Norm
ABGB §504Kopf
SZ 24/337
Spruch
Die Aufnahme einer Pflege- oder Dienstperson durch den Wohnungsberechtigten ist nur aus gerechtfertigten Gründen zulässig, wobei auch zu berücksichtigen ist, ob die aufzunehmende Person wegen früherer Vorfälle für den Liegenschaftseigentümer als untragbar anzusehen ist.
Entscheidung vom 12. Dezember 1951, 1 Ob 848/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Vöcklabruck; II. Instanz: Kreisgericht Wels.
Text
Das Erstgericht gab der Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, die Überlassung eines Wohnraumes ihrer Wohnung in A., G.straße 2, an den Postarbeiter Josef Sp. zu unterlassen und dafür zu sorgen, daß dieser die Wohnung räume. Franz H. habe der Beklagten mit Testament vom 18. April 1947 das lebenslängliche unentgeltliche Wohnungsrecht, das grundbücherlich einverleibt worden sei, eingeräumt. Gegen den Willen des Klägers habe die Beklagte den Josef Sp. in die Wohnung aufgenommen. Dieser nächtige dort 2 - 3 mal in der Woche und mache der Beklagten fallweise kleinere Gefälligkeiten, wie das Zerkleinern von Holz und Gartenarbeiten. Der der Beklagten eingeräumte Gebrauch der Wohnung sei auch der Ausübung nach unübertragbar. Wenn sie den Josef Sp., der weder eine Dienst- oder Pflegeperson noch mit ihr verwandt sei, nicht nur vorübergehend, sondern regelmäßig 2 - 3 mal wöchentlich in der Wohnung aufnehme, widerspreche dies der Bestimmung des § 521 ABGB. und der Kläger könne die Unterlassung von der Beklagten verlangen. Auch die Bestimmungen des Wohnungsanforderungsgesetzes könnten daran nichts ändern.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die Klage abgewiesen wurde. Es sei nicht nötig, zu erheben, welchen genauen Inhalt der der Beklagten hinterlassene Wohnungsgebrauch hatte. Denn es sei mit Rücksicht auf das Alter des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches und die bestehende Wohnungsnot die Bestimmung des § 521 extensiv auszulegen. Das Erstgericht habe festgestellt, daß Josef Sp. der Beklagten im Haushalt helfe. Dessen Aufnahme diene der Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses der Beklagten, nämlich an der Verrichtung der für sie in ihrem Alter von 67 Jahren zumindest sehr beschwerlichen Arbeiten in Haus und Garten. So gesehen sei die Aufnahme des Josef Sp. in die Wohnung durch das Wohnungsrecht der Beklagten noch gedeckt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Die Auslegung, die das Berufungsgericht der Bestimmung des § 521 ABGB. gegeben hat, kann vom Revisionsgericht nicht gebilligt werden. Nach dieser Gesetzesstelle ist die Servitut der Wohnung das Recht, die bewohnbaren Teile eines Hauses zu seinem Bedürfnisse zu benützen. Mit den Worten "zu seinem Bedürfnisse" wird nicht ausgedrückt, daß es dem Servitutsberechtigten freistehen solle, ohne Beschränkung zu bestimmen, wie weit seine Bedürfnisse an der Benützung der Wohnung jeweils reichen. Er hat also nicht das Recht, die Wohnung in jeder nur denkbaren, ihm dienlichen Richtung auszunützen. Dies widerspräche schon der Gegenüberstellung der Dienstbarkeit des Gebrauches der Wohnung und des Fruchtgenusses an der Wohnung im § 521 ABGB., wobei die einschränkungslose Benützung nur dem Fruchtnießer zukommt (§ 509 ABGB.). Die Worte "zu seinem Bedürfnisse" sind vielmehr eine Begrenzung der Rechte aus der Dienstbarkeit in dem Sinne, daß die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten nach einem allgemeineren, nicht rein subjektiven Maßstab festzustellen sind ("angemessener Nutzen", § 505 ABGB.). Auch wenn der Servitutsberechtigte weitergehende Bedürfnisse zu haben glaubt, kommt ihm das Benützungsrecht nur in dem Ausmaß zu, wie es einem anderen Menschen unter gleichartigen Verhältnissen im Durchschnitt zugebilligt werden kann. Deshalb kann die Aufnahme einer Pflege- oder Dienstperson nur aus gerechtfertigten Gründen als zulässig angesehen werden, wobei auch die Frage eine Rolle spielen kann, ob die aufzunehmende Person wegen früherer Vorfälle für den Liegenschaftseigentümer etwa als untragbar anzusehen wäre. Bemerkt sei, daß die Anführung des Wörtchens "bloß" im § 504 ABGB. nicht für die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, sondern dafür spricht, daß dieses einschränkende Wort auch für § 521 ABGB. gilt, der in seinen beiden ersten Sätzen ebenso wie § 504 von der Servitut des Gebrauches handelt. Im letzten Satz des § 521 wird auf die Bestimmungen über den Gebrauch und über die Fruchtnießung ausdrücklich Bezug genommen (SZ. IX/31).
