TE Vwgh Erkenntnis 2005/2/24 2003/20/0176

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Veröffentlicht am 24.02.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in N, geboren 1971, ehemals vertreten durch Dr. Herbert Grün, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen den unabhängigen Bundesasylsenat wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG iVm § 66 Abs. 2 AVG wird der Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Oktober 2002, Zl. 02 08.475-BAT, behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung sowie zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste Anfang März 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. März 2002 die Gewährung von Asyl.

Bei seiner (ersten) Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 10. Mai 2002 gab er unter anderem an, im Dorf Karayonca, Bezirk Ovacik, Provinz Tunceli, gelebt zu haben. Er sei als Kurde und Alevit in den Jahren von 1993 bis 2001 in seiner Heimatregion immer wieder polizeilichen Übergriffen ausgesetzt gewesen, deren Umstände er im Einzelnen darlegte. Zuletzt sei er im November 2001 von der Gendarmerie festgenommen, einige Tage angehalten und dabei schwer misshandelt worden. Deshalb habe er am 25. November 2001 sein Heimatdorf verlassen, sich anschließend in Elazig, Ankara und Istanbul aufgehalten, und er sei am 5. März 2002 - mangels Existenzgrundlage und wegen der Befürchtung, die Polizei würde ihn auch in den Großstädten ausforschen - aus der Türkei ausgereist. Im Übrigen sei er Autor eines Buches, das kurdische Propaganda und demokratische Ideen enthalte. Dieses Werk sei im Februar 2000 erschienen und davon seien etwa 5.000 Exemplare verkauft worden. Von der "Druckerei" des Buches habe er erfahren, dass sich die "Staatsanwaltschaft für Verlagshäuser" im April 2001 nach ihm erkundigt habe und ihn für eine Befragung benötige.

Nach Abschluss der Einvernahme verweigerte der Beschwerdeführer die Unterfertigung der aufgenommenen Niederschrift. Dazu hielt der Leiter der Amtshandlung in einer "Anmerkung" zum Protokoll fest, dass diese Vorgangsweise auf Anraten des Vertreters des Beschwerdeführers erfolgt sei, der angegeben habe, dass der Beschwerdeführer erst nach einer Beratung mit ihm unterschreiben würde. Eine ausdrückliche Bestätigung der Richtigkeit des Protokolls durch den Leiter der Amtshandlung erfolgte nicht.

In einem am 17. Mai 2002 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben erhob der Beschwerdeführer gegen die Niederschrift vom 10. Mai 2002 Einwendungen. Unter anderem rügte er, er habe auf die Frage, welche Probleme er in Ankara oder Istanbul zu erwarten hätte, angegeben, "das Militär (in der Türkei als Gendarmerie bezeichnet)" arbeite über die ganze Türkei vernetzt zusammen, weshalb er überall in der Türkei Verfolgung und Repressionen zu befürchten habe. Auf die Frage seines anwesenden Vertreters, ob sich die Repressionen gegen seine Person weiter verschärft hätten, wenn der Beschwerdeführer von der Staatsanwaltschaft als Autor des Buches ausgeforscht worden wäre, habe dieser geantwortet, dass die Verfolgung noch einmal intensiver geworden wäre, da sich das Buch kritisch zum Regime, Militär und politischen System der Türkei geäußert habe und teilweise in kurdischer Sprache abgefasst worden sei. Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers sei jedoch weder in die Niederschrift aufgenommen worden noch habe das Bundesasylamt eine vom Vertreter des Beschwerdeführers beantragte Berichtigung des Protokolles vorgenommen.

