TE OGH 1952/5/2 2Ob159/52

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Veröffentlicht am 02.05.1952
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Norm

Ehegesetz §51
Ehegesetz §54

Kopf

SZ 25/116

Spruch

Zur Frage, wann das Scheidungsbegehren wegen Geisteskrankheit sittlich nicht gerechtfertigt ist.

Entscheidung vom 2. Mai 1952, 2 Ob 159/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger hat die Scheidung seiner Ehe gemäß den §§ 51 und 55 EheG. begehrt. Die Beklagte hat der Scheidung widersprochen.

Das Erstgericht hat die Ehe aus dem Grund des § 51 EheG. für geschieden erklärt und ausgesprochen, daß den Kläger ein Verschulden treffe; eine Scheidung nach § 55 EheG. ist wegen Zulässigkeit und Beachtlichkeit des Widerspruches der Beklagten abgelehnt worden.

Das Berufungsgericht hat auf Grund der Berufung der Beklagten das Scheidungsbegehren abgewiesen und die Berufung des Klägers auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Oberste Gerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichtes bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das angefochtene Urteil hat zwar die Annahme des Scheidungsgrundes des § 51 EheG. durch das Erstgericht gebilligt, weil die Geisteskrankheit (progressive Paralyse mit paranoider Einstellung zum Kläger) bereits einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist und eine Wiederherstellung dieser Ehegemeinschaft nicht erwartet werden kann. Es hat jedoch im Gegensatze zum erstrichterlichen Urteil die Bestimmung des § 54 EheG. (Vermeidung von Härten) für anwendbar erklärt und sich der Ansicht des Erstgerichtes, daß die Beschuldigung der Blutschande der Beklagten jedeRücksichtswürdigkeit nehme, nicht angeschlossen, weil die Äußerungen der Beklagten bereits Ausfluß ihrer geistigen Erkrankung waren. Dieser Anschauung des Berufungsgerichtes ist zuzustimmen. Die Anschuldigung blutschänderischen Verkehres des Klägers mit seinen Töchtern wäre der Beklagten nur dann mit jener Schwere, die jede Rücksicht ihr gegenüber verböte, anzulasten, wenn sie sie im Zustande voller Zurechnungsfähigkeit begangen hätte. Äußerungen eines Geisteskranken konnte und durfte der Kläger dagegen nicht ernst nehmen. Wird aber davon ausgegangen, dann kommen eben die Gründe, die für die Beachtlichkeit des Widerspruches sprachen, zum Großteil auch bei Anwendung der Bestimmung des § 54 EheG. zur Geltung. Diese Vorschrift gibt dem Gerichte die Möglichkeit an die Hand, zu verhindern, daß ein Ehegatte die Scheidungsgrunde der §§ 50 bis 52 EheG. dazu mißbraucht, um sich von einer ihm unbequem gewordenen Ehe zu lösen, obwohl dies vom Standpunkte sittlicher Wertung der Ehe nicht verantwortet werden kann. Bevölkerungspolitische Gründe können heute keinen Ausschlag mehr geben, wohl aber muß umsomehr Gewicht auf das Gebot der Treue gelegt werden, das gerade dann Opfer fordert, wenn der eine Teil durch Krankheit in Not geraten ist. So auch die amtliche Begründung zum Ehegesetz: "Es sind Fälle denkbar, in denen das höhere sittliche Gebot der Treuepflicht das Verlangen rechtfertigt, daß ein Ehegatte auch dann noch an der Ehe festhält, wenn an sich einer der in den §§ 50 bis 53 EheG. aufgeführten Scheidungsgrunde gegeben ist. Hiebei können die verschiedensten Umstände ausschlaggebend sein, so die lange Dauer, innerhalb der die Ehe schon glücklich bestanden hat, ehe der Umstand eintrat, der an sich die Scheidung rechtfertigen würde, z. B. wenn nach 30jähriger Ehe erst im hohen Alter der eine Gatte in Geisteskrankheit verfällt". Das Gesetz stellt die Forderung auf, daß in den Fällen der §§ 50 bis 52 EheG. die Ehe nicht geschieden werden darf, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde, ausnahmsweise also sogar dann, wenn dies nicht der Fall ist. Ob durch die Scheidung der andere Teil außergewöhnlich hart getroffen wird, richtet sich, wie schon gesagt, nach den Umständen, namentlich auch nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung. Dauer der Ehe und Lebensalter der Streitteile (vom Gesetz namentlich als beachtlich angeführte Umstände) und die bereits hervorgehobene Schutz- und Beistandsbedürftigkeit der Beklagten, die, wie die Vernehmungsprotokolle beweisen, trotz der festgestellten Geisteskrankheit noch immer ansprechbar und reaktionsfähig, zeitlich und örtlich orientiert ist, begrunden das Scheidungsverbot des § 54 EheG., auch wenn Kläger selbst nicht den Anlaß zur Infektion der Beklagten gegeben hat. Was die Beklagte hinsichtlich der Erfüllung eines Unterhaltsanspruches zu erwarten hat, wenn der Kläger für die Eingehung einer neuen Ehe freigegeben wird, hat er mit seinem Verhalten seit dem Jahre 1941 bewiesen. Waren seine freiwilligen Unterhaltsleistungen schon vor dem Jahre 1941 infolge geringeren Einkommens unzulänglich, so daß die Beklagte selbst einer Erwerbstätigkeit nachgehen mußte, so hat er seit dem Jahre 1941 freiwillig überhaupt keinen Unterhalt an die Beklagte geleistet. Für die sittliche Wertung des Scheidungsbegehrens ist auch der Umstand von Bedeutung, ob der Kläger die Krankheit der Beklagten nur dazu benützen will, um eine sonst nicht zu verwirklichende Scheidung zu erreichen (E. vom 14. November 1951, 1 Ob 768/51). Gerade dies trifft für den gegenständlichen Fall zu.

Anmerkung

Z25116

Schlagworte

Ehescheidung wegen Geisteskrankheit, Geisteskrankheit als Scheidungsgrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00159.52.0502.000

Dokumentnummer

JJT_19520502_OGH0002_0020OB00159_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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