TE OGH 1952/11/12 1Ob917/52

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.1952
beobachten
merken

Norm

Außerstreitgesetz §127 (1)
Außerstreitgesetz §145
Handelsgesetzbuch §54

Kopf

SZ 25/300

Spruch

Das Abhandlungsgericht ist zur Bestellung eines Handlungsbevollmächtigten für die erblasserische Firma nicht befugt.

Entscheidung vom 12. November 1952, 1 Ob 917/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Am 15. Oktober 1951 ist Rudolf P., der Alleininhaber der Firma "C.- Gesellschaft P. & Co." ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung gestorben. Als nächster gesetzlicher Erbe kommt sein Bruder Gustav P. in Betracht. Dieser hat zuerst eine bedingte, sodann eine unbedingte Erbserklärung auf Grund des Gesetzes abgegeben. Die Wirtschafterin und angebliche Lebensgefährtin des verwitweten Erblassers, Frau Franziska H., hat auf Grund eines mündlichen Testamentes die unbedingte Erbserklärung abgegeben. Gustav P. hat gegen Franziska H. nach Verweisung auf den Rechtsweg die Erbrechtsklage eingebracht.

Dieser Streit ist noch anhängig. Gustav P. war vorübergehend mit der Verwaltung und Besorgung des Nachlasses gemäß § 145 AußstrG. betraut. Mit Beschluß ON. 31 wurde zufolge Einbringung der Erbrechtsklage und im Hinblick auf die Streitigkeiten zwischen den Erben an Stelle des Gustav P. der Notariatssubstitut Dr. Alfred P. gemäß § 127 Abs. 2 AußstrG. zum Sequester bestellt. Ferner "nahm das Verlassenschaftsgericht folgendes zur Kenntnis": "Die beiden widersprechenden Erben (Franziska H. und Gustav P.) erklären, sich dahin zu einigen, daß der Sequester Dr. Alfred P. weiterhin mit der Führung der Oberaufsicht über die Verwaltung des Unternehmens betraut bleibt und beim Handelsgericht Wien seine erfolgte Bestellung zum Sequester und seine Vertretungsberechtigung zur Eintragung ins Handelsregister angemeldet wird.

Ferner einigen sie sich dahin, daß die laufende Geschäftsführung des Unternehmens C.Gesellschaft P. & Co. durch Fritz H. und Wilhelm U. gemeinsam erfolgt, was der Sequester zustimmend zur Kenntnis nimmt. Einverständlich wird festgestellt, daß Fritz H. und Wilhelm U. zu Handlungsbevollmächtigten im Sinne des Handelsgesetzbuches mit Kollektivbezeichnung bestellt sind". Fritz H. ist der Vertrauensmann der Franziska H., Wilhelm U. der des Gustav P. Im Handesregister ist für die Dauer des Verlassenschaftsverfahrens Dr. Alfred P. als Sequester eingetragen. Die Handlungsbevollmächtigung Fritz H.'s und Wilhelm U.'s ist im Handelsregister nicht ersichtlich; sie ist auch nicht Gegenstand einer Eintragung. Aus dem Handelsregister geht nicht hervor, daß Fritz H., wie er behauptet, offenbar Gesellschafter der Firma ist.

Gustav P. (richtig sen.) beantragt die Enthebung des Wilhelm U. als "Vertreter" (richtig als Vertrauensperson und Handlungsbevollmächtigter) und die Bestellung seines Sohnes Gustav P. jun. an dessen Stelle.

Das Erstgericht hat Gustav P. jun. als Vertrauensmann seines Vaters und als Handlungsbevollmächtigten auf Antrag des Vaters an Stelle des Wilhelm U. eingestellt und den Sequester Dr. Alfred P. angewiesen, mit Gustav P. jun. einen Anstellungsvertrag abzuschließen. Es hat ferner mehrere Benachrichtigungen des Inhaltes ergehen lassen, daß Gustav P. jun. nunmehr statt Wilhelm U. als Handlungsbevollmächtigter zusammen mit Fritz H. kollektiv zeichnungsberechtigt und über die Guthaben der Firma verfügungsberechtigt ist; schließlich hat es den Beschluß sofort für vollstreckbar erklärt.