Am 21. August 2002 wurde der Beschwerdeführer neuerlich beim Bundesasylamt einvernommen. Eine Berichtigung der Niederschrift vom 10. Mai 2002 im Sinne der Einwendungen des Beschwerdeführers erfolgte dabei jedoch nicht. Der Beschwerdeführer wurde vielmehr dahingehend befragt, ob er noch Verbindung zu seinen Angehörigen in der Türkei habe und sich während seiner Abwesenheit etwas ereignet habe. Der Beschwerdeführer brachte hiezu vor, seine Eltern hätten ihn darüber informiert, dass sie vor vier oder fünf Tagen von der Gendarmerie nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers befragt worden seien, diesen jedoch nicht angegeben hätten. Den Grund für die Aufenthaltsermittlung hätten die Gendarmen den Eltern des Beschwerdeführers nicht mitgeteilt. Er vermute jedoch, dass er wegen seines Buches gesucht werde. Den Inhalt dieses Buches beschrieb der Beschwerdeführer mit politischen Gedichten, die von den Menschen, den Ungerechtigkeiten, den Straßenkindern und den Kindern Kurdistans erzählten. Ergänzend führte er schließlich aus, in der Zeit von Ende 1995 bis Mai 1996 in Ankara aufhältig gewesen zu sein. Dort sei er ein Mal im Gefolge einer Demonstrationsteilnahme festgenommen und von der Polizei - ohne weitere Folgen für den Beschwerdeführer - zu den Gründen des Protestes befragt worden.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1993 drei Tage lang von Gendarmeriebeamten seiner Heimatregion angehalten und dabei misshandelt worden sei. Im sei vorgeworfen worden, die PKK und andere Organisationen zu unterstützen; eine Anzeige gegen ihn sei jedoch nicht erstattet worden. Im Elternhaus des Beschwerdeführers - wie auch in anderen Häusern seines Heimatdorfes - hätten wiederholt Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehle stattgefunden. Im Jahr 1994 sei der Beschwerdeführer fünf Tage lang von Gendarmeriebeamten seiner Heimatregion angehalten, misshandelt und verletzt worden. Ein Militärarzt habe seine Verletzungen behandelt. Aus Angst, dass deren Übergriffe bekannt würden, hätten die Gendarmen dem Beschwerdeführer nahe gelegt, über die erlittenen Verletzungen zu schweigen. Im Jahr 1995 sei der Beschwerdeführer nach der Ergreifung eines PKK-Angehörigen, der angegeben habe, dass der Beschwerdeführer PKK-Angehörige unfreiwillig mit Nahrung und Kleidung versorgt habe, von Gendarmeriebeamten insgesamt acht Tage lang angehalten und misshandelt worden. Eine Anklage gegen ihn sei jedoch auch diesmal nicht erhoben worden. Ebenfalls im Jahr 1995 seien die Felder des Beschwerdeführers durch Militärfahrzeuge beschädigt worden; eine dagegen erstattete Anzeige bei der Oberstaatsanwaltschaft sei zu Vorerhebungen an die Bezirkshauptmannschaft Ovacik weitergeleitet worden, welche nicht feststellen habe können, welcher "Beamte" das Feld des Beschwerdeführers zerstört haben soll. Offensichtlich sei die Anzeige in Folge der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Ovacik an die Staatsanwaltschaft von dieser nicht mehr weiterverfolgt worden. Von November 1995 bis Mai 1996 sei der Beschwerdeführer in Ankara aufhältig gewesen. Er sei der Partei "Democratic Baris Hareketi" beigetreten und Vorsitzender des Jungkomitees dieser Partei gewesen. Er habe sich um verschiedene ausgeschriebene staatliche Stellen beworben, jedoch keine Anstellung erhalten. Am 13. Juli 1997 habe die Gendarmerie im Elternhaus des Beschwerdeführers eine Hausdurchsuchung nach flüchtigen PKK-Kämpfern durchgeführt. Dabei seien Schüsse auf in dem Haus befindliches Heu abgegeben worden, woraufhin dieses Feuer gefangen habe und das Haus abgebrannt sei. Da die Gendarmen versprochen hätten, das Haus wieder zu errichten, dieses Versprechen jedoch nicht eingehalten worden sei, habe der Beschwerdeführer im Jahr 1998 Klage beim Zivilgericht Ovacik eingebracht. Das folgende Gerichtsverfahren sei im November 2000 mit abweisendem Beschluss beendet worden, weil der Beschwerdeführer nicht Eigentümer des Hauses gewesen und daher auch nicht klagslegitimiert gewesen sei; weiters, weil er eine "Person (Gendarm)" geklagt habe und nicht - wie in solchen Fällen notwendig - die "Institution", womit es auch an der passiven Klagslegitimation gefehlt habe. Im Jahr 1999 sei der Beschwerdeführer in einem Nachbardorf neben einem getöteten Mitglied der Gruppe "TIKKO" auf ein Panzerfahrzeug gebunden worden. Im Juni des Jahres 1999 seien bei einem Anschlag der PKK ein Gendarm getötet und ein weiterer verletzt worden. Der Beschwerdeführer sei deshalb festgenommen worden, habe jedoch nachweisen können, dass er zum Zeitpunkt des Anschlages in Ankara gewesen sei, weshalb er nach dem Verhör wieder freigelassen worden sei. In der Folge sei er mit seinem Motorrad abermals von der Gendarmerie angehalten, auf den Gendarmerieposten gebracht und zum Zweck einer Durchsuchung entkleidet worden. Er habe eine Geldstrafe bezahlen müssen, weil er nicht zum Lenken eines Motorrades berechtigt gewesen sei. Im Juli 1999 sei er in seinem Dorf neuerlich von Gendarmeriebeamten entkleidet und mit kaltem Wasser übergossen worden. Diesen Vorfall habe der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht, der Kommandant der Gendarmerieeinheit sei von der Staatsanwaltschaft auch verhört worden. Ob dieses Verfahren bereits abgeschlossen sei, sei dem Beschwerdeführer jedoch nicht bekannt. Da die Klage seines Vaters (zu ergänzen: der im Anschluss an das verloren gegangene Zivilverfahren im eigenen Namen Klage auf Schadenersatz wegen des abgebrannten Hauses erhoben hatte) nicht - wie von den Gendarmen gewünscht - zurückgezogen worden sei, sei der Beschwerdeführer im November 2001 einige Tage beim Gendarmerieposten Ovacik angehalten und im Zuge von Misshandlungen an der Schulter verletzt worden. Diesen Vorfall habe der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft nicht zur Anzeige gebracht. Im November 2001 habe sich der Beschwerdeführer eine Woche nach Elazig begeben und dort bei einem Radiosender gearbeitet. Da ihm keine Entlohnung angeboten worden sei, habe er die Arbeit beendet. Anschließend habe er in Ankara bei seinem Bruder gewohnt und habe sich im Jänner 2002 nach Istanbul begeben, wo er einige Tage als Elektroinstallateur tätig gewesen sei. Da er im Zuge der Arbeit einen Fehler begangen habe, den ihm sein Arbeitgeber vorgeworfen habe, habe er die Arbeit beendet. In der Folge sei er illegal nach Österreich gereist. Ein vom Beschwerdeführer geschriebenes Buch sei im Februar 2000 erschienen und nach seinen Angaben etwa 5000 Mal in Buchhandlungen verkauft worden. Nach dem Inhalt des Buches befragt habe der Beschwerdeführer angegeben, dass es politische Gedichte beinhalte, welche von den Menschen, den Ungerechtigkeiten, den Straßenkindern und den Kindern Kurdistans erzählen. Nach seinen Angaben habe die Staatsanwaltschaft dem Druckereibesitzer, der das Buch herausgegeben habe, etwa im April 2001 mitgeteilt, der Beschwerdeführer würde für eine Befragung benötigt. Der Beschwerdeführer habe dem jedoch nicht entsprochen.