Im vorliegenden Fall haben die Untergerichte festgestellt, daß Josef Sp. vor der Aufnahme bei der Beklagten in einem Fremdenzimmer derselben Liegenschaft untergebracht war, daß er dieses räumen mußte und daß er hierauf von der Beklagten aufgenommen wurde. Er hat Interesse an einem Absteigquartier in A., weil er dort zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten Dienst versehen muß und nicht ständig in seine Wohnung nach B. fahren kann. Er nächtigt 2 - 3 mal wöchentlich bei der Beklagten. Der Umstand, daß er nach den Feststellungen der Untergerichte aus Gefälligkeit der Beklagten fallweise Holz zerkleinert oder Gartenarbeiten verrichtet, macht ihn noch nicht zu einer Dienst- oder Pflegeperson, weil weder im einzelnen behauptet noch erwiesen worden ist, daß die Beklagte nach ihrem Alter und ihrem Gesundheitszustand einer solchen Person bedürfte und weil keineswegs plausibel wäre, daß eine solche Person überdies in die Wohnung der Beklagten aufgenommen werden müßte. Es kann angenommen werden, daß nicht die Bedürfnisse der Beklagten, sondern die des Josef Sp. für seine Aufnahme in die Wohnung maßgebend waren. Auf diese Bedürfnisse kann im Rahmen der Beurteilung der Sache auf Grund des § 521 ABGB. nicht Rücksicht genommen werden. Auch das öffentlich-rechtliche Interesse an der Linderung der bestehenden Wohnungsnot kann die Auslegung der sicherlich nicht undeutlichen, gesetzlichen Bestimmung nicht verändern. Denn wenn die Wohnung der Beklagten zu groß sein sollte, stunde es der Verwaltungsbehörde frei, sie teilweise anzufordern und Räume anderen Personen zuzuweisen. Damit müßten sich beide Streitteile abfinden. Solange dies aber nicht der Fall ist, hätte der Kläger bei Annahme eines bloßen Gebrauchsrechtes der Beklagten an der Wohnung die Möglichkeit, der Beklagten die Aufnahme einer fremden dritten Person, wie sie Josef Sp. ist, zu untersagen.
Das Revisionsgericht ist trotz der Ablehnung der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes und der Billigung der Erwägungen des Erstrichters nicht in der Lage, schon jetzt meritorisch zu entscheiden und das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen. Denn außer dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt in Verbindung damit auch der der Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Die Untergerichte haben nämlich trotz der in erster Instanz aufgestellten entsprechenden Behauptungen der Beklagten jede Feststellung unterlassen, ob nach dem Willen des Erblassers das der Beklagten hinterlassene Legat des lebenslänglichen unentgeltlichen Wohnungsrechtes als Servitut des Gebrauches der Wohnung im Sinne der ersten zwei Sätze des § 521 ABGB. oder des Fruchtgenusses an der Wohnung im Sinne des dritten Satzes anzusehen ist. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, daß der Erblasser mit Rücksicht auf die Größe der Wohnung und die Bestimmungen des Wohnungsanforderungsgesetzes nicht habe annehmen können, daß die alleinstehende Beklagte im unangefochtenen Besitz der ganzen Wohnung bleiben würde, woraus nach Ansicht der Beklagten auf den Willen des Erblassers geschlossen werden könne, ihr auch die Untervermietung an dritte Personen einzuräumen. Das Testament ist von einem Notar verfaßt worden und dieser bediente sich nicht des Ausdrucks "Fruchtgenußrecht", sondern der Bezeichnung "lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht", was einerseits für den bloßen Gebrauch spräche. Anderseits sind die ganzen Bestimmungen des Legats so gefaßt, daß auf ein Ausgedinge mit Unterhaltscharakter geschlossen werden könnte. Den wahren Willen des Erblassers konnte nur der aufnehmende Notar erkennen und deshalb wäre dessen Vernehmung als Zeuge notwendig gewesen. Nicht minder wären die Parteien zu vernehmen gewesen. Erst auf Grund dieser Aussagen und der von den Parteien etwa sonst noch beantragten Beweise wird es möglich sein, den rechtlichen Charakter des Legats klarzustellen und damit zur Entscheidung zu kommen, ob Josef Sp. von der Beklagten aufgenommen werden durfte oder nicht. Denn wenn es sich um ein Fruchtgenußrecht der Beklagten an der Wohnung handeln sollte, wäre sie zum Unterschied vom bloßen Gebrauchsrecht befugt, Räume der Wohnung an dritte Personen zu vergeben.
Bei dieser Rechtslage ist es nicht erforderlich, auf die vom Revisionswerber unter dem Gesichtspunkt der Aktenwidrigkeit bemängelten kleineren Unstimmigkeiten in den Feststellungen des Berufungsgerichtes über die Art der Dienste des Josef Sp. und das Alter der Beklagten einzugehen.
Da die Untergerichte die notwendigen Beweise nicht aufgenommen haben, mußte der Revision Folge gegeben und nicht nur das Urteil des Berufungsgerichtes, sondern auch das des Erstgerichtes aufgehoben werden.
Anmerkung
Z24337Schlagworte
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ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00848.51.1212.000Dokumentnummer
JJT_19511212_OGH0002_0010OB00848_5100000_000