Norm
Allgemeine österr. Spediteurbedingungen §51Kopf
SZ 25/22
Spruch
Haftung des Spediteurs für die Beraubung einer Kiste. Der Sinn der Bestimmung des § 59 AÖSp. liegt darin, daß aus der unveränderten äußeren Beschaffenheit des Speditionsgutes auf die Unmöglichkeit des Entstehens eines Schadens geschlossen wird.
Entscheidung vom 23. Jänner 1952, 2 Ob 225/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt von den beiden Beklagten, die mit der Durchführung des Transportes einer Kiste von Gastein nach Wien betraut waren, Schadenersatz in der Höhe von 35.000 S für verschiedene Bekleidungsgegenstände, die nach Ablieferung der Kiste in Wien aus ihr gefehlt haben sollen.
Nach der Annahme des Erstrichters kann die Möglichkeit eines Diebstahls der klagsgegenständlichen Sachen noch vor Übergabe der Kiste an den Zweitbeklagten nicht ausgeschlossen werden, vielmehr sprechen die Ergebnisse des Beweisverfahrens dafür, daß der Dieb sich schon vor dem Zunageln der Kiste in die Gasteiner Wohnung des Klägers eingeschlichen und die Gegenstände entwendet hat. Der Erstrichter hat ferner festgestellt, daß die Kiste zunächst beim Zweitbeklagten unter vielen anderen Kisten zuunterst eingelagert und beim Fortschaffen aus dem Magazin des Zweitbeklagten so schwer war, daß nichts vermuten ließ, sie sei der Hälfte ihres Inhaltes beraubt gewesen. Aus diesen Gründen ist der Erstrichter zu dem Schluß gekommen, daß eine Beraubung der Kiste während ihrer Einlagerung beim Zweitbeklagten nicht erfolgt sein kann. Der Erstrichter schließt es ferner - nach den Umständen, unter denen die Kiste von Gastein nach Wien transportiert wurde - aus, daß die Kiste auf dem Transport selbst geöffnet werden konnte. Im Hinblick auf den Zustand der Kiste, insbesondere auf die Tatsache, daß die Nägel im Zeitpunkt der Untersuchung durch die Kriminalbeamten keine frischen Spuren aufwiesen, ist es nach Ansicht des Erstrichters nicht wahrscheinlich, daß die Kiste im Lagerraum der erstbeklagten Partei erbrochen und beraubt wurde. Ferner hat der Erstrichter noch festgestellt, daß die Kiste im Zeitpunkt der Zustellung an den Kläger in Wien noch voll gewesen sein muß und schließlich wurde vom Erstrichter angenommen, daß die von den Meißeln verursachten Einkerbungen zwanglos dadurch erklärt werden könnten, daß beim Öffnen der Kiste zunächst an der falschen Stelle begonnen wurde; allenfalls müßte angenommen werden, daß eine gewaltsame Öffnung durch einen Unbefugten lange Zeit vor der Entdeckung des Diebstahls und mit äußerster Sorgfalt durchgeführt wurde, wobei dem Täter ausreichend Zeit für das Erbrechen der Kiste zur Verfügung stand. Der Erstrichter ist daher zu dem Schluß gelangt, daß es dem Kläger nicht gelungen ist, darzulegen, daß die Kiste mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt an den Zweitbeklagten übergeben wurde. Es ist demnach nach Ansicht des Erstrichters nicht erwiesen, daß die Beraubung der Kiste sich zu einem Zeitpunkt ereignet hat, in dem sich die Kiste in der Verwahrung der Beklagten bzw. deren Erfüllungsgehilfen befand. Das abweisende Urteil des Erstrichters grundet sich daher auf die Feststellung, daß die Gegenstände, für die der Kläger Ersatz verlangt, den Beklagten niemals übergeben wurden. Das Erstgericht hat ferner - aus welchen Gründen ist nicht ersichtlich - sich noch mit der Frage befaßt, ob die Beklagten auf Grund der Einlagerungsbedingungen für den Möbeltransport, die der Kläger durch seine Unterschrift zur Kenntnis genommen hat, sowie nach den Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen für das Fehlen der nach den Behauptungen des Klägers abhanden gekommenen Gegenstände haftbar gemacht werden können. Dazu hat das Erstgericht festgestellt, daß der Kläger kein Verzeichnis der Güter, wohl aber eine