TE OGH 1952/12/19 Präs136/51

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Veröffentlicht am 19.12.1952
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Norm
Ehegesetz §55
Ehegesetz §60
Ehegesetz §61
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §76
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §77: Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §79
ZPO §235
ZPO §482
ZPO §503
ZPO §530 Kopf

SZ 25/331

Spruch

Judikatenbuch Nr. 57.

 

I. Im Berufungsverfahren in Ehesachen sind Neuerungen zulässig.

 

Zwischen ehefreundlichen und ehefeindlichen Tatsachen ist nicht zu unterscheiden.

 

§ 503 ZPO. gilt auch im Eheverfahren.

 

II. Die Geltendmachung eines neuen Klagegrundes im Berufungsverfahren ist zulässig.

 

Unter neuem Klagegrund ist die Geltendmachung eines neuen Tatbestandes zu verstehen, aus dem das gleiche Begehren abgeleitet wird.

 

III. Eine Änderung des Scheidungsbegehrens in ein Aufhebungsbegehren und umgekehrt ist auch in zweiter Instanz zulässig.

 

IV. Auch noch in zweiter Instanz kann Verschuldensantrag gestellt und Widerspruch gemäß § 55 Abs. 2 Ehegesetz erhoben werden.

 

V. Wird im Rechtsmittelverfahren nur der Schuldausspruch angefochten, so hat das Rechtsmittelgericht die Klage abzuweisen, wenn bei Verneinung des Verschuldens der Scheidungs- oder Aufhebungstatbestand wegfällt.

 

VI. Die Partei, die einen Ausspruch nicht mit der Berufung angefochten hat, ist nicht berechtigt, diesen mit Revision anzufechten.

 

Gutachten des Plenarsenates des OGH vom 19. Dezember 1952, Präs 136/51.

Rechtliche Beurteilung

Begründung:

 

Nach seiner Wiedererrichtung im Jahre 1945 hat der Oberste Gerichtshof zunächst die Eheverfahrenspraxis des deutschen Reichsgerichtes übernommen. Diese Judikatur ist in der im Jahre 1949 erschienenen Schrift von Franz Novak "Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen" bekämpft worden.

 

Der Novakschen Lehre hat sich seither Schwind in seinem Kommentar zum österreichischen Eherecht (1951) angeschlossen. In der Rechtsprechung sind die Novakschen Thesen überwiegend abgelehnt worden; nur vereinzelte Entscheidungen haben seine Auffassungen übernommen; sie haben aber den Obersten Gerichtshof veranlaßt, seine bisherige Praxis zu überprüfen und zu untersuchen, ob die Eheverfahrensgrundsätze, die er vom deutschen Reichsgericht übernommen hat, mit dem Ehegesetz und mit den weiter fortgeltenden altösterreichischen Verfahrensrechtsvorschriften, insbesondere dem Hofdekret Justizgesetzsammlung 1819, Nr. 1595, und der Justizministerialverordnung RGBl. Nr. 283/1897, in Einklang stehen. Daher ist die bisher einheitliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes in Eheverfahrenssachen ins Wanken geraten, da einzelne Entscheidungen auf Grund der Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung im wesentlichen zur Praxis von 1938 zurückkehren wollten, andere an der Reichsgerichtspraxis unverändert festhielten und dritte eine mittlere Linie zwischen diesen beiden Standpunkten einzuhalten versuchten.

 

Derselbe Gegensatz zeigt sich auch in der neuesten Literatur. Gärtner (Zur Frage der Zulässigkeit von Neuerungen im Ehescheidungsverfahren, ÖJZ. 1951, S. 81) ist für die schrankenlose Zulässigkeit von Neuerungen im Berufungsverfahren eingetreten, während Novak (Der eheverfahrensrechtliche Untersuchungsgrundsatz in der neuen Judikatur, ÖJZ. 1951, S. 82) seinen bisherigen Standpunkt verteidigt.

 

Diese Entwicklung veranlaßte den Ersten Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, dem Plenarsenat folgende Rechtsfragen zur Beratung vorzulegen:

 

"I. Sind Nova im Rechtsmittelverfahren in Ehesachen (Nichtigkeit, Aufhebung, Scheidung) zulässig?

 

Im Falle der Bejahung:

 

1. Ist inzwischen ehefreundlichen und ehefeindlichen Tatsachen zu unterscheiden?

 

2. Gilt § 503 ZPO. im Eheverfahren?

 

II. a) Ist im Rechtsmittelverfahren die Geltendmachung neuer Klagegrunde zulässig? b) Was ist im Eheverfahren unter einem neuen Klagegrunde zu verstehen?

 

III. Ist im Eheverfahren (insbesondere im Rechtsmittelverfahren) die Änderung des Klagebegehrens zulässig?

IV. Kann in Ehesachen Mitverschulden im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden? Kann Widerspruch nach § 55 Ehegesetz erhoben werden?

 

V. Kann im Rechtsmittelverfahren die Klage auf Scheidung abgewiesen werden, obwohl nur der Ausspruch über das Verschulden angefochten wurde?

 

VI. Kann im Revisionsverfahren der Ausspruch über die Scheidung angefochten werden, obwohl er im Berufungsverfahren unangefochten blieb?"

 

Zu I.: Unmittelbar nach Erlassung des Ehegesetzes hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 7. Dezember 1938, SZ. XX/259, die Zulässigkeit von Neuerungen in Ehescheidungssachen mit der Begründung bejaht, daß nach § 108 Ehegesetz und § 71 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz für das Verfahren in Ehesachen die bisher geltenden Vorschriften, insbesondere das Hofdekret von 1819 und die Justizministerialverordnung RGBl. Nr. 283/1897 anzuwenden sind; eine Einschränkung enthalte nur § 77 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, insofern er bestimmt, daß im Scheidungs- oder Aufhebungsverfahren von den Parteien nicht vorgebrachte Tatsachen gegen den Widerspruch der die Auflösung der Ehe begehrenden Partei nur so weit berücksichtigt werden dürfen, als sie geeignet seien, der Aufrechterhaltung der Ehe zu dienen; daraus sei zu folgern, daß auch die Anfechtung der Beweiswürdigung und das Vorbringen von Neuerungen in einem Rechtsmittel an die dritte Instanz hingenommen werden müssen.

 

Auch das Reichsgericht in Leipzig hat sich der Auffassung angeschlossen, daß das Novenverbot des § 482 ZPO. im Ehescheidungsverfahren nicht gelte, erstmalig in der Entscheidung vom 30. November 1939, EvBl. 1940 Nr. 136 (wörtlich gleichlautend RG. 162, 402). Diese Urteile begrunden die Zulassung von Neuerungen im Eheverfahren mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 76 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, wo angeordnet wird, daß andere als die in der Klage vorgebrachten Klagegrunde bis zum Schlusse der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, geltend gemacht werden können; § 76 Abs. 1 sei wörtlich mit § 614 DZPO. gleichlautend; da diese Gesetzesstelle nach einheitlicher Lehre und Rechtsprechung die Geltendmachung neuer Klagegrunde bis zum Schlusse der mündlichen Berufungsverhandlung zulasse, folge, daß das Neuerungsverbot des § 482 ZPO. durch § 76 Abs. 1 durchbrochen sei. Darüber hinausgehend führten die Urteile des Reichsgerichtes aus, § 76 Abs. 1 müsse im Sinne der reichsdeutschen Auslegung des wörtlich gleichen § 614 DZPO. über den engen Wortlaut hinaus dahin verstanden werden, daß das Neuerungsverbot des § 482 Abs. 2 auch bei einem erst im Berufungsverfahren gestellten Mitschuldantrage nicht durchgreife und dieses Vorbringen der beklagten Partei daher als zulässig anzusehen sei.