Im Folgenden setzte sich das Bundesasylamt mit den Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Niederschrift vom 10. Mai 2002 im Einzelnen auseinander, traf anschließend Feststellungen zur Lage der Kurden in der Türkei im Allgemeinen und führte schließlich beweiswürdigend aus, es halte - abgesehen von den folgenden Ausführungen - das Vorbringen des Beschwerdeführers für glaubwürdig und lege es seiner Entscheidung zu Grunde. Nicht nachvollziehbar sei für die Behörde jedoch, dass der Beschwerdeführer durch die angeblich vernetzte Zusammenarbeit des Militärs überall in der Türkei Verfolgung und Repressionen befürchten müsse, zumal sich aus seinem Vorbringen und den Beweismitteln schlüssig ergebe, dass die den Beschwerdeführer in rechtswidriger Weise schikanierenden Beamten sehr wohl in Betracht gezogen hätten, für dieses Verhalten in Verantwortung genommen und in der Folge auch bestraft zu werden. Das ergebe sich auch daraus, dass der Beschwerdeführer nach Verletzungen infolge Folter von einem Militärarzt versorgt worden sei. Aus diesem Grund und wegen der offensichtlich bestehenden Animositäten gegenüber dem Beschwerdeführer hätten diese ein nachvollziehbares Interesse daran gehabt, dass der Beschwerdeführer seine Heimatregion verlasse. Eine weitere Schikanierung oder Verfolgung durch Gendarmen über die Region Tunceli hinaus könne realistischerweise jedoch nicht angenommen werden. Anlässlich der Einvernahme am 21. August 2002 habe das Bundesasylamt auch klären können, dass der Beschwerdeführer in Ankara lediglich einer polizeilichen Befragung im Zuge einer Demonstration unterzogen worden sei, die für ihn keine Konsequenzen gehabt und offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Tunceli gestanden habe. Auch dieser Umstand spreche gegen eine vom Beschwerdeführer behauptete interne Vernetzung von Gendarmerieorganen. Die Befürchtungen des Beschwerdeführers, wegen der Herausgabe seines Buches in Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einbezogen zu werden, beruhten auf bloßen Vermutungen. In Ermangelung näherer Anhaltspunkte sei es für das Bundesasylamt nicht nachvollziehbar, weshalb ein in Gedichtform geschriebenes Buch über Menschen, Ungerechtigkeiten, Straßenkinder und die Kinder Kurdistans Anlass für Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sein solle. Für die Unbegründetheit seiner diesbezüglichen Befürchtungen spreche auch, dass sich der Beschwerdeführer nach dem Anruf der Staatsanwaltschaft in der Druckerei noch monatelang in der Türkei aufgehalten habe und er in dieser Zeit auch wiederholt Kontakt mit der Gendarmerie gehabt habe, sodass etwa vom Bestehen einer von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Aufenthaltsermittlung für seine Person nicht ausgegangen werden könne. Demnach ergebe sich eine staatlich initiierte oder geduldete Verfolgung der Person des Beschwerdeführers aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht. Rechtswidrige Übergriffe einzelner Staatsorgane seien dem Staat aber nur dann zurechenbar, wenn dieser Fehlleistungen seiner Organe grundsätzlich dulde, diese bei Kenntniserlangung nicht zur Verantwortung ziehe und somit der Bevölkerung den notwendigen Schutz vorenthalte. Derartiges sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr seien bezüglich der vom Beschwerdeführer behaupteten Vorfälle "rechtmäßig Verfahren" eingeleitet worden. Auch allfällige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bezüglich des Buches des Beschwerdeführers ließen auf keine Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer schließen, weil bei einem tatsächlichen Interesse an seiner Person weitere Verfolgungsmaßnahmen, etwa ein Haft- oder Vorführbefehl, zu erwarten gewesen wären.

Abschließend argumentierte das Bundesasylamt, dem Beschwerdeführer stehe die Möglichkeit offen, rechtswidrigen Übergriffen von in Tunceli stationierten Gendarmeriebeamten durch eine Aufenthaltnahme in anderen Teilen der Türkei zu entkommen. Dem Beschwerdeführer stehe somit eine taugliche und wohl auch zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die (am 8. November 2002 beim Bundesasylamt eingelangte) Berufung, in der er die Überlegungen des Bundesasylamtes zur Schutzfähigkeit und -willigkeit des türkischen Staats einerseits und zur bestehenden inländischen Fluchtalternative andererseits in Zweifel zog und - in weiterer Schriftsätzen - umfangreiches zusätzliches Vorbringen zu seinen Fluchtgründen erstattete sowie Beweisurkunden vorlegte, die der unabhängige Bundesasylsenat - nach Durchführung einer Berufungsverhandlung am 24. Juli 2003, in der weiteres (zum Teil neues) Vorbringen erstattet wurde - hinsichtlich ihrer Echtheit überprüfen ließ. Die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse liegen noch nicht vor.

Bereits am 26. Mai 2003 hatte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof eine Säumnisbeschwerde eingebracht. Die belangte Behörde, die es unterließ, innerhalb der ihr vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 2 VwGG eingeräumten Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen (und auch von der Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung dieser Frist im Sinne der letztgenannten Bestimmung keinen Gebrauch machte), legte stattdessen dem Verwaltungsgerichtshof die Verwaltungsakten zur Entscheidung vor.

Auf Grund der - zulässigen - Säumnisbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG in der Sache selbst erwogen:

Das Bundesasylamt schenkte dem Vorbringen des Beschwerdeführers Glauben, wonach er bis zum Verlassen seiner Heimatregion fortdauernden polizeilichen Übergriffen ausgesetzt war, denen in ihrer Gesamtheit die für eine "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv erforderliche Intensität nicht abzusprechen ist. Die vom Bundesasylamt gewählte Formulierung, Grund für die Verfolgung seien "Animositäten" einzelner in Tunceli stationierter Gendarmeriebeamten gegenüber dem Beschwerdeführer gewesen, greift zu kurz, lagen den Verfolgungshandlungen doch - wie ebenfalls festgestellt - immer wieder Vorwürfe einer dem Beschwerdeführer unterstellten Unterstützung der PKK zu Grunde. Die Asylrelevanz dieser Verfolgungshandlungen verneinte das Bundesasylamt jedoch vor allem deshalb, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass der türkische Staat nicht gewillt und in der Lage sei, derartige rechtswidrige Übergriffe seiner Organe zu verhindern. Die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen des Bundesasylamtes lassen diesen Schluss jedoch nicht zu. Schon der Umstand, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von acht Jahren regelmäßig inhaftiert und dabei auch misshandelt wurde, ohne dass trotz der von ihm erhobenen Anzeigen - auch nur in einem einzigen Fall - nachweisbare Maßnahmen gegen die Verantwortlichen und zu seinem Schutz getroffen worden sind, spricht gegen die Annahme des Bundesasylamtes, der türkische Staat sei "bei Kenntniserlangung der Übergriffe" in der Lage und bereit, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und dem Beschwerdeführer den notwendigen Schutz zu gewährleisten. Selbst wenn auf Grund der Anzeigen des Beschwerdeführers - wie das Bundesasylamt argumentiert - "Verfahren" eingeleitet wurden, lässt sich schon deshalb nicht ohne Weiteres auf die Effektivität des gewährten (Rechts-)Schutzes schließen. Auch die Annahme des Bundesasylamtes, die den Beschwerdeführer misshandelnden Beamten hätten in Betracht gezogen, für ihr rechtswidriges Verhalten in Verantwortung genommen und bestraft zu werden, weil sie bestrebt gewesen seien, dass dieses nicht bekannt würde, was sich insbesondere daraus ergebe, dass sie etwa die Verletzung des Beschwerdeführers infolge Folter von einem Militärarzt versorgen lassen hätten, erweist sich als nicht tragfähig, weil aus der zuletzt genannten Vorgangsweise -

wenn überhaupt - nur geschlossen werden kann, dass die Gendarmeriebeamten die Misshandlungen des Beschwerdeführers nicht aus dem Kreis der Sicherheitsbehörden nach außen dringen lassen wollten. Inwieweit die türkischen Behörden daher tatsächlich in der Lage und willens sind, Personen wie dem Beschwerdeführer Schutz zukommen zu lassen, ließe sich somit nur durch weitere Erhebungen und darauf beruhenden nachvollziehbaren Feststellungen beurteilen, die der in Berufung gezogene Bescheid vermissen lässt.

Auch die Hilfsbegründung des Bundesasylamtes, dem Beschwerdeführer stehe gegen Verfolgungshandlungen der Gendarmen in seiner Heimatregion eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, vermag den Bescheid nicht zu tragen. Gegen die Gefahr einer landesweiten Suche führt das Bundesasylamt zunächst neuerlich ins Treffen, die den Beschwerdeführer misshandelnden Gendarmen liefen bei einer landesweiten Suche nach dem Beschwerdeführer "erst recht Gefahr", dass ihr rechtswidriges Verhalten "den entsprechenden Behörden ihrer Heimat" bekannt würde. Diese Begründung ist jedoch - wie gezeigt - nicht schlüssig.

