in Ehesachen nicht zu. Durch die Bewilligung der Wiederaufnahme fällt das Scheidungsurteil fort und die Eheleute sind ungeschieden. Die wieder vorhandene Ehe genießt grundsätzlich den Schutz, der einer Ehe durch die besonderen verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Ehesachen gewährleistet ist. Es muß jede Ehe vor ungerechtfertigter Anfechtung bewahrt werden.

Aus diesem Gründe muß das Zurückgreifen auf den niemals fallen gelassenen Widerspruch und den ihm entsprechenden Antrag auf Abweisung des Scheidungsbegehrens nach § 55 EheG. zugelassen werden, weil dieses Verteidigungsmittel der Wiederaufnahmsklägerin und Beklagten des Hauptprozesses die Aufrechterhaltung der Ehe bezweckte. Zumal dann muß dies gelten, wenn, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, mit der Umwandlung des Angriffs- in ein Verteidigungsmittel neue Tatsachen und Beweismittel gar nicht geltend gemacht zu werden brauchten.

Gegen die Lösung der Frage, ob der Widerspruch der Wiederaufnahmsklägerin gegen das Scheidungsbegehren ihres Ehemannes als zulässig und ob er als beachtlich anzusehen sei, wird in der Revision nicht mehr Stellung genommen.

Es war daher das Urteil des Berufungsgerichtes zu bestätigen.

Anmerkung

Z24311

Schlagworte

Änderung des Hauptbegehrens im Wiederaufnahmeverfahren in Ehesachen nach Ablauf der Frist des § 534 ZPO. Eheverfahren, Änderung des Hauptbegehrens im Wiederaufnahmeverfahren nach Ablauf der Einmonatsfrist Eheverfahren Widerklage im Vorprozeß, Widerspruch im wiederaufgenommenen Verfahren Frist des § 534 ZPO., Klagsänderung im Wiederaufnahmeverfahren in Ehesachen nach Ablauf der - Hauptbegehren, Änderung des im Wiederaufnahmeverfahren in Ehesachen nach Ablauf der Frist des § 584 ZPO. iudicium rescindens, Geltendmachung neuer zivilrechtlicher Ansprüche im Wiederaufnahmeverfahren nach Aufhebung des Vorurteiles durch - iudicium rescissorium, Geltendmachung neuer zivilrechtlicher Ansprüche im - Klagsänderung beim Wiederaufnahmeverfahren in Ehesachen nach Ablauf der Einmonatsfrist des § 534 ZPO. Neue Ansprüche in der Wiederaufnahmsklage Vorprozeß Widerklage im -, Widerspruch im Wiederaufnahmeverfahren Widerklage, Zulässigkeit eines Widerspruches nach § 55 EheG. im wiederaufgenommenen Verfahren bei Erhebung einer - im Vorprozeß Widerspruch nach § 55 EheG. im Wiederaufnahmeverfahren Wiederaufnahmeverfahren in Ehesachen, Änderung des Hauptbegehrens nach Ablauf der Einmonatsfrist Wiederaufnahmsklage Erhebung eines Widerspruches nach § 55 EheG. in der Wiederaufnahmsklage Erhebung neuer zivilrechtlicher Ansprüche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0030OB00450.51.1114.000

Dokumentnummer

JJT_19511114_OGH0002_0030OB00450_5100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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