Das Rekursgericht hat zufolge Rekurses der Franziska H. diesen Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen. Es ging hiebei von der Erwägung aus, daß neben dem Erblasser auch Fritz H. offener Gesellschafter ist und daß die Übertragung der Handlungsvollmacht eine Maßnahme sei, die nicht im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens verfügt werden könne, da hiedurch Rechte des Mitgesellschafters, somit einer dritten Person, berührt werden. Daß Wilhelm U. im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens mit der Funktion eines Handlungsbevollmächtigten betraut worden sei, sei nur auf Grund einer Einigung der Erben möglich gewesen: Im übrigen sei eine Handlungsvollmacht gemäß Art. 6 Nr. 11 der 4. EVzHGB. widerrufbar. Dies sei eine Maßnahme der Geschäftsführung einer offenen Handelsgesellschaft, in die sich das Verlassenschaftsgericht nicht einmengen dürfe. Die Bestellung des Gustav P. jun. zum Handlungsbevollmächtigten sei eine im Verlassenschaftsverfahren unzulässige Verfügung. Wenn aber das Verlassenschaftsgericht Zweifel an der ordnungsmäßigen Wahrung der Interessen des Gustav P. sen. hege, werde es "andere zulässige Maßnahmen zu seinen Gunsten zu treffen haben". Aus diesem Gründe aber - so meinte das Rekursgericht - sei der Beschluß des Erstgerichtes aufzuheben gewesen.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsrekurse des Gustav P. sen. Folge gegeben und den angefochtenen Beschluß aufgehoben und dem Rekurse der Franziska H. gegen den Beschluß des Erstgerichtes Folge gegeben und den Antrag des Gustav P. sen., den Gustav P. jun. als Vertrauensmann des Antragstellers und als Handlungsbevollmächtigten im Betriebe der C.-Gesellschaft P. & Co. an Stelle des zu enthebenden Wilhelm U. zu bestellen, abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung: Dem Revisionsrekurs kommt insofern Berechtigung zu, als der Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes zu beseitigen war, wenn auch der Antrag des Rechtsmittelwerbers abzuweisen war.

Dies aus folgenden Gründen:

Der Revisionsrekurswerber übersieht, daß das Verlassenschaftsgericht weder mit der Bestellung eines Vertrauensmannes noch mit der Bestellung eines Handlungsbevollmächtigten etwas zu tun hat. Die Bestellung eines Vertrauensmannes eines Erben ist ausschließlich Sache des Letzteren. Er hat sich hiebei mit dem Vertreter der Firma zu verständigen. Die Abberufung des bisherigen und die Bestellung eines neuen Handlungsbevollmächtigten ist im konkreten Falle Sache des gemäß § 127 AußstrG. bestellten Sequesters Dr. Alfred P. Dieser ist Vertreter der Einzelfirma, also der Verlassenschaft des verstorbenen Einzelkaufmannes im Verlassenschaftsprovisorium, er ist daher nicht Vertreter der Erben, deren Interesse er allerdings zu wahren hat. Das Abhandlungsgericht hat in der Verlassenschaftsabhandlung nach einem protokollierten Kaufmann für die Zeichnung der Firma und Fortführung des Unternehmens bis zur Einantwortung Sorge zu tragen. Diesem Erfordernis entspricht die Bestellung des Sequesters. In anderen Fällen können in Regelung des Verlassenschaftsprovisoriums alle Erben oder einer oder mehrere von ihnen oder ein Verlassenschaftskurator, allenfalls ein Separationskurator mit der Führung der Firma betraut werden. Im vorliegenden Falle, wo zwischen den Erben Streit besteht, ist als Provisorium die Sequesterbestellung getreten, gegen die die Erben auch keinen Einwand erheben.