 

An diesen Grundsätzen hat das Reichsgericht in seinen späteren Entscheidungen festgehalten, ohne daß neue Gesichtspunkte vorgebracht worden wären (RG. 164, 59; RG. 165, 24 u. a. m.).

 

Der Oberste Gerichtshof hat nach seiner Wiedererrichtung diese Praxis zunächst übernommen (1 Ob 172/46). Eine eigene kritische Stellungnahme zu diesem Problemkreis enthält erst die Entscheidung vom 7. Juni 1947, EvBl. 1947 Nr. 539, in der die Meinung des Berufungsgerichtes, daß im Rechtsmittelverfahren nur ehefreundliche neue Einreden, Tatumstände und Beweise beachtlich seien, mit dem Hinweis auf das durch § 71 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz sinngemäß für anwendbar erklärte österreichische Verfahren vor 1938 in Ungültigkeits- und Trennungsstreitigkeiten abgelehnt wird, weil dieses Verfahren von dem Grundsatz beherrscht sei, die materielle Wahrheit von Amts wegen zu ermitteln. Die Untersuchungsmaxime gestatte auch Neuerungen in der zweiten Instanz. Wenngleich dem Gerichte zur Pflicht gemacht sei, in erster Linie auf die Aufrechterhaltung der Ehe bedacht zu sein, müsse es doch auch das Vorbringen der Parteien beachten, die eine Auflösung der Ehe anstreben. Während nach § 77 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz vom Gericht im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe auch Tatsachen zu berücksichtigen seien, die von den Parteien nicht vorgebracht wurden, ergebe sich aus der Übernahme der Vorschriften für das Verfahren über die Ungültigkeit und Trennung der Ehe, daß die Behauptung neuer Tatsachen auch in zweiter Instanz und selbst dann zulässig sei, wenn hiedurch die Auflösung der Ehe erreicht werden solle. Der Oberste Gerichtshof ist mit dieser Begründung im wesentlichen zu den in SZ. XX/259 ausgesprochenen Grundsätzen zurückgekehrt. Die Heranziehung des § 76 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, auf den sich die reichsgerichtliche Judikatur stützt, unterläßt die Entscheidung 1 Ob 365/47 mit dem Bemerken, es könne dahingestellt bleiben, ob auch aus dieser Vorschrift die Zulässigkeit von Neuerungen im Berufungsverfahren abzuleiten sei, da schon nach § 71 die Zulässigkeit ohne Zweifel gegeben sei.

 

Der Oberste Gerichtshof hat für den Bereich des Eheprozesses an der Zulassung der Neuerungen im Berufungsverfahren seither unter Hinweis auf die bisherige Judikatur festgehalten (Entscheidungen vom 5. Mai 1948, JBl. 1949 S. 44; 2 Ob 128/50; 2 Ob 165/50 u. a. m.). Erst unter dem Einflusse der Schrift Novaks haben vereinzelte Entscheidungen, insbesondere die Entscheidung 2 Ob 332/50 und die Entscheidung vom 8. November 1950, EvBl. 1951 Nr. 2 u. a. m. Neuerungen jeder Art oder doch die sogenannten ehefeindlichen nicht mehr zugelassen.

 

Der Plenarsenat geht von nachstehenden Erwägungen aus:

 

Sowohl die von Novak vertretene Auffassung als auch die von der österreichischen Judikatur nach 1945 übernommene Auslegung des Reichsgerichtes sind mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar. Doch hat sich der Plenarsenat der zweiten Auffassung angeschlossen, weil sie zu brauchbareren Ergebnissen führt.

 

Läßt man im Scheidungsverfahren neue Tatsachenbehauptungen und Beweise zu, so kann sich im Berufungsverfahren der in erster Instanz vorgelegene Tatbestand so verschieben, daß, wie nunmehr hervorkommt, zwar die Klage nicht nach den in erster Instanz geltend gemachten Scheidungsgrunden berechtigt ist, wohl aber wegen Vorliegens eines anderen, in erster Instanz nicht geltend gemachten Scheidungsgrundes. Wie wenig zweckmäßig es wäre, die Ehegatten wegen eines erst im Laufe des Verfahrens zweiter Instanz vorgefallenen Scheidungsgrundes auf den Weg einer eigenen Ergänzungsklage oder Ergänzungswiderklage zu verweisen, läßt folgende Erwägung erkennen:

Eine Eheverfehlung gewinnt oft erst die rechte Bedeutung durch das spätere Verhalten eines Ehegatten. Deshalb hat die Rechtsprechung, getreu dem Grundsatz der Würdigung des Gesamtverhaltens (§ 49 Abs. 2 und § 55 Abs. 2 Ehegesetz), immer wieder einer an sich nicht schwerwiegenden Eheverfehlung die Qualität eines Scheidungsgrundes wegen einer späteren, die frühere erst ins rechte Licht rückenden Verfehlung zuerkannt. Es widerspräche dem Grundsatz der Prozeßökonomie, die Scheidung aus dem neuen Rechtsgrunde in ein anderes Verfahren zu verweisen, wie dies in der Entscheidung SZ. XXI/25 geschehen ist. Dazu kommt noch, daß in erster Instanz die Parteien vielfach nicht durch Rechtsanwälte vertreten sind und daß die Anleitungspflicht durch den Prozeßrichter oft versagt, wenn z. B. ein Anhaltspunkt dafür fehlt, daß ein Scheidungsgrund vorliegt. Der Oberste Gerichtshof hält es aus den angeführten Erwägungen nicht für zweckmäßig, bei der Zulassung von Neuerungen zwischen dem Ausspruch über den Bestand der Ehe und dem Ausspruch über das Verschulden zu unterscheiden. Diese Unterscheidung stammt aus dem österreichischen Recht vor 1938 und beruht auf den Entscheidungen SZ. VII/211, SZ. XI/38 und JBl. 1929 S. 525 (vgl. die Darstellung in der Entscheidung vom 8. November 1950, 1 Ob 300/50, EvBl. 1951, Nr. 2). Sie ist in keiner gesetzlichen Vorschrift ausdrücklich verankert und beruht auf der Erwägung, daß die Öffentlichkeit an der Entscheidung der Verschuldensfrage nicht interessiert sei, daß daher die Amtswegigkeit hinsichtlich der Verschuldensfrage und damit die Durchbrechung des Neuerungsverbotes zu entfallen habe. Das Hauptargument, mit dem diese Entscheidungen (vgl. insbesondere SZ. XI/38, S. 114, letzter Absatz) operieren, besteht darin, daß deshalb, weil im Urteil neben der Gültigkeit auch über das Verschulden abzusprechen ist, noch nicht die Ausdehnung der Inquisitionsmaxime auf die Ermittlung des Verschuldens an der Ungültigkeit erschlossen werden könne. Denn die Vorschrift, daß das Verschulden in den Urteilsspruch einzubeziehen sei, gelte gemäß § 6 Abs. 2 Justizministerialverordnung Nr. 283/1897 auch für das streitige Ehescheidungsverfahren im Sinne des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches und - so schließt das Erkenntnis offenbar weiter - da das Scheidungsverfahren nicht von der Inquisitionsmaxime beherrscht sei, ließen sich aus § 11 Justizministerialverordnung Nr. 283/1897 Folgerungen für die Gestaltung des Verfahrens nicht ableiten. Dieser Schluß ist keineswegs überzeugend. Warum soll sich, wenn der Verschuldensausspruch in einem dem Untersuchungsgrundsatz nicht unterworfenen Verfahren nicht auf amtswegiger Erforschung des Sachverhaltes beruht, deshalb die Schuldfrage in einem amtswegigen Verfahren nur nach den Grundsätzen der Zivilprozeßordnung lösen lassen? Außerdem ist dieses Argument nunmehr weggefallen. Der § 71 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz läßt nur die Vorschriften für das Verfahren über die Ungültigkeit und Trennung der Ehe sinngemäß gelten. Die §§ 60 und 61 Ehegesetz schreiben die gleichzeitige Entscheidung über die Auflösung der Ehe und das Verschulden hieran vor, gleichviel, ob das Verschulden zum Scheidungsgrund oder nur wegen des akzessorischen Schuldantrages zur Beurteilung gelangt. Es läßt sich dem Ehegesetz und seiner Ersten Durchführungsverordnung nicht das mindeste für die Annahme entnehmen, daß sich ein Teil der Grundlagen des einheitlichen Urteilsinhaltes nach den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der andere Teil nur nach den Regeln der Zivilprozeßordnung soll gewinnen lassen.

 

Die ältere Judikatur hat die Verschiedenheit der Verfahrensgrundsätze einerseits für den Gestaltungsausspruch und anderseits für den Schuldausspruch auch daraus abzuleiten versucht, daß im § 12 Justizministerialverordnung Nr. 283/1897 wohl ein Zwang zum persönlichen Erscheinen normiert sei, soweit es um die Feststellung der für die Auflösung angeführten Gründe handle, nicht aber soweit es sich um die Erforschung des Verschuldens handle.

 

Dazu ist darauf zu verweisen, daß angesichts der Bestimmung des § 71 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, laut der die Vorschriften des Hofdekretes und der Justizministerialverordnung nur sinngemäß anzuwenden sind, dieses Argument viel an Gewicht verliert und es wegen der Abhängigkeit des Auflösungsanspruches des Klägers von seinem eigenen Verhalten (§ 49 Satz 2 und § 55 Abs. 2 Ehegesetz) vollends bedeutungslos wird.

 

Der Plenarsenat kann daher die in der Entscheidung 1 Ob 300/50 für das neue Recht übernommene Sonderbehandlung der Verschuldensfrage nicht aufrechthalten.

 

Aus den gleichen Erwägungen wird eine Unterscheidung zwischen ehefreundlichen und ehefeindlichen Tatsachen abgelehnt. Einer Auslegung des § 77 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, die dahin geht, daß nach dieser Gesetzesstelle im Berufungsverfahren nur neue ehefreundliche Tatsachen berücksichtigt werden dürfen, nicht aber ehefeindliche, kann der Oberste Gerichtshof nicht beitreten. § 77 setzt voraus, daß sowohl ehefeindliche als ehefreundliche Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen sind; er macht nur eine Einschränkung: ehefeindliche Tatsachen dürfen gegen den Widerspruch der die Auflösung der Ehe begehrenden Partei nicht beachtet werden. Das Schwergewicht liegt auf dem Widerspruch. Nur dieser schließt die an sich zulässige Berücksichtigung der ehefeindlichen Umstände aus, denn dem § 77 entspricht § 183 Abs. 2 ZPO., der in ähnlicher Weise sonst zulässige amtswegige Anordnungen dann verbietet, wenn sich beide Parteien dagegen erklären. § 77 schaltet also nicht die Untersuchungsmaxime aus, er modifiziert sie nur im Interesse der klagenden Partei, die davor geschützt werden soll, daß etwa Angelegenheiten ihres Familienlebens, die an sich eine Ehescheidung rechtfertigen würden, gegen ihren Willen erörtert werden. Es kann daher aus dieser Gesetzesstelle nicht abgeleitet werden, daß die Untersuchungsmaxime im Rechtsmittelverfahren, soweit es sich nicht um ehefreundliche Tatsachen handelt, beseitigt sei.

 

Ein weiteres sehr wesentliches Indiz gegen eine unterschiedliche Behandlung ehefeindlicher Tatsachen bildet der § 74 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, der allerdings nicht als ein Niederschlag der Inquisitionsmaxime zu werten ist. Der Staatsanwalt hat nicht, wie der Ehebandsverteidiger des früheren Rechtes, nur die gegen die Auflösung der Ehe sprechenden Umstände geltend zu machen, er hat nicht nur das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Ehe zu wahren, sondern auch das Interesse an einer Auflösung der Ehe (also auch an ihrer Aufhebung oder Scheidung) zu beachten. Dies spricht unbedingt dagegen, über den Wortlaut der §§ 74 Abs. 2 und 77 hinaus zwischen ehefreundlichen und ehefeindlichen Tatsachen zu unterscheiden.

 

Die Frage, ob im Ehetrennungs- und Ungültigkeitsverfahren aus dem Untersuchungsgrundsatz zu folgen sei, daß die Begrenzung auf bestimmte Revisionsgrunde gemäß § 503 ZPO. nicht gelte, war im österreichischen Recht vor der Einführung des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Eherechtes strittig. Die Mehrzahl der Entscheidungen verneinten die Anwendbarkeit des § 503 ZPO. schlechthin (z. B. Entscheidung vom 20. Feber 1934, JBl. 1934 S. 281; Entscheidung vom 19. Oktober 1934, JBl. 1935 S. 62, und Entscheidung vom 13. Feber 1935, GH. 1935 S. 44), während eine andere Gruppe, insbesondere SZ. I/63, die amtswegige Überprüfung auf die Fälle der Pflichtrevision beschränken wollte.

 

Auch seit der Erlassung des Ehegesetzes ist die Judikatur nicht einheitlich. Die noch vom Obersten Gerichtshof kurz vor seiner Auflösung erlassene Entscheidung vom 7. Dezember 1938, SZ. XX/259, wollte an der herrschenden Praxis der Zulassung von Neuerungen im Revisionsverfahren festhalten. Sie hat die Billigung von Antoni (Volkmar - Antoni, 447) gefunden. Dagegen hat das Reichsgericht die Neuerungen in der dritten Instanz ausgeschlossen (Entscheidung vom 26. Feber 1941, DRW. 1941, S. 1206), im wesentlichen mit der Begründung, im österreichischen Rechtsgebiete könne die Revision in Ehesachen nicht in weiterem Umfange zugelassen werden als im Altreich. Der wiedererstandene Oberste Gerichtshof hat in dieser Praxis in der Entscheidung vom 13. Oktober 1948, SZ. XXI/144, festgehalten; § 503 ZPO. finde auch in Ehesachen Anwendung. Die neueste Praxis schwankt wieder. Die Entscheidung vom 8. November 1950, EvBl. 1951 Nr. 2, kehrte zur herrschenden Judikatur vor der Beseitigung des Obersten Gerichtshofes zurück; sie ist insbesondere von Novak, ÖJZ. 1951, S. 88, bekämpft worden; dagegen hat die Entscheidung vom 17. Jänner 1951, EvBl. 1951 Nr. 58, den Standpunkt vertreten, daß zwar auch im Eheverfahren die Revision nur auf die im § 503 ZPO. angeführten Revisionsgrunde gestützt werden könne, daß aber, soweit dies mit der Beschränkung auf bestimmte Revisionsgrunde vereinbar sei, auch im Revisionsverfahren in Ehesachen der Untersuchungsgrundsatz gelte.

 

Der Plenarsenat kommt zu dem gleichen Ergebnis. Wie der Oberste Gerichtshof schon in der Entscheidung vom 27. Mai 1927, ZBl. 1927 Nr. 271, und vom 8. April 1936 RZ. 1936 S. 166, ausgeführt hat, bedeutet der Untersuchungsgrundsatz wohl, daß der Sachverhalt in allen Instanzen ohne Bindung an die Parteianträge zu überprüfen ist, doch nur im Rahmen der Verfahrensvorschriften; es ist daher nach § 1 Justizministerialverordnung Nr. 283/1897 die Zivilprozeßordnung überall dort anzuwenden, wo sich nicht aus dem Ehegesetz, der Justizministerialverordnung oder dem Hofdekret Besonderheiten ergeben. Daher darf z. B. der Oberste Gerichtshof eine Revision nur dann einer sachlichen Überprüfung unterziehen, wenn sie von einer Person erhoben worden ist, der das Revisionsrecht zusteht.

 

Die Untersuchungsmaxime bedeutet nicht ein schrankenloses Überprüfungsrecht; so ist, obwohl im Außerstreitverfahren gleichfalls der Untersuchungsgrundsatz gilt, das Überprüfungsrecht des Obersten Gerichtshofes vielfach beschränkt (§ 16 AußstrG.). Daraus muß für das Eheverfahren gefolgert werden, daß die Beschränkung der Revisionsgrunde auf die im § 503 ZPO. angeführten auch im Eheverfahren gilt, soweit das Gesetz keine Ausnahme macht. Das war bis 1938 insoweit der Fall, als es sich um Prozesse handelte, in denen die Pflichtrevision vorgeschrieben war; insoweit war § 503 ZPO. ausgeschaltet und es galt wie im Berufungsverfahren, das keine gesetzlichen Berufungsgrunde kennt, die Untersuchungsmaxime ohne Einschränkung. Soweit eine Pflichtrevision nicht vorgeschrieben war, galt auch schon vor 1938 § 503 ZPO. uneingeschränkt. Diese Auffassung wurde freilich, wie oben dargelegt, nur in einer Minderzahl von oberstgerichtlichen Entscheidungen vertreten. Heute ist die Pflichtrevision entfallen. Es ist demnach, da weder das Ehegesetz noch eine andere gesetzliche Bestimmung eine Ausnahme von der Anwendung des § 503 ZPO. im Eheverfahren vorsieht, § 503 ZPO. auch im Eheverfahren anzuwenden. Der Plenarsenat übernimmt daher in diesem Punkte die Ausführungen der Entscheidung vom 17. Jänner 1951, EvBl. 1951 Nr. 58.

 

Zu II.: Die scharfe Antithese: Zulassung von neuen Tatsachen und Beweisen in der Berufungsinstanz, aber Unzulässigkeit der Geltendmachung neuer Klagegrunde, ist theoretisch zweifellos denkbar; praktisch erfordert aber die Zulassung von Neuerungen auch die Gestattung der Änderung des Klagegrundes. Das muß umsomehr in einem Verfahren gelten, in dem das Gericht nicht auf das tatsächliche und Beweisvorbringen der Parteien beschränkt, sondern verpflichtet ist, von Amts wegen an der Sammlung des Tatbestandes mitzuwirken.

 

Wollte man eine Änderung des Klagegrundes im Berufungsverfahren nicht zulassen, so könnte der Kläger, der das Scheidungsbegehren ausdrücklich nur auf Verschulden des anderen Ehegatten gestützt hat, die Klage nicht mehr auf § 50 Ehegesetz grunden, wenn in der zweiten Instanz eine geistige Störung der Beklagten hervorkommt; er müßte eine neue Klage anbringen.

 

Der Oberste Gerichtshof glaubt daher vor allem aus Zweckmäßigkeitserwägungen der vom Reichsgericht übernommenen Praxis, daß § 76 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz auch im Berufungsverfahren gilt, den Vorzug geben zu sollen. Die Einwendung fällt wenig ins Gewicht, daß im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung nicht obligatorisch sei und daß daher neues Klagevorbringen in der Berufungsinstanz ausgeschlossen werden müsse, wenn es nicht zu einer mündlichen Berufungsverhandlung komme. § 76 ist dem § 614 DZPO. nachgebildet, stammt also aus einem Rechtssystem, in dem die mündliche Berufungsverhandlung obligatorisch ist. Der Hinweis auf den Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, muß daher dahin verstanden werden, daß neue Klagegrunde in der Tatsacheninstanz vorgebracht werden können, solange ein neues Vorbringen zulässig ist. Mit bloßer Wortinterpretation kann man aus Rechtsnormen, die aus einem fremden Rechtssystem wörtlich ohne Adaptierung an die heimische Rechtssprache übernommen wurden, nicht weittragende Rechtsfolgerungen ziehen.

 

Die Zulassung neuer Klagegrunde im Eheverfahren ist daher zu bejahen. Das gilt nicht nur für den Scheidungsprozeß, sondern auch für das Nichtigkeits- und Aufhebungsverfahren, da § 76 nicht unterscheidet und kein Grund ersichtlich ist, warum nicht etwa in der Berufungsinstanz Mangel der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters geltend gemacht werden soll, falls im Berufungsverfahren hervorkommt, daß der klagende Ehegatte zur Zeit der Eheschließung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, wenngleich er in der ersten Instanz nur Irrtum geltend gemacht hat.

 

In diesem Zusammenhange muß auch die zu II. b) gestellte Frage erörtert werden, was unter Klagegrund im Eheverfahren zu verstehen ist.

 

Aus der Tatsache, daß eine dem § 616 DZPO. entsprechende Bestimmung im österreichischen Rechte fehlt, hat schon das Reichsgericht den Schluß gezogen, daß Scheidungsgrunde, die in einem früheren Verfahren hätten geltend gemacht werden können, später nicht ausgeschlossen sind (RG. 163, 77). Daran ist festzuhalten. Anderseits ist aus den im Eheverfahren geltenden allgemeinen Rechtskraftgrundsätzen zu folgern, daß einmal vorgebrachte, jedoch vom Gericht abgelehnte Scheidungsgrunde als alleinige Grundlage eines weiteren Scheidungsverfahrens ausgeschlossen sind (RG. 163, 77). Der Frage der Identität des Scheidungsgrundes kommt demnach im österreichischen Recht rücksichtlich der Rechtskraft eine gewisse besondere Bedeutung zu, die dem deutschen Recht infolge des dort geltenden Präklusionsprinzipes des § 616 DZPO. fremd ist. Seit der Lockerung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Verfahrens durch RG. 171, 39 war auch die deutsche Judikatur gezwungen, zu diesem bisher vernachlässigten Problem Stellung zu nehmen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone vom 26. Jänner 1950, Band 3, 301, faßt die heute in Deutschland geltende Auffassung in nachstehenden Worten zusammen: "Bei einer Scheidungsklage gehört der genaue Sachverhalt, auf Grund dessen die Scheidung ausgesprochen wird, mit zur Umgrenzung des Urteils. Es gibt kein Scheidungsurteil schlechthin, sondern nur die Scheidung aus ganz bestimmten Gründen. Hier bedurfte es also einer Sondervorschrift, um die Reichweite des Urteils auch auf nicht vorgebrachte Gründe zu erstrecken." Diese Sondervorschrift ist der in Österreich nicht rezipierte § 616 DZPO.

 

Judikatur und Literatur haben sich in Österreich vor 1938 mit dem Problem der Abgrenzung der Identität geltend gemachter Scheidungsgrunde nicht näher befaßt. Für das Züricher Recht ist diese Frage von Guldener in dem Aufsatz "Über die Rechtskraft von Ehescheidungsurteilen" in der Schweizerischen Juristenzeitung 1950, S. 17 ff., behandelt worden. Der Autor geht ähnlich wie neuestens der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone, Band 3, 301 von dem auch im österreichischen Prozeßrecht geltenden Grundsatz aus, daß eine Identität von Ehescheidungsklagen noch nicht deshalb anzunehmen sei, weil sich der Kläger auf denselben Scheidungsgrund des Zivilgesetzbuches berufe. Habe der Kläger erstmals wegen Ehebruches der Beklagten mit A. geklagt, so erhebe er nicht dieselbe Klage, wenn er später wegen eines Ehebruches mit B. auf Scheidung klage. Jeder neue Ehebruch des anderen Eheteiles berechtige ihn, die Scheidung zu verlangen. Auch die Zerrüttung könne in ganz verschiedenen Verhältnissen begrundet sein. Die Identität einer Klage beurteile sich nicht einzig nach dem beurteilten oder zu beurteilenden Rechtsbegehren und dem zu seiner Begründung angerufenen Rechtssatze, sondern auch nach dem Tatbestand, auf welchen das Rechtsbegehren gestützt werde. Das gelte auch für Scheidungsklagen. Falls derselbe Kläger mit mehreren Klagen denselben Scheidungsgrund des Zivilgesetzbuches anrufe, lägen doch verschiedene Klagen vor, wenn sie aus verschiedenen Lebensvorgängen hergeleitet werden.

 

Diese Darlegung Guldeners treffen uneingeschränkt auch für das österreichische Ehescheidungsrecht zu. Sie stimmen mit den allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen überein, daß der Gegenstand des Rechtsstreites durch einen behaupteten Tatbestand und das daraus abgeleitete Begehren abgegrenzt wird, also im Scheidungsprozeß durch das auf einen bestimmten Lebensvorgang gestützte Scheidungsbegehren. Diese Grundsätze sind übrigens auch in der deutschen Lehre - außerhalb des Eheverfahrens - unbestritten; nur in untergeordneten Einzelheiten bestehen Differenzen, wie die Kontroverse Lent - Rosenberg in der Leitschrift für Deutschen Zivilprozeß, Band 57, beweist.

 

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf das österreichische Ehescheidungsrecht muß daher gesagt werden: Maßgebend ist die Tatsache, auf die das Scheidungsbegehren gestützt wird und nicht die rechtliche Subsumtion der Tat unter einen der im Gesetz aufgezählten Scheidungsgrunde. Wenngleich Vernachlässigung der Wirtschaft und liebloses Verhalten nach § 49 Ehegesetz zu beurteilen sind, bilden sie doch verschiedene Scheidungsgrunde; es steht daher der Umstand, daß eine auf liebloses Verhalten gestützte Scheidungsklage abgewiesen wurde, einer neuen Scheidungsklage nicht entgegen, in der behauptet wird, daß die beklagte Ehegattin in der gleichen Zeit die Hauswirtschaft schwer vernachlässigt habe.

 

Der Gegenstand des Streites wird aber im Eheverfahren so wenig wie sonst nach österreichischem Verfahrensrecht ausschließlich durch das aus einem bestimmten Lebensvorgang abgeleitete Begehren umschrieben. Nach ständiger Praxis des Obersten Gerichtshofes (1 Ob 271/49, 1 Ob 447/50, 2 Ob 134/50, 2 Ob 553/50, 3 Ob 292/51), die hier eine Mittelstellung zwischen den Standpunkten von Lent und Rosenberg einnimmt, sind für die Frage der Streitanhängigkeit, Rechtskraft usw. nicht nur der bestimmte Sachverhalt und der Klageantrag maßgebend, sondern auch der Rechtsgrund, auf den das Begehren gestützt wird; dabei ist abweichend vom römischen Recht davon auszugehen, daß eine Notwendigkeit, den Rechtsgrund zu benennen, nicht besteht. Hat der Kläger dies unterlassen, so hat das Gericht das Klagebegehren nach allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Anders nur dann, wenn ein bestimmter Rechtsgrund ausschließlich geltend gemacht wird; dann darf der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgegeben werden.

