Norm
Arbeitsgerichtsgesetz §1Kopf
SZ 25/325
Spruch
Wenn ein und derselbe Tatbestand verschiedenen Gesetzesnormen unterstellt werden kann, ist das angerufene Gericht zuständig, wenn die Zuständigkeit auch nur durch eine der konkurrierenden Normen begrundet ist.
Entscheidung vom 10. Dezember 1952, 1 Ob 948/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Baden; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.
Text
In ihrer Klage bringt die Klägerin vor, die Beklagte verabreiche ihrem geschiedenen Mann August H. den Unterhalt und enthebe ihn dadurch der Notwendigkeit, einen Dienstposten anzunehmen. Sie habe Exekution in die Dienstbezüge des August H. gegen die Beklagte geführt, von dieser als Drittschuldnerin jedoch nichts bezahlt erhalten. In Wirklichkeit führe August H. den Betrieb der Beklagten völlig selbständig, sei dessen Chef, und es würde ihm in dieser Eigenschaft ein monatliches Entgelt von wenigstens 2000 S gebühren. Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 2490.57 S, welcher Betrag offenbar der der Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung zustehende vollstreckbare Unterhaltsrückstand sein soll.
Bei der Verhandlung vom 9. Feber 1952, ONr. 7, dehnte die Klägerin ihr Begehren um die seit Klageeinbringung fällig gewordenen acht weiteren gepfändeten Teile des Diensteinkommens des August H. im Betrage von 162 X 8, das sind 1296 S, somit das gesamte Klagebegehren auf 3786.57 S aus.
Das Erstgericht traf aus drei verschiedenen Aussagen nicht übereinstimmende Feststellungen über die Abfindung des August H. durch die Beklagte. Es wies das Klagebegehren ab, wobei es davon ausging, daß es auf § 2 des Gesetzes vom 4. Feber 1925, BGBl Nr. 69, über den Schutz des gesetzlichen Unterhaltsanspruches gestützt sei, und dessen Voraussetzungen nicht als gegeben ansah.
Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil und das vorangegangene Verfahren nach Durchführung einer Berufungsverhandlung als nichtig auf, wies die Klage wegen Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges zurück und sprach aus, daß zur Entscheidung der Streitsache das örtlich zuständige Arbeitsgericht sachlich zuständig sei. Das Berufungsgericht fand in der Klage einen Widerspruch, weil zunächst offenbar auf den Rechtsgrund des § 2 Unterhaltsschutzgesetz abgestellt werde, der voraussetze, daß der Unterhaltspflichtige keinem Erwerb nachgehe, während sodann Behauptungen im Sinne der §§ 308, 310 EO. aufgestellt werden, welche Gesetzesstellen gerade das Gegenteil zur Voraussetzung haben. Wenn man beachte, daß sich das Klagebegehren der Höhe nach auf die in Exekution gezogenen Beträge stütze, die nach der Behauptung der Klägerin von der Beklagten als Drittschuldnerin vom Lohn des August H. abzuziehen und an die Klägerin zu überweisen wären, könne es keinem Zweifel unterliegen, daß sich die Klage als Drittschuldnerklage darstelle. Die rechtliche Grundlage für den Klageanspruch finde sich im § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung und § 308 EO. Aus diesen Gründen erscheine das Verfahren erster Instanz und die Begründung des angefochtenen Urteils rechtlich verfehlt. Bei Unterstellung des Klagegrundes unter die zitierten Gesetzesstellen hätte das Erstgericht schon nach der eigenen Darstellung der Beklagten zu einem wenigstens zum Teile stattgebenden Erkenntnis gelangen müssen. Aus dieser Rechtsansicht des Berufungsgerichtes folge aber, daß die Streitsache den ordentlichen Gerichten entzogen sei. Wenn die Berufung den Versuch unternehme, den Klagegrund den §§ 2, 3 und 4 der Anfechtungsordnung zu unterstellen, so müsse dieser Versuch scheitern, weil die Klägerin mit ihrer Klage keineswegs die Absicht verfolge, eine Rechtshandlung, die das Vermögen des August H. betreffe, zum Zwecke ihrer Befriedigung anzufechten und die Unwirksamerklärung ihr gegenüber zu erreichen (§ 1 Anfechtungsordnung). In dieser Richtung wäre daher auch das Klagebegehren verfehlt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der klagenden Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungsgrund auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der in der Klage vorgetragene Sachverhalt kann sowohl der Bestimmung des § 2 des Gesetzes vom 4. Feber 1925, BGBl. Nr. 69, über den Schutz des gesetzlichen Unterhaltsanspruches, wie jener des § 10 Abs. 2 der Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen vom 30. Oktober 1940, DRGBl. 1940, I, 1451, unterstellt werden.
Gemäß § 2 Unterhaltsschutzgesetz haftet dem Unterhaltsberechtigten derjenige als Bürge und Zahler des Unterhaltsanspruches, der einem zur Leistung des gesetzlichen Unterhaltes Verpflichteten in der Absicht, dessen Feststellung und Hereinbringung zu verhindern, den Unterhalt reicht und ihn dadurch der Notwendigkeit enthebt, einem Erwerb nachzugehen, der ihn in den Stand setzt, seiner Unterhaltspflicht zu genügen. Ein Sachverhalt, wie er dieser Gesetzesstelle entspricht, ist in der Klage behauptet.
Nach § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung gilt im Verhältnis des Gläubigers zu dem Empfänger unentgeltlicher oder gegen unverhältnismäßig geringe Vergütung geleisteter Arbeiten oder Dienste eine angemessene Vergütung als geschuldet. Auch diesen Sachverhalt deckt die Klageerzählung.
Es kann daher weder dem Erstgericht beigepflichtet werden, das davon ausgeht, daß das klägerische Vorbringen nur auf § 2 Unterhaltsschutzgesetz gestützt werde, noch dem Berufungsgericht, das meint, die rechtliche Grundlage für den Klageanspruch finde sich nur im § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung. Durch die Klageerzählung sind vielmehr beide Rechtsgrunde - § 2 Unterhaltsschutzgesetz und § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung - dargestellt.
Da nun für den Anspruch nach § 2 Unterhaltsschutzgesetz die ordentlichen Gerichte, für die Drittschuldnerklage gegen den Dienstgeber und insbesondere auch für eine Klage gemäß § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung die Arbeitsgerichte zuständig sind (§ 1 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, § 308 EO.; 2 Ob 757/52), muß die Frage geprüft werden, ob ein Sachverhalt, der nach beiden Rechtsgrunden beurteilt werden kann, in einer Klage und bejahendenfalls bei welchem Gericht geltend gemacht werden kann.
Bei Lösung dieser Frage ist davon auszugehen, daß der Kläger nur verpflichtet ist, dem Gericht den Sachverhalt zu schildern, und nicht gezwungen werden kann, ihn rechtlich zu beurteilen oder gar sich auf einen bestimmten Klagegrund zu berufen (SZ. X/281). Im vorliegenden Fall hat der Kläger einen wirtschaftlich einheitlichen Sachverhalt, dessen Beurteilung er erreichen will, ohne ihn rechtlich zu qualifizieren oder sich auf einen Klagegrund festzulegen, dem Gericht unterbreitet. Die Gerichte haben nun ihrerseits diesen Sachverhalt rechtlich zu würdigen, u. zw. von Amts wegen unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu beurteilen (ZBl. 1923 Nr. 278). Darüber, daß die Gerichte bei dieser Würdigung durch Zuständigkeitsgrenzen gehemmt wären, enthält das Gesetz nichts. Es muß daher genügen, daß die vom Gericht vorzunehmende rechtliche Beurteilung des vom Kläger vorgetragenen einheitlichen Sachverhaltes ergibt, daß die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes wenigstens durch einen aus diesem Sachverhalt sich ergebenden Rechtsgrund des vom Kläger gestellten Begehrens begrundet wird. Wollte man anders entscheiden, so wäre in einem Fall wie dem hier gegebenen der Kläger nur um der Zuständigkeitsfrage willen gezwungen, sich für einen bestimmten Rechtsgrund seines Anspruches zu entscheiden und sich so festzulegen. Dafür fehlt eine gesetzliche Grundlage. Diese Auffassung entspricht auch nicht dem Sinn des Gesetzes. Die Zuständigkeitsvorschriften sind Ordnungsvorschriften, und es kann nicht angenommen werden, daß um ihretwillen eine so grundsätzliche Schlechterstellung eines Klägers stattfinden sollte, wie sie eintreten würde, wenn sich der Kläger bei konkurrierenden Rechtsgrunden auf einen dieser Rechtsgrunde festlegen müßte. In Fällen wie dem vorliegenden ergäbe sich auch die Folge, daß auf Grund eines einheitlichen Sachverhaltes der aus dem Unterhaltsschutzgesetz abgeleitete Anspruch zwar beim ordentlichen Gericht erhoben werden könnte, der aus § 10 Abs. 2 Lohnpfändungsverordnung fließende Anspruch dagegen beim Arbeitsgericht erhoben werden müßte. Eine einheitliche Klage aus diesem Sachverhalt könnte aber gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz beim Arbeitsgericht erhoben werden. Für eine solche unterschiedliche Behandlung der ordentlichen und der Arbeitsgerichte ist aber kein Grund abzusehen.
Der Oberste Gerichtshof hält daher auch für die Zuständigkeit im Verhältnis zwischen den Arbeitsgerichten und den ordentlichen Gerichten an der für die Handelsgerichts- und die allgemeine Zuständigkeit in der Entscheidung JBl. 1937 S. 280 ausgedrückten Ansicht fest, daß auch dann, wenn ein und derselbe Tatbestand verschiedenen Gesetzesnormen unterstellt werden kann, das angerufene Gericht zur Gänze zuständig ist, wenn es die Zuständigkeit auch nur hinsichtlich einer der anzuwendenden konkurrierenden Normen besitzt. Die Unterstellung des Tatbestandes unter die richtige Norm ist dann Sache des Gerichtes.
Die dargelegte Rechtsauffassung führt dazu, daß dem Rekurse Folge zu geben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen war, wobei es ihm überlassen bleibt, ob eine fortgesetzte Berufungsverhandlung stattzufinden hat.
Anmerkung
Z25325Schlagworte
Gesellschaft, stille, ursprüngliche Unwirksamkeit wegen Arglist, Stille Gesellschaft, ursprüngliche Unwirksamkeit wegen Arglist, Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes bei Anwendbarkeit, konkurrierender NormenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0010OB00948.52.1210.000Dokumentnummer
JJT_19521210_OGH0002_0010OB00948_5200000_000