Daß das Erstgericht zur Kenntnis genommen hat, daß neben diesem Sequester noch zwei Handlungsbevollmächtigte (Fritz H. und Wilhelm U.) mit Zeichnungsbefugnis von den streitenden Erben im Einverständnis mit dem Sequester bestellt wurden, ist eine Tatsache, die nicht das Verlassenschaftsgericht verfügt, sondern, wie es in dem Beschluß ON. 46 heißt, von diesem nur zur Kenntnis genommen wurde. Die Bestellung der Handlungsbevollmächtigten erfolgte gesetzmäßig durch den Sequester. Die Verwaltung des Nachlasses untersteht, gleichviel ob einer der Erben pflegebefohlen ist oder nicht, der Aufsicht des Abhandlungsgerichtes. In den Rahmen dieses Aufsichtsrechtes fällt die Entscheidung über Streitigkeiten der Erben über die Verwaltung des Nachlasses, insbesondere auch über das Verlassenschaftsprovisorium. Wenn die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters rechtlich oder wirtschaftlich geboten ist, so hat das Abhandlungsgericht im Streitfalle die Auswahl zu treffen, ohne an die Vorschläge der Beteiligten gebunden zu sein. Bei der Entscheidung hat das Abhandlungsgericht innerhalb der rechtlichen Schranken die Interessen der Erben wahrzunehmen. Gehen die Interessen der Erben auseinander, so wird der Grad des Interesses unter Umständen bei allen gleich hoch anzunehmen sein (SZ. V/87, SZ. VIII/5, Demelius, Das kaufmännische Nachlaßverfahren in Österreich, S. 143). Provisorialvertreter ist somit im vorliegenden Falle der Sequester unter der Aufsicht des Gerichtes. Für die Unterstützung durch Handlungsbevollmächtigte ist der Sequester selbst verantwortlich, er und nicht das Gericht hat sie zu bestellen und abzuberufen. Sache des Verlassenschaftsgerichtes ist es, allfällige Unzukömmlichkeiten abzustellen. Hiemit erledigt sich auch der Antrag des Gustav P. sen. Die Tätigkeit des zur Verlassenschaftsabhandlung zuständigen Gerichtes ist durch den Gegenstand und Zweck der Abhandlung begrenzt. Demelius, ebendort S. 148, erwähnt allerdings den Fall, daß der Provisorialvertreter einer Unterstützung oder für den Fall seiner Verhinderung neben sich oder, um der Vertretung enthoben zu sein, statt seiner, eines Vertreters bedarf oder einen Vertrauensmann der Nachlaßgläubiger zulassen muß, um sie von dem Begehren der Absonderung des Nachlasses abzuhalten. Was die juristische Stellung dieses Vertreters betrifft, so unterliegt es keinem Zweifel, daß er Vertreter der Verlassenschaft kraft einer ihm von dem Provisorialvertreter erteilten Vollmacht ist, mit der in der Regel ein entsprechender Auftrag zur Geschäftsbesorgung verbunden sein wird. Wenn die Registergerichte, wie Demelius a. a. O. ausführt, dritte Personen ebenso wie Erben schlechthin als Vertreter der Verlassenschaft in das Handelsregister eintragen, so registrieren sie damit eine dem Vertreter von den Erben erteilte Handlungsvollmacht, obwohl eine solche nach dem Gesetze in das Handelsregister nicht aufzunehmen ist.

Das Verlassenschaftsgericht hatte daher den Antrag des Erben Gustav P. sen., seinen Sohn Gustav P. jun. zum Handlungsbevollmächtigten zu bestellen, abzuweisen, nicht aber den Bestellungsbeschluß aufzuheben unter gleichzeitiger Erteilung des Auftrages über den Antrag des Gustav P. sen. in Wahrung dessen Interesses "durch andere zulässige Maßnahmen zu entscheiden".

Denn der Antrag des Gustav P. sen. zielt darauf ab, Gustav P. jun. als Handlungsbevollmächtigten zu bestellen und da hiefür das Verlassenschaftsgericht nicht anzurufen war, war der Antrag abzuweisen. Diese Abweisung hat daher nichts mit der Frage zu tun, ob durch die Bestellung eines neuen Handlungsbevollmächtigten in die Rechte eines noch lebenden Gesellschafters, das ist hier des angeblichen Gesellschafters Fritz H., eingegriffen wird oder nicht.

Gleichgültig also, ob Fritz H. Gesellschafter ist, ist das Verlangen des Gustav P. sen. gegenüber dem Gerichte nicht begrundet. Der Antragsteller hat nicht behauptet, daß der Sequester sein Amt nicht ordnungsgemäß versieht oder sich - unbegrundet - gegen die Interessen der Erben stellt.

Der Oberste Gerichtshof hat daher seiner Praxis entsprechend (s. SZ. XXIII/87) auch im vorliegenden Falle, in dem der Antrag auf Bestellung des Gustav P. jun. zum Handlungsbevollmächtigten meritorisch abzuweisen war, sogleich in der Hauptsache entschieden, ohne erst den Aufhebungsbeschluß zu beseitigen und dem Rekursgericht mit Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes eine Entscheidung in der Sache aufzutragen. Im übrigen gilt im Revisionsrekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluß der Grundsatz der Unzulässigkeit der reformatio in peius nicht (SZ. XXII/186).

Anmerkung

Z25300

Schlagworte

Abhandlungsgericht, keine Bestellung eines Handlungsbevollmächtigten, Firma des Erblassers, Bestellung eines Handlungsbevollmächtigten, Handlungsbevollmächtigter für erblasserische Firma, keine Bestellung, durch Abhandlungsgericht, Sequester im Abhandlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0010OB00917.52.1112.000

Dokumentnummer

JJT_19521112_OGH0002_0010OB00917_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten