Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Wahle als Vorsitzenden sowie durch die Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hohenecker, Dr. Fellner, Dr. Schmeisser und Dr. Kralik als weitere Richter in der Aufgebotssache der 1) Helene H***** und 2) des Heinz H*****, dieser vertreten durch die Vormünderin Helene H*****, 3) Dr. Wolfgang Hermann, sämtliche in *****, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 1. April 1952, GZ 4 R 61/52-9, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. März 1952, GZ 47 T 8/52-5, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Beide Untergerichte haben den Antrag auf Einleitung des Kraftloserklärungsverfahrens hinsichtlich der im Antrage näher bezeichneten Aktien der Österreichischen Nationalbank abgewiesen. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhoben die Antragsteller Revisionsrekurs, der als außerordentlicher Revisionsrekurs iSd § 16 AußStrG anzusehen ist.
Rechtliche Beurteilung
Dem durch die Untergerichte abgewiesenen Antrag liegt folgender unbestrittener Sachverhalt zugrunde:
Die Antragsteller, die als Rechtsnachfolger des früheren Aktienbesitzers auftreten, behaupten, dass dieser am 5. 5. 1938 seine Aktien gemäß § 8 der Verordnung vom 23. 4. 1938, DRGBl I S. 405 gegen Schatzanweisungen des Deutschen Reiches umgetauscht hat. Diese Schatzanweisungen wurden vom Rechtsvorgänger der Antragsteller zufolge seines späteren Auftrages vom 7. 2. 1943 wieder und zwar in 3 1/2%ige Schatzanweisungen des Deutschen Reiches umgetauscht. Ab 1945 wurden diese Wertpapiere durch den Liquidator der ehemaligen Reichsbankhauptstelle Wien verwaltet und auf Auftrag der an erster Stelle auftretenden Antragstellerin an die Creditanstalt-Bankverein zur weiteren Verwahrung übertragen.
Die Abweisung des Antrages auf Einleitung der Kraftloserklärung erfolgte in beiden Instanzen deshalb, weil weder von einem Abhandenkommen noch von einer Vernichtung der Wertpapiere iSd § 1 KraftloserklärungsG 1951 gesprochen werden kann. Denn die Urkunden, so führten die Untergerichte aus, wurden 1938 auf Antrag des Eigentümers nach den damals geltenden Bestimmungen umgetauscht, und es hat der Rechtsvorgänger der Antragsteller wirtschaftlich die Gegenleistung erhalten. Auch seien - nach Ansicht der Untergerichte - die Antragsteller nicht als Berechtigte gemäß § 3 des KraftloserklärungsG 1951 anzusehen. Wenn die Antragsteller die Ansicht vertreten, das erwähnte Gesetz sei im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Durchdringung Österreichs durch das Deutsche Reich zustande gekommen und daher gemäß dem Nichtigkeitsgesetze 1946 nichtig, so werde hiebei übersehen, dass aus den Bestimmungen des Nichtigkeitsgesetzes allein ein Rechtsanspruch nicht abgeleitet werden kann.
Soweit sich der Revisionsrekurs auf Mangelhaftigkeit beruft (S 34 d. A.), ist darauf nicht einzugehen, weil diese nicht Gegenstand eines außerordentlichen Revisionsrekurses ist.
Soweit der Revisionsrekurs materielle Nichtigkeit geltend macht und diesen Begriff offenbar dem der formellrechtlichen Nullität iSd § 16 AußStrG gleichstellt, ist ihm entgegenzuhalten:
Die Ansicht, dass das vorliegende Verfahren, obgleich der Antrag bei der Rückstellungskommission eingebracht worden ist, noch immer bei dieser anhängig sei, obwohl der Antrag unmittelbar nach seinem Einlangen gemäß § 44 JN dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als dem für die Kraftloserklärung von Urkunden zuständigen Gerichtshofe überwiesen wurde, ist verfehlt. Die Antragsteller können schon deshalb aus der Überweisung keine Rechte ableiten, weil sie in ihrem Antrag (ON 1 d.A.) ausdrücklich unter Punkt 3 begehrten: „im Falle sich die Rückstellungskommission für das Begehren ad 1) (gemeint ist ausdrücklich die Einleitung des „Kraftloserklärungsverfahren") unzuständig erachtet, den Akt zur Erledigung desselben gemäß § 44 JN an das zuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien abzutreten". Im Übrigen haben die Antragsteller diesen Überweisungsantrag, den sie selbst gestellt haben, verständlicherweise nicht angefochten, was auch dann beachtlich ist, wenn den Antragstellern eine Ausfertigung des Überweisungsbeschlusses nicht zugestellt worden ist. Von einer Nichtigkeit, richtig Nullität, des Verfahrens kann aber auch deshalb keine Rede sein, weil ein Antrag auf Kraftloserklärung von Wertpapieren und Aktien erst dann gestellt werden kann, wenn der geschädigte Eigentümer die Nichtigkeit der Entziehung vor der zuständigen Rückstellungsbehörde geltend gemacht hat (2 Ob 633/51), nach dieser Entscheidung muss zuerst die Nichtigkeit der Entziehung vor der Rückstellungskommission und dann erst kann die Kraftloseerklärung verlangt werden. Die Nichtigkeit der Entziehung wurde jedoch vor der Rückstellungskommission nicht begehrt, sondern es wurde, was im Sinne der obgenannten Entscheidung unzulässig ist, von der Rückstellungskommission der Ausspruch der Kraftloserklärung der Aktien verlangt. Auch kann ein Antrag vor der Rückstellungskommission nur gegen einen Rückstellungsgegner geltend gemacht werden; im vorliegenden Falle, in dem nur der Ausspruch der Kraftloserklärung verlangt wird, scheint ein Antragsgegner gar nicht auf.
Als Aktenwidrigkeit wird von den Antragstellern geltend gemacht, dass es den tatsächlichen Verhältnissen widerspreche, wenn der angefochtene Beschluss von einer „Liquidation der Österreichischen Nationalbank" spreche, weil diese Liquidation bis zum Zeitpunkte des Aufhörens der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich nicht beendet worden war. Es könne daher auch der angefochtene Beschluss nicht vom „Untergang der Aktionärrechte" sprechen, weil heute wieder die Satzungen der Nationalbank vom Jahre 1922 in Kraft stünden, und das Notenbank-ÜberlG nicht nur von dem Bestehen dieser Satzungen ausgehe, sondern außerdem in diesem Gesetze ausdrücklich ausgesprochen wurde, dass die Österreichische Nationalbank als Rechtssubjekt niemals untergegangen sei (Okkupationstheorie), wozu noch komme, dass der Fortbestand des Rechtssubjektes „Österreichische Nationalbank" in ständiger Rechtsprechung anerkannt werde. Mit all diesen Ausführungen wird aber eine Aktenwidrigkeit, die sich aus dem Akte selbst ergeben würde und entscheidend für die Beurteilung dieser Rechtssache in Betracht käme, nicht geltend gemacht. Welcher Ansicht immer man im vorliegenden Falle in der Frage des Bestandes der Österreichischen Nationalbank als Rechtssubjekt nach 1938 und ab 1945 zuneigt, ist für die vorliegende Entscheidung bedeutungslos. Diese hängt von der Erwägung ab, dass ein Umtausch der Aktien der Österreichischen Nationalbank in Schatzscheine des Deutschen Reiches, und zwar auf Antrag des Aktienbesitzers erfolgt ist; es handelt sich daher nicht um Urkunden, die abhanden gekommen oder vernichtet worden sind, sondern um Urkunden, die der Rechtsvorgänger der Antragsteller freiwillig aus der Hand gegeben hat. Hiefür hat er eine Ersatzleistung bekommen; es sind an Stelle der Aktien der Österreichischen Nationalbank die Schatzscheine des Deutschen Reiches getreten. Die durch die Urkunde verkörperte Forderung ist durch den Umtausch in eine Urkunde völlig anderer Art als eingelöst und daher seitens des Verpflichteten als getilgt anzusehen. Daraus folgt, dass das ursprüngliche Wertpapier nicht mehr kraftlos erklärt werden kann. Ein besonderes Rückstellungsverfahren für Aktien besteht nicht. Das fünfte RückstG kennt in diesem Zusammenhange wohl die Wiederherstellung der Aktiengesellschaft, ein Fall, der bei der Österreichischen Nationalbank keine Anwendung findet, weil diese (auf Grund der Verordnung vom 17. 3. 1938, DRGBl I S. 254 in Liquidation getreten und von der Deutschen Reichsbank übernommen) bereits auf Grund des Notenbank-ÜberlG, StGBl 1945 Nr 45, wieder ins Leben getreten ist, darauf sind im Übrigen aber Rückstellungsansprüche auf Aktien nach dem Dritten RückStG geltend zu machen. Im vorliegenden Falle hat ein solches Verfahren noch nicht stattgefunden, jedenfalls aber ist - entgegen der Ansicht der Antragsteller - das vorliegende Verfahren auf Einleitung der Kraftloserklärung kein Rückstellungsverfahren betreffend Aktien nach dem Dritten Rückstellungsgesetz.
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob nach § 3 des KraftloserklärungsG 1951 die Antragsteller etwa „sonst ein rechtliches Interesse" an der Kraftloserklärung der Urkunden haben. Denn jedenfalls handelt es sich im vorliegenden Falle um keine offenbare Gesetzesverletzung, weil eine solche nach ständiger Rechtsprechung nur dort gegeben ist, wo das Gesetz eine ganz bestimmte Regelung ausdrücklich vorschreibt, der Richter aber gegen diese entschieden hat.
Wenn der Revisionsrekurs eine offenbare Gesetzwidrigkeit auch darin erblickt, dass nicht nach § 66 AktienG die Kraftloserklärung eingeleitet wurde, so ist dem entgegenzuhalten, dass diese Gesetzesstelle durch die Bestimmungen der KraftloserklärungsNov 1945, womit die Kaiserliche Verordnung vom 31. 8. 1915, RGBl Nr 257, wieder in Kraft gesetzt wurde, aufgehoben worden ist.
Es war daher der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Anmerkung
E76443 1Ob420.52European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0010OB00420.52.0521.000Dokumentnummer
JJT_19520521_OGH0002_0010OB00420_5200000_000