TE OGH 1952/12/3 1Ob967/52

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Veröffentlicht am 03.12.1952
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Norm

ZPO §36
ZPO §529

Kopf

SZ 25/319

Spruch

Werden im Anwaltsprozeß nach Vollmachtskündigung ohne Bevollmächtigung eines anderen Anwaltes die weiteren Zustellungen an den gekundigten Bevollmächtigten für die bisherige Vollmachtgeberin unterlassen, so kann die Partei diese Nichtigkeit mit Berufung geltend machen, kann aber mangels Urteilsrechtskraft nicht Nichtigkeitsklage erheben.

Entscheidung vom 3. Dezember 1952, 1 Ob 967/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht wies die auf § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. gestützte Nichtigkeitsklage ab. Diese sei zwar innerhalb der im § 534 Abs. 1 ZPO. gesetzten Monatsfrist eingebracht worden. Sie sei aber nicht begrundet, weil der Kläger im Vorprozeß 26 Cg 90/50 nicht unvertreten gewesen sei. Denn er habe, nachdem sein Vertreter Dr. Hans Sch. am 25. Jänner 1951 die Vollmacht gekundigt hatte, den Rechtsanwalt Dr. F. zu seinem Bevollmächtigten bestellt und die ganze Prozeßführung dadurch genehmigt, daß er ein ordentliches Rechtsmittel gegen das im Vorprozeß ergangene Urteil vom 10. November 1951 unterlassen habe. Es könne daher nicht davon geredet werden, daß der Kläger im Vorprozeß gar nicht vertreten gewesen wäre.

Infolge Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß der Nichtigkeitsklage stattgegeben und das Urteil des Erstgerichtes vom 10. November 1951, 26 Cg 90/50, für nichtig erklärt wurde.

Es habe dem Gesetz widersprochen, daß das Erstgericht die vom Klagevertreter Dr. Hans Sch. dem Erstgericht am 25. Jänner 1951 mitgeteilte Vollmachtkündigung zur Kenntnis genommen habe. Denn im Anwaltsprozeß sei eine solche Kündigung dem Gericht und dem Prozeßgegner gegenüber solange unwirksam, bis ein neuer Rechtsanwalt von der Partei bestellt werde. Da dies im Vorprozeß nicht geschehen sei, sei der Kläger beginnend von der Streitverhandlung vom 17. März 1951, zu der Dr. Hans Sch. nicht mehr geladen worden sei, nicht vertreten gewesen, sodaß der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Z. 4 ZPO. vorliege. Trotz der irreführenden, auf § 477 Z. 5 ZPO. zugeschnittenen Fassung des § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. könne doch auch eine Nichtigkeit nach § 477 Z. 4 ZPO. mit Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien Folge und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Vorprozeß hat der Erstrichter gegen die prozessualen Vorschriften dadurch verstoßen, daß er die Vollmachtskündigung des Dr. Hans Sch. vorbehaltslos zur Kenntnis genommen und weitere Zustellungen an diesen unterlassen hat, obwohl der Kläger keinen neuen Rechtsanwalt bestellte und die Vollmachtskündigung im Anwaltsprozeß daher nach § 36 ZPO. wirkungslos blieb. Die Ausschließung des Vertreters des Klägers von der Teilnahme am weiteren Verfahren bewirkte, daß dem Kläger dadurch die weitere Möglichkeit, vor Gericht ordnungsmäßig durch den nach dem Gesetz erforderlichen Rechtsanwalt zu verhandeln, entzogen und der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Z. 4 ZPO. gesetzt wurde.

Dieser Nichtigkeitsgrund bewirkte nicht nur die Nichtigkeit des dem Urteil im Vorprozeß vorausgegangenen Teiles des Verfahrens, sondern auch die des Urteiles vom 10. November 1951 und hatte überdies zur Folge, daß dieses nicht ordnungsgemäß dem Vertreter des Klägers Dr. Hans Sch. zugestellt wurde. Da die Zustellung nach der Aktenlage bis heute unterblieben ist, kann das Urteil im Vorprozeß noch nicht als rechtskräftig angesehen werden und darum ist die Nichtigkeitsklage nach § 529 ZPO., die sich auf eine rechtskräftige Vorentscheidung beziehen muß, von vornherein nicht zulässig.

Es stand und steht auch heute noch dem Kläger frei, beim Erstgericht zu beantragen, das Urteil vom 10. November 1951 seinem Rechtsvertreter zuzustellen, damit dieser das ordentliche Rechtsmittel der Berufung einbringen könne. Solange über einen derartigen Antrag nicht entschieden und der Vorprozeß nicht abgeschlossen ist, kann das Urteil vom 10. November 1951 nicht als rechtskräftig angesehen werden, mag das Erstgericht am 27. Dezember 1951 auch die Rechtskraft irrtümlich bestätigt haben. Es kann auch nicht angenommen werden, daß der Kläger auf die ordentliche Bekämpfung des Urteils vom 10. November 1951 verzichtet und dessen Rechtskraft herbeigeführt habe, indem er die vorliegende Nichtigkeitsklage einbrachte (Kralik, Mängel des rechtlichen Gehörs, ÖJZ. 1952, S. 10). Denn der Umstand, daß der umständlichere Weg der Bekämpfung des Urteils gewählt wurde, kann seinen Grund bloß darin haben, daß der Kläger die richtige Art, zum Ziel zu kommen, nicht erkannt habe.

Bei dieser Rechtslage ist es nicht nötig, die Frage zu behandeln, ob die Klage, die sich auf § 477 Z. 4 ZPO. stützt, Aussicht auf meritorischen Erfolg gehabt hätte.

Die Nichtigkeitsklage ist entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht begrundet. Der geltend gemachte Revisionsgrund liegt vor. Der Revision mußte daher Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes in der Richtung geändert werden, daß das im Ergebnis richtige Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wurde.

Anmerkung

Z25319

Schlagworte

Anwaltsprozeß, Vollmachtskündigung, Nichtigkeit, Nichtigkeitsklage, Vollmachtskündigung im Anwaltsprozeß, Vollmachtskündigung im Anwaltsprozeß, Nichtigkeitsklage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0010OB00967.52.1203.000

Dokumentnummer

JJT_19521203_OGH0002_0010OB00967_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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