TE OGH 1952/3/25 2Ob78/52

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Veröffentlicht am 25.03.1952
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Norm

ABGB §163
Familienrechtsangleichungsverordnung v. 6. Feber 1943. DRGBl. I S. 80 §7
ZPO §321

Kopf

SZ 25/72

Spruch

§ 7 der Familienrechtsangleichungsverordnung ist auch auf Streitigkeiten über die uneheliche Vaterschaft anzuwenden.

Entscheidung vom 25. März 1952, 2 Ob 78/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Bruck a. d. Mur; II. Instanz:

Kreisgericht Leoben.

Text

Das Erstgericht wies das Begehren, die Vaterschaft des Beklagten zu der außer der Ehe geborenen Klägerin festzustellen und den Beklagten zur Leistung von Unterhaltsbeträgen zu verpflichten, ab. Der Beklagte habe bestritten, der Mutter des Kindes beigewohnt zu haben. Diese habe sich aber grundlos geweigert, die Blutabnahme an sich und dem Kind vornehmen zu lassen. Das Gericht würdigte dieses Verhalten der Mutter dahin, daß es ihrer Aussage über einen Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist den Glauben versagte.

Das Berufungsgericht hob das erstrichterliche Urteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Es sei noch aufzuklären, welche Gründe für das Verhalten der Mutter maßgebend gewesen seien, insbesondere, ob sie aus der Blutentnahme eine gesundheitliche Gefährdung des Kindes besorgt habe. Über diese Umstände seien die Mutter des Kindes und die Personen, die wegen der Blutabnahme mit ihr zu tun gehabt hätten, zu vernehmen gewesen. Das Berufungsgericht trat der Rechtsmeinung des Erstgerichtes entgegen, daß die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zur Erwirkung der Blutentnahme nicht möglich sei.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Beschluß des Berufungsgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof tritt der Meinung des Berufungsgerichtes bei, daß die Bestimmungen des § 7 der Verordnung über die Angleichung familienrechtlicher Vorschriften vom 6. Feber 1943, DRGBl. I S. 80, im Rechtsstreit über die außereheliche Vaterschaft anzuwenden sind. Diese Bestimmungen wurden in einem Zeitpunkt eingeführt, als in dem Großteil des damaligen Staatsgebietes die deutsche ZPO. galt. Diese regelt in den §§ 640 bis 643 das Verfahren in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern zum Gegenstand haben. Diese Vorschriften streben die Ermittlung der vollen Wahrheit durch möglichste Ausschaltung der Parteienherrschaft an. Unter diese Vorschriften fällt die Feststellung der blutmäßigen Abstammung, nicht aber das Verfahren über die Zahlvaterschaft im Sinne des § 1717 BGB. (§ 644 deutsche ZPO.). Aus dem Wortlaut des § 7 der erwähnten Verordnung geht aber nicht hervor, daß seine Bestimmungen nur auf Rechtsstreitigkeiten im Sinne der §§ 640 bis 643 der deutschen ZPO. beschränkt sein sollten. Wie im deutschen Schrifttum überzeugend dargetan worden ist, stellen die in Frage kommenden Bestimmungen der Verordnung kein nationalsozialistisches Gedankengut dar und waren für Rechtsstreitigkeiten, die die Zahlvaterschaft im Sinne des § 1717 BGB. zum Gegenstand haben, anzuwenden (Guggumos in der Neuen juristischen Wochenschrift 1949, S. 152; Bosch in der süddeutschen Juristenzeitung 1947, S. 314 ff.; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes, 4. Auflage, S. 523). Der Rechtsuntersuchungsausschuß für die britische Zone Deutschlands hat dahin Stellung genommen, daß § 7 der erwähnten Verordnung weder insoweit, als er die unmittelbare Anwendung des Zwanges ermöglicht, noch in seinem sonstigen Inhalt als typisch nationalsozialistisches Gedankengut bezeichnet werden kann (Baumbach, Kurzkommentar zur deutschen ZPO., S. 671). Die heutige Praxis der meisten Staaten der Nordamerikanischen Union zwingt Parteien und Zeugen zur Duldung der körperlichen Untersuchung (Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 448). Für das Gebiet der Westdeutschen Republik ist nunmehr durch die Zivilprozeßnovelle 1950 (deutsches Bundesgesetzblatt, S. 472/1950) in dem § 372a die Verpflichtung zur Duldung der Blutentnahme und der erbbiologischen Untersuchung in Rechtsstreitigkeiten, die die Vaterschaft nach § 1717 BGB. zum Gegenstand haben, ausdrücklich festgelegt worden. In der Deutschen Demokratischen Republik kommt § 9 des Gesetzes vom 12. April 1938, RGBl. I S. 380, in Betracht.

Für das österreichische Recht besteht nach dem Wortlaut der erwähnten Verordnung und der Ausdrucksweise des ABGB. (§ 163: "daß er das Kind erzeugt habe") keine Veranlassung, die Anwendbarkeit des § 7 für Streitigkeiten über die uneheliche Vaterschaft auszuschließen. Die Anwendbarkeit wird von dem Herausgeber der Manzschen Taschenausgabe, 4. Auflage der österr. JN. und ZPO. (S. 286 und 299), und den Herausgebern der großen Manzschen Ausgabe der ZPO., 10. Auflage (S. 786, Anm. 2, und S. 805, Anm. 1), offenbar bejaht. Solange wissenschaftliche Methoden zur Feststellung der Vaterschaft nicht ausgebildet waren, spielte eine ausschlaggebende Rolle ein System von gesetzlichen Vermutungen, gegen die ein Gegenbeweis nur in seltenen Fällen, wie aus der Reife des Kindes, bei Zeugungsunfähigkeit des angeblichen Vaters, oder der Gegenbeweis, daß die Mutter im Zeitpunkt der Beiwohnung bereits schwanger war, in Betracht kam. Infolge der Entwicklung zuverlässiger Untersuchungsmethoden ist die Einführung einer Pflicht der Parteien und Zeugen, sich erbkundigen Untersuchungen zu unterwerfen, notwendig geworden. Schon Sperl hat es für zulässig erachtet, die Weigerung eines Dritten, die Vornahme körperlicher Untersuchungen zu dulden, durch Zwang nach § 321 ZPO. zu brechen (Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 448) und die gesetzliche Festlegung der Unterwerfungspflicht von Parteien und Zeugen gefordert (Deutsche Juristenzeitung 1927, S. 1527). Da die medizinische Wissenschaft erklärt, daß über die Abstammung eines Menschen sichere Feststellungen möglich sind, konnte es ein verständiger Gesetzgeber nicht mehr den Beteiligten überlassen, ob sie sich der Untersuchung unterziehen wollen oder nicht, zumal in Familienrechtssachen auch ein öffentliches Interesse an der Ermittlung der objektiven Wahrheit gegeben ist (vgl. Bosch, a. a. O.).

Anmerkung

Z25072

Schlagworte

Abstammung, Blutabnahme von Zeugen, Vaterschaft außereheliche Blutabnahme von Zeugen, Zeuge, Zwangsmaßnahmen zur Erwirkung der Blutabnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00078.52.0325.000

Dokumentnummer

JJT_19520325_OGH0002_0020OB00078_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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