Liste der verschiedenen Kolli übergeben hat und daß neben der Versicherung des Lagergutes gegen Feuer, welche im Einlagerungsvertrag inbegriffen ist, das Lagergut auf den Betrag von 100.000 S auch gegen Diebstahl versichert wurde. Der Inhalt der einzelnen Kolli wurde dabei nach den weiteren Feststellungen des Erstrichters nicht bekanntgegeben. Aus der Höhe der Versicherungssumme schließt der Erstrichter, daß der besonders wertvolle Inhalt der Kiste nicht bekanntgegeben wurde. Das Erstgericht kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Haftung wegen der Bestimmungen des § 2 der Einlagerungsbedingungen ausgeschlossen ist; aber auch als Spediteure haften die Beklagten nach Ansicht des Erstrichters nicht, weil gemäß § 59 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen der Spediteur nicht haftet, wenn er nachweist, daß er das Gut in derselben äußeren Beschaffenheit, wie er es bekam, abgeliefert hat. Dies sei nach der übereinstimmenden Aussage sämtlicher Beteiligter der Fall gewesen, denn die geringfügige Beschädigung in der Gestalt von Kerben im Boden der Kiste könnten nicht als Veränderung der äußeren Beschaffenheit des Gutes bezeichnet werden. Ein Verschulden auf Seite der Beklagten sei nicht nachgewiesen, die Beklagten hätten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Lagerhalters bzw. Spediteurs gehandelt. Zur Befolgung des telegraphischen Auftrages des Klägers sei der Zweitbeklagte nach § 6 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen nicht verpflichtet gewesen, weil der Auftrag nicht bestätigt wurde.
Das Berufungsgericht hat das Urteil des Erstrichters bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Verhältnis zum Erstbeklagten nimmt das Berufungsgericht an, daß der Kläger selbst in der Berufung die Beraubung der Kiste in eine Zeit verlegt, als die Kiste beim Zweitbeklagten lagerte, und somit die auf eine Verantwortlichkeit des Erstbeklagten abzielenden Behauptungen nicht mehr aufrecht erhält. Mit Recht verweist die Revision des Klägers darauf, daß der Versuch der Berufung, die Beschädigung der Kiste und die teilweise Entfernung ihres Inhalts für einen bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen, nicht dem Fallenlassen des Anspruches gegen den Erstbeklagten gleichgehalten werden kann. Die Berufung kann in ihrer Gesamtheit nur dahin verstanden werden, daß die Behauptung eines Verschuldens des Erstbeklagten oder seiner Angestellten aufrechterhalten wird, sodaß die Abweisung des Klagebegehrens im Verhältnis zum Erstbeklagten nicht auf die Ausführungen in der Berufung gestützt werden kann. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist daher in diesem Belang ohneweiters gegeben und der Antrag der Revision auf Aufhebung des Urteils und Rückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung - soweit die Rechtssache den Erstbeklagten betrifft - ohneweiters begrundet.
Im Verhältnis zum Zweitbeklagten kommt es zunächst darauf an, ob das Berufungsgericht die Feststellung des Erstrichters, daß die Kiste nicht mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt an den Zweitbeklagten übergeben wurde, daß vielmehr jene Gegenstände, für die Ersatz verlangt wird, noch vor dem Zunageln der Kiste in der Gasteiner Wohnung des Klägers abhanden gekommen sind, übernimmt. Das Berufungsgericht hat zunächst durch die hypothetische Fassung des dritten Absatzes der Seite 7 des Urteils und den dabei verwendeten Konjunktiv zum Ausdruck gebracht, daß es die tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters nicht für unrichtig hält; im Gegensatz dazu wird im vorletzten Absatz des Urteils erklärt, daß die Frage der Beweiswürdigung des Erstrichters wegen der vom Berufungsgericht geäußerten rechtlichen Beurteilung nicht streitentscheidend ist.
In dieser Begründung liegt ein gewisser Widerspruch. Waren die angeblich fehlenden Gegenstände, die die Grundlage des Schadenersatzanspruchs bilden, bei Übergabe der Kiste an den Zweitbeklagten in dieser nicht enthalten, dann ist dem Klagsanspruch der Boden entzogen und jede Erörterung über die Anwendbarkeit der Einlagerungs- und Spediteurbedingungen überflüssig. Mit dem Hinweis auf § 59 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen wird die erörterte Feststellung nicht entbehrlich, denn es kann nicht darauf ankommen, ob mit Leichtigkeit oder erst nach minutiöser Untersuchung festgestellt werden konnte, daß mit Hilfe eines scharfen Meißels offenbar der Boden der Kiste abgehoben wurde, sondern nur darauf, ob der Boden der Kiste überhaupt abgehoben wurde. Ist dies geschehen, dann kann nicht mehr davon gesprochen werden, daß das Gut in derselben äußeren Beschaffenheit, wie es übergeben worden ist, abgeliefert wurde, wenn auch der Boden wieder kunstgerecht eingefügt worden ist. Der Sinn der Bestimmung des § 59 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen kann nur dahin gehen, daß aus der unveränderten äußeren Beschaffenheit auf die Unmöglichkeit des Entstehens eines Schadens geschlossen wird.
Das Berufungsgericht wird sich daher zunächst zu entscheiden haben, ob es die Feststellung des Erstrichters betreffend den Inhalt der Kiste bei ihrer Übergabe an den Zweitbeklagten übernimmt.
Sollte das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstrichters nicht übernehmen und zu der gegenteiligen Annahme kommen, daß die Kiste den vom Kläger behaupteten Inhalt gehabt hat und daß die Gegenstände, für die Ersatz verlangt wird, bei der Ablieferung der Kiste an den Kläger gefehlt haben, dann wäre die Haftung des Spediteurs nach § 414 Handelsgesetzbuch grundsätzlich gegeben. Diese Ansicht steht auch mit dem § 51 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen im Einklang, weil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes die behauptete Minderung des Gutes nicht hätte eintreten können, sodaß das Fehlen der Gegenstände für ein Verschulden des Spediteurs spricht. Es wäre dann Sache des Spediteurs zu beweisen, daß ihn kein Verschulden trifft ("Die Entlastungspflicht trifft den Spediteur").
Die §§ 59 und 51 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen könnten daher nach dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt die Haftung des Spediteurs nicht ausschließen.
Auf § 57 Z. 3 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen könnte der Ausschluß der Haftung erst dann gegrundet werden, wenn feststunde, daß ein außenstehender Dritter sich eines der dort aufgezählten Verbrechen schuldig gemacht hat. Allfällig wird sich das Berufungsgericht auch mit der Einwendung zu befassen haben, daß der Spediteur die Speditionsversicherung gedeckt hat und daher gemäß § 41a der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen von der Haftung frei ist.
Die Anwendung der Bestimmungen der Einlagerungsbedingungen für den Möbeltransport würde voraussetzen, daß die Gegenstände während der Einlagerung abhanden gekommen sind. Diese Voraussetzung steht jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen des Erstrichters, der zu dem Ergebnis gelangt ist, daß eine Beraubung der Kiste während ihrer Einlagerung beim Zweitbeklagten nicht erfolgt sein kann.
Der geltend gemachte Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist daher auch im Verhältnis zum Zweitbeklagten gegeben.
Anmerkung
Z25022Schlagworte
Spediteur Haftung für BeraubungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00225.51.0123.000Dokumentnummer
JJT_19520123_OGH0002_0020OB00225_5100000_000