 

Zu III.: Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 5. Oktober 1949, SZ. XXII/144, abweichend von der Entscheidung RG. 164, 59 den Grundsatz ausgesprochen, daß in der Berufungsinstanz von einem Aufhebungsbegehren nicht auf ein Scheidungsbegehren übergegangen werden könne und umgekehrt. Der Oberste Gerichtshof folgerte dies daraus, daß § 76 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz nur von Klagegrunden und nicht von Klagebegehren spreche. Der Plenarsenat kann diese Rechtsmeinung nicht aufrechterhalten. Die Wirkung der Aufhebung und der Scheidung ist nach §§ 34, 46 Ehegesetz die gleiche. In dem einen wie in dem anderen Falle wird die Ehe mit Wirkung von der Rechtskraft des Urteils an aufgelöst. Auf diese enge Verwandtschaft der Aufhebung und der Scheidung ist auch § 18 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz abgestellt. Dieser bestimmt, daß dann, wenn beim Zusammentreffen einer Aufhebungs- und einer Scheidungsklage beiden Klagen stattzugeben wäre, die Auflösung der Ehe nur einmal, u. zw. in der Form der Aufhebung, auszusprechen, trotzdem aber über das Verschulden nach der einen und nach der anderen Richtung zu entscheiden sei. Daraus läßt sich ohne Schwierigkeiten folgern, daß im Gründe zwischen Aufhebung und Scheidung keine wesentliche Verschiedenheit besteht, daß daher, wenn § 76 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz den Übergang von einer Klage aus § 49 Ehegesetz auf eine solche nach § 55 Ehegesetz gestattet, es nur einen logischen Schritt in der gleichen Richtung bedeutet, die Änderung von Aufhebungs- in Scheidungsklagen und umgekehrt für zulässig zu erachten.

 

Eine solche Verwandtschaft besteht aber nicht zwischen Scheidungs- und Aufhebungsklagen einerseits und Nichtigkeitsklagen anderseits. Es weist darum auch § 74 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz dem Staatsanwalt in einem Scheidungs- oder Aufhebungsverfahren eine andere Stellung zu als § 83 der Verordnung in einem Verfahren über eine Nichtigkeitsklage. Aus § 76 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz läßt sich daher kein Argument für die Zulässigkeit einer über den § 235 ZPO. hinausgehenden Änderung einer Scheidungs- oder Aufhebungsklage in eine Nichtigkeitsklage oder umgekehrt einer solchen in eine Scheidungs- oder Aufhebungsklage finden.

 

Der Plenarsenat kommt daher zu einer Bejahung der Frage III. nur im Verhältnis von Aufhebungs- und Scheidungsklagen zueinander.

 

Zu IV.: Läßt man in der Berufungsinstanz die Geltendmachung neuer Scheidungsgrunde zu, so muß aus den §§ 60 ff. Ehegesetz gefolgert werden, daß ein Antrag auf Ausspruch des Verschuldens oder Mitverschuldens auch noch in der Berufungsinstanz gestellt werden kann.

 

Die gegenteilige Lösung wäre zweckwidrig und würde zu unbilligen Ergebnissen führen, weil Mitschuldeventualanträge vielfach in erster Instanz in der Annahme unterlassen werden, daß solche Anträge die Stellung einer die Abweisung der Klage anstrebenden Partei schwächen. Zeigte sich nun im Berufungsverfahren, daß doch ein Verschulden der beklagten Partei vorliegt, das einen Scheidungsausspruch rechtfertigt, so müßte, wenn ein Mitschuldantrag nicht nachgeholt werden könnte, die Ehe aus ihrem Alleinverschulden geschieden werden, obwohl das überwiegende Verschulden die klagende Partei trifft. Schon diese praktischen Erwägungen zwingen zur Bejahung der Zulässigkeit von Mitschuldanträgen im Berufungsverfahren.

 

Die gleichen Erwägungen gelten für die Frage, ob ein Widerspruch nach § 55 Abs. 2 Ehegesetz noch im Rechtsmittelverfahren erhoben werden kann. Kommt man zu dem Ergebnis, daß Neuerungen im Berufungsverfahren vorgebracht werden können, dann sprechen dieselben Gründe auch für die Zulässigkeit eines Widerspruchs im Berufungsverfahren.

 

In der Revisionsinstanz aber kann weder ein Mitschuldantrag gestellt noch Widerspruch erhoben werden. Denn es wird in dritter Instanz meistens an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Das Revisionsverfahren dient nicht mehr den Tatsachenfeststellungen, es kann daher diesen Mangel nicht beseitigen. Mitschuldantrag oder Widerspruch könnten weder die Annahme einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens noch die einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung rechtfertigen.

 

Zu V. und VI.: Bevor zu den weiteren Problemen Stellung genommen wird, muß der Standpunkt des Obersten Gerichtshofes zur sogenannten Frage der Einheitlichkeit des Verfahrens erörtert werden. Die deutsche Judikatur hat insbesondere aus dem in Österreich nicht rezipierten § 616 DZPO. abgeleitet, daß über die Klage und Widerklage auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe und über die Frage des Verschuldens auf Grund eines einheitlichen Verfahrens und in einem einheitlichen Urteil zu erkennen sei (RG. 165, 62). Dieser Grundsatz hat in Deutschland zu Schwierigkeiten geführt, wenn die Ehe aus beiderseitigem Verschulden in erster Instanz geschieden, das Urteil aber nur von einem Eheteil im Ausspruch über das Verschulden angefochten wurde. Das Reichsgericht sah sich in diesem Fall genötigt, von der strengen Einhaltung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Verfahrens abzugehen und anzunehmen, daß auch die nicht angefochtene Schuldigerklärung des einen Gatten bei Anfechtung des Urteiles durch den anderen Eheteil gehemmt sei, daß aber das Erstgericht gehalten sei, wenn es nach Aufhebung des ersten Urteiles neuerlich auf Scheidung erkenne, den seinerzeit nicht angefochtenen Schuldspruch zu wiederholen (RG. 165, 62; RG. 166, 87).

 

Nach der Entscheidung RG. 163, 77 geht das Ehegesetz auch in seinen für Österreich geltenden Bestimmungen von dem Grundsatz einer weitreichenden Einheitlichkeit des Verfahrens in Ehesachen aus; doch sei die Bestimmung des § 616 DZPO., wonach die Scheidung oder Aufhebung der Ehe nicht mehr auf Tatsachen gegrundet werden könne, die der Kläger in einem früheren Rechtsstreite nicht geltend gemacht habe, aber hätte geltend machen können, für das Gebiet des österreichischen Rechtes nicht übernommen. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Verfahrens könne daher nicht so weit gehen, daß Scheidungsgrunde verbraucht seien, die in einem früheren Scheidungsverfahren hätten geltend gemacht werden können. Das steht mit der Rechtslehre im Einklang. Volkmar - Antoni, S. 442, hatten bereits vor der Entscheidung RG. 163, 77 auf diesen wesentlichen Unterschied zwischen dem deutschen und dem österreichischen Eheverfahrensrecht aufmerksam gemacht und daran die Folgerung geknüpft, daß es nach österreichischem Recht im Eheverfahren nicht geboten sei, Klage und Widerklage zu einem gemeinsamen Verfahren zu verbinden und mit einem gemeinsamen Urteil zu erledigen. So weit ist die reichsgerichtliche Praxis freilich nicht mitgegangen (Entscheidung vom 25. November 1940, DR. (A.) 1941, S. 453).

 

Die Sonderstellung des österreichischen Eheprozesses hat das Reichsgericht zu einer neuerlichen Überprüfung seiner Rechtsauffassung veranlaßt. Die Entscheidung RG. 171, 39 bedeutet geradezu einen Bruch mit der seit Jahrzehnten festgehaltenen Theorie. Das Reichsgericht mußte nunmehr zugeben, daß der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entscheidung in Ehesachen, wie sich aus der früher abweichenden Auffassung der österreichischen Rechtsprechung ergebe, nicht auf denkgesetzlicher Notwendigkeit, sondern auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhe.

 

Aus der Erkenntnis, daß die sogenannte Einheitlichkeit der Entscheidung im Eheverfahren nicht ein logisches Postulat sei, sondern ein Erfordernis der Zweckmäßigkeit, schließt das Reichsgericht nun, daß eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch zu dem Zwecke erfolgen könne, um nur den Ausspruch eines Mitverschuldens zu erwirken.

 

Mit dieser Entscheidung hat das Reichsgericht die Theorie der denknotwendigen Einheitlichkeit der Entscheidung im Eheverfahrens negiert. Er lehnt die Lehre, daß nur ein Scheidungsheitlichkeit des Eheverfahrens gelte nur so weit, als sie zweckmäßig sei und das Gegenteil zu unpraktischen Ergebnissen führe.

 

Es handelt sich hier keineswegs um eine vereinzelte Entscheidung, sondern um das grundsätzliche Aufgeben eines durch Jahrzehnte festgehaltenen Rechtssatzes, wie auch die Rechtsentwicklung in Deutschland nach 1945 zeigt. Hier mag der Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone vom 7. Oktober 1949, Band 2, 331, und vom 11. November 1949, NJW. 1950, 65, genügen, in denen diese Rechtsgrundsätze unter Hinweis auf RG. 171, 39 wiederholt werden. Dem hat sich auch Schönke sowohl in einem Aufsatz in der DRZ. 1949, 492 als auch in der 17. Auflage des Kommentars von Stein - Jonas (Note 36 zu § 615 DZPO.) und in der 7. Auflage seines Lehrbuches des Zivilprozeßrechtes (S. 412) angeschlossen.

 

Auch die österreichische Judikatur hat an dem in RG. 171, 39 ausgesprochenen Grundsatz festgehalten, eine Wiederaufnahmsklage könne der Abänderung des Ausspruches über das Verschulden dienen (SZ. XXIII/6, 1 Ob 701/50, 2 Ob 757/51 u. a. m.).

 

Darüber hinausgehend hat der Oberste Gerichtshof, insbesondere in SZ. XXI/25 die Theorie der Einheitlichkeit des Eheverfahrens negiert. Er lehnt die Lehre, daß nur ein Scheidungsanspruch vorliege, wenn mehrere auf verschiedene Scheidungsgrunde gestützte Klagen eingebracht wurden, ab und erklärt ausdrücklich die Erhebung von weiteren Scheidungsklagen auch dann für zulässig, wenn sie mit früher eingebrachten aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht verbunden werden können. Der Oberste Gerichtshof ist damit deutlich von der deutschen Lehre von der erweiterten Rechtshängigkeit in Ehesachen (vgl. Stein - Jonas - Schönke, 17. Aufl., II. zu § 615 DZPO.) abgerückt. Er nimmt aber mit dieser noch an, daß die rechtskräftige Scheidung einer Ehe die neuerliche Aufrollung der Verschuldensfrage ausschließe, auch wenn noch vor Rechtskraft der Scheidung eine auf einen weiteren Scheidungsgrund gestützte Scheidungsklage eingebracht worden sei. Dieser Rechtssatz ist in der Entscheidung SZ. XXI/25 ebensowenig begrundet worden wie in der deutschen Rechtsprechung.

 

Es führt zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn das im Berufungsstadium befindliche Ehescheidungsverfahren früher zu einer rechtskräftigen Entscheidung gelangt als das später im Sinne von SZ. XXI/25 eingeleitete. Es besteht nach der bisher herrschenden Auffassung aber auch keine Möglichkeit, einen neuen Scheidungsgrund geltend zu machen, der sich nach Schluß der Berufungsverhandlung in der Zeit bis zur Rechtskraft des Scheidungsanspruches ergeben hat. Gärtner betont in ÖJZ. 1951, S. 81, mit Recht, daß den Ehegatten diese Möglichkeit offenstehen müsse. Der Oberste Gerichtshof ist daher der Meinung, daß in solchen Fällen ein Nachverfahren zugelassen werden muß, wenn auch grundsätzlich ein einheitliches Verfahren und ein einheitliches Urteil anzustreben sind.

 

Allerdings darf im Falle einer Klage auf Scheidung wegen eines bestimmten ehewidrigen Verhaltens nicht ein Teilurteil auf Scheidung allein ergehen, weil der Schuldausspruch hier einen notwendigen Teil des Erkenntnisses bildet. Das bedeutet aber nicht, daß nicht nachträglich noch das Mitverschulden des anderen Teiles festgestellt werden kann. Eine solche Möglichkeit ist durch keine positive Rechtsvorschrift ausgeschlossen.

 

Gewiß kann eine bereits rechtskräftig geschiedene Ehe nicht noch einmal geschieden werden. Wohl aber besteht kein Hindernis, den Verschuldensausspruch zu ergänzen. Das Urteil hat sich in einem solchen Fall darauf zu beschränken. Es kann eine im vorangegangenen rechtskräftigen Urteil ausgesprochenen Schuldigerklärung nicht beseitigen, wohl aber das Mitverschulden des anderen Teiles aussprechen oder bei Verschulden beider Teile das Verhältnis der Verschulden feststellen.

 

