Norm
ABGB §1165Kopf
SZ 25/306
Spruch
Bei der Straßenbahn kommt der Beförderungsvertrag in der Regel schon zustande, wenn der Fahrgast an der Haltestelle den Wagen besteigt.
Entscheidung vom 19. November 1952, 2 Ob 481/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin hatte bereits die Griffstange eines Straßenbahnwagens erfaßt, um ihren schon im Wagen befindlichen Eltern zu folgen, als sich die Straßenbahn - entweder durch ein vorzeitiges Abfahrtssignal des Schaffners oder durch eine Unaufmerksamkeit des Fahrers - in Bewegung setzte. Die Klägerin kam beim Versuch, den fahrenden Wagen zu besteigen, zum Sturz und wurde schwer verletzt. Sie machte deshalb gegen die Eigentümerin der Straßenbahn Schadensersatzansprüche geltend.
Das Erstgericht nahm eine Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zum Nachteil der beklagten Partei an und sprach der Klägerin einen Betrag von 23.779 S zu.
Das Berufungsgericht billigte die Art der Verschuldensteilung und erhöhte den der Klägerin zukommenden Betrag auf 31.379.75 S. Der Oberste Gerichtshof bestätigte das von beiden Parteien angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zuzugeben ist der Revision, daß die rechtliche Grundlage, auf der die Urteile der unteren Instanzen aufgebaut sind, insoweit einer Prüfung nicht standhält, als die Verpflichtung der beklagten Partei zum Ersatz des Schadens aus den Bestimmungen des § 1315 ABGB. abgeleitet wird.
Die vom Berufungsgericht bezogene Entscheidung vom 16. August 1949, 2 Ob 155/49, SZ. XXII/110, steht, was die Auslegung der Bestimmungen des § 1315 betrifft, mit der überwiegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Widerspruch, ist vereinzelt geblieben und durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19. März 1952, 1 Ob 119/52, EvBl. Nr. 211, überholt. Demnach haftet der Geschäftsherr für die Untüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen nur dann, wenn es sich um einen habituellen Zustand handelt, wie dies in der Entscheidung SZ. XX/99 dargelegt wird, nicht aber bei einmaliger, wenn auch grob fahrlässiger Verletzung der Berufspflichten des Betriebsangestellten.
Wohl aber ist die Ersatzpflicht der beklagten Partei nach den Bestimmungen des § 1313a ABGB. für den vorliegenden Fall gegegeben. Nach den Feststellungen der Untergerichte war die Klägerin im Begriff, an der Haltestelle unmittelbar nach ihren Eltern, die sich bereits in dem Wagen befanden, in die Straßenbahn einzusteigen, und hielt sich zu diesem Zweck an der linken Griffstange des Einstiegs fest. Dieser Sachverhalt zwingt zu der Annahme, daß der Beförderungsvertrag mit der beklagten Partei im Zeitpunkte des Unfalles schon zustande gekommen war. Bei Eisenbahnfahrten möge der Beginn des Beförderungsvertrages von dem Lösen der Fahrkarte abhängig sein; bei der Straßenbahn kommt der Beförderungsvertrag schon zustande, wenn der Fahrgast an der Haltestelle einsteigt (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 6. Aufl., S. 305). Umstände, die den Ausschluß der Klägerin von der Beförderung mit der Straßenbahn bedingen würden, wurden nicht behauptet. Nach der für den Zeitpunkt des Unfalles festgestellten Situation muß die Klägerin somit schon als Fahrgast angesehen werden. Die Haftung der beklagten Partei für das Verschulden ihrer Organe ist somit in den Bestimmungen des § 1313a ABGB. begrundet und demnach der Anspruch auf Schmerzengeld grundsätzlich gegeben.
Anmerkung
Z25306Schlagworte
Beförderungsvertrag, Straßenbahn, Schadenersatz Straßenbahnunfall, Straßenbahn, Zustandekommen des BeförderungsvertragesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00481.52.1119.000Dokumentnummer
JJT_19521119_OGH0002_0020OB00481_5200000_000