Norm
Bundesstraßengesetz §15Kopf
SZ 25/282
Spruch
Zur Frage der Berücksichtigung des Wertes eines bombenbeschädigten Bauwerkes, das vor der Enteignung abgetragen wurde.
Entscheidung vom 24. Oktober 1952, 2 Ob 771/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Vöcklabruck; II. Instanz: Kreisgericht Wels.
Text
Die Antragstellerin war Eigentümerin des in der Bahnhofstraße von A. auf der Parzelle X erbaut gewesenen Hauses. Dieses Haus ist während des Krieges durch Fliegerbomben beschädigt worden. Ein Wiederaufbau ist unterblieben, das beschädigte Haus ist vielmehr nach dem Krieg abgetragen worden. Im Jahre 1946 ist vom Amt der Landesregierung ein Projekt über die Verlegung der Bundesstraße vor dem Bahnhof in A. beim dortigen Gemeindeamt aufgelegt worden; die von der Landesregierung im Zusammenhang damit einberufene Gründeinlösungs- und Enteignungsverhandlung hat am 23. Oktober 1946 stattgefunden. Bei dieser Verhandlung hat die Antragstellerin grundsätzlich der Abtrennung von insgesamt 60 m2 ihrer Parzelle zugestimmt und für den Quadratmeter einen Preis von 5 S verlangt; sie hat außerdem für das auf der abgetretenen Fläche gestandene Haus unter Berücksichtigung des durch seine Beschädigung verursachten Wertverlustes eine Entschädigung von 16.936 S begehrt. Während der angesprochene Grundpreis anerkannt worden ist, ist über ihr weiteres Entschädigungsbegehren eine Einigung nicht zustande gekommen. Nachdem in der Verhandlung der beigezogene Sachverständige erklärt hatte, daß das Gebäude nicht mehr bestehe und daß er daher zu einem von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten nicht Stellung nehmen könne, hatte die Antragstellerin vorgebracht, daß ihr im August 1945 von dem damaligen Bürgermeister K. die Instandsetzung des Hauses mit dem Hinweis auf die damals bereits geplant gewesene Erweiterung der Straße untersagt worden sei. Die Antragstellerin begehrte nunmehr gemäß § 15 BStG. die Feststellung einer Entschädigung für das Haus, die sie mit 98.000 S bezifferte, durch das Gericht. Bei der Tagsatzung über ihren Antrag hat sie noch vorgebracht, daß sie bereits im August 1945 von der Gemeinde eine Entschädigung verlangt habe, weil ihr mitgeteilt worden sei, daß sie das Haus wegen Verbreiterung der Bahnhofstraße abreißen müsse, und daß im Zeitpunkt der Enteignungsverhandlung noch die Grundfesten, das Kellergewölbe und das Nebengebäude gestanden seien.
Das Erstgericht hat den Antrag abgewiesen.
Das Rekursgericht hat den Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und die Sache an dieses zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Der Oberste Gerichtshof hat den von der Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung) angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes bestätigt.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Rekursgericht hat zwar die Ansicht des Erstgerichtes geteilt, daß der Antragstellerin eine Entschädigung für ein Gebäude, das im Zeitpunkt der Enteignung nicht mehr vorhanden gewesen sei, nicht gebühre, jedoch das Vorbringen der Antragstellerin, daß sich damals noch Gebäudereste auf dem Grundstück befunden haben, für erhebungsdürftig erachtet, da im Fall der Richtigkeit dieser Behauptung der Antragstellerin der Verkehrswert dieser Gebäudeteile und auch der persönliche Schaden, der ihr allenfalls aus der Enteignung erwachsen sei, zu ersetzen seien. In ihrer nach § 30 Abs. 4 und 5 Eisenbahnenteignungsgesetz zulässigen Äußerung zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin ausdrücklich hervorgehoben, daß sie sich mit den ihr vom Rekursgericht zugebilligten Ansprüchen nicht zufrieden gebe, und ebenfalls die dritte Instanz anrufen werde, sobald ihr dies möglich sei; sie hat daher angeregt, daß im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens der Oberste Gerichtshof jetzt schon zu ihren vom Rekursgericht abgelehnten Rekursausführungen Stellung nehmen wolle. Mit Rücksicht darauf, daß der Antragstellerin gegen die Begründung der im Sinn ihres Rekursantrages ergangenen Entscheidung ein Rechtsmittel nicht offen gestanden ist, bestehen nach der Ansicht des Obersten Gerichtshofes, zumal es sich um ein außerstreitiges Verfahren handelt, keine Bedenken, bei der Erledigung des Revisionsrekurses der Antragsgegnerin auch die Rekursausführungen der Antragstellerin, soweit ihnen das Rekursgericht eine Berechtigung nicht zuerkannt hat, zu berücksichtigen.
Der Oberste Gerichtshof vermag vor allem der Ansicht der Antragsgegnerin nicht beizupflichten, daß die Antragstellerin das Enteignungserkenntnis hätte bekämpfen müssen, weil nach diesem ihr nur ein Teil eines Grundstückes, aber nicht ein Gebäude enteignet worden sei, und daß ihr für die Gebäudereste eine Entschädigung schon deshalb nicht gebühre, weil sie für diese weder in ihrem Antrage noch bei der Tagsatzung eine Entschädigung begehrt habe. Im Zeitpunkt der Enteignung stand das Bundesstraßengesetz vom 8. Juli 1921 in Geltung. Gemäß § 15 hatte zwar der Landeshauptmann über den Umfang und Gegenstand der Enteignung zu entscheiden und war gegen seine Entscheidung die Berufung an das Bundesministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten zulässig; für das Verfahren und insbesondere die Festsetzung der Entschädigung waren jedoch die Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 22 Abs. 1 dieses Gesetzes ist die infolge einer Enteignung zu leistende Entschädigung, sofern sie nicht durch ein zulässiges Übereinkommen bestimmt wird, gerichtlich festzustellen. Ein Übereinkommen ist lediglich in Ansehung des Preises der enteigneten Bodenfläche, nicht aber auch des auf dieser aufgebaut gewesenen Hauses oder auch nur der allenfalls vorhanden gewesenen Gebäudereste erzielt worden. Das Enteignungserkenntnis hat in sämtlichen Fällen, die zur Verhandlung gelangt sind, lediglich die enteignete Fläche angeführt; da von der Enteignung der Grundfläche auch die darauf stehenden Gebäude erfaßt werden, bedurfte es nicht einer zusätzlichen, auf die Gebäude Bezug nehmenden Erklärung. Da die Antragstellerin gegen die Enteignung der Bodenfläche Einwendungen nicht erhoben hat, Bestand für sie kein Anlaß zu einem Berufungsverfahren. Über die Festsetzung der Entschädigung ist jedoch im Streitfall nicht im Verwaltungsweg, sondern durch das Gericht zu entscheiden. Mit Rücksicht darauf, daß das Enteignungserkenntnis darüber keine Angaben enthält, ob und welche Baulichkeiten auf der enteigneten Bodenfläche gestanden sind, muß das Gericht, wenn es um die Festsetzung der Höhe der Entschädigung angerufen wird, hierüber die erforderlichen Erhebungen treffen und Feststellungen vornehmen. Es kann bloß dahingestellt bleiben, ob dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, von dem Bauwerk nichts mehr vorhanden ist, die gerichtlichen Erhebungen, wie im § 24 Abs. 1 Eisenbahnenteignungsgesetz vorgeschrieben "an Ort und Stelle" erfolgen müssen.
Hingegen kann der Rechtsansicht des Rekursgerichtes über die Notwendigkeit von Erhebungen, ob im Zeitpunkt der Enteignung die von der Antragstellerin behaupteten Gebäudereste vorhanden gewesen sind und welchen Verkehrswert sie gehabt haben, nur bedingt gefolgt werden, wobei jedoch auf den Rekurs der Antragstellerin zurückzugreifen ist. In erster Linie ist nämlich zu prüfen, ob die Behauptung der Antragstellerin über den von ihr beabsichtigten Wiederaufbau ihres beschädigten Hauses und das ihr im Zusammenhang damit zugekommene Verbot des Bürgermeisters den Tatsachen entspricht. Sollte sich ergeben, daß das Verbot des Wiederaufbaues auf eine dem Bürgermeister erteilte Weisung der Landesregierung oder einer dieser unterstellten Behörde zurückzuführen ist, u. zw. deshalb, weil die Verbreiterung der Straße und die hiedurch notwendigen Enteignungen der Grundbesitzer bereits beschlossen oder ein Beschluß hierüber mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dann ist nicht einzusehen, warum die Antragstellerin, die dieses Verbot befolgt und - vielleicht ebenfalls auf Grund eines Auftrages - mit der Abtragung des Hauses begonnen oder sie auch schon durchgeführt hat, rechtlich schlechter gestellt sein soll als die Grundbesitzer, die mit den gleichen Arbeiten so lange gewartet haben, bis die Enteignungsverhandlung stattgefunden hat. Mögen auch für die Bestimmung der Entschädigung die Tatumstände im Zeitpunkt der Enteignung maßgebend sein, so muß dann, wenn schon vorher von der Enteignungsbehörde im Hinblick auf die bevorstehende Enteignung vorbeugende Maßnahmen getroffen und Weisungen erteilt und befolgt worden sind, der Fall so beurteilt werden, als ob damals schon wegen der Enteignung verhandelt worden wäre. Erst wenn zwischen den Erklärungen des damaligen Bürgermeisters und der späteren Enteignung ein Zusammenhang im vorstehenden Sinn nicht erweislich wäre, ist auf die weitere Behauptung der Antragstellerin einzugehen, daß im Zeitpunkt der Enteigungsverhandlung noch Gebäudereste auf der enteigneten Grundfläche vorhanden gewesen sind. Die Ansicht der Antragsgegnerin, daß dieses Vorbringen nicht beachtlich sei, weil die Antragstellerin für das ganze Haus und nicht für die Gebäudereste eine Entschädigung begehrt, ist rechtsirrig, da für den Fall, daß das Begehren der Antragstellerin im vollen Umfang nicht begrundet ist, noch immer zu prüfen ist, ob es wenigstens teilweise Berechtigung hat.
Es war daher dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen und der angefochtene Beschluß im Spruch zu bestätigen, wenngleich im Sinn der früheren Ausführungen die Erhebungen durch das Erstgericht in einem größeren Umfang vorzunehmen sind und der neuerlichen Entscheidung nicht die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, sondern die oben dargelegte zugrunde zu legen sein wird.
Anmerkung
Z25282Schlagworte
Bundesstraße, Enteignung einer Bombenruine, Enteignung, Entschädigung für Bombenruine, Entschädigung für Bombenruine bei Enteignung, Straßenbau, Entschädigung für enteignete BombenruineEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00771.52.1024.000Dokumentnummer
JJT_19521024_OGH0002_0020OB00771_5200000_000