Aus diesen Ausführungen ergibt sich auch schon die Beantwortung der Fragen V. und VI. Die österreichische Praxis vor 1938 ging davon aus, daß die Scheidung oder Trennung der Ehe in Rechtskraft erwächst, wenn nur die Verschuldensfrage angefochten wird (vgl. die Zusammenstellung der Judikatur in der Entscheidung vom 8. April 1936, RZ. 1936 S. 166, ferner Entscheidung vom 9. Mai 1922, ZBl. 1922 Nr. 275; SZ. XII/317 und Entscheidung vom 29. November 1935, ZBl. 1936 Nr. 153). Auch die tschechoslowakische Judikatur hat den Grundsatz der Einheitlichkeit der Entscheidung in Ehesachen in voller Schärfe kompromißlos abgelehnt (Entscheidung vom 26. April 1927, Slg. OG. 7014; Entscheidung vom 7. März 1929, Slg. OG. 8762; Entscheidung vom 17. September 1937, Slg. OG. 16.313). Die Rechtsprechung in der Zeit von 1938 bis 1944 negierte zwar in einem solchen Fall den Eintritt der Rechtskraft der Scheidung (SZ. XX/232), erkannte aber dem von einem Rechtsmittel nicht erfaßten Teil des Scheidungsurteiles insofern Bedeutung zu, als sie annahm, die höheren Gerichte, und im Falle der Aufhebung des Urteiles auch das untere Gericht, seien an den nicht angefochtenen Teil gebunden und es dürfe die Partei, welche kein Rechtsmittel eingebracht habe, im neuen Urteil nicht besser gestellt werden als in der früheren Entscheidung (RG. 165, 62; RG. 166, 87 u. a. m.). Lagen Klage und Widerklage vor und hatte die Partei, aus deren Verschulden die Ehe in erster Instanz geschieden worden war, die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen lassen, so durfte das Berufungsgericht nicht untersuchen, ob die Verfehlungen dieser Partei nicht etwa als verschuldensfreie Reaktionshandlungen zu betrachten seien. Aus den gleichen Erwägungen konnte der Ausspruch über die Scheidung im Revisionsverfahren nicht mehr angefochten werden, wenn er im Berufungsverfahren unangefochten geblieben war. Der Oberste Gerichtshof hat auch in der Entscheidung vom 28. Feber 1948, EvBl. 1948 Nr. 312, die Anfechtbarkeit der Scheidung im Revisionsverfahren verneint, wenn im Berufungsverfahren nur mehr die Frage des überwiegenden Verschuldens strittig gewesen ist. Der Kläger habe schon grundsätzlich der Scheidung aus beiderseitigem Verschulden zugestimmt, da er das Urteil der ersten Instanz nur insoweit angefochten habe, als das Gericht nicht der Beklagten, sondern ihm das überwiegende Verschulden angelastet habe. Der Kläger habe nur noch die Frage, wen das überwiegende Verschulden treffe, der Berufungsinstanz überlassen. Damit sei der Ausspruch des beiderseitigen Verschuldens rechtskräftig geworden, es könne daher nur mehr die Frage den Gegenstand des Revisionsverfahrens bilden, ob der Verschuldensausspruch im Sinne des beiderseitigen Verschuldens oder eines überwiegenden Verschuldens der Beklagten abzuändern sei; dagegen wäre ein Revisionsantrag auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten unzulässig und nicht etwa unbegrundet.

 

Der Plenarsenat findet keinen Grund, von dieser Praxis abzugehen. Wird zugegeben, daß unter besonderen Umständen auch mehrere Entscheidungen in einer Ehesache ergehen können, so muß der bisherigen Praxis des Obersten Gerichtshofes, daß ein in erster Instanz ergangenes Ehescheidungsurteil insoweit in Rechtskraft erwächst, als es nicht angefochten wurde, zugestimmt werden. Eine Änderung des rechtskräftig gewordenen Teiles des erstinstanzlichen Urteiles ist demnach auch in dritter Instanz nicht mehr möglich.

 

Unterläßt es ein beklagter Ehegatte, den Ausspruch eines Verschuldens zu bekämpfen, so ist die Ehe mit Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig aus dem Verschulden dieses Ehegatten geschieden. Das weitere Rechtsmittelverfahren kann nur mehr die Frage zum Gegenstand haben, ob auch den anderen Ehegatten ein Mitverschulden trifft und allenfalls, auf welcher Seite das überwiegende Verschulden liegt. Zu beachten ist aber, daß die Bekämpfung eines jeglichen Verschuldens durch die beklagte Partei immer auch die Bekämpfung des Scheidungsausspruches mitumfaßt, soweit er auf diesem Verschulden beruht, auch wenn dies im Rechtsmittel unausgesprochen blieb. Wurde eine Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden und bekämpfen beide Ehegatten nur den sie treffenden Verschuldensausspruch, ohne ausdrücklich den Ausspruch über die Scheidung zu bekämpfen, so ist dieser dennoch nicht in Rechtskraft erwachsen. Denn die Erledigung des Rechtsmittels kann dazu führen, daß bei keinem der Ehegatten ein Verschulden als gegeben erachtet wird. Dann sind Klage und Widerklage abzuweisen.

 

Es wurde bereits oben ausgeführt, daß Verschuldenstatbestände, die sich vor Rechtskraft des Scheidungserkenntnisses, aber doch erst nach dem Zeitpunkt ereignen, bis zu welchem sie im Berufungsverfahren geltend gemacht werden könnten, den Gegenstand einer besonderen Klage bilden können, und daß das Urteil über eine solche Klage den Verschuldensausspruch, der mit dem Scheidungserkenntnis verbunden war, abändern kann. Es bleibt noch zu prüfen, wie in diesen Zeitraum fallende Tatbestände zu behandeln sind, die eine Scheidung ausschließen.

 

Wenn es zu einer Versöhnung gekommen ist und ein Ehegatte sich weigert oder gehindert ist, die Klage rechtzeitig zurückzunehmen (§ 79 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz), ist die Wiederaufnahmsklage zulässig.

 

Diese scheitert nur scheinbar am Wortlaut des § 530 Abs. 2 ZPO. Leistungs- und Feststellungsurteile stellen ihre Wirkung auf den Zeitpunkt ab, bis zu welchem die Parteien Neuerungen vorbringen konnten. Bei Verwertung der materiellen Rechtskraft eines Leistungs- oder Feststellungsurteiles sind Änderungen der Rechtslage, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, zu beachten. Dem Leistungsgebot eines Leistungsurteiles gegenüber werden sie im Wege der Oppositionsklage zur Geltung gebracht.

 

Bei Urteilen im Eheverfahren wird dagegen auf Grund der Rechtslage in dem Zeitpunkt, bis zu welchem Neuerungen vorgebracht werden könnten, eine Rechtsgestaltung ausgesprochen, die erst im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteiles wirkt. Zwischen diesen beiden Zeitpunkten liegt ein Zeitraum, in welchen sich Ereignisse ergeben können, die den Eintritt der Rechtsgestaltung als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen. Das Rechtsgestaltungsurteil konnte diese späteren Veränderungen noch nicht berücksichtigen. Es erging also gewissermaßen unter der Voraussetzung, daß Änderungen der Rechtslage bis zum Eintritte der Rechtskraft nicht eintreten werden.

 

Wenn nun § 530 Abs. 2 ZPO. die Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen für zulässig erklärt, welche die Parteien bis zum Schlusse der mündlichen Streitverhandlung nicht geltend machen konnten, so trifft dies auf Neuerungen zu, die sich im Eheverfahren nach Schluß der Berufungsverhandlung ereigneten. Auffallend ist allerdings, daß durch die Wiederaufnahmsklage hier nicht nur vor dem obgenannten Zeitpunkt liegende Ereignisse Beachtung finden können, sondern auch später eingetretene. Doch widerspricht dies nicht dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes.

 

Der Plenarsenat des Obersten Gerichtshofes hat daher in der Sitzung vom 19. Dezember 1952 die obigen Rechtssätze beschlossen, die unter Nr. 57 in das Judikatenbuch einzutragen sind.

Schlagworte
Berufungsverfahren in Ehesachen, Neuerungen zulässig, Ehesachen, Neuerungen im Berufungsverfahren zulässig, Klagsänderung in Ehesachen auch in zweiter Instanz zulässig, Neuerungen im Eheverfahren, Verschuldensantrag im Scheidungsprozeß noch in 2. Instanz zulässig, Widerspruch nach § 55 (2) EheG., Erhebung in 2. Instanz Anmerkung
Z25331
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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