Dass der Beschwerdeführer - mit Ausnahme einer polizeilichen Befragung im Anschluss an eine Demonstrationsteilnahme in Ankara - außerhalb seiner Heimatregion seitens der Sicherheitsbehörden nicht behelligt wurde, lässt die Annahme einer inländischen Fluchtalternative ebenfalls nicht ohne weiteres zu. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Vorbringen des Beschwerdeführers von Bedeutung, er habe ein Buch in türkischer und kurdischer Sprache geschrieben und veröffentlicht, das politische Gedichte, kurdische Propaganda und demokratische Ideen beinhalte. Dem Bescheid des Bundesasylamtes ist nicht entnehmen, dass die Behörde diesem Vorbringensteil keinen Glauben geschenkt hat, wenngleich sie sich - ohne beweiswürdigende Bewertung - darauf beschränkt hat, in den Feststellungen die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers (auszugsweise) wiederzugeben. Ist jedoch davon auszugehen, dass das vom Beschwerdeführer herausgegebene Werk - wie von ihm angegeben - "kurdische Propaganda" enthielt und entsprechende Verbreitung gefunden hat, bedürfte es einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit dieser Umstand eine asylrelevante Verfolgung des - bereits im Zusammenhang mit einer (unterstellten) PKK-Unterstützung mehrfach ins Blickfeld der Behörden geratenen - Beschwerdeführers in der (gesamten) Türkei nach sich gezogen haben kann. Dazu wären neben ausführlicheren Feststellungen über den Inhalt des Werkes insbesondere auch Erhebungen darüber erforderlich, welche Reaktionen seitens der Organe des türkischen Staates auf derartige politische Dichtung in vergleichbaren Fällen gesetzt wurden. Nur anhand dieses realen Hintergrundes ließe sich beurteilen, ob die Annahme des Beschwerdeführers, die von den Eltern mitgeteilte polizeiliche Suche nach ihm habe mit der Herausgabe seines Buches zu tun, auf - wie das Bundesasylamt vermeint - bloßen Mutmaßungen beruht oder das erforderliche Maß an Plausibilität erreicht. Dem Bundesasylamt ist zwar zuzugeben, dass unterbliebene Verfolgungsmaßnahmen zwischen der Herausgabe des Buches und der Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei ein Indiz gegen eine Verfolgungsgefahr von maßgeblicher Wahrscheinlichkeit darstellen können. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage bedürfte jedoch auch der Berücksichtigung von möglichen Erklärungen dafür, wie sie der Beschwerdeführer etwa in seiner Berufung zu geben versuchte (mehrmaliger Ortswechsel, langsame türkische Bürokratie und Häufigkeit seines Nachnamens, der eine Suche nach ihm "langwierig gestalte"). Die Einvernahme des Beschwerdeführers wäre daher - nach Beschaffung des entsprechenden Grundlagenwissens - im genannten Sinne zu ergänzen gewesen.

Der Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem Bescheid zu Grunde liegende Verfahren waren aus diesen Gründen mangelhaft und diese Mängel wurden auch im bisher bereits abgeführten Berufungsverfahren nicht ausreichend behoben.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde neue Beweismittel zur Stützung seines bisherigen Vorbringens, insbesondere ein angebliches Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft von Ovacik/Tunceli an die Gendarmerie von Ovacik, mit dem letztere um die Festnahme des Beschwerdeführers ersucht worden sein soll, vorgelegt hat, dessen Authentizität noch nicht abschließend geprüft worden ist. Auch die von ihm vorgebrachten neuen Fluchtgründe (Verfolgung wegen Unterstützung der TKP/ML) bedürfen einer näheren Untersuchung.

Der vorliegende Fall gleicht im Hinblick auf die Notwendigkeit weiterer Ermittlungsschritte und der (neuerlichen) Durchführung einer mündlichen Verhandlung - worunter auch eine Vernehmung zu verstehen ist - in einem asylrechtlichen Säumnisbeschwerdeverfahren somit jenem, den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. September 2004, Zl. 2001/01/0348, entschieden hat. Aus den dort genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch im Beschwerdefall veranlasst, in Anwendung der Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen (vgl. weiters etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2004, Zl. 2002/01/0067).

Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Februar 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003200176.X00

Im RIS seit

25.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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